Über weite und enge Rahmen

Über weite und enge Rahmen
Cover "Homosexualität und Religion", Hamburg Pride e.V. (Hg.), unter Verwendung eines Motivs von Jakub Godziszewski.
Die Broschüre "Homosexualität und Religion" ist eine lesenswerte Einführung ins Thema, bei der aber vor allem die Menschen selbst mit ihren Geschichten und Erfahrungen zu Wort kommen.

Im Juni diesen Jahres berichtete Mechthild Klein für evangelisch.de über eine Podiumsdiskussion zum Thema "Homosexualität und Religion" in der Hamburger Zentralbibliothek. Veranstaltet wurde sie vom Hamburg Pride e.V. mit Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung. Etwas weniger beachtet blieb die 76-seitige Broschüre, die begleitend zur Veranstaltung veröffentlicht wurde. Sie bietet kurze einführende Texte zu theologischen Perspektiven der drei großen monotheistischen Weltreligionen Islam, Judentum und Christentum - so u.a. ein Überblick von Kirchenrat Wolfgang Schürger über die Entwicklung(en) in der evangelischen Kirche "Zwischen Homophobie und Homophilie".

Zudem stellt die Broschüre in zahlreichen Porträts und Interviews Menschen mit ihren individuellen Geschichten, Bekenntnissen und Standpunkten vor. Eine lesbische Muslima kommt ebenso zu Wort wie ein schwuler Jude oder die heute evangelische Christin Manuela, die ihre Beziehung mit einer Frau nicht länger verheimlichen will und mit der katholischen Kirche bricht: "Die haben mich einfach nicht verdient!", lautet ihr Fazit heute. Ähnlich kämpferisch die jüdische Kantorin Jalda: "Welches Recht hat ein Mensch eine Liebe, die bashert, also von Gott gewollt wurde, nicht zu respektieren? Hier wird Liebe politisch."

Die Porträts zeigen, dass sich Fragen nach der Vereinbarkeit von sexueller Orientierung und religiösem Bekenntnis fast immer (und weit mehr?) als ein Ringen mit den kirchlichen Institutionen und Kirchenvertretern und/oder einer dogmatischen Auslegung darstellen. Und - so ein weiterer Eindruck - es ist eine Frage des Alters und der Erfahrung, wie das Thema reflektiert wird. Es wird Zufall sein, aber die meisten der Befragten sind bereits über 40 Jahre. Deswegen fällt das Interview mit der 24-jährigen Lisa, die als 19-Jährige zum Islam konvertierte, besonders auf. Bei ihr ist - ganz abgesehen von den Schwierigkeiten des Alltags - das Ringen mit dem Glauben, das Suchen, noch deutlicher spürbar: "Wenn Liebe eine Sünde ist, was auf der Welt soll dann keine Sünde sein?"

"Außenansichten" runden die Artikel und Porträts ab. Die Politologin Corinna Gekeler spricht über die Situation von Homosexuellen, die für einen kirchlichen Arbeitgeber arbeiten. Der Psychoanalytiker Udo Rauchfleisch thematisiert die Spannungen, die sich für den Einzelnen beim Versuch, Homosexualität und Religion zu vereinbaren, ergeben können. "Es hängt dabei sehr wesentlich davon ab, wie weit oder eng der Rahmen ist, der in der jeweiligen religiösen Gemeinschaft gegeben wird."

Die Broschüre "Homosexualität und Religion" ist auf ihren wenigen Seiten ebenso informativ wie vielfältig, kritisch, aber in einem wunderbar unaufgeregten Ton. Und sie bleibt nahe an den Menschen, ihrem Glauben, ihrer Liebe und ihrer Zuversicht.

 

Info: Die Broschüre kann als E-Paper online gelesen werden. Für ein gedrucktes Exemplar kann man beim Herausgeber Hamburg Pride e.V. nachfragen. (Nachtrag 26.8.: Mir wurde heute mitgeteilt, dass die Auflage vergriffen ist.)