Cuba libre?

Cuba libre?
Kuba
Foto: Kerstin Söderblom
Zweieinhalb Wochen war ich auf Kuba. Zweieinhalb Wochen spannende Begegnungen, Bilder, fremde Gerüche, laute Musik, Lärm und politische Kommentare hinter vorgehaltener Hand. Trotz aller Zurückhaltung drehten sich viele Gespräche mit Einheimischen um die Wahl in den USA. Den meisten graute vor dem rassistischen und latinofeindlichen Donald Trump. Wie wird die politische Entwicklung zwischen Kuba und den USA nun weiter gehen und was heißt das für sexuelle Minderheiten in Kuba?

Jetzt ist es also passiert. Trump ist gewählt. Fassungslos stehe ich davor, wie so viele andere in den USA  und dem Rest der Welt. Ich habe selbst einige Zeit in den Vereinigten Staaten gelebt und achte dieses Land sehr. Aber dieses Wahlergebnis gibt mir den Rest. Ein Rassist, der mit frauen-, homo-, trans- und islamfeindlichen Parolen Wahlkampf gemacht hat, gewinnt die Wahl zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Während hierzulande nun spekuliert wird, was dieser Wahlausgang für Deutschland und Europa für Folgen haben wird, denke ich an meine Reise nach Kuba zurück, von der ich gerade zurückgekommen bin. Was bedeutet die US-Wahl für sexuelle Minderheiten auf Kuba?

Auf Kuba haben wir während unserer Rundreise mit einigen Leuten gesprochen. Frauen und Männer, Schwarze und Weiße, Jüngere und Ältere. Sie alle haben klar gemacht, dass sie sich vor einer Wahl von Donald Trump fürchten. Gerade ist die jahrzehntelange Eiszeit zwischen den USA und Kuba etwas abgeschmolzen. Die Menschen auf Kuba haben auf Hillary Clinten gehofft. Sie sollte Obamas Entspannungspolitik fortsetzen. Doch nun ist es anders gekommen. Trump ist gewählt worden. Die Welt ist entsetzt. Auch die Kubanerinnen und Kubaner. Die kubanische Regierung hat nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse postwendend eine Militärübung mit Kriegsschiffen in der Karibik eingeleitet. Sie trauen Trump nicht über den Weg. Mit Recht. Denn Trump hatte vor der Wahl angedroht, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko aufzubauen. Drei Millionen Illegale plant Trump zeitnah aus den USA auszuweisen, wie er schon kurz nach den Wahlen verlauten ließ. Das sind keine gute Nachrichten für ein Land, das seine Beziehungen zu den USA nach fast sechzigjährigem Wirtschaftsembargo gerade erst wieder aufbauen wollte. Der kubanischen Regierung und allen voran Raúl Castro kann das nicht gefallen. Aber um die Regierung geht es nicht. Es geht um die Tausenden von Frauen und Männern auf Kuba, die nach 57 Jahren sozialistscher Dikatatur auf eine längerfristige Entspannungspolitik mit den Vereinigten Staaten gehofft hatten. Die sehen sich nun um ihre Hoffnungen betrogen. Von Trump erwarten sie nichts.

An diese Menschen denke ich nun. Denn meine Reise durch Kuba hat mir die Augen geöffnet für eine Welt, die ambivalenter nicht sein könnte. Auf der einen Seite herrscht viel Armut und Kargheit. Verfallene Häuser und Fassaden, fast leere Geschäfte. Liebevoll aufgeputzte Oldtimer und wacklige alte Ladas irritieren und faszinieren zugleich. Auf der anderen Seite sind die Menschen freundlich, zuvorkommend und mit einer Mischung von Gelassenheit, Apathie und Sarkasmus unterwegs. Sie verzaubern ihre internationalen Gäste mit Salsamusik, feurigem Tanz, findigen Alltagsweisheiten und mit einer erstaunlich kreativen Verwaltung des allgegenwärtigen Mangels.

Hinzu kommen eine überschwängliche Schönheit und Farbenpracht der Natur. Es gibt viele Naturreservate mit Wasserfällen, Bergketten, Zuckerrohrfeldern, Kaffee- und Tabaksplantagen, Königspalmen und Karibikstränden. Ideologische Parolen und handgemalte Revolutionsplakate am Eingang von Dörfern und Städten stehen im krassen Gegensatz zu einem flächendeckenden Bildungs- und Gesundheitssystem, das für alle Kubanerinnen und Kubaner kostenlos ist. Unter Raúl Castro ist in den letzten Jahren auch das Kleinunternehmertum stärker aufgeblüht. Moderater privater Besitz ist mittlerweile wieder erlaubt und motiviert Kreativität und Erfindergeist von Einzelnen.Telefonanschlüsse und WLAN gibt es dafür aber viel zu wenig. Digitale und technische Infrastruktur, Telefon- und Stromnetze sind auf einem vorsintflutlichen Stand. Und trotzdem kommen die Leute irgendwie zurecht.

Seit der vorsichtigen Öffnung Kubas hin zu den USA und einer stärker werdenden Tourismuswelle ist in Kuba im 21. Jarhundert angekommen. In einer ganz eigenen kubanischen Art und Weise. Armut und verfallene Fassaden grüßen genauso wie bunt renovierte Häuserfassaden, koloniale Prachtbauten in verschiedenen Verfallsstadien. Vor allem aber ist es auf Kuba unglaublich sauber. Die Devisen von Urlaubsgästen sind willkommen. Die staatlich organisierte Tourismusindustrie hat sich darauf eingestellt.

Kuba hat sich aber auch in anderen Berreichen verändert. Seit 1989 gibt es ein Centro Nacional de Educación Sexual (CENESEX) (Nationales Zentrum für Sexualaufklärung). Das Zentrum wird seit dem Jahr 2000 von Mariela Castro Espín geleitet. Sie ist die Tochter des amtierenden Regierungschefs Raúl Castro und seiner Frau Vilma Espín. Außerdem ist sie Abgeordnete der Asamblea Nacional del Poder Popular, dem kubanischen Scheinparlament, und Hochschullehrerin an der Medzinischen Universität von Havanna. Mariela Cstro Espín lebt offen lesbisch und setzt sich für die Rechte von sexuellen Minderheiten ein.

Diese Entwicklung ist nicht selbstverständlich. Denn Kuba war ein homo- und transfeindliches Land wie alle anderen karibischen Staaten. Eine Mischung aus katholischer Sexualmoral und lateinamerikanischem Machismo sorgte für ein homofeindliches Klima. Aber es gab und gibt Leute, die sich unermüdlich für Respekt und Gleichstellung engagieren und auch schon einiges erreicht haben. Mariela Castro Espín ist eine von ihnen. Sie übernahm im Jahr 2000 die Leitung von CENESEX. Gegründet wurde das Zentrum von der deutschen Monika Krause. Das Zentrum ging aus der 1977 gegründeten Nationalen Arbeitsgruppe für Sexualerziehung (GNTES) bei der Ständigen Kommission der Nationalversammlung zur Betreuung der Kinder, Jugendlichen und für die Gleichberechtigung der Frau hervor. Anfangs ging es im Zentrum vor allem um Sexualaufklärung und um den Kampf gegen Teenagerschwangerschaften. Später kam die HIV- und AIDS-Prävention und der Kampf für die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten hinzu. Die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften ist bisher allerdings noch nicht erreicht. Seit 2008 dürfen legal und kostenlos Geschlechtsumwandlungen durchgeführt werden.

Aber auch wenn die rechtliche Gleichstellung der Frau erreicht ist und die Situation für Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, Intersexuelle und Queers (LSBTIQ) in Kuba offiziell nicht schlecht ist, sieht der Alltag anders aus. Die meisten Frauen fühlen sich trotz formaler Gleichstellung nach wie vor allein für Haushalt, Kindererziehung und Familienversorgung zuständig, ungeachtet ihrer beruflichen Verpflichtungen. Bei LSBTIQ sieht es noch schlimmer aus: Die erste Generation von Revolutionären in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde angeführt von zumeist heterosexistischen Männern und wenigen Frauen. Sie hatten eine militärisch erzwungene Revolution herbei geführt, die zur Enteignung von Großgrundbesitzern und US-Amerikanischen Unternehmen führten. Sie befreiten Kuba von der Batista-Diktatur. Nur um sie durch eine sozialistische Diktatur zu ersetzen. Die Rechte von Minderheiten hatten sie dabei nicht im Blick. Im Gegenteil, Lesben und Schwule galten als bürgerlich dekadent und wurden kriminalisiert. Che Guevara hat in seinen Jahren als kubanischer Industrieminister bis 1964 Hunderte Gefolgsleute des Batista-Regimes im Gefängnis La Cabana erschießen lassen. Er ließ auch Lager für Regimegegner und „unmännliche Homosexuelle" errichten, da diese ins „saubere“ Kuba nicht passten. (Siehe: Michael Huhn, Eine kleine Geschichte Kubas, in: Weltgebetstag Kuba, Arbeitsbuch zum Weltgebetstag 2016, S. 7 – 12, hier: S. 9 ). Diese sozialistische Position gegenüber sexuellen Minderheiten, hat sich in den letzten 25 Jahren nur langsam verändert.

Der prämierte Kinofilm „Erdbeer und Schokolade“ von 1994 legt von dieser Zeit ein berührendes Zeugnis ab. Der schwule Künstler Diego hat große Zweifel am kommunistischen System Kubas. Er sucht sein Heil in der Literatur, in christlicher Kunst und Symbolik. Er liebt Erdbeereis und Männer. Diego trifft David, der im System begeistert seinen Weg sucht, und verliebt sich in ihn. David liebt die Partei, Schokoladeneis und Frauen, wird aber gerade von Liebeskummer geplagt. So begegnen sich die beiden in einer Eisdiele in Havanna zum ersten Mal. Zunächst lehnt David Diego ab und will ihn bei der Parteileitung für seine Annäherungsversuche anzeigen. Dann spioniert er Diego aus. Später wird er zu einem guten Freund und lernt ihn zu respektieren.

Ich weiß noch, wie ich den Film in den neunziger Jahren im Kino gesehen habe und wie begeistert ich war von dem Kinofilm. Es ist ein beeindruckendes Melodram mit Witz und Humor über die Suche nach Selbstwert und Heimat in einem kommunistischen Land, über den Wert von Freundschaft jenseits von Ideologie und Parteiparolen und über den Versuch unter schwierigen politischen Bedingungen selbstbestimmt sein Glück zu finden. Dieser Film hat viele Preise erhalten und das Thema Homo- und Transfeindlichkeit in Kuba vor allem international ins Bewusstsein gebracht. Wie die Arbeit des CENESEX, das Coming Out von Mariale Castro Espín und von vielen anderen mutigen Aktivistinnen und Aktivisten die Situation von LSBTIQ auf Kuba verändert haben, müsste ein neuer Film zeigen.

Fest steht eins: Die Wahl von Donald Trump macht weder die Beziehung zwischen Kuba und den USA noch die Situation von sexuellen Minderheiten auf Kuba einfacher. Keine guten Nachrichten für dieses beeindruckende Land.

 

Zum Weiterlesen: 

Weltgebetstag Kuba, Arbeitsbuch zum Weltgebetstag 2016. Ideen und Informationen, Konzeption und Redaktion: Petra Heilig und Lisa Schürmann, Gutenberg Druck & Medien GmbH 2016.