Sorgen und Boote

Sorgen und Boote
Russische Hacker und klagefreudige Milliardäre bedrohen den Journalismus, aber nicht allein. Ein Bericht aus syrischem Kriegsgebiet ist spanischen Zeitungen 35 Euro wert. Zu Böhmermann nichts Neues, was nicht bedeutet, dass man darüber nicht berichten könnte. Norbert Himmler kennt die Abrufzahlen von Netflix. Die fabelhaften Kessler-Zwillinge sind fabelhaft.

Von den Faktoren, unter denen Journalisten und Medienunternehmen leiden, von denen sie gar bedroht werden, gehörten die Arbeitsbedingungen auf Flugzeugträgern bislang zu den weniger beachteten. Doch dann suchten sich Angela Merkel, Matteo Renzi und François Hollande für ihr Post-Brexit-Treffen am Montag als Location die Garibaldi („wurde 1985 in Dienst gestellt und kann bis zu 18 Flugzeuge und Hubschrauber transportieren. Benannt wurde sie nach dem italienischen Heerführer und Politiker Giuseppe Garibaldi“, Quelle: welt.de) aus. Dort

„gab es für die meisten Medienvertreter keine oder nur schlechte Übertragungsmöglichkeiten. Telefone funktionierten nicht, Texte, Bilder, Fernsehbeiträge konnten nicht gesendet werden. ,So schlechte Arbeitsbedingungen habe ich noch nirgends erlebt’, klagte der Korrespondent der Financial Times, der aus Brüssel angereist war“,

berichtet die dpa/Meedia. Für die mitreisenden Kollegen war das sicher unangenehm, zumal sie erst nachts um zwei im Hafen von Neapel einliefen und das Schiff verlassen konnten, was die alte Betriebsweihnachtsfeier-Regel „Niemals auf einem Boot, weil dieses keinerlei Fluchtmöglichkeiten vor dem betrunkenen Langweiler aus der Buchhaltung lässt“ nur bestätigt. Andererseits ist es fast erfreulich, einmal von Menschen zu hören, deren größtes Problem auf ihrem im Mittelmeer treibenden Boot der schlechte Empfang ist.

Womit wir zu anderen Journalisten-Sorgen kommen, von denen etwa der spanische Krisen-Reporter Ángel Sastre berichtet, der zehn Monaten lang Geisel der Al-Nusra-Front war. Im Interview mit dem österreichischen Standard erzählt er von seiner Gefangenschaft und dem Leid der Zivilisten in Syrien, aber auch von den miesen Arbeitsbedingungen:

„In erster Linie kann ich von Spanien sprechen, aber auch international zeigt sich eines: Es wird nicht die Arbeit im Feld unterstützt. Es fehlt an Mitteln, um Informationen zu beschaffen, und auch daran, diese in ihren Kontext zu setzen. Man muss dafür Platz bereithalten in den Abendnachrichten, in den Zeitungen. Und auch den Reportern, die sich in den Konflikt wagen, faire Honorare zahlen. Wir fordern eine würdige Bezahlung ein, auf dass wir auch weiterhin über solche Konflikte berichten können. Die circa 35 Euro, die in Spanien für einen Text oder eben ein Foto aus dem Krieg bezahlt werden, sind eine Zumutung. Wohlgemerkt: da wir auch Kosten zu tragen haben. Ein jeder noch so kleine Gefallen kostet in Syrien bares Geld. Hohe Summen sind für Führer, Fahrer, Übersetzer, für Unterkünfte, ja selbst für Lebensmittel aufzubringen. Dabei ist es eben genau dort, wo wir Journalisten wirklich gebraucht werden.“

Und ich dachte immer, die Weinfest-Bingo-Nachmittags-Berichterstattung für deutsche Lokalzeitungen sei schlecht bezahlt.

Nun sind diese Witze von einem Honorar ja nicht der reinen Boshaftigkeit von Medienunternehmen geschuldet, sondern auch ihrer Refinanzierungskrise, was das Szenario noch etwas bedrohlicher erscheinen lässt, das Trevor Timm im Guardian umreißt. Er setzt das aktuelle Vorgehen der Trumps gegen Medienunternehmen, die etwa über die Umstände von Melania Trumps Einwanderung in die USA berichten, in Zusammenhang mit der finanziellen Unterstützung der Klage gegen Gawker durch Paypal-Gründer und Milliardär Peter Thiel (zuletzt hier im Altpapierkorb):

„This is the quintessential example of the disturbing precedent Peter Thiel has just set by creating a blueprint for billionaires to destroy news organizations they do not like. He has shown that all they need is a little persistence. (...) In the end, even if you think Gawker deserved punishment, media organizations should not face the financial death penalty for a mistake, even a deplorable and egregious one. After all, there is probably one billionaire or another who hates pretty much every news organization in the world worth their salt. If they all decide to go down the path Thiel took, how many publications will be left when they’re done?“

Flugzeugträger, Milliardäre – welche Journalisten-Bedrohung kommt als nächstes? Russische Hacker?!

Ganz recht:

„Hackers thought to be working for Russian intelligence have carried out a series of cyber breaches targeting reporters at The New York Times and other US news organizations, according to US officials briefed on the matter. (...) News organizations are considered top targets because they can yield valuable intelligence on reporter contacts in the government, as well as communications and unpublished works with sensitive information, US government officials believe.“ (CNN)

Menschen, die sich vor Chemtrails der Illuminaten auf Bilderberg-Konferenzen flüchten (oder so ähnlich), würden an dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass Donald Trump russische Hacker einst auf das E-Mail-Postfach von Hillary Clinton ansetzte und es gewisse Verflechtungen und Sympathie zwischen Trump und der Putin-Regierung gibt. Aber zum Glück gehört diese schnuckelige Medienkolumne ja nicht zu den Panik-Verbreitern, weshalb sie das Bild von den zwischen den wenn auch sehr kleinen Händen Donald Trumps zerquetschten freien Medien gleich wieder streichen können. Dinge, die den Journalismus bedrohen, bleiben auch so noch genug.

[+++] Meanwhile, back in Germany: Das „Neo Magazin Royale“ kommt am Donnerstag aus der Sommerpause zurück, und da kann man sich schon mal fragen, ob sich mittlerweile etwas im Streit Erdogan gegen Böhmermann etwas getan hat („Die juristischen Folgen sind (...) nach wie vor nicht absehbar“) bzw. was es wohl am Donnerstagabend zu sehen gibt („Der Jan B. steckt möglicherweise in der Erdogan-Falle: Er braucht Aufregung und Aufreger, um sich auf der mit dem Fäkal-Gedichtlein erreichten Wahrnehmungsstufe halten zu können“, beides: Tagesspiegel, bzw. „Dass Böhmermann seine ,Böhmermann-Affäre’ komplett links liegen lässt, ist aber wohl eher unwahrscheinlich“, dpa/Newsroom).

Was hingegen schon (länger) bekannt ist, steht auf der Medienseite der FAZ (Blendle-Link), für die Michael Hanfeld ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler, interviewt hat, der sagt, sein Sender stehe weiter zu Böhmermann, lasse die Folge mit dem Schmähgedicht jedoch im Giftschrank.

Außerdem interessant:

„Wir bekommen gerade eine ganze Reihe von Vorschlägen fiktionaler Programme zum Großthema Terror. Darin findet sich regelmäßig das Szenario eines verheerenden Terroranschlags in Deutschland. Hier bin ich sehr skeptisch. Es besteht schlichtweg die Gefahr, dass uns die Realität bei der Entwicklung und Umsetzung solcher fiktionalen Stoffe, die gut ein bis eineinhalb Jahre umfasst, einholt. Denken Sie an den Anschlag in Ansbach und an den Amoklauf in München. Ein Fiktionalisieren solcher Ereignisse kann schnell unangemessen wirken.“

Im November musste die ARD ihren „Tatort“ verschieben, weil der thematisierte Terror-Angriff nach den Anschlägen von Paris unpassend erschien. Wenn man einfach weiter Rosamundepilchereskes (in Himmlers Worten: „eskapistische Sendungen“) produziert, hat man solche Probleme natürlich nicht. Andererseits wirkt es auch befremdlich, dass der IS nun indirekt die Programmplanung des ZDF übernimmt.

Ein weiteres Zitat aus dem Interview, das Ihnen nicht vorenthalten werden darf, zumal es mit der Ankündigung verbunden ist, in Zukunft mehr Eigenes für ZDFneo produzieren zu lassen:

„Solche Programme werden vor allem auch in der Mediathek genutzt. Alle Welt lobt Netflix und Amazon, aber wer schaut auf die reichhaltigen Bestände unserer Mediathek? Wenn ich das alles addiere, dann haben wir Einschaltquoten und Abrufzahlen, von denen Netflix und Amazon in Deutschland nur träumen können.“

Dass Netflix und Amazon ihre Nutzerzahlen nicht kommunizieren, ist für diesen Vergleich wohl nicht entscheidend.


Altpapierkorb

+++ „Obwohl in Nordkorea weniger als tausend Menschen Zugang zum Internet haben, startet das kommunistische Land eine TV-Plattform nach dem Vorbild des Streamingdienstes Netflix.“ Klingt nach Postillon, meldet aber Der Standard. +++

+++ Wie man als unrechtmäßig für eine Urheberrechts-Verletzung Abgemahnter den Abmahner mahnt, erklärt Kai Biermann bei Zeit Online. +++

+++ Lange nichts mehr von Snapchat gehört! Sebastian Jannasch greift das Thema auf der Medienseite der SZ noch mal auf. „Für die Redaktionen ist es zudem aufwendig, eigene Formate für Snapchat zu entwickeln. Gerade war man froh, Facebook und Twitter bedienen zu können. In vielen Verlagen hofft man deshalb, dass sich die Arbeit lohnt und der Snapchat-Trend so beständig ist wie der Hype um Katzenbilder. Doch das ist unwahrscheinlich.“ +++ Außerdem rezensiert Eva-Elisabeth Fischer die Doku „Die fabelhaften Kessler-Zwillinge“, die zu deren 80. Geburtstag heute Abend im SWR läuft. „Da zählen sie also, wie eh und je, die Schritte ihrer Jazz-Kombination aus, kick ball change, Bein vor, Wechselschritt, eins unde zwei unde drei unde vier. Das können sie aus dem Effeff und üben es doch immer wieder, im Bewusstsein, perfekt sein zu müssen.“ +++

+++ Wladimir Kaminer, der derzeit auf der FAZ-Medienseite von den Dreharbeiten zur 3sat-Reihe „Kulturlandschaften“ berichtet, macht sich heute Gedanken über Multikulti und Integration. „Die ,Integration’ setzt voraus, dass es eine einzig passende Lebensart gibt, eine höhere Kultur, ein Universalpläsierchen, mit dem jedes Tierchen sich abfinden muss. Dieses Projekt ist noch schwieriger als das vorige zu verwirklichen. Wenn bei Multikulti die Teile der Gesellschaft so weit auseinanderdrifteten, dass sie keine Einheit mehr darstellten und kaum zu regieren waren, wird bei „Integration“ das Vorbild ständig angezweifelt, an dem sich alle zu messen haben.“ +++

+++ Warum es sehr viel Sinn macht, dass Jean-Claude Van Damme sich in der Amazon-Serie „Jean-Claude Van Johnson“ selbst spielt, erklärt Christian Meier in Springers Welt. +++

+++ Vice pflegt einen zu lockeren Umgang in der Drogen-Berichterstattung, meint "Zapp", und hat nun den Jugendmedienschutz darauf angesetzt. +++

+++ Um das Ende von Joiz in der Schweiz (Altpapierkorb gestern) geht es bei Rainer Stadler in der NZZ. +++

+++ „Die meisten Sportreporter bei diesen olympischen Spielen in einem zerrissenen Land waren besser als ihr Ruf, wenn man bedenkt: Wer so viel senden und so viel schreiben muss, hat unendlich viele Chancen, sich zu verirren. Und nur wenige haben sich im Labyrinth verlaufen.“ Paul-Josef Raue, einst vom Boykott des Westens um seiner Olympiateilnahme in Moskau gebracht (als Reporter, selbstredend), hat bei kress.de rasch noch eine Meinung zur Sportberichterstattung aus Rio, bevor sich für sowas wirklich niemand mehr interessiert. Ist schließlich schon wieder drei Tage her. +++

+++ Die Aktuelle nimmt es mit ihrem eigenen Namen nicht so genau und nutzt unaktuelle Fotos, um eine vermeintlich aktuelle Krankengeschichte Prinz Philipps zu erdichten (Stefan Niggemeier/Übermedien). +++ Beim gleichen Portal rezensiert zudem Michalis Pantelouris in dieser Woche das Magazin Stern Crime. „Bei der Hälfte des sonntagmorgendlichen Latte auf dem Sofa erzählt die Witwe vom Titel, wie unangenehm es ist, eine Leiche mit der Kettensäge in handliche Stücke zu sägen. Habe ich mein Früchtemüsli eigentlich schon ge-instagramt?“ +++

+++ Auf Johannes Boies Klage über undurchsichtige Löschpraktiken von Facebook (s.a. Altpapier vom Montag) antwortet Bernhard Torsch bei den Prinzessinnenreportern: „In Wirklichkeit, und das ist ein großes Geheimnis, das Sie bitte für sich behalten, kontrollieren wir Facebook. (...) Nachdem Sie jetzt wissen, wem Facebook wirklich gehört, wollen wir Ihnen auch verraten, dass Facebook ein Privatunternehmen ist. Ein Privatunternehmen, das dessen Eigentümern gehört, die daher auch bestimmen dürfen, welche Inhalte dort zu lesen sind. +++

Das nächste Altpapier erscheint am Donnerstag.