Nicht so schrill?

Nicht so schrill?
Illustration: Rainer Hörmann
Die Zeit der Paraden zum Christopher Street Day hat begonnen: bunt, fröhlich und, wie immer, "schrill". Das kleine Adjektiv hat es in sich und manche hätten davon gern weniger. Aber gediegenes Grau hat leider noch nie weitergeholfen.

Während die einen noch über die Qual der Wahl des richtigen Fummels für den CSD jammern oder bei zusätzlichen Crunches ächzen, weil der Sixpack noch in Form gebracht sein will, öffnen andere schon die Schubladen ihres Miesmacher-Schränkchens. "Sünde" kommt immer gut, "Kinderschänder" ist ein Klassiker. Auf keinen Fall fehlen darf die Geißelung der CSD-Paraden als "zu schrill". Letzteres gern durch eine kleine Fraktion von unauffällig sein wollenden Homosexuellen und einer kleinen Fraktion von Christen, die meinen, die Bibel verlange ein unterwürfiges, die eigene Sexualität verneinendes Verhalten von Schwulen und Lesben. Auf meist schrille Art und Weise wird unterstellt, die Demonstrationen aus Anlass des Christopher Street Days würden durch ihre laute Buntheit provozieren und das Ziel der Akzeptanz durch ein Zuviel der körperbetonten Provokation konterkarieren.

Also alles bitte etwas braver, leiser, besinnlicher, anständiger? Mehr grau statt bunt? Und dann? Es ist etwas merkwürdig darauf zu setzen, es gäbe so etwas wie ein kollektiv "korrektes" Verhalten einer Minderheit, mit dem man das Wohlwollen einer Mehrheit sichern könnte. Überspitzt formuliert: Jens Spahn mag noch so anständig im Anzug für ein Burka-Verbot eintreten, seine Partei wird ihn trotzdem nicht mit der gleichgeschlechtlichen Ehe belohnen!

Die Zuschauerzahlen bei CSD-Paraden lassen zunächst einmal nicht darauf schließen, dass es den Leuten zu bunt ist. Für Forderungen nach gleichen Rechten, wie etwa nach der Ehe für Schwule und Lesben, gibt es in Umfragen hierzulande eine große Zustimmung. Die meisten Menschen können die Schrillheit der Paraden sehr wohl als Ausdruck einer homosexuellen Kultur des Widerstandes gegen Unterdrückung sehen, sie können sehr wohl nachvollziehen, dass der lustvoll provozierende Charakter ein ernstes und existenzielles, weil lebensbejahendes Anliegen hat.

Gleichwohl würde es nicht wundern, wenn in Zeiten einer aggressiven politischen Polarisierung nicht auch (wieder) Stimmung gegen Homosexuelle gemacht würde. Zuletzt durch den AfD-Politiker Andreas Gehlmann im Landtag von Sachsen-Anhalt. Er bestritt, mit einem Zwischenruf während einer Debatte, Haftstrafen für Homosexuelle gefordert zu haben. Die Richtigstellung lautete, Andreas Gehlmann habe sich dahingehend geäußert, "dass ‚tabuisiert sein soll, wer Homosexualität offen auslebt‘. Zu dieser Aussage steht Herr Gehlmann auch uneingeschränkt, da er Sittenverfall und sogar allgemein offen ausgelebte Sexualität scharf ablehnt".

Tabuisieren? Nicht ‚offen‘ ausleben? Homosexualität als Sittenverfall? Es ist ja nicht so, dass man derartiges nicht auch aus christlichen Kreisen hören würde. Und natürlich kann man Gehlmanns Äußerung wie üblich als Einzelfall abtun. Er steht aber in einem Kontext der Verunglimpfung, der Herabsetzung von "Anderen", wie er zunehmend mehr Raum bekommt in Deutschland. Dabei ist der Versuch, bestimmte Gruppen aus der Öffentlichkeit zu verdrängen, Teil der Politik von Parteien wie etwa der AfD. Das geht längst nicht nur gegen Schwule. Frauke Petry monierte ein Foto von Mesut Özil auf seiner Pilgerreise nach Mekka mit den Worten: "Ob man sie aller Welt präsentieren muss, steht dahin". Was erlauben Özil?

Angesichts solcher Versuche, negative Stimmungen gegen Gruppen unserer Gesellschaft zu schüren, können CSD-Paraden nicht schrill und nicht bunt und nicht politisch genug sein. Nichts käme den Gegnern von Homosexuellen mehr entgegen, als wenn wir uns selbst das Leisetreten im Hinterzimmer verordneten.

Nachtrag: Die Benennung von CSD-Paraden als "schrill" übersieht einen anderen, im Zusammenhang mit dem Thema des "kreuz & queer"-Blogs wichtigen Zusammenhang. Es ist letzten Endes reichlich egal, wie viele Federboas geschwungen, Röcke gerafft und wie viel Pobacken gezeigt werden. Es ist auch nicht das Entscheidende, ob 400 oder 40.000 Menschen unterwegs sind. Wenn eine CSD-Parade gut läuft, dann ist es ein wundersames Erlebnis, sich unter all den anderen Schwulen und Lesben wiederzufinden, sich zu freuen, glücklich zu sein, dass man lieben darf. Toll, das gute Gefühl zu genießen, dass die Mehrheit der Deutschen uns unsere Liebe gönnt. Die Power zu spüren, dass man weiterhin streiten kann für gleiche Rechte und Anerkennung, dass einem der Umstand, es so weit gebracht zu haben in Deutschland, Hoffnung geben sollte, Rückschläge und die Furcht vor einer autoritär-nationalistischen Verdüsterung Europas auszuhalten. Stolz zu sein auf das Erreichte, Tränen zu vergießen, weil für das Erreichte so viele Männer und Frauen teuer mit ihrer Liebe und ihrem Leben bezahlen mussten. Zu dem stehen, wer und was man ist. Heute und auch morgen. Angenommen zu sein! Wenn eine CSD-Parade wirklich gut läuft, dann ist sie - egal wie schrill - ein spirituelles Erlebnis.