Alle Jahre wieder ... Warten!

Alle Jahre wieder ... Warten!
Rainer Hörmann (M)
Die vor uns liegende Adventszeit ist eine Zeit des Wartens auf die Geburt Christi. Und was, wenn man am Ende jeden Jahres merkt, dass man zusätzlich immer noch auf echte Gleichstellung und Akzeptanz wartet?

Das Warten ist ein Markenzeichen des Christentums. Wir warten auf die Wiederkehr Jesu, wir warten auf das Reich Gottes, wir warten auf die Erlösung. Und im Advent warten wir alle Jahre wieder auf die Geburt Christi. Eigentlich wartet man die ganze Zeit.
Wenn wir auf den Bus warten, auf ein Paket, das wir bestellt haben, auf den neuen Internetanschluss, dann erwarten wir von der Dienstleistungsgesellschaft, dass schnell und pünktlich geliefert wird. Wehe, wenn nicht. Dann muss man nur noch in der Schleife der Telefon-Hotline warten, bis man sich beschweren kann. Geduld ist eine Tugend, aber wer hat dafür eigentlich noch Zeit und Muße?

Es war bezeichnend, dass, als auf der Synode der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz im April beschlossen wurde, die Segnung von Lebenspartnern den Traugottesdiensten anzugleichen, der Termin von Herbst 2015 auf Frühjahr 2016 verschoben wurde. Sicherlich aus nachvollziehbaren Gründen, aber zugleich mit dem Zeichen: Schwule und Lesben können noch ein halbes Jahr länger warten. Stimmt ja, jetzt warten wir schon so lang, dann sind sechs Monate mehr auch egal. In anderen Landeskirchen werden Homosexuelle noch sehr viel länger auf Zeichen der Wertschätzung und Gleichstellung warten. Dann frage ich mich manchmal, ob christliche Schwule und Lesben das Warten so verinnerlicht haben, dass sie alle weiteren Entwicklungen seelenruhig abwarten können. In vielen Ortskirchen sind Schwule und Lesben selbstverständlicher Teil der Gemeinde. Wo sie es nicht sind, wo homosexuelle Menschen in der Kirche arbeiten und immer noch nicht zu ihrem So-Sein stehen dürfen: Wie lange sollen sie noch warten? Machen Homosexuelle in den Kirchen nicht deutlich genug, dass sie des Wartens überdrüssig sind?

In den Advents- und Weihnachtsgottesdiensten wird viel von Familie die Rede sein. Ich persönlich bin gespannt, ob dem Pfarrer dann auch ein Wort zu anderen Formen von Familien als der idealtypischen Mann-Frau-Kind-Familie einfällt. Zu den Patchworkfamilien, zu den alleinerziehenden Müttern und Vätern, zu den sogenannten Regenbogenfamilien. Oder muss man erwarten, dass auch in der eigentlich besinnlichen Adventszeit, einzelne Personen der evangelischen Kirche wieder von der Sündhaftigkeit gelebter Homosexualität schwadronieren, sich in Gemeindebriefen geringschätzig über andere Menschen äußern, sich im Interview auf Kosten anderer ins rechte Licht des vermeintlich besseren Christen rücken? Dass man homosexuellen Eltern das Recht abspricht, Kinder erziehen zu können? Dass über Schwule, Lesben, Transgender wieder von oben herab anstatt mit ihnen geredet wird? Abwarten ... (Und in der Zwischenzeit vielleicht einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt trinken gehen.)

Es ist eine eigenartige Sache, dass man in der christlichen Kirche als Homosexueller nie wirklich sicher sein kann, was einen erwartet. Ist man Teil der Familie oder nicht? Von der Akzeptanz bis zur Ignoranz, von der "positiven Diskriminierung" bis zur Ausgrenzung ist alles möglich. Vielleicht ist die Kirche so gesehen auch ein Adventskalender mit vielen Türchen, hinter denen sich noch so manche Überraschung verbirgt. Ich merke immer wieder, dass es diese - meine! - Unsicherheit und Ungeduld ist, die mich an manchen Tagen davon abhält, mich auf das Warten zu besinnen, um das es in der Adventszeit ja eigentlich gehen sollte.