Die "stolze" Andacht fand dieses Jahr in der römisch-katholischen Kirche Maria am Gestade statt. Mitten im ersten Bezirk Wiens lud die HUG (Homosexuelle und Glaube) zum Queer-Gottesdienst ein – wie letztes Jahr auch in der Hochzeit der Pride-Woche, nämlich am Freitag vor der Parade.
Die gehaltvolle und authentische Predigt hielt der römisch-katholische Pfarrer Gregor Jansen, der als Antwort auf die Ankündigung des queeren Gottesdienstes homophobe Ausrufe wie "Der Kirche laufen die Gläubigen davon, und Du rennst den Schwulen hinterher. Haben wir als Kirche denn keine anderen Sorgen?" erhalten hatte.
Pf. Jansen ging in seiner Predigt auf den Hass gegen Schwule, Lesben und Transgender ein, der sich in den Morden in Orlando aufs Schrecklichste zeigt, aber auch auf den Hass derer, die diese Tat unter vermeintlich christlichen Glaubensgrundlagen krude verherrlichen, wenn sie sagen, der Mörder von Orlando sei Instrument Gottes gewesen – er käme zwar in die Hölle, nicht aber weil er 49 Menschen ermordet habe, sondern weil er Moslem sei. Aber nicht nur Orlando bezeuge den Hass und die Gewalt gegen Menschen, die anders sind – anders leben, anders lieben – als es der Norm entspricht. Viele sagen, so Jansen, Queere sollten eher nicht auffallen, ihre (sexuelle) Identität besser verbergen. Die Bergpredigt spreche eine andere Sprache. Sie sagt: Lebt auffällig! Lebt so, dass man euch bemerkt. Christinnen und Christen sollten merk_würdig, frag_würdig und deswegen glaub_würdig leben, predigte Pf. Jansen weiter. Christ_innen sollten sich nicht in der Masse verstecken, sondern so leben, dass sie bemerkt werden, so leben, dass sie gefragt werden und gefragt sind, sie sollten authentisch sein und Zeugnis geben. Das, was damals für Menschen galt, die durch ihren Glauben in Bedrängnis waren, gelte heute etwa für Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung bedroht werden und Gewalt erleben. Es bedeute, in einer feindlichen Umwelt sich zu wehren, aufzustehen und Flagge zu zeigen – mit einem gewissen Stolz, "Pride", aufzutreten. Allerdings solle es nicht damit genug sein, sich trotzig und stolz einer feindlichen Umwelt gegenüber zu outen, sondern Salz der Erde und Licht der Welt zu werden. Damit nimmt der Prediger den Titel des Pride Prayers auf: Spice up your life, spice up your world, spice up your church – "zuerst für dich selbst, dann auch für die Gruppe und die Gesellschaft, der etwas Geschmack, Farbe und Würze ohne dich fehlt – und schließlich auch für die Kirche", so Pf. Jansen.
Auch (katholische) Predigten können politisch sein: So wies Pf. Gregor Jansen darauf hin, dass er es "nicht als Zeichen des Zugehens auf die Queer-Community sieht, wenn eine Kirche sich als queer friendly zeigt, sondern als eine notwendige und wichtige Öffnung der Kirche zu ihrem eigenen Nutzen, zu ihrem eigenen Fortschritt".
Neben der eingehenden Predigt und der gelungenen Alternative zu Eucharistie bzw. Abendmahl, Brot und Salz einander mit dem Friedensgruß zu reichen und zu sich zu nehmen, hat mich besonders gefreut, ein paar Gesichter im Gottesdienst zu sehen, die ich aus der Queer-Gemeinde, bisher aber nicht aus kirchlichen Zusammenhängen kannte. Ein queerer Gottesdienst zieht also viele verschiedene Menschen an – das bewies auch die an dem Abend vollbesetzte Kirche (s. Foto oben).
Ich nahm mit: Ein paar Chilis und Salz, die mir als Geschenk in die Hand gedrückt wurden, den bitteren Beigeschmack, dass Bisexuelle und Intersexuelle im gesamten Gottesdienst nicht erwähnt und damit leider vergessen wurden, den Nachklang einer würzigen, scharfen Predigt, die mit viel Sensibilität vorgetragen wurde und den Wunsch, gleich nächste Woche wieder zu einem queeren Gottesdienst gehen zu können.