"Hate Crime"

"Hate Crime"
Selbst der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nennt es mittlerweile "jüdischen Terrorismus".
Die Vereinten Nationen nennen es "Hate Crime", also Hassverbrechen. Es geht um die Messerattacke auf die Gay Pride Parade in Jerusalem und die Brandanschläge auf Wohnhäuser von Palästinensern im Westjordanland im Juli 2015.

Bei der Jerusalemer Gay Pride Parade am 30. Juli 2015 hat der ultra-orthodoxer Jude Yishai Schlissel sechs Teilnehmende mit dem Messer niedergestochen. Ein sechzehnjähriges Mädchen ist einige Tage später an ihren Verletzungen  gestorben. Andere sind schwer verletzt worden. Schlissel war erst seit einigen Wochen aus dem Gefängnis entlassen worden. 2005 hatte er schon einmal drei Teilnehmende der damaligen Gay Pride Parade in Jerusalem mit einem Messer angegriffen und verletzt.

Am 31. Juli 2015 gab es einen Brandanschlag auf zwei palästinensische Häuser im Westjordanland. Ein achtzehn Monate altes Baby und sein Vater sind an den Folgen der schweren Verbrennungen gestorben. Der vierundzwanzigjährige ultra-orthodoxe Jude Meir Ettinger ist für die Tat festgenommen worden. Er wird verdächtigt, auch bei dem Brandanschlag auf die Brotvermehrungskirche in Tabhga Mitte Juni mitgewirkt zu haben.

Messerattacken und Brandanschläge aus Hass. Hass auf Lesben, Schwule, Bi-,Trans-,Intersexuelle und Queers (LSBTIQ), die friedlich für ihre Gleichberechtigung demonstrieren. Hass auf Palästinenser_innen, die allein durch ihre Anwesenheit ultra-orthodoxe Siedler und ihre aggressive Ausdehnungspolitik stören.

Es ist Terrorismus, der sich auf Hass gründet. So haben es mittlerweile mehrere Politikerinnen und Politiker in Israel benannt. Wer die Taten verniedlicht, macht sich mitschuldig. Wer diese Taten leugnet, zündelt mit.

Die Vereinten Nationen nennen solche Verbrechen "Hate Crimes". Es sind Verbrechen, die aus Hass auf Andere und Fremde ausgeübt werden, die angeblich gegen geltende Normen verstoßen. Fundamentalistische Religionszugehörigkeit ist häufig der Nährboden für die Verbrechen. Pseudo religiöse Argumente dienen nicht selten als Legitimation für die Gewalttaten.

Die Grundstruktur ist stets ähnlich. Ob es nun ultra-orthodoxe Juden sind, die auf LSBTIQ oder Palästinenser losgehen. Oder ob es  islamistische (IS-) Krieger sind, die alle so genannten "Ungläubigen" ermorden und Hass gegen alle schüren, die nicht so sind wie sie selbst. Oder ob es fundamentalistische Christen sind, die LSBTIQ ausgrenzen, pathologisieren oder sogar Gewalttaten legitimieren.  Hass ist stets die Grundlage. Unkenntnis, Verweigerung von Dialog und Angst vor den Anderen sind die Markenzeichen. Biologistische Argumente und wörtliche Lektüre der Heiligen Texte sind die Methoden. Sie beschwören Natur, Gott und die Heiligen Texte für ihre Vorurteile und kruden Gedanken.

In allen großen Religionen sind solche fundamentalistischen und extremistischen Auswüchse zu beklagen. Selbst radikale Buddhisten zündeten in den letzten Monaten die Häuser von Hunderten Rohingyas an, einer muslimische Minderheit in Myanmar, und töteten in den letzten drei Jahren Tausende von ihnen. Zur Begründung wird in den internationalen Medien Hass auf die religiöse und ethnische Minderheit der Rohingyas genannt. Hass als Grund für Verfolgung, Gewalt und Massenmord!?

Diese Phänomene müssen als Hassverbrechen und Terror benannt werden und dürfen nicht herunter gespielt werden. Denn sie haben lange Tradition und System, wie Hannes Leitlein in seinem Zeit Online Artikel  "Wie Israel dem jüdischen Terror nachgibt" vom 5. August 2015 anhand der Verhaltensweisen der ultranationalen Juden aufzeigt.

Gleichzeitig dürfen solche Phänomene nicht dafür genutzt werden, undifferenziert und hasserfüllt auf Religionen allgemein draufzuhauen. Solche generalisierenden Reaktionen bedienen sich derselben Vorurteilsreflexe, wie sie diejenigen benutzen, die sie kritisieren. 

Übersehen wird dabei, dass in allen Religionen Schutzräume für Andersdenkende und Andersliebende geboten werden. Und dass es in allen Religionen Akteure für Gleichberechtigung und Akzeptanz von Anderslebenden und Andersgläubigen gibt. Verschwiegen wird, dass in allen Religionen LSBTIQ-Netzwerke bestehen, die sich innerhalb der jeweiligen Religion für Respekt und Gleichstellung einsetzen. Nicht wahrgenommen wird dadurch auch, dass Anfang August in Jerusalem mehrere tausend Menschen auf die Straße gegangen sind, um gegen die Messerattacken auf der Gay Pride Parade und gegen die Brandanschläge auf palästinensische Dörfer zu demonstrieren.

Letztere stehen für Austausch, Aufklärung und Lernprozesse. Sie nutzen Strategien, die die Bereitschaft zu Begegnung und Dialog voraussetzen. Genau das ist bei den meisten radikalen Fundamentalisten und Extremisten allerdings nicht gegeben. Sie sind nicht am Dialog interessiert.
Ihr Weltbild ist abgeschlossen, dogmatisch und selbstreferentiell.

Allerdings dürfen diejenigen, die man mit Gesprächen nicht erreichen kann, weder die Macht haben Minderheiten zu verfolgen noch dürfen sie den Einfluss bekommen Religionen generell zu verdammen. Zu schnell werden sonst ganz andere Vorurteile bedient: Antisemitismus, Islamophobie und Christenfeindlichkeit. Nur durch Sachlichkeit, Aufklärung und Differenzierung kann das verhindert werden.

Ansonsten hilft das, was die Panoramachefin Anja Reschke in ihrem Tagesthemenkommentar vom 5. August 2015 so eindringlich formuliert hat: Man muss den Mund aufmachen, Haltung zeigen und sich gegen Hass und Gewalt wehren, um dem menschenverachtenden und hasserfüllten Treiben extremistischer und fundamentalistischer Kräfte Einhalt zu bieten.