Kurzstrecken-Beamen per E-Scooter

Kurzstrecken-Beamen per E-Scooter
Muße habe ich nicht mehr einfach so, ich muss sie aktiv zulassen. Auch in den Momenten, in denen Technologien wie E-Scooter die Muße-Momente einfach überspringen können.

 

Das Leben braucht manchmal Raum für Lücken. Muße ist selten geworden, wenn ich sie nicht ganz bewusst suche. Das ungezielte, unkonzentrierte Einströmenlassen ist eine bewusste Entscheidung geworden. Im Alltag geht das am ehesten beim Spazierengehen, auf den kurzen Wegen zum Supermarkt oder zur Haltestelle. Manchmal nehme ich den Podcast aus den Ohren und lasse beim Gehen die Gedanken schweifen. Das geht natürlich besonders gut im Wanderurlaub, aber wenn man eben gerade keinen Urlaub hat? Dann sind solche Gelegenheiten gut.

Seit kurzem gibt es auch in Frankfurt E-Scooter zum Ausleihen. Elektromobilität für den Einzelnen, der nächste Elektroroller ist jetzt gerade 145 Meter von meinem Schreibtisch entfernt. Ich habe die Geräte jetzt ein paar Mal benutzt. Statt zehn Minuten zu Fuß drei Minuten mit dem Roller: Perfekt für diese Zwischenwege, für schnelle Erledigungen, an deren Ziel ich kein Fahrrad parken möchte.

Meine erste Vermutung war, dass die Leih-Scooter eine Alternative zum öffentlichen Nahverkehr sein könnten. Sind sie aber nicht. Dafür sind sie zu teuer, ein Straßenbahnticket für die gleiche Strecke ist günstiger. Das zeigt auch eine aktuelle Studie der Consulting-Firma Civity zu E-Scootern, die die verfügbaren Daten der Anbieter in Deutschland über APIs ausgewertet hat. Das Bild, das sich ergibt, ist noch unvollständig, weil die E-Scooter-Verleihe gerade erst gestartet sind.

Erste Trends werden aber sichtbar: E-Scooter überspringen die Lücken im Alltag. Sie rollen zwischen Zu-Fuß-Gehen und Fahrradfahren. Sie sind die Instant Gratification des Nahverkehrs, fast wie Kurzstrecken-Beamen: Anstrengungslose individualisierte Mobilität zwischen A und B.

Ich merke, dass ich auf den Dingern weniger von meiner Umgebung sehe als beim Gehen und weniger spüre als beim Fahrradfahren. Kein Muskel rührt sich, das Hirn ist voll auf den Verkehr fokussiert, denn auf dem Radweg (wo die E-Scooter offiziell hingehören), ist man verletzlich. Für zufällige Gedanken ist da kein Platz, jedenfalls nicht im Stadtverkehr. Beim Fahrradfahren übrigens ist das ähnlich, aber da hat man wenigstens mit den eigenen Muskeln zu tun, eine Körperlichkeit, die dem E-Scooter-Fahren völlig abgeht.

Mit den Leihrollern lassen sich die kleinen Muße-Momente auf den Zwischenwegen überspringen. Auch das ist eine Folge von Digitalisierung: Für jedes Bedürfnis gibt es eine App, mit der es sich fast sofort erfüllen lässt.

Sollen wir also die E-Scooter links liegen lassen? Nein, denn sie sind eben doch ziemlich praktisch, wenn man nicht verschwitzt zu einem Arbeitstermin oder zum Bahnhof kommen möchte. Manchmal ist die Lücke im Alltag genau da, wo man sie nicht brauchen kann. Vielleicht sind sie auch im Privatbesitz als Fahrradersatz geeignet, und die Weiterentwicklung von Elektromobilität ist willkommen (jetzt bitte noch Solarpanels auf alle Dächer). Das Fahren macht Spaß.

Und zugleich erinnern sie mich daran, dass Muße eine aktive Tätigkeit geworden ist, die es sich zu üben lohnt. Und ja, auch dafür gibt es natürlich eine App – XRCS, entwickelt von der hannoverschen Landeskirche.

Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!