Kein Ende in Sicht - kein Problem

Kein Ende in Sicht - kein Problem
Der digitale Wandel führt nicht auf einen statischen Endpunkt hin, sondern in einen neuen Zustand der Flexibilität. Damit muss man umgehen lernen - und das ist nicht ganz leicht, besonders für Journalisten.

Panta rhei, semper reformanda, you never cross the same river twice: Es gibt viele Sprüche für das Phänomen, dass die Welt nicht aufhört, sich zu drehen. (Die Erde ist ansatzweise kugelförmig und dreht sich um die Sonne, nur um allen Verschwörungstheoretikern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen.) Wolfgang Blau, ehemals Chef der Digitaloperationen der "Zeit" und des "Guardian" und aktuell an der Spitze von Condé Nast International, hat in diesem Sinne neulich das Narrativ der "digitalen Transformation" in einem Tweet entzaubert:

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Der digitale Wandel führt nicht auf einen statischen Endpunkt hin, sondern in einen neuen Zustand der Flexibilität. Das ist die Essenz des Kulturwandels, der mit der Digitalisierung einhergeht. Wenn eine Organisation, ein Unternehmen, ein Medienhaus "digital" werden wollen, dann bedeutet das nicht (nur), Informationen in Apps und Webseiten zu packen und weniger zu drucken. Es bedeutet vor allem, sich auf das einzulassen, was Wolfgang Blau meint: Es gibt keinen "Endzustand", der die nächsten 20 Jahre hält, keine magische Formel, die es ermöglicht, sich auf den bis dahin gewachsenen Lorbeeren auszuruhen.

Unternehmen und Organisationen sind keine Pokemón, die von Glumanda zu Glurak werden und dann ihre letzte, beste Stufe erreicht haben. Die Menschen in Verwantwortung müssen Ressourcen ständig neu verteilen und Gelegenheiten nutzen. Gerade in Medienhäusern bedeutet das dann: Produkte entwickeln, bauen, veröffentlichen - und Erfolg vorher definieren. Erst dann kann man wissen, ob ein Produkt weiter existieren sollte oder nicht. Auf diesem Weg gibt es nur Zwischenziele, aber kein Ankommen.

Auch bestehende Produkte können und müssen sich mit der gleichen Idee immer weiter verändern. Eine Webseite, eine App, ein Digitalprodukt ist nie fertig. Im GEP und bei evangelisch.de sprechen wir davon, dass wir "fertiger" werden. Das Prinzip heißt "minimum viable product". Wenn etwas neues an der Start geht, wird dann veröffentlicht, wenn es im ersten veröffentlichbaren Zustand ist. Damit ist es aber nicht perfekt und nicht fehlerlos. Es ist erstmal gut genug. Dann darf man es aber nicht allein lassen: Aus den Reaktionen, aus der Nutzung, aus den Erfahrungen müssen Redaktion und Technik lernen, um das Produkt weiter zu verbessern. Semper reformanda eben.

Dafür braucht es die passende emotionale Herangehensweise. Dirk von Gehlen hat das in seinem Buch "Das Pragmatismus-Prinzip" mit dem "Shruggie" illustriert, dem wunderschönen ¯\_(?)_/¯. Es steht bei @dvg für Ambiguitätstoleranz, das Aushalten von Mehrdeutigkeit in möglichen Antworten.

Ich glaube, gerade Journalisten tun sich mit der Unfertigkeit von Produkten schwer, weil das für ihre Inhalte definitiv nicht gilt, auch nicht gelten soll. Ein journalistisch recherchierter, geschriebener, redigierter, veröffentlichter Text muss fertig sein. Eine Geschichte kann auch Ambiguität darstellen, wenn es sie gibt. Aber das veröffentlichte Endprodukt sollte sich nicht nachträglich noch wesentlich verändern müssen, weil damit das Vertrauen in die Arbeit der Journalisten erodiert. Eine Geschichte kann mehrere Teile haben, ein Thema mehrfach weiter recherchiert werden. Aber was als journalistisches recherchierter Text mit Anspruch auf Richtigkeit veröffentlicht wird, sollte nicht nachträglich verbessert werden müssen. Anders als die Digitalprodukte, in denen diese Inhalte erscheinen.

Das gilt natürlich auch für evangelisch.de. Wir haben 2009 zum Start, 2012 und 2015 das Gesicht der Seite radikal verändert, immer mit Blick darauf, welche Elemente unsere Nutzer*innen tatsächlich anklicken und welche Inhaltsformen wir anbieten. Das werden wir auch dieses Jahr wieder tun. Im Herbst 2018 wird evangelisch.de wieder weniger farbig werden und zugunsten der mobilen Darstellung auf die Zweispaltigkeit im Gesamtlayout verzichten. Das als kleine Vorschau - wenn es mehr zu zeigen gibt, tun wir das.

Vielen Dank für’s Lesen & Mitdenken!


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!