Im christlichen Garten - jwd

Im christlichen Garten - jwd
Foto: Rainer Hörmann
Vieles, was seit Tagen in Zeitungen und Internet Thema ist, hat mich entsetzt, geärgert, auch ratlos gemacht. Ich sehne mich dann nach einem Platz, an dem ich nachdenken, Abstand gewinnen, Kraft sammeln kann. Äußerungen von Sachsens neuem Landesbischof über Homosexualität erinnerten mich an einen Besuch im christlichen Garten.

Der christliche Garten liegt jwd - janz weit draußen. Jedenfalls für Berliner Verhältnisse. Jedenfalls, wenn man eher im Stadtzentrum wohnt und es eine Stunde Fahrt mit S-Bahn und Bus benötigt, ihn zu erreichen. Der christliche Garten liegt im Bezirk Marzahn-Hellersdorf und dort liegt er nicht allein. Er ist einer von vielen Gärten der "Gärten der Welt", wenngleich der einzige innerhalb des Parks, der nach einer Religion benannt ist. Und es gab - alles andere wäre in Berlin ein Wunder - um den Namen des christlichen Gartens Streit, wie es einige Jahre zuvor Streit um den Namen des islamischen Gartens gegeben hatte. Nur dass der heute orientalischer Garten heißen muss, weil die Stadtentwicklungssenatorin es so wollte.

Versteckt von einer umlaufenden, meterhohen Buchenhecke orientiert sich der christliche Garten am Muster eines klösterlichen Kreuzganges. Wenngleich "in einer modernen Symbol-, Zeichen- und Formsprache weiterentwickelt". Was wiederum so augenfällig ist, dass es des Blicks in die erläuternde Broschüre eigentlich nicht bedurft hätte. Es reicht der Blick auf das goldfarbene Metallgitter, das den Wandelgang bildet. Ein Geflecht aus riesigen Buchstaben, durch das man sich bewegen muss und das den Versuch einer Entzifferung erzwingt. Hier und dort kann man aus den Buchstaben Wortreihen bilden, Bibelstellen erahnen und, wenn man nur den Kopf oft genug verdreht, an der Decke auch Worte in anderen Sprachen erkennen. Es sind Passagen aus dem Alten und Neuen Testament sowie literarisch-philosophische Texte. Im ersten Moment erscheinen sie einem aber als babylonisches Wortgewirr.

Christlicher Garten (Wandelgang) in den "Gärten der Welt", Berlin-Marzahn
Wendet man seine Aufmerksamkeit vom Buchstabengitter ab, erblickt man den Innenraum, ein bepflanzter, quadratischer Garten, grün mit weißen Tupfern, durchschnitten von vier Kieswegen. Wo sie sich kreuzen, liegt ein viergeteilter, schwarzer Steinblock, über den kaum merklich Wasser fließt, in dem sich der Himmel und ein Teil des Buchstabengerüsts spiegeln. Anders allerdings als die erläuternde Broschüre verspricht, ist der Zutritt ins Innere durch schwarze Absperrseile verwehrt. Zumindest an diesem Tag. Also stehenbleiben an den Durchbrüchen des Gitters und von außen hineingucken.

 

Der christliche Garten ist vor allem eins: kopflastig. Zumindest bei mir will sich weder Kontemplation noch Ruhe einstellen - von Spiritualität ganz zu schweigen. Hierhergekommen bin ich in der Erwartung, einen Platz zu finden, an dem ich durchatmen, loslassen kann. Aber hier erscheint mir der Glaube im Wesentlichen als klar abgezirkelte, durchkonstruierte Schwere, auch wenn alles Transparenz zu versprechen scheint. Blickt man nach oben, dann verdunkeln sich die Buchstaben im Licht der Sonne, ballen sie sich schwarz zusammen. Ziehen Wolken auf, dann wird das eben noch glänzende Gold matt, wird zu bemaltem Aluminium. Ich hatte eine inspirierende Atmosphäre erhofft, und fröstele an einem heißen Sommertag im Buchstabenkäfig des christlichen Gartens.

Christlicher Garten (Wandelgang/Gitter) in den "Gärten der Welt", Berlin

Wie sich der Buchstaben des Glaubens jederzeit (wieder) gegen einen richten kann! Wie er dunkel werden kann - und dies nicht nur, weil eine Wolke vorbeizieht, sondern weil Menschen aus der Bibel eine Lehre, eine Aussage herausdestillieren, die mich, meine Existenz, meine Sexualität nicht nur herabsetzen, sondern auch instrumentalisieren, um die eigene Machtposition in ihrer Gruppe zu stärken.

Carsten Rentzings Aussage, die homosexuelle Lebensweise entspreche nicht Gottes Wille, blendet gegenteilige Meinungen und Bibelauslegungen einfach aus. Und so fangen wir in der "alten Debatte", wie er sie selbst nennt, jedes Mal wieder von Null an. Das Spiel muss man nicht mitmachen! Stattdessen eine andere Aussage des Landesbischofs: "Ich habe hohen Respekt vor denen, die für sich persönlich sagen, dass sie gelebte Homosexualität vor sich und Gott vertreten können."

Ich freue mich sehr, dass Carsten Rentzing mir (unbekannterweise) seinen Respekt zollt. Denn was ihm ein Problem ist, ist mir keins. Ich habe kein Problem, meine Homosexualität zu leben und es ist auch überhaupt kein Problem für mich, dies vor Gott zu vertreten. Und: Schwule, Lesben und Transsexuelle in Sachsen sollten sich von ihm das Leben nicht schwer machen lassen. Es gibt keinerlei Grund dazu!

Christlicher Garten (Blick in den Innenraum) in den "Gärten der Welt", Berlin
Blickwechsel - zurück zum Garten. Ein Augenblick. Kein Grund zu Erstarren. Man muss nicht an den Wortgeflechten, auch nicht an den Gefechten, kleben bleiben. Der christliche Garten ist nach allen Seiten hin offen. Weitergehen im Wandelgang. Nach unten blicken, auf dem Boden bilden die Buchstaben jetzt ein Schattenmuster. Und durchs O von der Buchstabenreihe "Gott" nochmals einen Blick ins grüne Innere werfen ...

 

Unweit vom christlichen liegt der japanische Garten. Der Mann, der mit einem Rechen die Kiesfläche glattstreicht, nickt mir freundlich zu. Hier ziehen sich keine übergroßen Schriftzeichen um mich herum und er wird, welch Segen, von einem kleinen, fröhlich vor sich hin gurgelnden Bach durchzogen.

Im Wandelgang des christlichen Gartens soll - laut Broschüre am Nordgang/Außenwand - ein Zitat aus Jesaija 58 stehen: "Du wirst wie ein wohl bewässerter Garten sein, wie eine Quelle, deren Wasser nie versiegt." Eine Formulierung, die dort nicht steht, gefiele mir besser. Es ist ein Satz aus Johannes 4, 14: "Das Wasser, das ich ihm gebe, wird in ihm zu einer Quelle werden, die unaufhörlich fließt, bis ins ewige Leben."

Und nun weiß ich, was mir im christlichen Garten fehlt: eine Quelle, aus er es hörbar, fühlbar sprudelt. Nicht dunkle, massige Steine, über die ein dünner Wasserfilm fließt. Es darf ruhig ein bisschen mehr sein! Eine Quelle, die erfrischt, den Geist weckt und Leben und Lebendigkeit spendet. Eine Quelle, die auch das verletzende Wort hinwegzuspülen vermag.

Ich kehre noch einmal in den christlichen Garten zurück und betrachte ihn. Dann trete ich meinen Heimweg an.