Recht alternativ

Recht alternativ
Das Mediensystem ist kaputt, und für die Reparatur liegen mittlerweile 1,5 Millionen Schweizer Franken auf dem Tisch. Neues vom dystopischen Filmszenario, das wir „Umgang der türkischen Regierung mit Journalisten“ nennen. Wenn es um Ordnung bei Bildrechten geht, ist die AfD nicht so streng (mit sich selbst). Googles Faktenchecker. Unser Deutschlandradio soll schöner heißen. Ivanka Trumps Papa-PR.

Einfach mal mit einer positiven Meldung anfangen: 

###extern|twitter|ConstSeibt/status/857216520170205184###

Das twitterte gestern Nachmittag und damit etwa 35 Tage früher als erwartet Constantin Seibt, einer der Mitbegründer des neuen Schweizer Online-Magazins Republik (Altpapier). Das startete gestern ein Crowdfunding, um 3.000 Leser und 750.000 Franken für das Projekt zu generieren, damit 3,5 Millionen bereits durch Investoren zugesagte Franken freizuschalten und für zwei Jahre journalistische Arbeit zu ermöglichen.

Jetzt, am Donnerstagmorgen, steht der Zähler auf über 6.000 Abonnenten und mehr als 1,5 Millionen Franken. 

Das ist aus drei Gründen bemerkenswert. Zum einen natürlich, weil hier überhaupt so viele Leute gewillt sind, für schnödes Journalismuskerngeschäft Geld auszugeben, denn nichts anderes versprechen die Republik-Macher, wenn sie wie gestern in ihrem Aufruf-Newsletter schreiben: 

„Mit einem Abonnement der ,Republik’ mieten Sie sich quasi ein Expeditionsteam in die Wirklichkeit. Wir rennen, recherchieren und fragen für Sie. Und liefern Ihnen dann – mal als Konzentrat, mal als Panorama – die Fakten und Zusammenhänge. Als Grundlagen für Ihre eigenen Überlegungen und Entscheidungen.“

Das beschreibt die zentrale wie uralte Idee von Journalismus - und wohl auch, was teilweise aus ihr geworden ist, wenn das hier so pathetisch hervorgehoben werden muss. 

Womit wir zum zweiten kommen, nämlich zum Satz „Das Mediensystem ist kaputt“, Teil des ebenfalls nicht Pathos-losen („Es ist Zeit, die Demokratie gegen die Barbarei zu verteidigen“) Kampagnen-Videos, der doch stark an „Der Online-Journalismus ist kaputt“ erinnert. Damit starteten vor drei Jahren die Krautreporter in ihre Crowdfunding-Kampagne und bekamen dafür so was von aufs Maul, dass schon das Mitlesen weh tat (Offenlegung: ich kenne aber auch Leute aus dem Start-Team und schrieb später selbst für das Magazin). Letztere mussten wochenlang durch Shitstorm waten, um am Schluss so gerade ihr Ziel zu erreichen. In der Schweiz hingegen kann man sich offenbar mit dem ganzen System anlegen und erhält dafür doppelt so viel Geld in 1/35 der Zeit. Allerdings sind seitdem auch drei nicht unereignisreiche Jahre ins Land gegangen, und es ist nicht ausgeschlossen, dass gerade die verbliebenen Krautreporter in die Tischkante beißen und sich denken: Jetzt hat endlich auch die Mehrheit mitbekommen, dass da etwas schief läuft zwischen Focus Online, RT deutsch und dem Facebook-Algorithmus. Hätten wir mal so lange gewartet. 

Aber ich hatte ja drei bemerkenswerte Gründe versprochen. Der letzte ist der Preis für einen Kaffee in der Schweiz. Diesen mal 52 Wochen, so errechnen die Republikaner ihren Preis fürs Jahres-Abo von 240 Franken. Ich habe es kurz umgerechnet: Das sind 4,20 Euro, auch bekannt als 8 Mark 40. In Berlin bekommt man dafür ein ganzes Döner-Menü! In der Schweiz ticken die Uhren offenbar anders. Sie sind ja auch von Rolex.

[+++] Damit zurück in den deprimierenden Alltag. Einen Einblick, was in der Türkei - aktuell Platz 155 der gestern veröffentlichten Rangliste der Pressefreiheit (Altpapier) - unter einem fairen Verfahren gegenüber einem ausländischen Journalisten verstanden wird, gibt ein Interview, das Ali Celikkan für die taz.gazete mit dem italienischen Journalisten Gabriele del Grande geführt hat, der während einer Recherche in der Türkei festgenommen und 14 Tage festgehalten wurde. Ein Auszug:

„Ich saß beim Mittagessen in einem Restaurant mit meinem Interviewpartner, als plötzlich Polizisten in Zivil zu uns kamen. Vielleicht waren sie vom Geheimdienst. Sie fragten nach unseren Ausweisen und brachten uns dann in zwei verschiedenen Fahrzeugen zum Revier.(…) Wir wurden verhört und ich habe gesagt, dass ich Journalist bin und nichts zu verbergen habe. Ich bot den Beamten auch an, mein Handy und meinen Laptop zu durchsuchen. Aber sie fragten mich immer nur, was ich ,wirklich’ mache, und woher ich meinen Interviewpartner kenne. Ich erzählte von meinem Buchprojekt und dass ich dafür an keinen Auftraggeber gebunden bin. Außerdem wollte ich wissen, gegen welches Gesetz ich verstoßen hatte. (…) Darauf antworteten sie nicht. Stattdessen legten sie mir ein Vernehmungsprotokoll hin, das ich unterschreiben musste, ohne es zu verstehen. Danach gab ich meine Fingerabdrücke ab, wurde fotografiert und man brachte mich mit einem Fahrzeug zum Abschiebezentrum Hatay. (…)  Am 21. April durfte ich endlich meinen Anwalt sehen. Er hatte auch keine Ahnung, wie die Vorwürfe gegen mich lauteten.“

So stellt man sich doch die Einstiegsszene in einen dystopischen Film über einen totalitären Staat vor. Gru-se-ligst.

Angesichts dieser Umstände muss man jeden Journalisten bewundern, der immer noch aus der Türkei berichten mag. Raphael Geiger, Korrespondent des Magazins Stern, hätte das gerne weiterhin getan, allerdings verweigerte die türkische Regierung ihm nun die Akkreditierung: 

„Grund: ,Beleidigung des Staatspräsidenten’, wie der stern von der Regierung in Ankara erfahren hat. Geiger selbst ist von der Entscheidung überrascht: ,Ich weiß nicht, worauf sich das konkret bezieht’, sagte er. Unabhängig von der Verweigerung der Papiere war er bereits vor einigen Wochen nach Athen gezogen. (…) Von der türkischen Regierung war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten“,

vermeldet stern.de

Deniz Yücel sitzt jetzt übrigens seit 73 Tagen in türkischer Haft. 

[+++] Geradezu putzig mutet dagegen die selbsternannte Alternative für Deutschland an, die offenbar beschlossen hat, neben vielem anderen auch Bildrechte anders zu handhaben, als es bislang üblich ist. Das legt zumindest dieser Zapp-Bericht von Fietje Stegers nahe, für den über 160 Fotos, die die AfD in diesem Jahr auf ihrer Facebookseite postete, untersucht und ihre Urheber kontaktiert wurden. 

Als ein Beispiel wird das Stockfoto eines Fotografen aus Pakistan angeführt, dessen Bild als Teil einer Collage von der AfD genutzt wurde, um gegen den Zuzug unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge aufzuwiegeln. 

„[Fotograf Jahanzaib] Naiyyer hat sein Bild nach eigenen Angaben bei drei Foto-Datenbanken hochgeladen. Zwei davon schließen im Kleingedruckten ausdrücklich die Nutzung für politische Zwecke aus. Die dritte formuliert vage, dass abgebildete Models nicht in unvorteilhafte Zusammenhänge gebracht werden dürften.“

Ein weiterer Fall ist das Bild von Martin Schulz, dem per Photoshop für seinen AfD-Social-Media-Auftritt Hakennase und Hasenzähne verpasst wurden, und das ursprünglich von der Foto-AG des Gymnasiums Melle für Wikipedia geschossen wurde, das sich nun „ausdrücklich vom Vorgehen der AfD [distanziert] und prüft, ob die AfD rechtswidrig gehandelt hat." Zudem ist auch die Rechtsabteilung der dpa aktuell aktiv, weil drei Fotos der Agentur einfach so von der Partei genutzt wurden. 

Wie lautete gleich nochmal eine der Forderungen der AfD? Ach ja:

„Wir wollen den Rechtsstaat stärken und dem Recht wieder zu einer konsequenten Durchsetzung verhelfen.“

Können sie ja mal bei sich selbst anfangen. 


Altpapierkorb

+++ Der Google-Algorithmus hat begonnen, zusätzlich zu seinen Ergebnissen einen Faktencheck auszuwerfen, und das ist nicht unproblematisch, schreibt Stefan Niggemeier bei Übermedien: „Man muss sich, um von Google als ,Factchecker’ anerkannt zu werden, nicht bei dem Suchmaschinenkonzern bewerben. Es gibt keinerlei redaktionelle Auswahl; Google weist ausdrücklich darauf hin, sich die Ergebnisse der Faktenchecks nicht zu eigen zu machen. Eine Seite muss ihre Faktenchecks nur in einem bestimmten Format präsentieren und im Quelltext mit entsprechenden Tags auszeichnen sowie vom Algorithmus als ,seriöse Informationsquelle’ eingeschätzt werden.“ Correctiv hat damit bereits begonnen; FAZ.net und Zeit Online sind interessiert, Spiegel Online und die Faktenfinder von ARD aktuell überlegen noch. +++

+++ Wie Ivanka Trump im ZDF-Morgenmagazin unwidersprochen Papa-PR machen durfte, dokumentiert Walter Bau im Hamburger Abendblatt. Siehe dazu passend auch das heutige Veboten in der taz.+++

+++ Falls sie ihre US-Serien gerne ohne Bezahlung aus dem Netz streamen: Lassen Sie das lieber, das könnte illegal sein, legt nun ein Urteil des EuGH nahe (u.a. Zeit Online, sueddeutsche.de). +++

+++ Apropos Serien im Netz: Dazu hat natürlich die SZ heute etwas auf ihrer Medienseite, nämlich einen Grundsatztext von David Pfeifer über „eine goldene Ära der Streaming-Unterhaltung, weil sich einige Firmen im kreativen Wettbewerb miteinander befinden, so wie einst die großen Hollywood-Studios.“ +++

+++ Bei der FAZ bespricht derweil Michael Hanfeld die TNT-Western-Serie „The Son“ mit Pierce Brosnan. Zudem geht es um eine App, die im Zuge des Referendums in der Türkei entwickelt wurde, um Eltern und Arbeitgebern, die das einforderten, einen falschen Beleg für eine „Ja“-Stimme vorlegen zu können. (Ganz recht: „Zum Teil sollen ganze Firmen ihre Mitarbeiter dazu gedrängt haben, sich für die Reform auszusprechen. In vielen Fällen wurde ein Beweisfoto der Jastimme aus der Wahlkabine gefordert, obgleich das türkische Wahlrecht Aufnahmen der Stimmzettel verbietet.“) +++

+++ Beim Deutschlandradiofunk macht man ernst mit der im September (Altpapier) angekündigten Flurbereinigung und nennt das Deutschlandradio Kultur nun Deutschlandfunk Kultur und DRadio Wissen Deutschlandfunk Nova. Nur Deutschlandfunk bleibt Deutschlandfunk. Online gelten die Änderungen unverzüglich, sofort; on Air folgt der Wechsel am 1. Mai. Programmdirektor Andreas-Peter Weber erklärt’s bei deutschlandfunk.de. +++

+++ Ebenfalls online renoviert hat Arte: Voilà. „Ins Auge fällt, dass die bisherigen Arte-Plattformen und die +7-Mediathek zu einem neu strukturierten Videoportal verschmelzen. (…) Durch die Rubrik ,Mein Arte’ können Nutzer ein auf sie zugeschnittenes Angebot gestalten, favorisierte Formate abonnieren und bestimmte Vorschläge erhalten“, informiert bei DWDL Alexander Krei. +++

+++ Die Krise bei der Leipziger Journalistenausbildung, die aktuell zum Immatrikulationsstopp führt (Altpapierkorb gestern), wird nun, oh Wunder, auch vom DJV kommentiert:  „,Die Reform des Masterstudiengangs ist längst überfällig’, sagte die stellvertretende DJV-Vorsitzende Kathrin Konyen am Mittwoch in Berlin. Der Verband forderte, ,die traditionsreiche Journalistik-Ausbildung endlich wieder auf das hohe Niveau zu bringen, für das die Ausbildung an der Universität einmal stand’“, meldet die Leipziger Volkszeitung. +++

+++ Wer auf den gerade wiedererwachten Snapchat-Hype noch rasch aufspringen musste (Altpapier)? Meedia. +++

+++ „Die Nutzer müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dass Push-Mitteilungen notwendigerweise Eilmeldungen sind – Push-Meldungen sind inzwischen ein relativ breites journalistisches Genre und in dieser Gemengelage Eilmeldungen nur eine mögliche Form.“ Zu diesem Schluss kommt Cornelia Alig, die sich für ihre Masterarbeit mit dem „Nachrichtenwert von Push-Mitteilungen“ auf dem Schweizer Mediemmarkt beschäftigt und eine Zusammenfassung für die Medienwoche geschrieben hat. +++

+++ Dass der RBB still und heimlich sein Wissenschaftsmagazin „RBB Wissen“ abgeschafft hat, berichtet Markus Ehrenberg im Tagesspiegel. „Das soll kein Kahlschlag sein. RBB-Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus legt Wert auf die Feststellung, dass der RBB weder Mittel noch Personal in der Wissenschaftsberichterstattung kürze. ,Leider fanden unsere bisherigen Formate kaum Anklang, deshalb entwickelt unser Wissenschaftsteam neue Angebote.’ Man schaffe nichts ab, man gestalte neu. ,Die Zeit, die das braucht, nehmen wir uns auch.’“ +++

+++ „Was dürfen wir von Ihren Event-Zweiteilern ,Die Puppenspieler’ und ,Gladbeck’ erwarten?“ und weitere schöne Fragen hat Torsten Zarges für DWDL Film- und Fernsehproduzentin Regina Ziegler gestellt. +++

Das nächste Altpapier erscheint am Freitag.