In Gesprächen über die Homoehe wird von christlicher Seite immer wieder angemahnt, sich auf das biblische Eheverständnis zu besinnen. Das ist ja schön und gut. Aber was genau heißt das eigentlich?
Zunächst einmal fällt auf: Es gibt nicht das biblische Eheverständnis. Stattdessen gibt es ganz verschiedene biblische Geschichten, die das Zusammenleben zwischen Männern und Frauen in den über 1000 Jahren zeigen, die die biblischen Bücher umfassen.
Mit den so genannten Erzvätern im Alten Testament geht es los. Da sind Abraham, Loth, Jakob und später die israelitischen Könige David und Salomo und viele mehr, die nicht nur mit einer Ehefrau Kinder hatten, sondern auch mit Zweitfrauen oder Mägden. Abrahams Bruder Loth hatte sogar inzestuöse Verbindungen mit seinen Töchtern (1. Mose 19) und war damit nicht der Einzige. Mägde oder Sklavinnen wurden damals oft als Leihmütter missbraucht, um die drohende Kinderlosigkeit von Ehefrauen abzuwehren. Abraham bekam mit der Magd Hagar den Sohn Ismael, bevor seine Ehefrau Sara ihren gemeinsamen Sohn Isaak gebar.Jakob hatte mit seinen zwei Ehefrauen Lea und Rahel und den zwei Mägden Silpa und Bilha insgesamt zwölf Kinder. Am Rande der Wüste war die polygame Großfamilie ganz offensichtlich der Ort der ökonomischen Absicherung. Er bot Schutz und Zugehörigkeit vor allem für Frauen und Kinder, und er sicherte den Alten ihr Überleben. Denn Rente und Sozialversicherung gab es nicht.
Aus ähnlichem Grund gab es die Pflicht zur so genannten Schwagerehe. Wenn ein verheirateter Mann kinderlos gestorben war, sollte ein Bruder die verwitwete Frau heiraten und mit ihr ein Kind zeugen. Das Kind wurde dem Verstorbenen zugeschrieben, damit die Familie nicht ausgelöscht wurde. Im 1. Buch Mose Kapitel 38 kann man beispielsweise nachlesen, dass der erstgeborene Sohn von Juda mit Tamar verheiratet war. Er starb kinderlos. Nun sollte sein Bruder Onan Tamar heiraten und mit ihr Nachwuchs zeugen. Onan verweigerte diese Schwagerpflicht und musste sterben. Sein Vater Juda sah in Tamar die Schuldige für den Tod seiner beiden Söhne und verweigerte ihr seinen dritten Sohn für die Schwagerehe. Dieser Schritt war dramatisch für die ganze Familie, besonders aber für Tamar. Denn ohne Mann und Kinder war sie rechtlos und schutzlos. Um nicht kinderlos zu bleiben, verkleidete sich Tamar als Hure und bot sich ihrem Schwiegervater Juda an. Dieser überließ ihr seinen Siegelring als Lohn für die Nacht. Als Tamar Zwillinge gebar, wurde sie der Hurerei beschuldigt. Juda wollte sie verbrennen lassen. Doch Tamar zeigte ihm den Siegelring und dokumentierte damit seine Schuld und seine Verantwortung für die Zwillinge. Sie und die Zwillinge überlebten.
An diesen beispielhaften Geschichten wird deutlich, dass nicht Liebe sondern Existenzsicherung zum Ehevertrag führten. Die Ehen waren patriarchal und polygam organisiert und drehten sich vor allem um die Nachwuchssicherung und damit um den Fortbestand der Familien. Bei den Königen ging es darüber hinaus um Machterhalt und Sicherung von Besitz und Land über die eigene Generation hinweg. Die Frauen hatten kaum eigene Rechte und wurden an ihrer Gebärfähigkeit gemessen. An Geschichten wie der von Sara, Rahel oder der von Samuels Mutter Hanna und ihrem Lobpreis auf ihre Schwangerschaft zeigt sich, wie überlebenswichtig das Gebären von Kindern war und wie gefährlich es für Frauen war kinderlos zu bleiben.
Das Konzept der bürgerlichen Kleinfamilie mit Ehepaar und zwei Kindern lässt sich in den biblischen Geschichten nicht finden. Das sind Vorstellungen, die erstmals in der Romantik aufkamen und im 18. und 19. Jahrhundert mit der Ablösung von bäuerlichen Großfamilien auf dem Land hin zu Arbeiterfamilien und bürgerlichen Kleinfamilien im städtischen Umfeld an Bedeutung zunahmen. Die romantische Liebe sollte nun das garantieren, was vorher auch in Europa durch den Ehevertrag geregelt war: Besitzverhältnisse, Loyalität und Nachkommenschaft.
In den beiden Schöpfungsberichten des Alten Testaments wird der Mensch männlich und weiblich geschaffen. Im ersten Schöpfungsbericht werden Frau und Mann als Gottes Ebenbilder bezeichnet und von Gott gesegnet. Und Gott fordert sie auf fruchtbar zu sein (1. Mose 1, 27+28). Es ist nicht Voraussetzung für Menschwerdung und Partnerschaft, aber unabdingbar für die Absicherung menschlicher Existenz. Das Wort Ehe kommt nicht vor. Im zweiten Schöpfungsbericht soll der Mann seiner Frau "anhangen" (1. Mose 2,24), wenn er seine Eltern verlässt. Das Wort Ehe wird hier ebenfalls nicht gebraucht. Wie auch sonst nicht im Alten Testament. Das Wort "anhangen" kann natürlich so ausgelegt werden. Aber dann muss auch erwähnt werden, dass das gleiche Wort "anhangen" im Buch Ruth gebraucht wird. Die Moabiterin Ruth blieb nach dem Tod ihres Mannes bei ihrer hebräischen Schwiegermutter Naomi. Sie "hing ihr an" und ging mit ihr in ihre alte Heimat Israel. Den berühmten Satz, der bis heute in vielen Trauungen zitiert wird: "Wo du hingehst, da will auch ich hingehen. Wo du bleibst, da bleibe ich auch." (Ruth 1,16) hat Ruth zu ihrer Schwiegermutter gesagt und nicht etwa ein Mann zu einer Frau.
Auch im Neuen Testament wird zur Ehe wenig gesagt. Im Satz "Was nun Gott zusammen gefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden" (Markus 10,9), geht es Jesus nach dem Alttestamentler Prof. Jürgen Ebach vor allem um die Einhaltung eines Rechtsvertrags zur Absicherung der Frau, die ohne einen solche Vertrag rechtlos und schutzlos war. Jesus argumentierte darüber hinaus eher familienfeindlich. Er forderte seine Jünger auf, ihre Familien im Stich zu lassen und ihm nachzufolgen. An anderer Stelle erklärte er die Frauen und Männer, die ihm nachfolgten, zu seiner "wahren Familie" (Markus 3,31-35) und nicht etwa Maria und Josef. Es geht um soziale Strukturen von Verlässlichkeit, Sicherheit und Beheimatung, die einen viel weiteren Begriff von Familie nahe legen als den der bürgerlichen Kleinfamilie .
Der Apostel Paulus blieb genau wie Jesus ehe- und kinderlos. Er propagierte einen zölibatären Lebensstil und lehnte die Ehe sogar ab (1. Korinther 7,1). Er sah sie lediglich als Möglichkeit, sexuelle Bedürfnisse geregelt zu kanalisieren (1. Korinther 7,9).
Mit biblischen Texten kann die bürgerliche Kleinfamilie nicht begründet werden. Die Vielfalt der biblischen Lebensformen ist nicht zu übersehen. Wohl aber kann eine Norm für alle Zusammenlebensformen abgeleitet werden. Sie erschließt sich aus dem Gebot, Witwen und Waisen, Fremde und Alte zu schützen und aufzunehmen und Vater und Mutter zu ehren (1. Mose 20,12). Es geht um Gerechtigkeit, Loyalität, Solidarität und Ehrerbietung im Sinne von Achtung und Respekt. Diese Haltung gilt für jede Form des Zusammenlebens, damals wie heute.
Zum Weiterlesen:
Jürgen Ebach, Familie aus biblischer Sicht, Impulsreferat bei der Lippischen Synode in Detmold am 26.11.2012 (abgerufen am 8.12.2015).