Hurra, neues Look and Feel

Hurra, neues Look and Feel
Noch eine gute Nachricht: Das zarte Informationsfreiheitsgesetz wird stärker. Und das ZDF wird online netflixiger. Die übrigen Nachrichten sind weniger gut: Die Zeitungs-Auflagenrückgänge erreichen zweistellige Prozentwerte. Der "Chor der Hauptstadtpresse" wird weiter leiser. Und wie sinnvoll ist es, unter James-Bond-Überschriften über Geheimdienst-Gesetze zu berichten? Außerdem: die erste öffentlich-rechtliche Snapchat-Soap.

Eine gute Nachricht für Journalisten, am Journalismus Interessierte und überhaupt Bürger: Die Antwort auf die am Mittwoch hier gestellte Frage "Muss das Innenministerium nun endlich das Geld herausrücken, das es einst zwei Investigativjournalisten abgeknöpft hat?" lautet: Ja (Az. BVerwG 7 C 6.15).

Das noch zarte, eher wenig bekannte und selten angewandte Informationsfreiheitsgesetz wurde letztinstanzlich gestärkt. "Niemand braucht in Zukunft mehr hohe Gebühren zu fürchten, wenn er bei einer Behörde Auskünfte beantragt", fasst correctiv.org, inzwischen Arbeitgeber des Klägers Daniel Drepper, die Sache zusammen. Drepper und Co-Kläger Niklas Schenck bekommen sogar "nicht nur die gut 12.000 Euro Gebühren erstattet", die das Innenministerium für "Einsicht in insgesamt 100 Akten zur deutschen Sportförderung" verlangt hatte, "sondern auch die mehr als 2000 Euro Kopierkosten". Künftig dürfe so was insgesamt maximal 500 Euro kosten.

Der DJV, der die Klage unterstützte, freut sich ebenfalls ("Schlappe für Ministerium"). Ferner berichtet z.B. Spiegel Online.

[+++] Eine nicht so gute Nachricht für am Journalismus Interessierte und Bürger, dagegen keine Schlappe fürs Innenministerium: Die Informationsfreiheit des Bundesnachrichtendienstes wird heute durch den Gesetzgeber kräftig erhöht. Es gebe "fast keine Berichterstattung" über "eines der größten Überwachungsgesetze unserer Geschichte" klagte netzpolitik.org per gestern hier verlinktem Tweet. Das bleibt ziemlich richtig.

Wer etwa die Süddeutsche Zeitung aufschlägt, die gelegentlich als "linksliberal" beschrieben wird, muss bis zur Seite 5 blättern, um auf den Bericht darüber zu stoßen. "Ungerührt von den Stürmen, die Bürgerrechtler, Datenschützer und selbst der ehemalige BND-Präsident Gerhard Schindler dagegen entfacht haben, ist die Reform recht ruhig ins Ziel gesegelt", schreibt Ronen Steinke ebenfalls recht ruhig unter der Überschrift  "Ein Quantum Trost".

Gewiss gibt es Gründe, das neue BND-Gesetz als in Ordnung zu empfinden (oder sogar als "großen Erfolg der SPD. Wir haben massive Widerstände überwinden müssen. Kein Staat weltweit hat ein ähnliches Gesetz", wie SPD-Vertreter Christian Flisek im TAZ-Interview sagt). Gewiss bieten James-Bond-Filme vor allem beliebte Unterhaltung und erfüllen bloß ein wenig die Funktion, Akzeptanz für gute Geheimdienste zu erhöhen. Aber unter einem James-Bond-Filmtitel über neue Geheimdienst-Gesetze zu berichten, ist schon völlig unabhängig von dem gelangweilt-launigen FAQ-Sound, der dann darunter steht, ein Griff ins Klo. Wer Beispiele dafür sammelt, wie die Süddeutsche Zeitung ihr ehemaliges Renommee auch ohne Not herunterwirtschaftet, sollte den Artikel jedenfalls, äh, ausschneiden.

Immerhin funktioniert der Binnenpluralismus bei der SZ noch, Thorsten Denkler sah es wohl ähnlich und hat spät oder früh (veröffentlicht heute um 5.02 Uhr) für Online eine extrem gegenteilige Analyse desselben Gesetzes geschrieben. Darin steht z.B., dass

"der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages schnell gezeigt [hat, dass] nicht nur die Amerikaner ... alle Grenzen überschritten haben auf der Jagd nach Daten. Auch der Bundesnachrichtendienst hat ordentlich mitgemischt, hat Gesetze gedehnt und gebogen, dass es hätte quietschen und krachen müssen."

Und:

"Der BND saugt täglich Terabytes von Metadaten aus dem Netz. Das sind Daten, mit denen eine E-Mail oder eine Internet-Anruf ihre Empfänger finden. ... Eine schlichte Mobilfunknummer reicht, um den Besitzer des dazugehörigen Mobiltelefons zu einer Zielscheibe im US-amerikanischen Drohnenkrieg zu machen. Der BND gibt bereits heute Monat für Monat 1,3 Milliarden Metadaten an die NSA weiter. Und hofft, dass die schon nichts Schlimmes damit anstellen wird. Statt diese Datenflut einzudämmen, war es von Anfang an das oberste Ziel der Innenpolitiker der großen Koalition, den BND in seiner Handlungsfähigkeit auf keinen Fall zu beschneiden. Das ist ihnen mit dem neuen Gesetz hervorragend gelungen."

Dieser Artikel stand am Morgen ganz oben auf sueddeutsche.de und hat wahrscheinlich eine höhere Reichweite als der von der gedruckten S. 5. Siehe natürlich auch erneut netzpolitik.org.

[+++] Die frischen Auflagen-Zahlen fürs dritte Quartal 2016 sind rausgekommen und wie immer schön aufbereitet von Jens Schröder bei meedia.de. Da steht die Süddeutsche Zeitung mit minus 4,7 Prozent gegenüber dem dritten Quartal 2015 noch vergleichsweise gut da. Wobei sämtliche Vergleichswerte heftig sind: Alle Auflagen sinken, bei fünf der sieben überregionale deutschen Tageszeitungen noch deutlich stärker. Zweistellig in Prozent sanken sie bei der Bild-Zeitung, Springers Welt sowie, im Wochenzeitungs-Segment, bei der FAS.

Wer das Positive bzw. hohe schwarze Zahlen sucht, hat's auch schwer, daraus sein Quantum Trost zu beziehen. Den einzigen in Prozent zweistelligen Zuwachs verzeichnet die wöchentliche Junge Freiheit.

[+++] Wenn jemand Lesern erklären will, was die Berliner Zeitung ist, war oder hätte sein sollen, fällt immer noch das Stichwort Washington Post. "Die 'Berliner Zeitung', die sich unter Chefredakteur Erich Böhme nach dem Mauerfall zur deutschen 'Washington Post' wandeln sollte", heißt's heute im Tagesspiegel. Für stark in der Gegenwart verankerte Leser: Damals nach dem Mauerfall war die Washington Post noch nicht Jeff Bezos' Hobby, damals kannten die Menschen Amazon überhaupt nicht.

Unter den überregionalen deutschen Zeitungen wird jedoch die heutige Berliner, wie der Tagesspiegel, nicht geführt. In den aktuellen IVW-Zahlen ist ihre verkaufte Auflage seit 2015 um 10,15 Prozent gesunken. Heute berichten der Tsp. und die FAZ, was gestern in der Zeit (siehe Altpapier) über die Lage beim, nun ja: Traditionsblatt stand. 

"Die 'Berliner Zeitung', die sich unter Chefredakteur Erich Böhme nach dem Mauerfall zur deutschen 'Washington Post' wandeln sollte, als Lokalzeitung neu erfinden, die konsequent auf die Bedürfnisse der Leser in Pankow, Lichtenberg, Marzahn, Prenzlauer Berg und Mitte zugeschnitten ist, wurde berichtet",

schreibt Kurt Sagatz also.

"Eine schlechte Nachricht für die Mitarbeiter, für den Medienstandort Berlin. Im Chor der Hauptstadtpresse wird wohl eine Stimme sehr viel leiser",

meint Stephan Wiehler im "Checkpoint", also der sehr gut funktionierenden Tagesspiegel-Geschäftsidee des Frühmorgen-Newsletters. Wobei die Newsletter, die der Tsp. im Juni für Berliner Bezirke wie Pankow, Lichtenberg, Marzahn und Mitte aufsetzte (Altpapier), wohl noch nicht soo gut funktionieren, und man dort (laut IVW starke nur minus 3,72 Prozent) von der üblen Situation und den Plänen beim Lokalrivalen womöglich doppelt geschockt ist.

Michael Hanfeld sieht's auf der FAZ-Medienseite aus überregionalerer Sicht, hat sich von DuMont noch mal (vgl. EPD-Meldung vom Montag) sagen lassen, dass die DuMont-Hauptstadtredaktion "nicht zur Disposition" stehe, analysiert aber dennoch grundsätzlich und mit Recht:

"Der Vorstandsvorsitzende der DuMont-Gruppe, Christoph Bauer, hat seit seinem Amtsantritt im Jahr 2014, wie bei vielen Verlagen üblich, Outsourcing in großem Stil betrieben. Das bedeutet für jedes Unternehmen Verschlankung, birgt aber auch das Risiko, dass man geschäftstragende Abläufe nicht mehr selbst im Griff hat."

[+++] Falls Sie jetzt Bedarf einer guten Nachricht verspüren: Hurra, die ZDF-Mediathek bekommt ein neues Look and Feel. Bzw. im Kontext (presseportal.zdf.de):

"ZDF.de und ZDFmediathek verschmelzen zu einem Angebot. Mit neuem Design, verbesserter Usability und modernerem Look and Feel - der aktuellste Relaunch sticht dem User sofort ins Auge ..."

Wer unter diesem Link auf das direkt über Peter Freys Mund eingeblendete Play-Symbol klickt, kann bereits hören, wie begeistert der Chefredakteur noch mehr Spass (nicht etwa nur Spaß, sondern mit mit kräftigem S) durch die neue Mediathek verspricht. Das neue Look and Feel selbst lässt sich allerdings erst ab kommendem Freitag, dem 28.10., erfühlen und ansehen. Bis dahin lässt sich in der alten ZDF-Mediathek noch mal überprüfen, was Usability jedenfalls nicht ist.

Aber berichtet wird bereits, am ausführlichsten und ersten bei den Fernsehfreunden von dwdl.de:

"Anders als bislang kommt die Startseite künftig weitaus üppiger daher, was der konsequenten Aufteilung in zwölf Rubriken mit ihren etwa 33.000 Videos geschuldet ist. All das fühlt sich sehr schnell sehr 'netflixig' an. Nicht die einzelnen Sender geben also die Hauptnavigation vor, sondern Genres wie Dokumentationen, Krimis oder Shows."

Und im Tagesspiegel:

"Wer die neue ZDF-Hauptseite inklusive Mediathek öffnet, wird ganz oben auf das neue Top-Angebot – zum Beispiel den ZDF-Montagsfilm – hingewiesen. Darunter folgt die Neuheiten-Rubrik. Die weiteren Bereiche sind thematisch sortiert. Dort finden sich unter anderem Nachrichten, Filme/Serien, Doku/Wissen und Comedy, dann folgen ein Blick auf das Netzangebot 'Funk' für junge Leute und persönliche Empfehlungen. Neu ist 'Mein ZDF', mit dem Nutzer ihr persönliches Programm von Krimis bis Talkshow zusammenstellen können, wenn sie angemeldet sind.

Und technischer bei heise.de:

"Ist ein Besucher unbekannt, dann bietet sie zunächst die meist gesehenen Inhalte an. Lässt der Besucher Cookies zu, so lernt die Mediathek die Sehgewohnheiten und soll bessere Empfehlungen aussprechen. Wer sich Beiträge merkt, den erinnert die Mediathek zwei Tage vor Löschung daran, ihn auch noch rechtzeitig zu schauen."

Jeweils ist notiert, dass das ZDF in den Relaunch einen "siebenstelligen Betrag" (heise.de: "mittleren siebenstelligen") aus seinen Rudfunkbeitragseinnahmen investiert hat - also eine stattliche Summe, aus der sich mehr als zwei Rosamund-Pilcher-Verfilmungen (oder sogar Oliver Kahns Champions-League-Experten-Saison-Honorar? .. kleiner Scherz, wahrscheinlich) finanzieren ließen.


Altpapierkorb

+++ Die gestern hier erwähnte FAZ-Gesamtbetrachtung des eben oben erwähnten "Netzangebots 'Funk' für junge Leute" steht inzwischen frei online. +++ Und wer sich dafür interessiert, interessiert sich auch für die Einzelbesprechung der Funk-"Snapchat-Soap" "I am Serafina", die Lynn Osselmann für epd medien angestellt hat: "Wer Snapchat regelmäßig nutzt, den stört vor allem eines: Serafina hält - ungeachtet der Situation - immer die Kamera drauf. So wird die App in der Realität nicht genutzt. Niemand filmt einfach so wie er einen Raum betritt - schließlich weiß man ja vorher nicht, dass dahinter der Freund mit einer anderen Frau im Bett liegt. Und überhaupt: Wer möchte eine solche Situation mit der Öffentlichkeit teilen? Selbst bei Snapchat geht es - Authentizität hin oder her - um Selbstdarstellung: Jeder möchte sein Leben besonders interessant aussehen lassen ..."+++

+++ "Dass die deutsche Politik zunehmend alarmiert ist vom Einfluss neuer technologischer Möglichkeiten auf die Politik", entnimmt der österreichische Standard einer Frage Angela Merkels auf dem Deutschlandtag der Jungen Union ("Wollen wir mal zwischen den Parteien sprechen, ob wir gemeinsam dagegen kämpfen?"). Es gehe um Bots, die im US-amerikanischen Wahlkampf "Stimmung in sozialen Medien ... machen". +++

+++ Hübsche Geste von Facebook: Es "halte sich an die Vorgaben der Datenschutzbehörde, während der Widerspruch laufe, erklärte der Facebook-Sprecher" der FAZ. Um den eigenen Widerspruch gegen "die Verwaltungsanordnung des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar ..., die den Austausch von Nutzerdaten zwischen Whatsapp und Facebook untersagt" (heise.de) geht es. "Facebooks Eilantrag" gegen die Verwaltungsanordnung "ist ungewöhnliche 81 Seiten lang", weiß Christiane Schulzki-Haddouti. +++

+++ "Er trat nicht gern an die Öffentlichkeit. Weder als Zeitungsmacher noch als Kommentator. Damit gehörte" er "zu einer raren Spezies von Chefredakteuren. Nicht, dass er nichts zu sagen gehabt hätte – er redete in der Redaktionssitzung und auf den Fluren der jungen Welt in allen Lautstärken ...": Da erinnert Beate Willms in der TAZ an Klaus Behnken, erst Junge Welt-Chefredakteur, dann Jungle World-Gründer sowie "ambitionierter Roth-Händle-Raucher" und Hauptdarsteller im Heinz-Emigholz-Film "Der zynische Körper". Am Mittwoch ist er gestorben. +++

+++ "Es gab eine Zeit, in der die Frankfurter Rundschau noch kein kriselndes Regionalblatt war, sondern eine Zeitung von bundespolitischem Gewicht, ein Leitmedium ...", und da wurde Werner Holzer, der nun 90 Jahre alt wird, zur "Legende. Er konnte Kommentare schreiben, die man nicht nach zehn Minuten schon wieder vergessen hat" (Heribert Prantl auf der SZ-Medienseite).  +++ Aufmacher ebd.: ein Redaktionsbesuch bei serienjunkies.de ("Hanna Huge hat, Vorsicht nächstes Klischee, keine viereckigen Augen, kann aber nach eigener Aussage 'mittlerweile mehr als elf Serienfolgen hintereinander wegbingen', also am Stück schauen. Die 38-jährige Hamburgerin hat BWL studiert, bis 2007 waren Serien für sie nur ein Hobby. Dann ging sie mit einem Bekannten, dem IT-Spezialisten Mariano Glas, zum Abendessen ..."). +++ Ferner geht's um "das nächste Kapitel über die Geschichte der Schließung der ungarischen Traditionszeitung Népszabadság ..." +++

+++ "Rundfunkgläubiger" heißt auf der FAZ-Medienseite die Überschrift zur Meldung um den "Pastor einer freikirchlichen Gemeinde" geht, der aus religiösen Gründen keinen Rundfunkbeitrag zahlen wollte. Siehe auch hier nebenan"Die Richter folgten dieser Argumentation nicht und sahen eine vergleichbare Situation wie bei der Steuerpflicht. .. Angesichts der 'Fülle von Sendungen' könne der Kläger auch nicht behaupten, dass kein einziges Angebot von ARD und ZDF seinen Wertvorstellungen entspreche." +++

+++ Ferner ärgert sich in der FAZ Michael Hanfeld über einen Renate-Künast-Retweet. Und es geht um die Sky-Serie "The Young Pope" mit Jude Law (Ursula Scheer: "meisterhaft inszeniert, besetzt und gespielt. Allein, es braucht Geduld, sehr viel Geduld, bis sich etwas wie eine Story aus dem intellektuellen Vexierspiel herausschält und die Motive der Figuren Kontur gewinnen. Dann erst entfaltet sich der satirische Witz der Serie"). +++

+++ Armin Wolf vom ORF, jetzt auch Hanns-Joachim-Friedrichs-Sonderpreis-Träger, empfiehlt für Interviews "sowas wie einen umgekehrten Kissinger" (Standard). +++

+++ Hubert Burda übergibt seinen Konzern weiter an seine Kinder mit Maria Furtwängler, "Sohn Jacob (26) und Tochter Lisa (24)". Der operative Leiter des Konzerns, Paul-Bernhard Kallen rate allerdings von "weiteren Investitionen ins Zeitschriftengeschäft" ab.  Berichtet Lutz Meier (manager-magazin.de). +++

+++ Und dass Martin Luther "Journalisten von heute inspirieren [kann,] zu schauen, was wirklich gesagt wurde, was sich hinter Worthülsen versteckt", sagt Gundula Gause im Interview hier nebenan: "Reformation bedeutet für mich aber auch, sich die Fähigkeit zur Selbstkritik zu bewahren. In unserer Nachrichtenredaktion hinterfragen wir ständig, wie wir an die Themen herangehen sollen." +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.