Warum tue ich mich so schwer, einen Rückblick auf die re:publica zu schreiben? Vielleicht, weil die re:publica schwer zu fassen ist, 2019 vielleicht noch mehr als in anderen Jahren. Kulturfestival, Digitalkonferenz, Netzwerktreffen, Begegnungsort, Abendparty, zusammengedrängt auf drei Tage (dieses Jahr vom 6.-8. Mai). Wie beim Kirchentag erlebt jede*r Besucher*in ihre eigene re:publica, bei rund 1.000 Sessions, Meetups und Talks kein Wunder.
Große Stränge gibt es aber trotzdem. Diesmal legten sich die beiden großen Sorgen der digitalen Gegenwart über die re:publica: Das Monopol der kalifornischen Plattformen und verborgene Entscheidungen von Maschinen über unser Leben.
Beide Entwicklungen verändern unser Leben. Beide können aber gesteuert werden. Gerade Facebook, die globale Kommunikationsplattform, die von 2,7 Milliarden Menschen jeden Monat genutzt wird, ist keine unaufhaltbare Macht. Allerdings kann das Konglomerat aus Facebook, Instagram, WhatsApp und Facebook Messenger nicht auf dem Markt gestoppt werden. Facebook ist ein Monopolist, und als solcher nur durch Regulierung zu stoppen. Bei Medien legen wir Wert auf Entscheider-Vielfalt - der Rückgang der Pressevielfalt bei Zeitungen wird zu Recht beklagt. Bei Kommunikationsplattformen ist das Problem ähnlich: Ein einzelner Kommunikations-Broker hat zu viel Einfluss, wenn es keine Alternativen gibt. Das Werkzeug dafür war bisher die Anti-Monopol-Gesetzgebung. Microsoft hat die EU-Gesetzgebung dazu schon mehrfach zu spüren bekommen, Google auch. Facebook könnten die nächsten sein.
Facebook aufspalten
Das ist jedenfalls die Forderung des Autors Cory Doctorow und der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Beide äußerten sich auf der re:publica vergleichbar: Facebook müsse reguliert werden (aber nicht so, wie Mark Zuckerberg es sich wünscht). "Despite a market hunger for privacy, we have no privacy social network", klagte Doctorow auf der re:publica: Obwohl es eine Nachfrage nach einem sozialen Netzwerk mit selbstbestimmter Datennutzung gäbe, habe der Markt das noch nicht hervorgebracht. Denn Facebook und Google würden Konkurrenten einfach kaufen. Monopole sind keine zwangsläufige Produkte des Marktes, argumentiert Doctorow, sondern sind über Gesetze steuerbar.
Das sieht Margrethe Vestager ähnlich. Sie ist die EU-Wettbewerbskommissarin und deshalb an den konkreten Überlegungen unmittelbar beteiligt. Die kalifornischen Plattformen aufzusplitten - also beispielsweise Amazon Web Services von Amazon oder Instagram von Facebook zu trennen - sei aber nur das "letzte Mittel", sagte sie im Bühnengespräch mit Alexander Fanta: "Wir wollen, dass der Wettbewerb zurück in den Markt kommt." Dabei könnte ein neutraler Zugang zu Nutzerdaten helfen, den man allerdings verordnen müsste. Ihr Beispiel sind die Strom- und Bahnnetze: Unterschiedliche Anbieter können die gleiche Infrastruktur nutzen, um unterschiedliche Produkte anzubieten. Mindestens Direkt-Messenger sollten in der Lage sein, untereinander Kontakte anzuschreiben, so wie wir per SMS auch alle Mobilnetz-Anbieter untereinander erreichen können.
Allerdings ist noch völlig unklar, wie das tatsächlich funktionieren könnte und wer dann die Rolle des Infrastruktur-Anbieters für Nutzerdaten übernimmt. Ein Ansatz dabei könnte Solid sein, die neue, dezentrale Netzvision, die WWW-Erfinder Tim Berners-Lee derzeit ausprobiert. Darin kontrollieren die Nutzer*innen ihre Daten selbst und stellen sie für die Plattformen zur Verfügung, die sie nutzen möchten (genauer erklärt bei der SZ).
Über Marktmechanismen kommen wir da jedenfalls nicht hin, meint Vestager, weil Facebook,Google und Amazon nicht mehr nur Marktteilnehmer sind, sondern den Markt teilweise überhaupt ermöglichen. Wenn das Erlösmodell einzelner Firmen nur funktioniert, weil es diese Plattformen gibt, spielen sie einfach nicht in der gleichen Liga.
Dass Facebook aufgeteilt werden sollte, schreibt übrigens auch Chris Hughes in einem vielbeachteten Beitrag für die New York Times. Als Mitgründer von Facebook und Erfinder des "News Feed" sieht er Mark Zuckerbergs Macht mit Sorge: Ein einzelner Mensch sollte nicht so viel Kontrolle über die Kommunikation von Milliarden Menschen haben. "Mark Zuckerberg cannot fix Facebook, but our government can" ist eine erstaunliche Schlussfolgerung für ansonsten so marktgläubige US-Amerikaner. Vielleicht nimmt die EU dabei tatsächlich eine Vorreiterrolle ein.
Algorithmen? Nicht nur in China
Vorreiter in Sachen "social scoring" ist China. Punkte für menschliches Verhalten, die neue soziale Klassen begründen, werden aber auch in Europa automatisch verteilt. Nicht ganz so krass wie in China, aber der Talk von Algorithm Watch zeigte zwölf Beispiele, wie das hierzulande auch schon praktiziert wird. Den Bericht "Automating Society: Taking Stock of Automated Decision Making in the EU" gibt es auch als PDF, den #rp19-Talk dazu hier als Video. In Frankreich werden Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung automatisch verfolgt, in Polen soll automatisch entschieden werden, welche Unterstützung Arbeitslose bekommen, in den Niederlanden identifizieren Algorithmen die Schüler, bei denen die Schulbehörde prüfen sollte, ob sie auch wirklich in die Schule gehen.
Das hat dann anders als Facebook mit dem World Wide Web nichts mehr zu tun, ist aber ein wesentlicher Teil der Datenstruktur, die uns alle umgibt. Wir leben in einer vollvernetzten Welt und brauchen klare Regeln, wie die Systeme darin sich verhalten sollen. Denn für bestimmte Tätigkeiten ist es sinnvoll, dass Menschen sie nicht machen müssen. Welche das sind, ist Verhandlungsfrage. Alles, was emotionale Intelligenz, Kreativität, Spontaneität, Einfühlsamkeit braucht, gehört jedenfalls erstmal nicht dazu.
Ich durfte neulich in Vertretung für Petra Bahr auf dem Podium bei #ProDiversity mitreden, da ging es auch um diese Fragen. Vor allem eines wurde mir dabei nochmal deutlich: Automatisierte Entscheidungen und die intensive Nutzung vernetzer Möglichkeiten sind Wirklichkeit und Gegenwart, in Arbeit und Freizeit, Wirtschaft und Wissenschaft, weltweit. Das nicht zu erkennen bedeutet, von der Welt abgekoppelt zu leben.
Und das lässt sich auch trotz aller Negativität positiv nutzen, wie etwa Taiwans Wissenschaftsminister*in Audrey Tang es tut. Solche positiven Impulse waren auf der re:publica dieses Jahr allerdings eher in der Minderheit. Immerhin versucht aber niemand, das Internet wieder abzuschaffen. Aber nach den Wachstumsjahrzehnten ist jetzt die Zeit, die Vision eines freien, gleichberechtigenden Internets aktiv zu erhalten. Oder, wie Cory Doctorow es formulierte: "I don't believe the internet is what we're fighting for. But I believe it's what we are fighting with."
#rp19 zum Nachschauen
Nach der re:publica gibt es immer die meisten Talks auch auf Video, nach und nach hochgeladen auf ihrem YouTube-Account. Meine eigene Muss-ich-noch-(mal)-sehen-Liste:
Sigi Maurer: It's the patriarchy, stupid
Algorithm Watch: Citizen Scoring auch in der EU
Oliver Nachtwey: Der Geist des digitalen Kapitalismus
Axel Voss und Markus Beckedahl: Lass uns reden
Let there be data! Exploring data as a common good and ways to build it
Audrey Tang: Digital Social Innovation
Und von der Media Convention, die parallel läuft, diese beiden Highlights:
The good censor? Vertrauen und Verantwortung für Millionen
"Ethics for Billions: Lassen sich ethische Grundsätze mit Technologie skalieren?
Und der Vollständigkeit halber wie jedes Jahr Sascha Lobo mit seiner re:publica-Predigt!
Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!
Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.
P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!