Der christliche Garten liegt jwd - janz weit draußen. Jedenfalls für Berliner Verhältnisse. Jedenfalls, wenn man eher im Stadtzentrum wohnt und es eine Stunde Fahrt mit S-Bahn und Bus benötigt, ihn zu erreichen. Der christliche Garten liegt im Bezirk Marzahn-Hellersdorf und dort liegt er nicht allein. Er ist einer von vielen Gärten der "Gärten der Welt", wenngleich der einzige innerhalb des Parks, der nach einer Religion benannt ist. Und es gab - alles andere wäre in Berlin ein Wunder - um den Namen des christlichen Gartens Streit, wie es einige Jahre zuvor Streit um den Namen des islamischen Gartens gegeben hatte. Nur dass der heute orientalischer Garten heißen muss, weil die Stadtentwicklungssenatorin es so wollte.
Der christliche Garten ist vor allem eins: kopflastig. Zumindest bei mir will sich weder Kontemplation noch Ruhe einstellen - von Spiritualität ganz zu schweigen. Hierhergekommen bin ich in der Erwartung, einen Platz zu finden, an dem ich durchatmen, loslassen kann. Aber hier erscheint mir der Glaube im Wesentlichen als klar abgezirkelte, durchkonstruierte Schwere, auch wenn alles Transparenz zu versprechen scheint. Blickt man nach oben, dann verdunkeln sich die Buchstaben im Licht der Sonne, ballen sie sich schwarz zusammen. Ziehen Wolken auf, dann wird das eben noch glänzende Gold matt, wird zu bemaltem Aluminium. Ich hatte eine inspirierende Atmosphäre erhofft, und fröstele an einem heißen Sommertag im Buchstabenkäfig des christlichen Gartens.
Wie sich der Buchstaben des Glaubens jederzeit (wieder) gegen einen richten kann! Wie er dunkel werden kann - und dies nicht nur, weil eine Wolke vorbeizieht, sondern weil Menschen aus der Bibel eine Lehre, eine Aussage herausdestillieren, die mich, meine Existenz, meine Sexualität nicht nur herabsetzen, sondern auch instrumentalisieren, um die eigene Machtposition in ihrer Gruppe zu stärken.
Carsten Rentzings Aussage, die homosexuelle Lebensweise entspreche nicht Gottes Wille, blendet gegenteilige Meinungen und Bibelauslegungen einfach aus. Und so fangen wir in der "alten Debatte", wie er sie selbst nennt, jedes Mal wieder von Null an. Das Spiel muss man nicht mitmachen! Stattdessen eine andere Aussage des Landesbischofs: "Ich habe hohen Respekt vor denen, die für sich persönlich sagen, dass sie gelebte Homosexualität vor sich und Gott vertreten können."
Ich freue mich sehr, dass Carsten Rentzing mir (unbekannterweise) seinen Respekt zollt. Denn was ihm ein Problem ist, ist mir keins. Ich habe kein Problem, meine Homosexualität zu leben und es ist auch überhaupt kein Problem für mich, dies vor Gott zu vertreten. Und: Schwule, Lesben und Transsexuelle in Sachsen sollten sich von ihm das Leben nicht schwer machen lassen. Es gibt keinerlei Grund dazu!
Unweit vom christlichen liegt der japanische Garten. Der Mann, der mit einem Rechen die Kiesfläche glattstreicht, nickt mir freundlich zu. Hier ziehen sich keine übergroßen Schriftzeichen um mich herum und er wird, welch Segen, von einem kleinen, fröhlich vor sich hin gurgelnden Bach durchzogen.
Im Wandelgang des christlichen Gartens soll - laut Broschüre am Nordgang/Außenwand - ein Zitat aus Jesaija 58 stehen: "Du wirst wie ein wohl bewässerter Garten sein, wie eine Quelle, deren Wasser nie versiegt." Eine Formulierung, die dort nicht steht, gefiele mir besser. Es ist ein Satz aus Johannes 4, 14: "Das Wasser, das ich ihm gebe, wird in ihm zu einer Quelle werden, die unaufhörlich fließt, bis ins ewige Leben."
Und nun weiß ich, was mir im christlichen Garten fehlt: eine Quelle, aus er es hörbar, fühlbar sprudelt. Nicht dunkle, massige Steine, über die ein dünner Wasserfilm fließt. Es darf ruhig ein bisschen mehr sein! Eine Quelle, die erfrischt, den Geist weckt und Leben und Lebendigkeit spendet. Eine Quelle, die auch das verletzende Wort hinwegzuspülen vermag.
Ich kehre noch einmal in den christlichen Garten zurück und betrachte ihn. Dann trete ich meinen Heimweg an.