Die Menschen, die große Hoffnung auf Digitalisierung setzen, haben eine ganz große Befürchtung, wenn die EKD-Synode im November 2018 den nächsten Schritt in Richtung "mehr digitales Handeln" beschließt. Sie möchten, dass sich die ganze Kirche mitverändert und Digitalisierung nicht als isolierte Experimentier-Insel außerhalb der Gemeinschaft der Heiligen gebaut wird. Was fehlt, ist der Glaube, "dass Kirche von der Digitalisierung verändert ist". Die Synode soll keinen "Digitalisierungskäfig" beschließen, in dem sich dann die seltsamen Internet-Leute austoben dürfen. Was die Synode im November beschließt, solle mehr Leuchtturm als Teelicht sein. Es soll den Geist der Digitalisierung atmen statt sie als zu lösendes Problem zu beschreiben.
Das sind Schlüsselzitate aus der Gesprächs-Session, die ich beim Barcamp Kirche Online am vergangenen Wochenende in Köln mit rund 30 digital aktiven Kirchenmenschen zum Thema "Kirche im digitalen Wandel" führen konnte. Wir haben vor allem darüber gesprochen, was der anstehende Beschluss der EKD-Synode in Würzburg bewegen soll. "Digitalisierung" - von praktischen Internet-Kommunikationsformen bis zum anstehenden Kulturwandel - ist für die Menschen, die beim Barcamp sind, längst Alltag. Aber sie erleben, dass viele andere Menschen in der Kirche um sie herum sich damit schwer tun. Deswegen wünschen sie sich auch, dass deutlich wird: Digitale Kommunikation ist zum einen die Chance, das Evangelium voran zu treiben, und zum anderen ist Digitalisierung auch immer ein bisschen anarchisch. Sie lässt sich nicht vollständig kanalisieren und kontrollieren.
Der Kulturwandel, der darin steckt, ist auch eine Aufgabe für das Führungspersonal. Prozesse und Verwaltungsaufgaben vom Papier wegzuholen, zu beschleunigen, vereinfachen und transparenter zu machen muss von "oben" in den Amtshierarchien unterstützt werden. Sie müssen gleichzeitig ermöglichen, dass Menschen eigene Ideen einbringen, umsetzen und validieren können. Und da geht es nicht nur um Kommunikationsideen im digitalen Raum, sondern auch um alle möglichen anderen Ideen. "Digitalisierung" steht nämlich auch als Chiffre, die Begründung "Das haben wir noch nie so gemacht" aus dem Wortschatz zu werfen.
Als Beispiele dafür waren beim Barcamp Kirche Online die Fresh-X-Orte Beymeister und Raumschiff Ruhr vertreten. Die haben natürlich auch gute digitale Präsenzen, aber vor allem schaffen sie andere Formen von Begegnungen in der Kohlenstoffwelt als die klassische Gemeindeform. Auch das ist ein Effekt von Digitalisierung: Die Flexibilität, das eigene Handeln auf die Menschen auszurichten, die tatsächlich da sind. Und der Wille, immer wieder neu zu ermöglichen, was diese Menschen miteinander und füreinander tun können und wollen. "Digitalisierung" kann auch dafür ein Chiffre sein. Kirche und Gemeinde werden hierarchieärmer, beweglicher, zielorientierter und rücken dichter an das, was Menschen wirklich suchen. Vom Raumschiff Ruhr habe ich dazu den schönen Satz mitgenommen: "Lasst mich erstmal sein" - und erst dann gucken, was geht und was nicht.
Übrigens: dass sich die EKD stark engagieren soll, war für alle diese Menschen aus sehr unterschiedlichen Landeskirchen völlig unstrittig. Netzwerkeffekte nutzen, technische Plattformen gemeinsam für alle Landeskirchen zur Verfügung stellen und Produkte stärken, die den Gemeinden direkt helfen - das soll die EKD tun.
Damit das aber gelingt, braucht es engagierte Menschen - die sind schon da - und Geld. Wie viel Geld die Synode am Ende ausgeben möchte, um jedes Jahr Digitalisierung zu stärken, werden die Teilnehmenden am Barcamp Kirche Online mit großem Interesse beobachten. Werden es zehn Cent pro Kirchenmitglied? Fünfzig Cent? Ein Euro? Fünf Euro? Zehn Euro? Sie werden den Willen ihrer Kirche, Projekte, Ideen und Macher*innen auf allen Ebenen zu ermutigen und zu befähigen, am Ende auch an dieser Summe messen.
Vielen Dank für’s Lesen und Mitdenken!
P.S.: Die nächsten Barcamp-Termine:
- Barcamp Nordkirche / Hanse-Barcamp: 9.Februar 2019 in Hamburg
- Barcamp Kirche online / Ost: 11.-14. April 2019 in Berlin
- Barcamp Kirche online / Süd: 24. bis 26. Mai in Nürnberg (geplant)
- Barcamp Kirche online / West: 13.-15. September 2019 in Essen
Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.
P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!