Vom Glauben an eine Community

Vom Glauben an eine Community
Was verbindet mich mit anderen Menschen? Die Frage stellt sich in der lesbisch-schwulen Community nicht weniger als in der christlichen. Irgendwie liegt die Antwort im Glauben ...

In den Medien wie im allgemeinen Sprachgebrauch wird oft vom „bekennenden“ Homosexuellen geredet. Damit ist freilich nicht ein religiöses Credo gemeint, sondern sein bzw. ihr Coming-out, also das bewusste Öffentlichmachen der Homosexualität. Ebenso häufig ist der Begriff von der „Community“, der übersetzt Gemeinde / Gemeinschaft bedeutet. Auch hier hat sich bei Homosexuellen ein englisches Wort durchgesetzt.

Allerdings ist es eine sehr brüchige Angelegenheit mit dieser Community. Denn im realen Leben stellt sich oft heraus, dass man zwar ein gemeinsames sexuelles Interesse teilt, aber ansonsten vielleicht nicht mehr so viel darüber hinaus. Hat früher der gemeinsame  Kampf gegen Ausgrenzung und Verfolgung solche Fragen überdeckt, können sie in einem gesellschaftlich liberaleren Klima sichtbarer werden. Der Druck von außen, der bislang viele Homosexuelle zusammengeschweißt hat, schwindet. Vor allem in unserer westlichen Welt ist vieles individueller geworden, ausdifferenzierter, es gibt eine breite Infrastruktur, in der man - quasi „ohne Gruppenzwang“ - leben kann. Selbst wenn man also an der Existenz einer einheitlichen „Community“ zweifeln darf, so gibt es doch Momente, in denen sie sehr präsent ist: etwa bei CSD-Paraden. Was hält so viele Homosexuelle, trotz ihrer unterschiedlichsten (Eigen-)Interessen zusammen?

Vielleicht ein Glaube?

Schwulsein, Lesbischsein bedeutet auch zu glauben, dass mich „etwas“ - eine geteilte sexuelle Orientierung, geteilte Erfahrungen (z.B. das Coming-out), eine geteilte Geschichte (der Verfolgung) - mit anderen Menschen verbindet. Ich habe mit Menschen, die mir teils fremd, teils auch fern sind, etwas gemeinsam. Zumindest unterstelle ich es. Andere Menschen rücken mir näher, ihr Schicksal interessiert mich, weil sie ein zentrales Moment meines eigenen Lebens teilen. Und ich glaube, dass diese Gemeinsamkeiten durch eine gemeinsame Vorgeschichte bis heute so wertvolle Lebenskonzepte und Haltungen hervorgebracht haben, dass es sich lohnt, sich (weiterhin) zu diesem „Glauben“ zu bekennen.

Das Wort Glaube ruft natürlich religiöse Assoziationen hervor. Allerdings ist der Glaube an eine Community von Schwulen, Lesben und Transgender nicht mit dem Glaube im christlichen Sinne vergleichbar. Er bezieht sich nicht auf (einen) Gott, sondern richtet sein Interesse weltlich auf andere Menschen und das Leben mit ihnen. Es gibt keine Bibel. Gelegentlich aber das eine oder andere „Wunder“, etwa wenn man sich verliebt!

In ihrem Glauben an Gott mag die weltweite Gemeinde bzw. die Gemeinde vor Ort vereint sein. Aber mit Blick auf das konkrete Zusammenleben ließe sich auch über die evangelische „Community“ sagen, dass sie sehr ausdifferenziert ist und man, wenn man ehrlich ist, im realen Alltag nicht immer so genau weiß, was einen über den Glauben hinaus mit anderen christlichen Menschen verbinden soll.

Der Soziologe Pierre Bourdieu schreibt in seinem Buch „Die männliche Herrschaft“, der Status von Schwulen und Lesben sei, „wie die Familie, die Religion, die Nation oder jede andere kollektive Entität nichts anderes als eine auf dem Glauben beruhende soziale Konstruktion“.

Viel Energie ist in den letzten Jahren auf das Herausarbeiten der Konstruiertheit unserer Welt verwendet worden. Dagegen das Verbindende als Ausdruck eines zutiefst menschlichen Wunsches nach Gemeinschaft und Verbundenheit zu denken - auch über diesseitige Beschränkungen hinweg -, erscheint da beinahe altmodisch.

Warum aber dem Glauben nicht seine positive Bedeutung bewahren? Nämlich im Sinne einer Hoffnung in eine verbindende Kraft, die zwar durch äußere Faktoren bestimmt wird, sich aber nicht allein in diesen äußeren Faktoren erschöpft. Glaube meint für mich - persönlich und als Konsequenz (m)eines christlichen Weltbildes - eine Bereitschaft, sich mit sich und mit anderen in einem wohlwollenden Sinne auseinanderzusetzen: im Vertrauen auf den positiven Urgrund jeden menschlichen Zusammenlebens. Selbst dann, wenn man manchmal allen Grund hat, von Menschen enttäuscht zu sein.