Ministeriale Poesie

Ministeriale Poesie
It was the best of times, it was the worst of times (aktuelle Zusammenfassung des Zustands des Journalismus). Unsere Regierungsberichte sollen schöner geschrieben werden (und dem Urheberrecht unterliegen). Deutsche Verlage fordern von ihren Autoren Solidarität (und Geld). Rupert Murdoch saß heimlich hinterm Vorhang (oder unterm Tisch). Neue Meinungen zum Spiegel-Cover sind da (falls noch jemand welche braucht).

Wäre der Journalismus ein Mensch, sollte so langsam mal jemand nach einem Sauerstoffzelt telefonieren. 

„Es war Ende Januar bei einem Journalismus-Forum der Nieman-Stiftung an der Harvard Universität in Massachusetts. Es ging um die Zukunft der Medien. Vor nicht allzu langer Zeit wären Macher zu so einem Gespräch zusammengekommen, um über den ,Tod des Geschäftsmodells’ Journalismus zu sprechen, sagte Ann Marie Lipinski, Kuratorin der Stiftung. Doch jetzt rede man über sehr grundsätzliche Fragen, über das Wesentliche am Journalismus und die ,Zukunft einer Demokratie mit Journalismus in ihrem Mittelpunkt’. Trump ist nämlich seit ein paar Wochen Präsident.“

So fasst Konrad Ege in der aktuellen epd-medien-Ausgabe, in der er in aller Ruhe die ersten Medienwochen unter Donald Trump analysiert, die Lage zusammen (derzeit nicht online). 

„Die NYT und zahlreiche Zeitungen und Rundfunksender haben in der Tat viel aufgedeckt zu Trump. So what? Bei allen guten Gefühlen zeigt sich eine gewisse Machtlosigkeit. Trotz stapelweise kritischer Kommentare legt Trump seine Steuererklärungen nicht vor, und er behält als Präsident die Kontrolle seiner Wirtschaftunternehmen.“

Kein Geld, keine Ansehen, keine Macht: Journalismus. Freunde einer demokratischen Weltordnung dürfen jetzt kurz entsetzt theatralische Moves vollführen, bis ihnen auffällt, dass das ja immer noch Deutschland hier ist, und da sieht die Regierung die freie Presse bislang ja noch als elementar an und nicht als Opposition. 

Oder?

„Regierungsberichte sind urheberrechtlich geschützt. Die Bundesregierung kann deshalb die Veröffentlichung von geleakten Dokumenten grundsätzlich gerichtlich untersagen lassen. Dieses Ergebnis zeichnet sich nach einer Verhandlung am Bundesgerichtshof (BGH) ab, bei der die Bundesregierung mit der Funke-Mediengruppe stritt.“

Das berichtet Christian Rath in der taz aus der Verhandlung über die Veröffentlichung vertraulicher Berichte über Auslandseinsätze der Bundeswehr in der WAZ (Codewort „Afghanistan-Papiere“) von fünf Jahren (zuletzt Altpapierkorb im Juli). 

„Geschützte Werke? Sind die Ministerialbeamten in Wahrheit Poeten, deren geistige Werke vor öffentlicher Ausbeutung geschützt werden müssen? Natürlich diente das Urheberrecht dem Ministerium nur als Krücke, um den aus seiner Sicht unzureichenden Geheimnisschutz auf Umwegen doch noch durchzusetzen. Es könnte allerdings sein, dass es mit dieser Krücke relativ weit kommt“,

erklärt dazu auf der Medienseite der SZ (unfrei online) Wolfgang Janisch, um dann folgende Einordnung anzuschließen:

„Der BGH wird sein Urteil am 1. Juni verkünden, und die lange Frist deutet auf grundsätzliche Aussagen hin. Zu klären ist nämlich die große Frage, ob hier am Ende nicht doch die Pressefreiheit des Grundgesetzes den Ausschlag gibt. Ob also, jenseits des Paragrafen-Kleinklein, die Geheimhaltungsinteressen des Staates gegen die Kontrollfunktion der Medien abgewogen werden müssen. ,Das ist investigativer Journalismus’, sagte WAZ-Anwalt Thomas von Plehwe. ,Das ist der Kernbereich der Pressefreiheit.’“

Dass die Bundesregierung eher unentspannt reagiert, wenn Medien Details zur Bundeswehr veröffentlichen, hat Tradition, und für Brauchtumspflege haben wir hier natürlich Verständnis. Darüber aber mal eben das Leaken von Dokumenten zu verbieten, ist echt nicht okay. Zumal ich mich frage, welche Folgen das noch alles hätte, wenn Regierungsberichte plötzlich dem Urheberrecht unterlägen? Darf dann noch aus Gesetzesvorlagen ausführlich zitiert werden? Kommen die Ministerialbeamten alle in die VG Wort? Ist das Verteidigungsministerium damit ein Verlag und darf sich selbst viertegewaltieren? Und wenn diese Berichte wirklich geistige Werke sind, wann teilt den Autoren endlich jemand mit, dass sie mit ihren sprachlichen Fähigkeiten besser Gärtner geworden wären? 

Konsequent zu Ende gedacht erscheint das alles noch nicht. Aber das Urteil steht ja auch noch aus.

[+++] Höchste Zeit für gute Nachrichten. Die gibt es für alle, die sich an euphemistischen Verlagsmitteilungen auch nur halbso erfreuen, wie ich es tue. Denn es gibt Nachschub, und zwar kistenweise, denn deutsche Medienhäuser haben begonnen, ihre Autoren dazu aufzufordern, freiwillig auf das Geld zu verzichten, das ihnen nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem April zusteht (Altpapier). 

Mir persönlich liegt ein Exemplar vor, das ganz selbstlos zu dem Schluss kommt, „dass Verlage und Urheber gut beraten sind, an der vertraglich zwischen ihnen vereinbarten Aufteilung von Werkerlösen (…) festzuhalten.“ In der taz zitiert Peter Weissenburger aus einem Schreiben an die Autoren der Süddeutschen Zeitung: 

„Darin wird ,in Abstimmung mit den Chefredaktionen’ darum gebeten, gegenüber der VG Wort eine Verzichterklärung einzureichen, um ,den erprobten ursprünglichen Zustand wieder herzustellen’. (…) Im Schreiben argumentiert der Verlag, ,nur das Zusammenwirken von Verlagen und Autorinnen/Autoren in der VG Wort gegenüber der Geräteindustrie’ sichere ,langfristig die Einnahmen aller’.“

Wir wollen nur den erprobten ursprünglichen Zustand wieder herstellen! Wäre ich Reichsbürger, stände das auf meinem Plakat. 

Immerhin (weiter in der taz): 

„Da das Verzichtsverfahren der VG Wort bisher anonym verläuft, wird der Verlag nicht nachvollziehen können, wer tatsächlich verzichtet hat. Ein Druck, wie ihn Journalistenverbände befürchten, kann also nicht ausgeübt werden.“

Aber armselig bleibt das Ganze doch, zumal zu Beginn der Debatte noch von maladen Kleinstverlagen die Rede war, die unter dem Urteil ächzen, und nicht u.a. von einer der größten deutschen Tageszeitungen. 

Ja, ich weiß, so werden diese argumentieren: Uns geht es auch schlecht, und gerade in Zeiten wie diesen müssen Verlage und Journalisten doch solidarisch miteinander sein. Ganz recht, zumindest in dem Dokument vor meiner Nase steht tatsächlich etwas von Solidarität. Von Autoren-Seite aus ist die jedoch schon seit Jahren in den aktuellen Honoraren mit eingepreist. Jetzt könnten sich die Verlage mal revanchieren.

[+++] So sind aus guten am Ende doch wieder schlechte Nachrichten geworden, und so kann man doch niemanden ins Wochenende entlassen. Daher folgt nun ein Auftritt von Imre Grimm, der in der HAZ aus den Abo-Zuwächsen US-amerikanischer Zeitungen folgende positive Entwicklung herausliest: 

„Das Bewusstsein für den Wert sauberen Journalismus scheint wieder zu wachsen. Offenbar ist in Zeiten, in denen die universale Gültigkeit von Fakten zur Disposition steht, in denen der gesellschaftliche Konsens über die Bedeutung allgemeiner Gewissheiten aufweicht, das Bedürfnis groß nach Instanzen, die sich der Wahrheit zumindest verpflichtet fühlen, auch wenn sie objektiv kaum jemals zu erreichen ist. (…)

Der Wahlkampf ,könnte das Beste gewesen sein, was der freien Presse in jüngster Zeit passiert ist’, sagt Gene Policinski vom Newseum Institute in Washington. ,Nicht so sehr, was langfristige Auflagen und Quoten angeht – sondern weil er trotz aller lautstarken Vorwürfe von Parteilichkeit die Menschen daran erinnert hat, welchen grundsätzlichen Wert freie, auf Fakten basierende Medien haben.’ Und weil er die Presse zwang, sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zu besinnen.“


Altpapierkorb

+++ Andererseits: „Mir lag an dem Abend zu viel Einsicht, Demut und Hinnahme in der Luft, dafür zu wenig Mut, Unnachgiebigkeit und Zorn. Ein paar von uns braucht es schon, die sagen, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Wer sich nur noch klein macht, wird übersehen, wer leise ist, überhört.“ (Ulrike Simon in ihrer RND-Kolumne über den Abend, an dem das Medienmagazin mal wieder die Journalisten des Jahres ehrte.) +++

+++ Breaking News der Financial Times: „Rupert Murdoch secretly sat in on interview with Donald Trump“. „Unterm Tisch? Hinterm Vorhang? Auf dem Kronleuchter? Oder frei schwebend, wie yoda?“, twitterte daraufhin Nils Minkmar, doch ganz so einfach abtun sollte man die Enthüllung nicht, meint zumindest Spiegel Online: „Sollte der Medienmogul tatsächlich bei dem international viel beachteten Doppelinterview anwesend gewesen sein, könnte dies als Hinweis gedeutet werden, dass es wieder zu einer starken Allianz zwischen Murdochs Konzern und dem neuen Mann im Weißen Haus kommen könnte. Dies wäre nicht unbedeutend für Trump, der mit vielen großen Medien über Kreuz liegt.“ +++

+++ Als weitere Meinungen zum heute noch aktuellen Cover des Nachrichtenmagazins Der Spiegel (in dieser Woche dieses und dieses Altpapier) und seiner Nachahmung durch Charlie Hebdo (dieses Altpapier) sind reingekommen: Ursula Scheer/FAZ („So werden sie zu Mitspielern der Trump-Show statt zu ihren Entzauberern. Wenn die schlappe ,Charlie Hebdo’-Variation des ,Spiegel’-Covers etwas zeigt, dann eines: wie schnell Satire stumpf werden kann“), Joachim Huber/Tagesspiegel („Das ,Spiegel’-Cover besaß noch starke Suggestion und feine Subtilität, als Trump keinen Menschen, sondern ein Symbol enthauptet hatte. ,Charlie Hebdo’ lässt schon beides vermissen“), Ulrich Reitz/kress.de („Wäre der ,Spiegel’ ein Satire-Magazin, das Cover des neuen Hefts ginge in Ordnung“) und Thorsten Grothe/ebenfalls kress.de ( „Für Trump-Anhänger, die die Mainstream-Presse schon länger durchschaut zu haben glauben, ist ein solches Cover Wasser auf ihre Mühlen. Das kann nicht gut sein.“), wo man einfach weiß, ein virulentes Thema zu spielen, bis der letzte mögliche Klick ausgereizt ist. Eine bildungsbürgerliche Ergänzung hat derweil Dietrich Leder in seinem Journal bei der Medienkorrespondenz: „Verblüffend an dieser Debatte ist allein, dass (soweit feststellbar) keiner auf das tatsächliche Bildmotiv verweist, das Vorbild, dessen sich der Illustrator wohl unbewusst bediente. Es handelt sich um die Bronzestatue des Perseus, die der italienische Bildhauer Benvenuto Cellini im 16. Jahrhundert erstellte und in Florenz, wo sie heute noch steht, aufstellen ließ.“  +++

+++ Über das EU-geförderte Forschungsprojekt „Pheme“, das Falschmeldungen maschinell auslesen soll, berichtet auf der FAZ-Medienseite Fridtjof Küchemann. +++

+++ Zumindest fürs Erste bekommt Hamburg doch keine weitere Tageszeitung (zuletzt Altpapierkorb Ende Januar): Nach dem plötzlichen Tod des Unternehmensgründers hat Care Energy das Projekt erst einmal eingefroren (Marvin Schade/Meedia). +++

+++ Wenn alle Medien visuell aufrüsten - was macht dann eigentlich das Radio? Dieser Frage geht Nora Frerichmann im aktuellen epd medien (derzeit nicht online) nach. +++

+++ Wie das ist, wenn die Medienkrise so weit gediehen ist, dass Verlage pleite gehen, lässt sich derzeit in Griechenland am Medienkonzern Lambrakis Press Group (DOL) und seinem Flaggschiff, der Tageszeitung Ta Nea beobachten, die gestern einfach nicht erschien. „Ein Gericht hatte am Dienstag zugunsten der Gläubigerbanken des Medienkonzerns entschieden, dem daraufhin keinerlei Kredite mehr für eine Umstrukturierung zur Verfügung stehen. Die etwa 500 DOL-Beschäftigten sind bereits seit sechs Monaten ohne Bezahlung. Jetzt droht ihnen die Arbeitslosigkeit“, berichtet Der Standard. +++

+++ Bereits am Mittwochabend wurden in Berlin die ersten fünf Minuten der Tom-Tykwer-Wir-Deutschen-können-das-auch-Serie „Babylon Berlin“ präsentiert, die im Oktober bei Sky und 2018 im Ersten laufen wird. „Klar ist schon jetzt: Die Handelnden sind mächtig stolz auf ihre Prestige-Serie“, meint Judith Pfannenmüller bei W&V. Was in den paar Minuten zu sehen war und über Parallelen zwischen den 1920ern und heute berichten Kurt Sagatz im Tagesspiegel und Torsten Zarges bei DWDL. +++

+++ Für die Jüdische Allgemeine hat Altpapier-Kollege René Martens Peggy Parnass porträtiert, die vor dem Holocaust nach Schweden flüchtete und später u.a. für Konkret Gerichtsreportagen schrieb. „Das Markenzeichen ihrer Artikel war ein maximal persönlicher Stil, der mit dem Begriff der ,teilnehmenden Beobachtung’ noch unzureichend beschrieben wäre. Über den Prozess gegen den 1975 verhafteten Frauenmörder Fritz Honka (…) schrieb sie zum Beispiel: ,Ich halte es mal wieder nicht aus, einen Angeklagten isoliert zu sehen. Angeglotzt, ausgelacht, aussätzig. Am Schandpfahl. Wenig unterscheidet uns von den Schaulustigen früher bei öffentlichen Hinrichtungen.’“ +++

+++ Wikipedia akzeptiert die Daily Mail nicht mehr als glaubwürdige Quelle, berichtet der Guardian, berichtet die taz. +++

+++ „In ,Girls’ schien es keine Grenzen zu geben. Analsex über eine ganze Folge lang? Kein Problem. Der Vater wird schwul? Klar, ein Thema für drei Folgen. Deine Eltern drehen nach dem College den Geldhahn zu und du sollst für eine langweilige Lifestyle-Zeitschrift Dinge erfinden? Niemals, nein, sofort kündigen. Selten wurde von einer Welt, die nur einfach erscheint, es aber nicht ist, so frisch, so präzise, so universell erzählt wie in ,Girls’.“ Anne Philippi schreibt auf der SZ-Medienseite schon mal einen Abgesang auf die Serie, deren sechste und letzte Staffel nun in den USA startet. +++ 

+++ Falls Sie sich für des ESC interessieren sollten, wissen Sie vermutlich schon Bescheid. Aber der Vollständigkeit halber: Levina wird für Deutschland antreten. Das steht überall. +++

Frisches Altpapier erscheint wieder am Montag.