Und sie bezahlen doch

Und sie bezahlen doch
Auf der Suche nach Informationen schalten Deutsche am liebsten den Fernseher ein. Menschen, die für Spotify zahlen, zahlen auch für Online-Medien. Facebook, wir wollen Deinen Algorithmus sehen! Amazon schenkt seinen Prime-Kunden ein Premiumprodukt aus dem Hause Burda. Helmut-Kohl-Nachrufe als Schlachteplatte. Und täglich grüßt die Antisemitismus-Doku-Diskussion.

Sorry, Leute. Wir haben uns geirrt. Das mit dieser Social-Media-Dominanz in der Mediennutzung ist doch nicht so krass, wie gedacht. Zumindest nicht in Deutschland. 

„[I]t is striking that only 60% of our respondents – all of whom use online for other purposes – choose to access news via websites, apps, or social media weekly. This is much lower than any other country in our survey, as is the use of social media for news (29%), which has decreased by 2 percentage points in the last year. (…) Only 7% of our German respondents say it is their main source of news; less than 2% ONLY use social media for news in a given week.“

Das schreiben Sascha Hölig and Uwe Hasebrink vom Hans-Bredow-Institut, welches den deutschen Teil des sechsten Digital News Reports erstellt hat, den das Reuters Institute for the Study of Journalism der University of Oxford gestern veröffentlichte (ganzer Bericht hier; die deutschen Ergebnisse stehen ab Seite 70).

Außerdem interessant:

„About half of the Germans trust most news most of the time and it is widely felt to be free of political and commercial influence.“

Was man als Journalist so lange beruhigend finden kann, bis man sich vergegenwärtigt, dass die andere Hälfte das nicht tut. 

Weitere, interessante Zahlen paraphrasiert Joachim Huber im Tagesspiegel

(„Mehr als drei Viertel der erwachsenen Internetnutzer in Deutschland schauen sich Nachrichten im Fernsehen an (77 Prozent), für mehr als die Hälfte (52 Prozent) ist das Fernsehen generell die wichtigste Quelle für Informationen über das Weltgeschehen. (…) Insgesamt wird den Nachrichten in den Zeitungen (60 Prozent) und im Fernsehen (56 Prozent) mehr vertraut als im Internet (45 Prozent) und sozialen Medien (33 Prozent). (…) 60 Prozent der Befragten nutzen regelmäßig das Internet für Online-Nachrichten; für 28 Prozent ist es die wichtigste Nachrichtenquelle“),

woraus die Zeitung als vorrangiges Printmedium die genüssliche Überschrift „Hohes Nachrichteninteresse bei Onlinern - in den anderen Medien“ ableitet - nachzulesen übrigens online auf tagesspiegel.de. Aber da unterscheidet Huber offenbar online von online bzw. freut sich, dass die Internetnutzer sich auf der Suche nach vertiefenden Infos an bekannten Marken orientieren:

„So entfallen innerhalb des Internets die häufigsten Nennungen der wichtigsten Nachrichtenquelle auf die Inhalte traditioneller Anbieter aus dem Print- und Fernsehbereich (17 Prozent).“

Zu denen, erneuter Blick auf die Original-Zahlen, neben Spiegel Online auf Platz 1 T-Online News (Platz 2), Web.de (4), Focus Online (5), Gmx.de (8) sowie die Huffington Post (12) zählen, alle vor Sueddeutsche.de (14) und Zeit Online (16). 

Ganz so entspannt sollten die Studienergebnisse die etablierten Medien also nicht lassen. 

Dennoch, wir wollen hier ja nicht die Wochenendstimmung vermiesen, kann man noch Positives aus den Daten ziehen. 

Christian Meier in Springers Welt:

„Die Nutzung sozialer Medien, um sich zu informieren, ist verschwindend gering. Fernsehnachrichten bleiben das Maß aller Dinge. Mit anderen Worten: Der Report greift die These von der Macht der Echokammern an, die seit dem vergangenen Jahr mehr oder weniger als Allgemeingut verbreitet wird."

Sowie die SZ auf ihrer Medienseite

„Im internationalen Durchschnitt gibt demnach gut jeder Zehnte für Abos oder einzelne Artikel Geld aus (13 Prozent), in Norwegen beträgt der Anteil sogar 26 Prozent. Die Deutschen sind vergleichsweise geizig: Kaum jeder Zehnte zahlt, drei Prozent haben ein Digital-Abo.

Die Zahlungsbereitschaft wächst vor allem bei Nutzern unter 35. Als Spotify- oder Netflix-Abonnenten erwarten sie nicht, dass alles im Internet kostenlos ist. Auch auf Adblocker wird zunehmend verzichtet. Offenbar steigt das Bewusstsein, dass guter Journalismus finanziert werden muss.“

[+++] Auch wenn wir jetzt wissen, dass das mit der Social-Media-Blase gar nicht so gravierend ist, wie in der Medienblase vermutet, bleibt es richtig, sich beispielsweise mit Facebook und der großen, das Netzwerk antreibenden Unbekannten namens Algorithmus auseinanderzusetzen. 

Christoph Sterz lässt in einem Beitrag für @mediasres dazu den grünen EU-Parlamentarier Jan Philipp Albrecht zu Wort kommen.

„Besonders relevant sei die Frage, wie zugänglich Facebook für andere Inhalte ist und wie wettbewerbsfähig andere Inhalte überhaupt noch auf dieser Plattform sein können, sagt Albrecht. ,Und da muss das Wettbewerbsrecht und da müssen vielleicht auch neue Regeln her. Wie zum Beispiel die Frage: Müssen nicht bestimmte Inhalte, zum Beispiel Nachrichteninhalte, auch unabhängig und neutral über diese sozialen Netzwerke mitverbreitet werden, ohne dass sie Teil des Werbe-Algorithmus werden.’ Eine Art Nachrichtenquote für Facebook könnte das sein, im Fachjargon eine ,Must be found’-Regel.“

Die Kritiker an diesem Vorschlag, die darin eine perfekte Vorlage erkennen für Verschwörungstheoretiker und Anhänger der These, das hier sei eh alles von der CIA gesteuert, zitiert Albrecht ebenfalls - ebenso wie Anja Zimmer von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, die Facebook wie auch Google gerne mal fragen würde: 

„Wie funktioniert der Algorithmus?“

Ja, klar, und ich hätte gerne ein Pony, schmelzfreie Schokolade und Weltfrieden. 

Aber dass diese Forderung nach Offenlegung des Betriebsgeheimnisses der beiden Firmen gar nicht so naiv ist, wie ich das gerade suggeriert habe, argumentiert Adrian Lobe auf der Medienseite der FAZ (Blendle, 0,45 €). Dazu zitiert er den italienischen Mathematiker und Computerwissenschaftler Massimo Marchiori, der sich der These annimmt, man müsse die Algorithmen geheim halten, um die Such-Ergebnisse und Timelines vor Spam und sonstiger Manipulation zu schützen.

„,Es ist eine Situation, die vergleichbar ist mit der in der Computersicherheit’, sagt Marchiori. ,Dort gibt es Leute, die in andere Maschinen eindringen wollen, Viren kreieren, Botschaften entschlüsseln. Die ursprüngliche Gegenmaßnahme hieße ,Security by Obscurity’: Wir halten alles im Dunkeln, damit Hacker es schwer haben, die Systeme anzugreifen.’ Das habe aber nicht sonderlich gut funktioniert, und heute gelte das Gegenteil: Die meisten Sicherheitssysteme seien transparent, ,und deshalb haben wir bessere Sicherheitssysteme, denen wir trauen können’.“

Und was ist mit dem Betriebsgeheimnis?

„Die Wahrung des Betriebsgeheimnisses stünde Überprüfbarkeit und Rechenschaftspflicht nicht im Weg. Google könnte immer noch ein Patent auf seine Algorithmen anmelden.“

Na dann.

[+++] Um bei großen, US-amerikanischen Unternehmen zu bleiben, die sich als Medieninhalteverbreiter verdingen: Amazon bietet jetzt Kunden seines Dienstes Prime nicht nur tagesaktuell Salatschleudern sowie (gegen Fresh-Aufpreis) den dazugehörigen Salat an, sondern auch „Digitalausgaben von bekannten Magazinen wie Stern, Der Spiegel, Funk Uhr, Kochen & Genießen, InStyle, Happinez, Glamour, Selbst ist der Mann, Fit For Fun und GQ“ bzw. „von Magazinen wie Focus, Frau im Leben, Vogue, Harper's Bazaar, Wohnidee und Wired“ (Quelle: Amazon-Pressemitteilung). 

Einmal hin, alles drin, sogar die Frau im Leben, bei der es sich offenbar um ein bekanntes Magazin handelt. Man lernt ja nie aus. 

Des Weiteren lässt sich aus der PM erfahren, dass man bei Burda den Focus (u.a.) als „Premiumprodukt“ bezeichnet, aber interessanter ist natürlich, wessen Nähe deutsche Verlage mittlerweile suchen, um ihre davon schwimmenen Auflagenfelle zu retten, und wer als Ersatz für Blendle bereit steht, das eine Verbreitung jenseits der Filterblase ja leider verpasst hat. 

Wie viel die Verlage an der Sache verdienen, wird leider nicht erwähnt. Ist ja auch nicht so wichtig. Aber vielleicht kann zumindest Meedia demnächst mal in Erfahrung bringen, wie viele Leute wirklich von dem Angebot Gebrauch machen, das sie eigentlich bezahlen, damit sie den Ventilator noch am gleichen Tag geliefert bekommen? Das wäre nett.


Altpapierkorb

+++ Irgendwann wird sie enden, die Debatte über die Antisemitismus-Doku „Auserwählt und ausgegrenzt“, doch dieser Tag ist nicht heute. Einer der beiden Autoren, Joachim Schröder, hat in einer Online-Talkshow bei der Bild-Zeitung über den Faktencheck des WDR gesagt, dieser sei „ein Konvolut von hastig zusammengesuchten Meinungen, großteils von jenen, die unseren Film hassen. Da werden Dinge teilweise komplett falsch dargestellt“ (Meedia dokumentiert). Auf der ersten Seite des FAZ-Feuilletons schreibt zudem Michael Hanfeld im Nachgang zur Ausstrahlung und Debatte gestern (s. Altpapier): „Doch vorgeführt hat sich der Sender selbst: ein Lehrstück in Selbstgerechtigkeit, die ein Markenzeichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist“, während Jürg Altwegg direkt darunter aus Frankreich berichtet, wo sich niemand über das Thema aufregen mag - wohl auch, weil die Franzosen den Terz gar nicht mitbekommen haben, sie mussten schließlich wählen. Das Grimme-Institut hat derweil unter dem Hashtag #antisemitismusdoku eifrig seine Diskussion zum Thema dokumentiert, an der auch Altpapier-Kollege René Martens teilnahm, und die am Sonntag um 11.25 Uhr im WDR laufen wird. +++

+++ Deniz Yücel sitzt immer noch in der Türkei in Einzelhaft, was mit sich bringt, dass wir weiterhin Interviews mit seiner Frau Dilek Mayatürk Yücel benötigen, um zu erfahren, wie es ihm geht („Deniz geht es sehr gut. Er ist physisch und psychisch sehr stark. Seine Stärke kommt aus seiner aufrechten Haltung. Aber an den harten Bedingungen ändert das nichts, Die Welt). +++

+++ Die aktuelle Ausgabe epd medien bleibt dran am NetzDG (derzeit nicht online) und lässt die Medienrechtler Karl-E. Hain, Frederik Ferreau und Tobias Brings-Wiesen einen alternativen Vorschlag formulieren, nämlich eine Selbstkontrolle der Anbieter, ergänzt durch eine Co-Regulierung durch die Landesmedienanstalten. +++

+++ Was macht eigentlich… die Bundespressekonferenz? Doch, die gibt es noch, hat aber an Relevanz verloren und ist daran auch noch selbst schuld, meint Ulrike Simon in ihrer Spiegel-Daily-Kolumne. +++

+++ „Ein Tod, ist kein Tod mehr. Er hat die Kraft des Innehaltens, der Besinnung verloren. Ein Tod ist auch in der öffentlich-rechtlichen Medienberichterstattung ein Ereignis, das es auszuschlachten gilt. Schlachteplatte bei ARD und ZDF.“ (Silke Burmester in ihrer @mediasres-Kolumne zur Nachrufschlacht um Helmut Kohl.) +++

+++ Acht Milliarden Euro gezahlter Rundfunkbeitrag, 4,6 Millionen Beitragszahler-Konten im Mahnverfahren, 1,46 Millionen in der Vollstreckung - Christian Meier berichtet in Springers Welt vom Beitragsservice-Jahresfazit für 2016, das dieser am Mittwoch zog. +++

+++ „Das in dieser Form einzigartige Angebot hat einer anschließenden Evaluation zufolge in den meisten Fällen einen wertvollen Beitrag zur Integration geleistet, war hilfreich für den Spracherwerb und hat den Teilnehmern Spaß gemacht.“ Dieses, nun ja, mitreißende Zwischenfazit zum Zeitungsprojekt für Flüchtlinge des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags formuliert Anna von Garmissen bei kress.de. +++

+++ Wenn es einer wissen muss, wie dieser Journalismus der Zukunft aussehen könnte, dann doch sicher Washington-Post-Chef Martin Baron - oder?! Beim Kongress des Global Editors Networks gestern erklärte dieser laut dem österreichischen Standard: „,Wir zielen nicht auf das eine Projekt ab, das alle unsere Probleme löst’. Vielmehr müssten sich Redaktionen ständig an mehreren Fronten verbessern und mit neuen Ideen experimentieren. Dabei sei technologische Entwicklung zentral. ,Deshalb entwickelt sich die ,Post’ hin zu einem Technologieunternehmen, während wir gleichzeitig ein Journalismusunternehmen bleiben’.“ +++

+++ Die heutige SZ-Medienseiten-Netflix-Besprechung widmet sich „Glow“ („Man kann Wrestling für großen Quatsch halten – und die neue Netflix-Serie über die Gorgeous Ladies of Wrestling trotzdem fantastisch finden“; Meredith Haaf.) Für die FAZ-Medienseite rezensiert Oliver Jungen, nicht ganz so begeistert („In dieser Hinsicht, als reine Stil-Show, ist „Glow“ tatsächlich glamourös und so shabby-chic wie alte Hulk-Hogan-Sammelbildchen oder Jane Fondas Aerobic-Videos. Und irgendwie ist es ja auch authentisch achtzigermäßig, einfach den Inhalt vergessen zu haben“). +++

+++  Falls Sie den „Quatsch Comedy Club“ im Fernsehen vermisst haben sollten: Er ist bald wieder da, ab November bei Sky (dpa/Hamburger Abendblatt, DWDL). +++

Das nächste Altpapier erscheint am Montag.