War, Work, Wanted

War, Work, Wanted
Die Einen stellen Journalisten ein, die Anderen verklagen die Konkurrenz (aus der Reihe: Neues von Verlagen dies- und jenseits des Atlantiks). Wer mehrheitlich der öffentlichen Hand gehört, muss auch als AG der Presse Auskunft geben. Wie Journalistinnen auf das gleiche Gehalt wie Journalisten kommen könnten. Die großen "You-Are-Wanted"-Festspiele erreichen ihren Höhepunkt. Erdogan-Fanboys auf den Spuren von Andi Möller.

Bei der Washington Post lässt man sich nicht aus der Ruhe bringen. Mögen Stephen Bannon, Sean Spicer und The Donald himselfs auch von sich geben, was sie so von sich geben, etwa

###extern|twitter|realDonaldTrump/status/832708293516632065###

Bei der Post bleibt man stoisch. So stellt es zumindest Fabian Heckenberger heute auf Seite 3 der SZ da (unfrei online):

„Volksfeind Martin Baron, der sehr gerne keine Interviews gibt, obwohl er täglich mehrere Anfragen bekommt, streicht über seinen grauen Dreitagebart. Er schließt die Augenlider zur Hälfte. Das macht er immer wieder. Er sieht dann ein bisschen aus wie eine Eidechse, die in der Sonne Energie tankt. Er grummelt: ,Es ist beunruhigend, dass jemand in dieser Position so etwas ausspricht.’ Und dann: ,We are not at war with the administration. We are at work.’“ 

Die Einen müssen sich ihrer Wichtigkeit vergewissern, indem sie erwähnen, wie selten der Gesprächspartner Interviews gibt. Die Anderen nutzen diese Zeit für Bartpflege und Sekundenschlaf. Vermutlich bin ich in meiner Martin-Baron-Sicht ein bisschen zu „Spotlight“-beeinflusst, aber der Typ scheint ziemlich lässig besten Journalismus machen zu wollen, mögen um ihn herum auch Menschen mit Fackeln drohen, das Haus anzuzünden. 

Immerhin - und das unterscheidet ihn von seinen deutschen Kollegen, die unter Verlegern leiden, die mit jeder als Investition in die Qualität verkauften Veränderung nur wieder Mitarbeiter entlassen und Pressevielfalt eindampfen - muss er sich derzeit keine ökonomischen Sorgen machen:

„Von den einst 900 Redakteuren waren 2013 noch etwa 500 übrig. Jetzt sind es wieder 750: Online-Redakteure, Social-Media-Experten, aber auch mehr Reporter für Politik und investigative Geschichten, die im modernen Büroturm, in den die Post im Dezember 2015 umgezogen ist, in den Etagen sieben und acht arbeiten. Im sechsten Stock sitzen die Entwickler, die Bezos eingestellt hat, um schnellere und einfach zu bedienende Apps zu entwickeln oder ein Redaktionssystem zu bauen, mit dem die Journalisten ihre Texte direkt auf verschiedenen digitalen Plattformen veröffentlichen können.“

Investitionen in Personal und Technik - ein Traum! Was uns nun zu dem bringt, womit sich deutsche Verlagshäuser derzeit beschäftigen. Das ist nämlich nicht den guten Journalismus in Zeiten der „Lügenpresse“-Rufe und des wachsenden Nationalismus zu stärken, zumindest nicht nur, sondern die Frage, ob öffentlich-rechtliche Sender nicht vielleicht doch ein wenig zu sehr nach Zeitung aussehen, wenn sie Inhalte im Internet veröffentlichen. 

Bereits am Mittwoch war hier Thema, dass eine gütliche Einigung zwischen BDZV und Sendern in der Frage gescheitert war. Diemut Roether schreibt dazu im aktuellen epd medien (derzeit nicht online): 

„Die Gemeinsame Erklärung, über die es seit Monaten Gespräche zwischen ARD und BDZV gab, war ARD-intern sehr umstritten. Fachleute hatten nach epd-Informationen abgeraten, diese zu unterzeichnen. Der kürzlich in den Ruhestand verabschiedete HR-Justiziar Jürgen Betz sagte dem epd, die Unterzeichnung dieser Erklärung käme einem ,Selbstmord aus Angst vor dem Tod’ gleich.“

Nun meldet Ulrike Simon in ihrer aktuellen RND-Kolumne, der Verband der Zeitungsverlage in Berlin und Ostdeutschland plane, juristische Schritte gegen den RBB einzuleiten, so wie es vor einer Woche schon vier Verlage aus Norddeutschland gegenüber Radio Bremen angekündigt hatten (Bericht im mit-klagenden Weser-Kurier). Verlage in anderen Regionen sähen das zwar entspannter

(„Der Geschäftsführer des Verbands Südwestdeutscher Zeitungsverleger sagte, aus seiner Sicht sei das SWR-Angebot unproblematisch. Ähnliches hörte ich über den NDR: Weder die Vertreter des Nordwestdeutschen noch des Norddeutschen bzw. Hamburger Zeitungsverlegerverbands erkennen auf den Seiten der Vierländeranstalt einen Verstoß gegen das Verbot der Presseähnlichkeit. Im Saarland und in Rheinland-Pfalz scheinen die Prioritäten ohnehin andere zu sein als sich mit der ARD herumzuplagen, und in Bayern haben die Verleger den Streit um ,br24’ nach anfänglichen Klagen bereits beigelegt.“)

Aber:

„Aktuell lotet [der BDZV] aus, welche überregional tätigen Verlage bereit und klagefreudig genug sind, gegen das vom Hessischen Rundfunk verantwortete Portal boerse.ard.de und das vom WDR federführend betreute Portal sportschau.de vorzugehen. Parallel führt er Gespräche mit der EU-Kommission, bestätigt der im Verband für Medienpolitik zuständige Helmut Verdenhalven.“

Mir ist schon klar, dass aus Sicht eines privaten Medienunternehmens die zumindest derzeit gesicherte Finanzierung öffentlich-rechtlicher Anstalten als unfair empfunden werden kann. Dennoch würde ich gerne kurz zu dem Gedankenspiel einladen, wie es wäre, wenn das gerade in Rechtsstreits und die Analyse von rbb-online.de gepulverte Geld in guten Journalismus gesteckt würde, sodass Leser etwa wie dieser Tage bei der Washington Post oder der New York Times Abos abschließen, nur weil sie den Zeitungen diese Art Arbeit weiter ermöglichen wollen. Einfach mal mit einem guten Produkt zu punkten, statt die Konkurrenz wegzuklagen  - wäre das nicht verrückt? Es wäre verrückt. Und schön. Aber offenbar undenkbar. 

[+++] Daran anknüpfend rasch ein Beispiel, wie man, wenn man denn unbedingt vor Gericht ziehen will, auch diesen Gang für die Stärkung des Journalismus nutzen kann: Der Bundesgerichtshof hat gestern entschieden,

„dass der presserechtliche Auskunftsanspruch auch gegenüber Aktiengesellschaften geltend gemacht werden kann, die im Bereich der Daseinsvorsorge (hier: Wasser- und Energieversorgung, Abwasserentsorgung) tätig sind und deren Anteile sich mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand befinden.“ (Quelle: Pressemitteilung des BGH)

Die Hintergründe hat Meedia

„Geklagt hatte der Investigativ-Journalist David Schraven, der Auskünfte der Gelsenwasser AG erhalten wollte. Die Aktiengesellschaft, deren Anteile mehrheitlich von Kommunen gehalten werden, hatte dem Journalisten die Herausgabe von Informationen verweigert. Schraven recherchiert zur Finanzierung von Wahlkampf-Blogs der SPD aus den Jahren 2010 und 2013. Schraven wollte unter Berufung auf das Auskunftsrecht in Erfahrung bringen, ob Gelsenwasser die Blogs indirekt finanziert hat.“

Um kurz aus dem lokaljournalistischen Nähkästchen zu plaudern: Diese Entscheidung ist so hilfreich! Danke, Correctiv, die man fast sympathisch finden müsste, weil sie immer wieder solche Rechte auch vor Gericht einfordern, wenn sie Erfolge nicht so unangenehm zu feiern wüssten:

„Sieg! Wir haben vor dem BGH gewonnen. Die Gelsenwasser AG muss uns Auskünfte zu Auftragsvergaben geben. Ein Streit, der gut vier Jahre gedauert hat, ist zu Ende. Das Urteil ist rechtskräftig. Wenn wir jetzt nicht zügig Auskünfte kriegen, schicken wir Gerichtsvollzieher.“ (Facebookpost gestern)

[+++] Da das Altpapier morgen nicht erscheint, folgt nun schon heute ein Bericht zum Thema Equal Pay Day. Dass auch im Journalismus Männer mehr verdienen als Frauen, wird seit dem Gang einer ZDF-Reporterin vor Gericht debattiert (zuletzt im Februar Thema im Korb). In der taz analysiert Sarah Pache, die auch an der übersichtlichen Website „Faktor XY - Warum Journalistinnen weniger verdienen…“ beteiligt ist, die Frage, ob sich die über 20 Prozent Unterschied ausschließlich mit Elternzeit und weniger Chefposten für Frauen erklären lassen: 

„Wer erstens weniger arbeitet und zweitens kaum Verantwortung trägt, der verdient weniger. Das ist eine Logik des Marktes, der sich auch der Journalismus nur schwer entziehen kann. Dass es aber mehrheitlich Frauen sind, denen es so ergeht, ist weder logisch noch gerecht. Auch mit gleicher Berufserfahrung und Vollzeitanstellung verdienen Journalistinnen durchschnittlich 5,6 Prozent weniger als Journalisten. Viele Erklärungen bleiben da nicht mehr, außer der Tatsache, dass Journalistinnen nun mal Frauen sind.“

Das Problem ist also erkannt und beschrieben. Da wäre es doch schön, sich auch mit seiner Lösung auseinanderzusetzen, was mich dazu bringt, ausnahmsweise mich selbst zu zitieren und einen Artikel aus der aktuellen Ausgabe des DJV-Magazins Journalist, der leider nicht online verfügbar ist, weil es nach dem Verlagswechsel noch keine neue Website gibt. 

Also:

„Als Lösung des Problems nennt [Zeit-Online-Betriebsratsvorsitzende Tina] Groll, neben der Einführung von Tarifen auch Transparenz. Das Recht, das Gehalt der Kollegen zu erfahren, wünscht sie sich auch für Redaktionen mit weniger als 200 Mitarbeitern. Zudem fordert sie die Betriebsräte auf, regelmäßig Einsicht in die Lohnstruktur zu nehmen.

Freien und Redakteuren kleinerer Unternehmen ohne gewerkschaftliche Strukturen hilft das wenig. Doch diesen bleibt noch, sich selbst zu engagieren. ,Gerade Frauen trauen sich oft nicht, jedes Jahr neu über ihr Gehalt zu verhandeln. Doch dieses Recht sollten Sie wahrnehmen, meint Groll. Und Angelika Knop [Equal-Pay- Expertin des Journalistinnenbunds] rät: ,Erkundigen Sie sich bei Ihrer Gewerkschaft, Kollegen oder Freunden, was Sie verlangen können, bevor Sie Ihr Gehalt oder Honorar verhandeln.’“


Altpapierkorb

+++ Die großen „You Are Wanted“-Festspiele erreichen heute ihren Höhepunkt, indem die Sendung nun endlich streambar wird, und das zieht einen Stapel Rezensionen nach sich, etwa von Joachim Huber im Tagesspiegel („,You Are Wanted’ ist ein Paradebeispiel der Erwartungsökonomie. Eine Story, fokussiert auf die männliche Hauptrolle, die wiederum auf ihren Star fokussiert ist. Das müsste funktionieren. Die Amazon-Serie ist ambitioniert genug, kein allzu starkes Gefälle zum Umfeld zuzulassen“), Katharina Riehl in der SZ („Ziel sei es, in Deutschland die am meisten abgerufene Serie in der Geschichte des Streamingdienstes zu werden, sagt Schneider. Das schafft man nur, wenn man sich mit seinen Darstellern und seiner Geschichte an ein großes Publikum richtet. Das ist vermutlich der Grund, dass ,You Are Wanted’ streckenweise dann doch stärker an einen Tatort erinnert als an das von Schweighöfer bemühte ,House of Cards’“ ), Michael Hanfeld in der FAZ („Es rächt sich, dass ,You Are Wanted’ die One-Man-Show von Matthias Schweighöfer ist. Es war keine so gute Idee, den Atlas zu spielen, auf dessen Schultern alles lastet“), Cornelius Oettle in der taz („Auch grenzplausible Entwicklungen und Klischees bar ironischen Bruchs lassen stöhnen“) und Frank Preuß im Hamburger Abendblatt („Die erste deutsche Serie bei einem Streamingdienst – ein noch sehr vorsichtiger Ausflug. Da muss mehr kommen“). +++

+++ Die Wahl zum Social-Media-Team des Tages gewannen gestern die Kollegen von Spiegel-TV, als sie per Facebook den „[l]iebe[n] Erdo?an-Fanboys“ mitteilten, dass sie „gestern gar keine Sendung hatten. Aber wir erklären uns einfach mal solidarisch mit den Kollegen von stern TV.“ Die Hintergründe haben stern.de (vor dem Klick würde ich den Lautsprecher leise drehen. Bitteschön) und natürlich Meedia als Gelegenheit für einen Text erkannt, wobei Letztere schon in der Überschrift alles verraten: „Liebe Erdogan-Fanboys: So elegant kontert Spiegel TV die Hass-Kritik zu einem Beitrag, den es nicht gab“. Spiegel oder Stern TV: Hauptsache was mit Fernsehen.+++

+++ Einen Überblick über die Kritik an Heiko Maas’ Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Altpapier) hat Patrick Beuth bei Zeit Online zusammengetragen. +++

+++ Über die Karikatur einer Staatsferne im neuen ZDF-Verwaltungsrat berichtet im aktuellen epd medien (derzeit nicht online) Michael Ridder: „Gleich drei Ex-Politiker dürfen auf dem ,staatsfernen Ticket’ in das Aufsichtsgremium einziehen, dem auch vier Vertreter der Bundesländer angehören werden. Formal korrekt, denn die Inkompatibilitätsvorschriften des neuen ZDF-Staatsvertrags wurden dabei eingehalten - das heißt, die ehemaligen Politiker sind schon lange genug (mindestens 18 Monate) ehemalig. In der Sache wurde freilich das Karlsruher ZDF-Urteil konterkariert. Der SPD-Politiker Martin Stadelmaier etwa, der von 2003 bis 2013 als Staatssekretär in Rheinland-Pfalz die Medienpolitik der Bundesländer koordinierte, bringt zwar viel Expertise mit, die ein Verwaltungsrat gut gebrauchen kann - ihn aber als staatsfern zu bezeichnen, wäre ungefähr so, als würde man behaupten, Oliver Kahn stehe nicht mehr der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nahe.“ +++ Zudem thematisiert Cornelia Holsten die wachsenden Probleme, immer subtilere Werbeformaten auch als Werbung kenntlich zu machen. +++

+++ In der Schweiz schickt sich Constantin Seibts Projekt R (Altpapier) an, mit einem Crowdfunding Richtung Start zu ziehen, und in der Medienwoche analysiert René Zeyer, dass mit zu wenig Geld kalkuliert wird, während Rainer Stadler in seiner NZZ-Kolumne die Nachhaltigkeit der ganzen Aktion in Frage stellt: „Heikler wird es, wenn die spontane Spende zur jährlichen Pflicht werden soll, wenn der Gönner letztlich in die Rolle eines Abonnenten gerät. Die Zeitungsverlage, die weitaus dickere Informationspakete als das Projekt R versprechen können, waren bisher bloss mässig erfolgreich beim Versuch, ihren Kunden Online-Abonnements schmackhaft zu machen.“ +++

+++ Für den Tagesspiegel hat Stefan Meyer Michael Born interviewt, der für gefälschte Fernsehbeiträge zu einer Zeit, als diese noch nicht Fake News hießen, im Gefängnis saß, und der zum aktuellen Programm meint: „Was ich mir hauptsächlich anschaue, ist der Knopf zum Abschalten. Ich weiß warum. Und wenn doch Fernsehen, dann Elefanten, Krokodile und Naturdokus. Da ist mir dann auch egal, dass auch das nicht fälschungsfrei abgeht. Ein mir bekannter Naturfilmer erklärte mir mal, wie man eine Vogelkolonie dazu bringt, gleichzeitig für die Kamera abzuheben. Na, haben sie eine Idee? Mit Silvesterkrachern!“ +++

+++ Im VDZ ist demnächst ein Chefposten neu zu vergeben. Gesucht wird ein Nachfolger von Manfred Braun, Vorstandsvorsitzender im VDZ-Fachverband Publikumszeitschriften und Funke-Manager, und nachdem es im vergangenen Jahr so viel Ärger um die Wahl des Funke-Mitgesellschafters Stephan Holthoff-Pförtner zum VDZ-Präsidenten gab (Altpapier), sei das natürlich eine spannende Sache, schreibt Gregory Lipinski bei Meedia. +++

+++ Aldi klickt gut. Wissen auch deutsche Medien, die völlig ausrasten, wenn der „Kult-Discounter“ (brigitte.de) in einer westdeutschen Fußgängerzone einen Werbestand Pop-Up-Store eröffnet. Das Supermarktblog berichtet. +++

+++ „Und wenn Brigitte die Mutter ist, dann ist F Mag die erwachsene Tochter, die gerade von Zuhause ausgezogen ist.“ Carolina Schwarz in der taz über das F Mag (Altpapier). +++ 

Das nächste Altpapier erscheint am Montag.