Die ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Glaube (HUG) gründete sich 1990 als Verein. Bei der Gründung des damals als Gesprächskreis konstituierten Vereins waren Menschen von der EHG (Evangelische Hochschulgemeinde), der KHJ (Katholische Hochschuljugend) und der HOSI (Homosexuelle Initiative) beteiligt. Gab es in den 1990er-Jahren noch HUG-Gruppen in anderen Städten und Bundesländern Österreichs, blieben außer der HUG Wien bundesweit lediglich mehr oder weniger lose Netzwerke übrig. Die HUG Wien ist auch nicht gerade groß – aber immerhin treffen sich von den 40 Mitgliedern des Vereins jede Woche 10-20, um sich über aktuelle religiöse und gesellschaftspolitische Themen zu informieren und auszutauschen. Jeder Dienstagabend, wo sich in der Villa, dem Gemeinschaftshaus für LGBT* in Wien, getroffen wird, hat einen eigenen Programmpunkt. Oft werden Vertreter_innen von verschiedenen Religionen und Konfessionen eingeladen. Die HUG Wien versteht sich nämlich als ökumenische bzw. religionsübergreifende Gruppe, wenn auch die Ausrichtung auf christliche Konfessionen sowohl unter den Mitgliedern als auch bei den Veranstaltungen deutlich erkennbar ist.
Mit dem Sprecher der HUG Wien, Johannes Langer, führte ich gestern, bei meinem Besuch des Semesterausklangtreffens der HUG-Gruppe, ein Interview.
Wie kam es zu dem Namen "Homosexuelle und Glaube"?
J.L.: Früher hießen wir nach dem deutschen und Schweizer Vorbild HuK, also "Homosexuelle und Kirche", aber aufgrund vieler Diskussionen und nach dem Vorbild der Gruppe in der Steiermark öffneten wir den Titel der Gruppe insofern, dass er auch Menschen nicht-christlichen Glaubens inkludiert. Es gab aber viele Proteste diesbezüglich, weil das der Gruppe die Stoßkraft nimmt in Richtung Kirche. Außerdem kommt mittlerweile dazu, dass die Bezeichnung Homosexuelle irgendwie obsolet geworden ist. Bisexuelle und Transgender* sowie andere queere Leute sind bei uns herzlich willkommen – aber im Titel der Gruppe wird das nicht deutlich. Eine neue Lösung haben wir aber noch nicht.
Bei euren wöchentlichen Treffen sind Männer* weit in der Überzahl. Eine Frauen*gruppe hat sich separat gegründet. Wieso?
J.L.: Es haben sich immer wieder interessierte Frauen* bei mir als Sprecher gemeldet, die nachfragten, ob grundsätzlich auch Frauen* zu uns kommen können. Die Tatsache, dass die Gruppe zwar grundsätzlich offen ist, aber die Männer* in der Überzahl sind, führte dazu, dass sich eine eigene Frauen*gruppe bildete, die aber leider gar keine Zugehörigkeit zur offiziellen HuG hat – sie hat auch keinen eigenen Namen, ist eher ein privates Netzwerk. Wir sind aber sehr interessiert daran, dass in der HuG-Gruppe auch möglichst viele Frauen* sind. Leider wollen viele Frauen* eine eigene geschlechtsspezifische Gruppe.
Habt ihr zur HuK bzw. zur LuK in Deutschland Kontakt? Gibt es gemeinsame Treffen?
J.L.: Ganz vereinzelt, über das europäische Forum der christlichen LSBT*-Gruppen, dem European Forum of LGBT Christian Groups, was sich ein Mal im Jahr trifft. Ansonsten gibt es keine Zusammenarbeit, nein. Leider – aber es ist schon mühselig genug sich hier in Österreich zu vernetzen. Neben der Zusammenarbeit mit der KHJ zum Beispiel gibt es auch Austausch mit dem progressiven Judentum in Wien, dort gab es auch mal eine LGBT-Gruppe. Die Jüdische Liberale Gemeinde Wien Or Chadasch feiert zudem einmal im Jahr den Erev Pride, einen jüdischen queeren Gottesdienst.
Sind auch Jüd_innen in eurer Gruppe zur Zeit? Oder Muslime?
J.L.: Nein. Muslimische Mitglieder hatten wir mal, jüdische bisher nicht. Aber selbstverständlich würden wir uns darüber freuen. Wir sind eine offene Gruppe. Und unsere Veranstaltungen drehen sich oft z. B. um islamische Themen. Muslimische LGBTs haben es oft noch schwerer. Die HUG kann da eine Unterstützung sein.
In der Gruppe sind neben solchen, die Mitglieder in offiziellen Kirchen sind, auch Leute, die sich keiner Religion zugehörig fühlen, Agnostiker_innen, zweifelnd oder „ungläubig“ sind.
Inwiefern passt dann der Name "Homosexuelle und Glaube" noch, geht es denn nicht um einen Austausch unter LGBT*s um Glauben in einem "religiösen Sinne"?
J.L.: Die, die kommen und nicht gläubig sind, ringen noch immer mit dem Thema. Sie interessieren sich dafür. Sie sind oft Suchende.
Aber das Thema Glaube im engeren Sinn ist auch nicht jede Woche unser Thema. Es geht auch um andere Themen in Bezug auf LGBT* wie (Partei-)Politik, Lebensformen, Sexualität, Vernetzung, gesellschafts- und sozialpolitische Fragen. Immer wieder drängen sich aber auch kirchliche Themen auf, wie das Sozialwort der österreichischen Kirchen (s. http://www.sozialwort.at/), wo das Thema Homosexualität nur ganz wenig vorkommt.
Beim Pride Prayer, dem ökumenisch-christlichen Queer-Gottesdient, den ihr vor zwei Wochen veranstaltet habt, war es euch wichtig, in einer offiziellen Kirche – in diesem Fall war es die Altkatholische Kirche Sankt Salvator – und mit offiziellen "Würdenträger_innen" der zwei großen katholischen und der zwei großen evangelischen Kirchen zu feiern.
Inwiefern glaubst Du, Johannes, braucht es überhaupt die offiziellen Amtskirchen, wäre es nicht einfacher, sich von ihnen zu emanzipieren und als christliche LGBT*s eigene Wege zu gehen?
J.L.: Zum einen ist es ja viel feierlicher, würdevoller und größer in einer Kirche. Es wäre auch ok, aber weniger schön, einen Gottesdienst hier in der Villa beispielsweise zu feiern. Zum anderen wäre für die meisten von uns nicht denkbar, eine alternative Gemeinde zu gründen, so etwas wie die weltweite MCC. Denn viele von uns sind in ihren christlichen Gemeinden nicht nur Mitglieder, sondern auch aktiv und mitgestaltend. Sie fühlen sich dort zu Hause, in ihren Gemeinden. Das wäre ja dann viel zu viel, zwei Gemeinden gleichzeitig. Darum ist das hier in der HUG nie ein Thema gewesen, zum Beispiel einen MCC-Ableger in Wien zu gründen. Zumal in den Gemeinden auch viel Offenheit erlebt wird. Auch der Pride Prayer soll weitergeführt werden, geplant ist zwei Mal im Jahr – zum Advent und zur Pride-Woche. Die offiziellen Kirchen werden dort wieder eingebunden.
[Anm. K.P.: Später im Gruppengespräch merkte einer der Teilnehmer_innen an, dass das Fehlen eines alternativen, selbstgestalteten Gottesdienstes für LGBT* in Wien möglicherweise mit dem oft österreichtypischen Hängen an Titeln und offiziellen Amtsträger_innen zusammenhänge. Er habe die unabhängigen HUK- und MCC-Gottesdienste in Deutschland als sehr gelungen und erfrischend erlebt, ohne Mangel an "pastoraler Würde".]
Selbst Länder wie Irland und USA haben jetzt schon vor Österreich und Deutschland die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare durchgesetzt. Warum, glaubst du, ist das eine so schwerfällige Angelegenheit hier?
J.L.: Ich weiß nicht, ob meine Analyse stimmt, aber ich denke, in Irland war es so arg mit der katholischen Kirche, diese Missbrauchsgeschichten und die "Züchtigung" in den Heimen, so dass die Leute dort einfach genug hatten. Das Votum für die Homo-Ehe war ein Votum gegen die Kirche. Auch in Österreich gab es, v.a. in den 90er-Jahren, die Skandale in der katholischen Kirche. Gegen zum Beispiel die damaligen Bischöfe Krenn und Laun gab es auch eine Protestbewegung, das Kirchenvolksbegehren, an dem die HUG-Gruppen aus ganz Österreich beteiligt waren. In der Gründungsgruppe für das Kirchenvolksbegehren, die sich in Innsbruck traf, waren allein 200 Leute, und über 500 000 Menschen haben unterschrieben. Aber trotzdem... Es war wahrscheinlich nicht so arg wie in Irland. Und es war eine andere historische und politische Konstellation... Warum die Homo-Ehe in Österreich nicht möglich ist, hängt stark mit der ÖVP zusammen, die seit 30 Jahren in der Regierung ist und so was von lernunfähig ist. Wenn es nach der ÖVP ginge, wären wir immer noch in der Verbotszeit, also vor 1971, wo Homosexualität unter Strafe stand.
Und man muss dazu sagen, die österreichische (Mehrheits-)Gesellschaft ist nicht progressiv. Das ist der Grund, warum so viele – ob auf dem Land oder nicht – die ÖVP und die FPÖ wählen. Das, was diese Parteien proklamieren, das ist einfach da in der Gesellschaft. Auch in anderen Parteien tummeln sich kleinbürgerliche Leute. Das ist kein wirklich aufgeklärtes Land. Das dann wiederum so eine Conchita Wurst möglich ist, das ist auch so eine Gegenreaktion, ein Protest.
Wenn jetzt in Deutschland und vielleicht sogar in Österreich die Ehe für alle geöffnet würde, glaubst du, dass sich die evangelischen Kirchen in Österreich auch auf die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare einlassen?
J.L.: Ich glaube schon. Durch das evangelische Verständnis der Ehe als vornehmlich zivilrechtlicher Akt würden sie sicher mitgehen.
Aber vorher nicht?
J.L.: Nein, denke ich nicht. In der Evangelischen Kirche H.B. [reformiert] gibt es zwar schon seit über zehn Jahren die Segnung für gleichgeschlechtliche Paare, und zwar schon vor der Einführung der Eingetragenen Partnerschaft, aber in der Evangelischen Kirche A.B. [lutherisch] ist man ja froh, dass es halbwegs einen Frieden gerade gibt – da gibt es schon auch viele konservative Kreise. Und für die paar Segnungen, die es dann in der evangelischen Kirche A.B. gäbe, will man nicht das Risiko einer Kirchenspaltung eingehen. Gerade die evangelischen Kirchen sind oft eh schlecht besucht. Das hängt auch mit der Diaspora-Situation zusammen. Wenn es keine evangelische Kirche in der Nähe gibt, schaffen es viele nicht, den weiten Weg zur nächstgelegenen Gemeinde nur für einen Gottesdienst auf sich zu nehmen.
[Anm. K.P.: Evangelische Christ_innen befinden sich in Österreich in einer massiven Diaspora-Situation. Dies ist historisch bedingt durch die Gegenreformation im 16.-18. Jhd. Rund drei Viertel aller Bürger_innen Österreichs sind katholischen Bekenntnisses, nur rund 4 % evangelisch.
Erst seit 2010 können gleichgeschlechtliche Paare die Eingetragene Partnerschaft in Österreich eingehen. ]
Die HUG Wien ist über www.hug-wien.at zu erreichen und trifft sich im Semester dienstags um 19:30h in der Villa, Linke Wienzeile 102, 1060 Wien.