Prinzessinnen hinter Paywalls

Prinzessinnen hinter Paywalls
Wer von Facebook kommt, zahlt nicht. Wer auf der Website surft, zahlt mit seinen Daten. Und wer über Blendle kommt, zahlt gar nicht mehr: Das neue Paywall-Modell Der Zeit im Praxistest. Außerdem: Warum Burda den Focus noch braucht; warum soziale Medien eventuell doch nicht Schuld am zunehmenden Populismus sind; was BR-Chefredakteur Christian Nitsche demnächst alles nicht moderieren will; im Stahlbad teutonischer Emphase.

Zu Beginn eines Altpapiers gefragt zu werden, ob man gerade Zeit für die Lektüre von 20.000 Zeichen hätte, mag befremdlich wirken. Sonst wäre man schließlich nicht hier. Aber in diesem Fall geht es einmal nicht um diesen bereits vor ihnen liegenden Zeichenexzess, sondern um einen weiteren vergleichbarer Länge - die Datenschutzerklärung von Zeit Online.

Gestern Nachmittag vermeldete das Nachrichtenportal, ab sofort auch Inhalte aus der gedruckten Wochenzeitung Die Zeit auf die Seite zu stellen, unterschieden nach zwei Kennzeichnungsarten: Rotes „Z+“ (Beispiel) bedeutet: nur für Abonnenten, graues „Z+“ (Beispiel): in begrenztem Maß gegen die Angabe der E-Mail-Adresse kostenlos verfügbar. 

„Der eigentliche Zweck unseres Modells ist es, qualifizierte Kontakte zu den Lesern aufzubauen. Das ist für uns viel kostbarer, als sofort ein Bezahlverhältnis zu etablieren. Wir legen sehr viel Wert darauf, dass sich die Leute zunächst einmal zu erkennen geben. Denn die Überschneidung zwischen Zeit-Online-Nutzern und Zeit-Lesern beträgt maximal 15 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss: 85 Prozent der Online-Leser kaufen selten oder nie die Zeit. Und die wollen wir erst mal kennenlernen“,

erklärt Zeit-Online-Chef Jochen Wegner im gemeinsamen Interview mit Moritz Müller-Wirth von Der Zeit gegenüber Anna von Garmissen auf kress.de, wo zudem schöne Begriffe wie  „First Mover“, „First-Click-Free-Option“, „Meter-Kontingent“ sowie „die Prinzessinnen“ fallen. Letztere bezeichnen laut Wegner die Vorzeige-Geschichten aus der gedruckten Ausgabe, die man in der Woche des Erscheinens nicht offen im Netz herumliegen haben wolle und daher nun mit rotem "Z+" markiere. „Deswegen nennen wir diese Stücke auch intern ,die Prinzessinnen’. Wir müssen sie beschützen.“

Zum nächsten Kostümfest kommen die beiden dann bitte als Mario und Luigi

Aber zurück zum Versuch, über E-Mail-Adressen die Leser besser kennen zu lernen. Marvin Schade, Meedia:  

„Unter Visionären sind Nutzerdaten die Währung von morgen. Bei der Zeit sieht man das offenbar genauso und versucht diese nun auf eigenem Wege zu monetarisieren. Die Kontaktdaten der Nutzer sollen zu Marketing-Zwecken im eigenen Interesse, beispielsweise das Bewerben weiterer Verlagsangebote, genutzt werden.“

Damit schalten wir in die oben schon angesprochene Datenschutzerklärung von Zeit Online:

„Zeit Online ist nach Ihrer freiwilligen Einwilligung berechtigt, personenbezogene Daten zu erheben, zu verarbeiten bzw. zu speichern, mit anderen Daten zu kombinieren, zu archivieren und zu nutzen. Diese Einwilligung erfolgt entweder schriftlich oder durch Anklicken einer entsprechenden Erklärung. Nach Ihrer Einwilligung ist Zeit Online berechtigt, personenbezogene Daten zu Zwecken der Werbung, der Marktforschung und zu anderen gewerblichen Dienstleistungen an Dritte weiterzugeben.“

Jeder, der sich fürs Lesen eines "Z+"-Artikels mit seiner E-Mail-Adresse registriert, erklärt sich damit einverstanden.

Nicht, dass man mich falsch versteht: Ich glaube, dieses Anlegen von Nutzerprofilen und deren Weitergabe ist ziemlicher Standard. Aber wenn ich jetzt ohne den nun präsentierten Kontext sagen wir bei diesem grau-markierten Artikel vor der neuen Paywall strande, dann weiß ich das nicht bzw. müsste erst auf die AGB und dann auf die Datenschutzerklärung klicken, und wer macht das schon?

Wie schön wäre es doch, eine zweite Option für Datensensibelchen angeboten zu bekommen: Direkt bezahlen, dafür werden keine Profile angelegt und keine Daten weitergegeben. Aber wenn ich mir die Zahl der Payback-Nutzer in Deutschland anschaue, bin ich damit wohl meine eigene Ein-Frau-Zielgruppe.   

Um noch zwei weitere, interessante Aspekte des neuen Bezahlmodells zu streifen - noch einmal Meedia

„Eine sanfte Individualisierung der Inhalte kann ich mir auch vorstellen, und sei es nur ein eingeklapptes Wirtschaftsressort auf der Homepage für Nutzer, die ein Jahr lang Wirtschaftsthemen gemieden haben’, erklärt Wegner. Das seien aber noch Gedankenspiele, Pläne für eine Individualisierung gebe es nicht, so Wegner. Größere Eingriffe sehe er sogar kritisch. ,Die User kommen ja auch auf unsere Homepage, weil sie überrascht werden wollen.’“

Schöne Idee, aber wo hat der Mann eigentlich die vergangenen Monate verbracht, als wir alle über die Gefahren von Filterblasen diskutierten?

Des Weiteren lässt sich bei Roland Pimpl und Horizont erfahren, dass die Bezahlschranke nur für diejenigen Leser sichtbar wird, die von der Homepage auf einen Artikel klicken. Wer über Google, Facebook oder Twitter kommt - sie machen fast 40 Prozent des Traffics aus - sieht diese erst, wenn ein zweiter Artikel auf der Seite aufgerufen wird. 

„Grund für die Ausnahme: Der Verlag sieht bei diesen sporadischen Besuchern zu geringe Abo-Chancen, um ihren Traffic riskieren zu wollen.“

Andererseits wird bei der Gelegenheit Blendle der Saft abgedreht, wo Top-Storys in Zukunft gar nicht mehr angeboten werden sollen. 

Wer über Facebook kommt, darf Geld und Daten behalten. Wer gezielt für einen Artikel bezahlen möchte, hat derweil Pech gehabt. Nach Zeitverlags-Ansicht ist das logisch. Nach meiner nicht so ganz.

[+++] Wenn in dieser Kolumne das Fachmagazin für Gesundheit und Selbstoptimierung (falls Sie sich selbst überzeugen wollen: bitteschön) namens Focus vorkommt, dann wurde dort vermutlich mal wieder der Chefredakteur ausgetauscht oder sonst eine Sparmaßnahme verkündet. Und richtig, inklusive eben dieses nun wiederholten Hinweises berichtet Ulrike Simon in ihrer RND-Kolumne, dass die Büros in München und Düsseldorf geschlossen, absprungbereiten Redakteuren in Berlin mit Abfindungen die Entscheidung erleichtert und die Zahl der Ressorts auf drei reduziert werden sollen. Zwei Millionen Euro sollten so eingespart werden. 

„Vielleicht wäre es ehrlicher, ,Focus’ den finalen Todesschuss zu geben, anstatt Jahr für Jahr wahlweise das Konzept zu ändern, den Chefredakteur auszuwechseln, die Redaktion zu verkleinern und dabei jedes Mal so zu tun, als werde nun alles gut. Doch das steht angeblich nicht zur Debatte. ,Proaktiv’ reagiere man, so heißt es auch diesmal, die Marke ,Focus’ sei schließlich profitabel. Die Betonung liegt auf ,Marke’.

Wirklich profitabel sind nur die Ableger, von ,Focus Money’ über ,Focus Diabetes’ bis ,Focus Gesundheit’. Sie aber wären nichts ohne das Muttermagazin, also wird ,Focus’ am Leben erhalten. Hauptsache, das Blatt schreibt keine roten Zahlen, denn ,Focus’ öffnet Burda Türen, wo sie weder eine ,Bunte’ noch eine ,Super Illu’ oder gar eine ,Freizeit Revue’ öffnen würde: zum Beispiel in die Brüsseler Medienpolitik.“

Oder, um das zu ergänzen: Focus Online. Das wäre als Markenkernträger schließlich auch denkbar, zumindest theoretisch.

Der Vollständigkeit halber, und weil es immer so unterhaltsam ist, hier noch die Sparmaßnahme aus Sicht der Verantwortlichen: 

„[BurdaNews-Geschäftsführer Burkhard] Graßmann betont indes, man habe sich entschieden, ,proaktiv die Voraussetzungen zu schaffen für ein funktionierendes modernes Nachrichtenmagazin, das auch unter wachsenden wirtschaftlichen Herausforderungen beste journalistische Qualität bietet’.“ (DWDL)

Sowie der aktuelle Focus-Chefredakteur (ja, ich musste auch erst googeln, dass dieser Robert Schneider heißt): 

„Von seiner DNA wird ,Focus’ aber nichts verlieren’, sagt er, es bleibe ein gut gemachter Nutzwert-Titel. Gut möglich, dass der ,Focus’ weiter mit Ärzte-Listen aufwartet. (W&V)

[+++] Von kleinen, verlegerischen Problemen - was tun, damit wir auch morgen noch existieren? - zu den großen, gesellschaftlichen Fragen wie der nach Fake News, Social Bots und deren Auswirkungen auf das System Demokratie. 

Aktuell hat die Universität Oxford in einer Studie im Kontext der Bundespräsidentenwahl festgestellt, dass nur 5 bis 15 Prozent der Tweets von Bots abgesetzt wurden, was im Verhältnis etwa zum Wahlgeschehen in den USA gesehen recht gering gewesen sei. Aber, so Forscherin Lisa-Maria Neudert im Gespräch mit Stefan Koldehoff bei @mediasres im Deutschlandfunk: 

„Wir haben allerdings auch noch eine zweite Komponente uns angeschaut und da ging es um Missinformation und Falschinformation im Internet. Und was wir da gefunden haben, ist, dass das Verhältnis von Information zu Missinformation momentan vier zu eins auf deutschen Medien online im Zusammenhang mit der Bundespräsidentenwahl war. Und ich denke, das […] ist doch relativ erheblich, zumal sich diese Fake-News-Debatte oft auf US-Medien stützt und oft über US-Medien, die spezifische Fake News Outlets sind, konzentriert. Es ist also definitiv auch in Deutschland ein Thema, das auf der Agenda ist.“

Das ist tatsächlich gruselig. Andererseits legt eine andere, aktuelle Studie vom National Bureau of Economic Research (für 5 $ im Original erhältlich) gerade nahe, dass das Internet und Social Media im Zweifel gar keinen so großen Anteil an dem Kippen Richtung Schwarz-Weiß-Malerei und Populismus tragen. Jacob Gardenswartz, Vox.com

„Looking at nine measures of polarization across different age groups, the researchers found that increases in polarization over 16 years were the greatest among people least likely to use the internet and social media. Polarization has increase the most among voters 75 and older, the group least likely to use the internet. […]

,We don’t take this evidence in any way to mean that what’s happening with social media is not important or that we shouldn’t worry about if people are increasingly finding themselves in filter bubbles,’ says Gentzkow, a professor of economics at Stanford and one of the researchers behind the study. ,But just that this evidence argues against [social media] being quantitatively the main force behind these trends that we see.’“

Dies sind natürlich mal wieder US-amerikanische Daten. Mal kurz drüber nachdenken kann man ja trotzdem. 


Altpapierkorb

+++ „Peter Kloeppel hat sich die Glaubwürdigkeit in über 25 Jahren erworben, seitdem er am 30. März 1992 zum ersten Mal ,RTL aktuell’ moderierte. Der 58-jährige Anchorman ist damit der dienstälteste Nachrichtenmoderator im deutschen Fernsehen – und im boulevardorientierten Privatfernsehen bereits eine Instanz für die Werthaltigkeit der Informationen.“ Das schreibt zum Jubiläum Joachim Huber im Tagesspiegel. Bei DWDL hat Thomas Lückerath die Gelegenheit ergriffen, mit Kloeppel über fehlende Job-Alternativen und Fake-News-Pionier Wolf Schneider zu sprechen. +++

+++ Buzzfeed Deutschland will jetzt auch was mit News machen und holt zum 1. April Daniel Drepper von Correctiv als Chefredakteur, meldet Meedia (Offenlegung: Als es den ersten, kurzen Vorstoß in diese Richtung gab, war ich als Autorin beteiligt. Ist aber schon ne Weile her.) +++

+++ David Denk und Claudia Tieschky haben für die Medienseite der SZ sehr intensiv beim neuen BR-Chefredakteur Christian Nitsche nachgefragt, wie oft er denn was zu moderieren gedenkt, aber auch herausgefunden, was er an VHS-VJ-Qualitäten vorzuweisen hat. Zudem steht auf der Seite eine, Überraschung, Serien-Rezension („Taboo“, Amazon Prime). +++

+++ Über Einsätze filmender Drohnen bei ARD und ZDF macht sich Martin Gropp auf der FAZ-Medienseite Gedanken (Spoiler: sind gar nicht so häufig, wie gedacht). Deren weiteres Thema ist die Netflix-Serie „13 Reasos Why“, die nach einem Jugendbuch die Geschichte eines jungen Mädchens erzählt, das sich das Leben nimmt. „Da gibt es kein Schwarz und Weiß, keine Überzeichnung, vielmehr die Schilderung eines fatalen Geschehens, zu dem jeder der dreizehn, die Hannahs Bänder erhalten, seinen Teil beigetragen hat, bewusst oder unbewusst. Auch Hannah erscheint nicht nur als unschuldiges Opfer, ihre eigenen Unzulänglichkeiten verschweigt ,13 Reasons Why’ nicht. Buch und Serie machen es sich auch nicht zu einfach, indem sie die moderne Technik als Wurzel allen Übels ausgeben. Es sind noch immer die Menschen, die Nacktbilder weiterleiten und Gerüchte in die Welt setzen“, meint Jörn Wenge. +++

+++ In der aktuellen Ausgabe epd Medien gibt es ausführliche Berichte aus den Jurys des Grimme-Preises, dazu auch aus der für Unterhaltung, die sich über den #gastoderspast-Hashtag von Oliver Polaks „Applaus oder raus!“ entzweit hatte (Altpapier). Bzw., Klaudia Wick: „Eine Mehrheitsentscheidung von 5:2 Stimmen ist meiner Meinung nach kein Hinweis auf die ,Entzweiung’ der Jury. Dass es uns nach der Entscheidung für ,Applaus und raus!’ nicht mehr gelungen ist, alle drei möglichen Preise zu vergeben, hat nichts mit dem Fernsehunterhaltungsjahr zu tun, sondern mit einer emotionalen Verkantung. Es wäre unsere Pflicht gewesen, die Pattsituation aufzulösen. Aber hinter diesem Malheur steht eine Herkulesaufgabe, an der wir in den zur Verfügung stehenden Tagen so oder so gescheitert wären. Wenn die Spruchpraxis des Grimme-Preises jene definitorischen Leerstellen der Statuten auffüllen muss, dann fehlt es der Unterhaltungsjury schlicht an Orientierung. Zu oft wurde etwas als ,Beste Unterhaltung’ ausgezeichnet, weil es sonst andernorts untergegangen wäre. Was der Kern einer Grimme-Preis-würdigen Unterhaltung sein kann, liegt also weiter allein im Auge der Betrachter, die als Juroren nach Marl reisen.“ +++

+++ Zu den Worten, die Werner Doyé nicht mehr hören kann, gehört das sich seit einiger Zeit großer Popularität erfreuende „abgehängt“, wie er bei Übermedien darlegt: „Einfach nur zu jammern, dass sich keiner um einen kümmere und man deswegen den Volksverrätern da oben mal zeigen werde, was `ne Harke ist, ist kein politischer Protest sondern unreflektiertes Gebrabbel. Dieses muss man ernst nehmen, aber nicht inhaltlich, sondern als Gefahr für unsere Demokratie.“ Darüber hinaus erklärt Stefan Niggemeier auf der Seite Anja Reschke, warum die AfD durchaus das Recht hat, ARD und ZDF abschaffen und gleichzeitig in ihren Talkshows präsent sein zu wollen. +++

+++ Was Ulrike Winkelmann, Jürgen Trittin, Karl-Rudolf-Korte und Lutz Hachmeister bei einer Podiumsdiskussion zur journalistischen und politischen Figur des Bundespräsidenten zu sagen hatten, hat die Medienkorrespondenz nun als Abschrift online gestellt. Zudem sinniert Dietrich Leder in seinem Journal über Sportwetten samt der unschönen Nebenwirkungen Wettschulden, Wettsucht und Wettmafia. +++

+++ Auf Carta macht sich NRW-Medien-Staatssekretär Marc Jan Eumann Sorgen um das Vier-Augen-Prinzip. +++

+++ „Für die Illusion lippensynchroner Verständlichkeit wird fast jeder fremdsprachige Dialog ins Stahlbad teutonischer Emphase getaucht. Während sich Skandinaviern das Wesen des Originals untertitelt erschließen darf, bügelt Deutschland vom Filmklassiker über BBC-Dokus bis zur Netflix-Serie alles glatt. Der Beelzebub zweidimensionaler Unterhaltung, er heißt Synchronisation.“ Well… wenn jemand den Tagesspiegel-Artikel von Jan Freitag über die unsägliche Synchronisationswut in Deutschland in angenehmes Englisch übertragen könnte? Vielen Dank. +++

Das nächste Altpapier erscheint am Montag.