#prayfor

#prayfor
Blumen und Kerzen zum Gedenken an die Opfer des Massakers in einem Club für Homosexuelle in Orlando - Berlin, Pariser Platz vor der Amerikanischen Botschaft, 13. Juni 2016. Darüber montiert der Hashtag #prayfor.
Foto: Rainer Hörmann
Auf Nachrichten von Attentaten, Katastrophen oder Todesfällen reagieren viele Menschen im Internet, indem sie ihre Betroffenheit mit dem Hashtag #prayfor versehen. Echte Anteilnahme oder mediale Scheinheiligkeit?

Als Reaktion auf das Massaker in einem Club für Homosexuelle in Orlando war in den sogenannten sozialen Medien wie Facebook oder Twitter immer wieder der Hashtag (das Schlagwort, die Markierung) #prayfororlando zu lesen. Teilweise auch als Schriftzug über einem Foto. Ähnliches war der Fall etwa nach den Anschlägen in Paris, als mit #prayforparis Solidarität mit den Opfern bekundet und geteilt wurde.

Natürlich lässt sich nicht sagen, was genau die Menschen unter Beten bzw. einem Gebet verstehen. Ob die Twitter-Nachricht "nur" eine spontane Reaktion mit maximal 140 Zeichen ist oder auf ein inniges Gebet, eine Hinwendung zu Gott in einem Moment der Bedrängnis, verweist. Die "sozialen" Medien freilich reagieren auf eine soziale Geste auch umgehend mit einer Gegenbewegung - was im Falle von #prayfor vor allem Häme und Spott meint.

"Religioten", na klar! "Nicht beten, sondern gefälligst handeln", was in der Regel von Leuten gepostet wird, deren einziges Handeln darin besteht, andere zum Handeln aufzufordern. Ähnlich gelagert die Bemerkung "Don’t pray, think", ganz so, als seien Beten und Denken Gegensätze. Ein Freund schrieb mir auf Facebook, es sei ja wohl absurd, auf die Tat eines religiös radikalisierten Mannes ausgerechnet mit #prayfor zu antworten - angefügt war selbstverständlich ein Hashtag: #religionkills. Wenn dies dann alles durch ist, folgt schließlich das endgültige Verdikt des weltweiten Netzes: "Der Hashtag #prayfor nervt nur noch!"

Viel Gegenwind für einen kleinen Hashtag. Ich fühle mich dabei immer ein wenig in die achtziger Jahre zurückversetzt. Während meiner Zeit an der Uni Tübingen war es verpönt, jemanden zu fragen "Wie geht's?" Es wurde gekontert mit "Was fragst du? Du meinst es ja sowieso nicht ernst!" Eine ganz alltägliche, harmlose Frage wurde küchenpsychologisch seziert und dem Fragenden oberflächliche Scheinheiligkeit unterstellt.

Mit den Reaktionen auf eine Formel wie "Ich bete für ..." scheint es mir ähnlich zu sein. Sofort wird naive bis dumme oder gar hochgefährliche Religiosität attestiert, ein wohlfeiles Mitschwimmen im medialen Betroffenheitsdusel. Dabei ist es vielleicht einfach nur eine Geste der Anteilnahme. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein kleines #prayfor für die Opfer einer Katastrophe ist mir persönlich jedenfalls allemal lieber als unfreundliche oder hässliche Kommentare.

Ob und wem der Hashtag #prayfor letztlich nützt, wer weiß das schon. Man weiß es auch nie, wenn man für sich oder in der Kirche beim Gottesdienst betet. Es gibt in dem Lied "Sing You Home" der kanadischen Ennis Sisters, das die Trauer für einen verstorbenen Menschen thematisiert, eine schöne Stelle:

"This is my prayer for you / maybe someday I will know / if it helped your journey home / or if it helped me let you go.”

In etwa: "Dies ist mein Gebet für dich / eines Tages werde ich vielleicht wissen / ob es dir eine Hilfe war auf deinem Weg nach Hause / oder ob es mir geholfen hat, dich gehen zu lassen."

Wer für andere betet, betet auch für sich selbst. Aber wirkt es auch? Vielleicht ist es der Umstand, dass sich ein Gebet nicht auf einen berechenbaren Nutzen reduzieren lässt, der es in Zeiten, die durch Effizienz und den Verlust alltäglicher Höflichkeit gekennzeichnet sind, so verdächtig macht. Selbst dann noch, wenn sich das Gebet als Hashtag medial vervielfältig hat und sich gerade dadurch zu verflüchtigen scheint.