Homophobie, Annäherung an einen Begriff

Homophobie, Annäherung an einen Begriff
Foto: Matthias Albrecht
Spinnenphobie, eine häufig verbreitete Angststörung.
In Diskussionen über Homosexualität fällt häufig der Begriff „Homophobie“. Dieser Blogeintrag leistet einen Beitrag zu der Frage, was das Wort eigentlich beinhaltet, wo seine Potentiale und Grenzen liegen.

Der Terminus Homophobie ist zusammengesetzt aus den beiden altgriechischen Vokabeln homo und phobie. Homo heißt ins Deutsche übersetzt gleich. Der Ausdruck ist zu einem Synonym für gleichgeschlechtliche Liebe geworden, so wird beispielsweise von der „Homo-Ehe“ oder, oft despektierlich gemeint, von den „Homos“ als Abkürzung für Homosexuelle gesprochen. Phobie kommt von phobos, was so viel wie Angst, Schrecken oder Furcht bedeutet. Demnach meint Homophobie also Angst vor Homosexualität. Doch was macht diese Angst aus? Und woher rührt sie? Zur Klärung greife ich auf zwei Modelle aus der klinischen Psychoanalyse zurück, nämlich zum einen auf das der Phobie und zum anderen auf das der Projektion.

Unter einer Phobie versteht die Psychoanalyse eine unangemessene Angst, die zu Vermeidungs- und Ausweichreaktionen führt. Etwa vor Spinnen, engen Räumen oder Dunkelheit. Diese Arten von Phobien betreffen immer nur einige wenige Menschen. Homophobie hingegen tragen wir in verschiedenem Maß alle ins uns. Die Verinnerlichung von Homophobie wird unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen zu einer Entwicklungsaufgabe, der sich kaum ein Kind entziehen kann. Denn ein fundamentaler Bestandteil der gegenwärtigen Geschlechtsentwicklung ist es zu akzeptieren, dass erotische Bedürfnisse ausschließlich an das jeweils - vermeintlich - andere Geschlecht gerichtet werden dürfen. Nur wer diese Regel internalisiert, kann ein „richtiger Mann“, kann eine „richtige Frau“ werden. Und da es bis heute kaum andere tragfähige und vor allem geförderte Konzepte der Identitätsfindung gibt als eben diese beiden Geschlechter mit ihren jeweils zugeschriebenen Begehrensstrukturen sind Kinder, wollen sie eine stabile Identität entwickeln, auf ein gewisses Maß an Homophobie angewiesen. Ein Beispiel hierfür sind die vom Medienprojekt Wuppertal gefilmten Reaktionen von Schüler_innen auf zwei sich küssende Jungen*. Die dort zutage tretenden Empfindungen von Ekel, Ablehnung und Aggression scheinen homophoben Ursprungs zu sein. Auch ihre Gabe bejahende, homosexuell liebende Menschen berichten von ähnlichen Emotionen, wobei sie diese in der Regel weniger stark externalisieren und eher als ein inneres, unüberwindbares, oftmals unterschwelliges Unbehagen wahrnehmen. Ein Beleg sind hier Berichte von schwulen Männern, die erklären, beim Zusammentreffen mit anderen Homosexuellen an nicht subkulturell geprägten Orten oft zunächst einmal ein großes Abgrenzungsbedürfnis zu verspüren. Im Sinne des psychoanalytischen Phobie-Modells könnte Homophobie also verstanden werden als eine individuelle oder kollektive Angststörung, die sich gegen Homosexualität richtet und aus einer unmittelbaren, situativen Angst um die Stabilität der eigenen geschlechtlichen Identität resultiert.

Der zweite mit Angst in Verbindung stehende psychoanalytische Ansatz, den ich zu Annährung an den Begriff der Homophobie heranziehe, ist der der Projektion. Von Projektion ist dann die Rede, wenn ein innerpsychischer Konflikt auf andere Menschen oder ganze Menschengruppen gerichtet wird. Sich verändernde gesellschaftliche Verhältnisse ängstigen viele Personen, besonders auch solche aus dem sich selbst als fromm bezeichnenden christlichen Milieu. Die sich in ihren Augen so massiv und gegen Gottes Willen wandelnde Umwelt erfüllt sie mit Sorge. Dem setzen viele dieser Menschen das Ideal der sogenannten traditionellen Familie entgegen, bestehend aus patriarchalem Vater, Mutter und Kindern, als eine Art Anker in der Zeit. Das geht so weit, dass dieser Lebensentwurf bei einigen zu einer Art Götzenbild geworden ist, an dessen Fortbestand für sie das Heil der ganzen Schöpfung zu hängen scheint. Voranschreitende gesellschaftliche Entwicklungen wie lange Zeit steigende Scheidungsraten, in Deutschland sinkende Geburtenzahlen, Transformationen der Geschlechterverhältnisse und ein Zurückgehen der Scham bezüglich sexuellen Verlangens fügen dem Götzenbild tiefe Risse zu. Auch der letzte Halt, der letzte gesellschaftliche Konsens, auf den Verlass war, bricht weg. Diese Situation ist für eine relevante Zahl von Menschen so unerträglich, dass sie dafür Schuldige suchen, finden und bekämpfen müssen. Dabei sind Lesben und Schwule eine willkommene Zielscheibe. In ihnen scheint die zunehmende Gottlosigkeit der Welt Gestalt anzunehmen. Und der den Homosexuellen zugeschriebene Lebensstil, gekennzeichnet von Dekadenz, Promiskuität und Asozialität wird nicht nur als Repräsentation von Sünde schlechthin, sondern auch als Auslöser, als eine Art Infektionsherd, der andere ansteckt und dadurch zum gesellschaftlichen Niedergang führt, identifiziert. Anders ist es wohl in vielen Fällen schwer erklärlich, dass gerade jene, die Homosexualität doch so sehr ablehnen, sich Tag um Tag, Monat um Monat und Jahr um Jahr, beinahe wie besessen mit nichts mehr anderem befassen. Homophobie beinhaltet so gesehen also auch projektive Elemente, in denen Lesben und Schwule als Sündenböcke innerer Konflikte herhalten sollen.

Der Begriff der Homophobie birgt ein großes analytisches Potential. Kritisch zu bemerken ist jedoch, dass der Terminus den inhaltlichen Schwerpunkt möglicherweise zu sehr auf die Entstehung von anti-homosexuellen Einstellungen legt, ihre Folgen aber zu wenig thematisiert. Homophobie ist mehr als eine individuelle, oder in einigen Gruppen sehr stark verbreitete Angststörung bezüglich Homosexualität. Homophobie treibt Menschen an, sich kollektiv zusammen zu schließen und Netzwerke zu gründen, die die Ungleichheit von hetero- und homosexueller Liebe systematisch propagieren. Um solche Phänomene begrifflich fassen zu können, ist es angemessener, Begriffe aus der Soziologie und der kritischen Geschlechterforschung anzuwenden. Das Wort Ideologie kann besser deutlich machen, dass Publikationen, Kongresse, gegen Homosexuelle gerichtete Gesetze etc. nicht einfach spontaneistische Akte sind, sondern Ausdruck einer politischen Bewegung. Einer politischen Bewegung, die Heterosexualität weiterhin als absolute Norm fortschreiben will und dabei bereitwillig unzählige Opfer produziert. Deshalb sollte auch darüber nachgedacht werden, ob Ausdrücke wie Heterosexismus oder Lesben- und Schwulenfeindlichkeit wieder verstärkt zur Anwendung kommen. In ihrer Verwandtschaft zu Begriffen wie Sexismus oder Antisemitismus sensibilisieren sie für die Opfer und implizieren gleichzeitig die Notwendigkeit der Bekämpfung einer menschenverachtenden Ideologie.

 

* In dem Video zu finden, ab Timecode 01:36.