Lachen Sie jetzt nicht

Lachen Sie jetzt nicht
Auf den „Summer of Pokémon Go“ folgt der „Summer of Scandals“, und das ist in etwa so lustig wie der Gummimasken tragende Herr Erdogan. Im Lokalen sollen es Bürgerjournalisten richten, sponsored by Deutsche Bank. Pro Sieben stapelt Joko & Klaas zu einem Showberg. Nico Hofmann und seine Lederjacke schwelgen in Erinnerungen an Burger King. Und Schafe machen Google Konkurrenz.

Was hatten wir sie vermisst, die Debatte, wie lustig Satirebeiträge des öffentlich-rechtlichen Fernsehens denn sind, oder ob es sich nicht doch um ziemlich dumme Beleidigungen handeln könnte statt um Humor. Und weil das Vermissen so stark war, dürfen wir heute gleich zwei derartige Fälle betrachten, die beide schon gut abgehangen sind, aber zum Aufregen ist es ja nie zu spät.

Bereits Mitte Mai suchte die Arte-Sendung „Tracks“ auf ihrer Internetseite einen neuen Moderator. Für die Bewerbung reichte das Moderieren und Abfilmen eines vorgegebenen Textes. Zumindest eine Bewerberin wird hingehalten mit einer Mail mit weiteren Nachfragen, um dann vor ein paar Tagen darüber informiert zu werden, dass die Ausschreibung nur ein großer Spaß, das skandalöse Spielen mit den Hoffnungen der Bewerber nur ein Beitrag zum „Summer of Scandals“ sein sollte – nein, Sie haben vor lauter Poke/émon Go nichts verpasst, das ist einfach nur die aktuelle Arte-Sommer-Serie. Die eingereichten Videos sollten in diesem Zusammenhang verwurstet werden.

„Gerade, wenn Menschen auf der Suche nach einem neuen Job sind, spielen doch unglaublich viele Gefühle, Emotionen, Hoffnungen und Ängste mit, die ihr mit dieser vermeintlich lustigen Aktion mit Füßen tretet, schamlos ausnutzt und euch dabei dann vermutlich auch noch selbst auf die Schulter klopft für so viel Kreativität in der Sendungsgestaltung. Und sich dann auch noch darüber zu freuen, dass man andere Menschen mit der Ausstrahlung des nie für eine Veröffentlichung freigegebenen Videos bloßstellt, ist wirklich alles außer lustig. Mal abgesehen davon, dass sich ganz vielleicht auch Menschen aus einem anderen Beruf heraus beworben haben, ohne den aktuellen Arbeitgeber darüber zu informieren. Weil, warum auch? Mit viel ,Glück’ bekommt jener zufällig die nicht-autorisierte ARTE-Ausstrahlung mit“,

rantet Mariella Gittler beim Sleazemag. Zu recht. Denn offenbar sitzt man in Arte-Redaktionen etwas zu bequem im Sessel, als sich noch vorstellen zu können, wie entwürdigend mancher Bewerbungsprozess abläuft, auch ohne dass man dabei von Fernsehsendungen zum Schlumpf gemacht wird.

Immerhin hat man es dann schnell eingesehen.

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erklärte der Sender auf Twitter. Eine längere Version steht bei Übermedien.

Ganz anders der zweite Teil unseres heutigen „Ist das Humor oder sollte das weg“-Schwerpunkts. Denn Achim Winter und sein Twitteraccount erfreuen sich gerade noch sehr daran, mit seinem Beitrag für „Hallo Deutschland“ aus der vergangenen Woche den Hass im Internet verharmlost und damit manche auf die Barrikaden gebracht zu haben.

Besonders abgesehen hat er es auf die Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen eben solche Hassreden engagiert – oder in Winters Welt: Harmlose Meinungsäußerer bespitzelt. Aber das war sicher nur lustig gemeint, immerhin ist Winter beim ZDF „journalistisch-kabarettistische(r) Wegelagerer“ (Winter über Winter).

Dass in diesem Fall Humor doch das Loch sein könnte, durch das die Wahrheit pfeift (ich bin auch entsetzt, welche Sprichwörter mir so einfallen), versucht aktuell bei Zeit Online Tilman Steffen mit Hilfe besagten Twitteraccounts zu belegen. Zudem lohnt sich ein Blick in etwa dieses Video, das Winter am Tag nach den Anschlägen in Brüssel gemeinsam mit Roland Tichy drehte. Die Pointe dieser satirischen Meisterleistung lautet, dass es völlig falsch sei, nun den Islamismus zu bekämpfen. Denn die eigentliche Bedrohung sei doch die von rechts. Kleiner Scherz.

Na, haben Sie auch selten so gelacht?

Noch mehr Qualitätshumor bieten die beiden in ihrer regelmäßigen Kolumne „Morgengrauen“ bei Tichys Einblick, wo es in Winters Autorenbeschreibung heißt:

„Winter ist ein Normalbürger leicht überkommener Prägung – er hat vier Kinder mit einer einzigen Frau, mit der er auch noch immer verheiratet ist – und musste als solcher erleben, wie der Mainstream immer weiter links von ihm zu strömen begann. Und so darf er sich heute wundern, dass ihn die Zeitläufe zum wahrscheinlich einzigen ‘nichtprogressiven’ Humoristen im deutschen Fernsehen gemacht haben….

Bevor mir jemand unterstellt, ich sei doch auch nur so eine humorbefreite Gutmenschlerin: Winters Problem ist nicht, dass er ein nichtprogressiver, sondern dass er ein nicht lustiger Humorist ist.

Um es mit den Prinzessinnenreportern zu sagen:

„Wir Prinzessinnen sind nicht amüsiert, denn Herr Winter ist nicht lustig, sondern bösartig und von niederen Instinkten getrieben. Nach der royalen Machtergreifung bekommt er ein Toupet und einen neuen Job als Erdbeerpflücker.“

Wer es ernster mag, schaut bei Frank Patalong und Spiegel Online vorbei. Dieser schreibt dort nach dem bundesweiten Vorgehen der Polizei gegen mutmaßliche Hasskommentatoren im Netz (u.a. tagesschau.de, Tagesspiegel)

„Rechtsextreme gehörten zu den frühesten Pionieren in der Entwicklung netzpolitischer Strategien. Schon Mitte der Neunzigerjahre begannen sie damit, über Thulenet, KKK-Seiten oder das rassistische US-Arier-Netzwerk Stormfront Informationen und Strategiepapiere zu verbreiten. Seit zwanzig Jahren sind die Radikal-Nationalisten international bestens vernetzt: Die Polizei schritt meist nur ein, wenn dort Anleitungen zum Bombenbau verbreitet wurden.

Aber irre, rassistische, gestrige oder gar ,nur’ ehrenrührige Postings in Foren oder bei Facebook?

Wurden lang wie Schall und Rauch behandelt. Der eine oder andere mag froh gewesen sein, dass sich die Radikalen verbal austobten statt physisch. Das Problem ist nur, dass das eine zum anderen führt: Nicht nur in Kreisen der Neurechten ist es längst völlig normal, verfassungsfeindlich zu schwadronieren. Viele meinen auch, was sie da absondern.“

So argumentiert auch Jan Bielicki heute in seinem Kommentar in der SZ.

In anderen Worten: Hass im Netz ist gefährlich, und dagegen vorzugehen dringend geboten. Darf man sich dennoch über all das lustig machen? Auf jeden Fall. Nur, ich wiederhole mich, lustig sollte es halt sein. Im Falle Winter tagt darüber demnächst der ZDF-Fernsehrat.

[+++] Weitere Themen des heutigen Tages, die auch alle nicht lustig sind:

Die Netzneutralität ist mal wieder in Gefahr, weil der LTE-Nachfolger 5G hohe Investitionen in die digitale Infrastruktur erfordert, und die Telekom-Konzerne diese nur tätigen wollen, wenn sie eine Garantie bekommen, das Geld auch wieder einzunehmen, wie Sascha Lobo in seiner Spiegel-Online-Kolumne auseinanderdröselt. Seine Lösung:

„Digitale Infrastruktur - Glasfaser wie 5G - muss massiv staatlich subventioniert werden, damit auf und mit dieser Infrastruktur überhaupt sinnvoller Wettbewerb stattfinden kann. Schon allein, damit ein echter Markt entstehen kann und kein Netzzugangsoligopol. Als Gegenleistung für diese mit Steuermitteln finanzierten Subventionen verpflichten sich die Telkos, den Netzzugang als erschwingliches und netzneutrales Gut zu vermarkten und eben nicht als Luxusartikel mit Mautstation.“

Bei Correctiv, dem Rechercheverbund nur echt mit dem Ausrufezeichen, setzt man nun auf Bürgerjournalismus:

„Wir glauben, es ist wichtig, möglichst vielen Bürgern die Methoden des aufklärerischen Journalismus nahezubringen, um sie zu befähigen, gerade da einen kleinen Ersatz zu leisten, wo klassische Medien nicht mehr in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erfüllen“,

schreibt David Schraven, und als sei das nicht schon der loakljournalistischen Kapitulation genug (denn darum geht es vor allem: um journalistische Lücken in der Fläche), lasse man sich nun auf der Zunge zergehen, wer diese Befähigung der Bürger zum Investigativen bezahlt: Die Deutsche Bank.

Und das mit der Vereinbarkeit von Kind und Karriere klappt im Journalismus auch nicht (Quelle: kress.de).

[+++] Kurze Verschnaufpause: Auf den Faröer Inseln agieren Schafe als Google-Street-View-Autos:

„With the help of a local shepherd and a specially built harness built by a fellow islander, Durita Dahl Andreassen of Visit Faroe Islands has fitted five of the island’s sheep with a 360-degree camera. As the sheep walk and graze around the island, the pictures are sent back to Andreassen with GPS co-ordinates, which she then uploads to Google Street View“,

schreibt der Guardian. Die Insel aus Schafsicht kann man sich hier ansehen.

Verschnaufpause Ende.


Altpapierkorb

+++ Am Dienstag ist die Moderatorin Miriam Pielhau in Folge ihrer Krebserkrankung gestorben. „2008 war bei ihr Brustkrebs diagnostiziert worden. Miriam Pielhau kämpfte sich durch OP und Chemotherapie, verlor ihre Haare. Ihre Erfahrungen mit der Krankheit beschrieb sie in ihrem Buch ,Fremdkörper’. Wie im März 2016 bekannt wurde, erkrankte Pielhau im Januar 2015 an Leberkrebs. Ihre Genesung schien im Februar 2016 abgeschlossen“, schreibt Markus Ehrenberg in seinem Nachruf im Tagessspiegel. An Pielhau erinnern auch DWDL und Spiegel Online. +++

+++ „Die Analyse habe ergeben, schreibt ,WeltN24’, dass Lachmann ,keineswegs unkritisch über die AfD berichtet hat’. Offenbar erschien die AfD vor allem dann in einem schlechten Licht, wenn Lachmann über das ,AfD-Innenleben’ berichtete, was häufiger vorkam, er hatte ja Kontakte. Vor allem Beiträge ,über Streitereien zwischen führenden Köpfen’ der AfD seien ,alles andere als eine Wahlempfehlung’. Insgesamt befinde sich seine Darstellung ,im Spektrum dessen, was auch andere Medien über die Partei veröffentlicht haben’“, zitiert Boris Rosenzkranz bei Übermedien aus der Analyse, die Springers Welt den Texten seines AfD-verbandelten Ex-Autors Günther Lachmann (zuletzt dieses Altpapier) angedeihen ließ. +++

+++ Mathias Döpfner, neuer Präsident des BDZV, wird von diesem wie ein Heilsbringer gefeiert, schreibt Ulrike Simon bei Horizont, bislang nicht online, aber dafür von ihr komplett vertwittert. In ihrer Kolumne für das Redaktionsnetzwerk Deutschland ärgert sie sich zudem über zu exzessiv genutzte „Nochs“, u.a. auch von Döpfner: „Bevor sich der Springer-Vorstandschef in Abwesenheit – er weilte in Sun Valley – einstimmig zum Präsidenten des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) wählen ließ, schrieb er vorausschauend eine Dankes-Mail an die Delegierten. Ein Satz lautet: ,Vorgenommen habe ich mir, den BDZV noch stärker als bisher für die Digitalisierung zu öffnen’. ,Noch’ stärker also? Inzwischen unterstelle ich, dass jeder Satz mit einem ,Noch’ zu viel das genaue Gegenteil meint.“ +++

+++ SZ und FAZ widmen sich heute auf ihren Medienseiten einträchtig dem 25. Geburtstag der Filmakademie Ludwigsburg. „Die Kraft liegt in der Provinz, auch wenn das Kollegen vor mehr als zwei Jahrzehnten gar nicht geglaubt hatten, als sie uns damals in der Eisfink-Kühlschrankfabrik besuchten – direkt hinter dem Burger-King-Parkplatz“, erzählt Nico Hofmann („lässige Lederjacke“) im SZ-Interview. In der FAZ widmet sich Peter Körte der Frage, welchen Anteil die Filmhochschulen daran haben, dass deutsche Filme so schlecht sind. Beides steht derzeit noch nicht online. +++

+++ Pro Sieben hat gestern Abend bei der Vorstellung des Programms für die kommende Saison einen „Showberg“ versprochen (Meedia). Dieser enthält Joko & Klaas, Joko & Klaas, Elton, Prominente und Mädchen by Heidi Klum, was sich auch bei DWDL nachlesen lässt, die zudem beim Sat1-Chef nachgefragt haben, ob es da noch Hoffnung gibt. +++

+++ „Die Online-Kollegen sehen sich gerne mal als die moderne Vorhut, die Zukunft des Journalismus. Und die Print-Kollegen halten sich für die Einzigen, die hier ernsthaft inhaltlich arbeiten.“ Ja, das ist tatsächlich ein Zitat aus dem Jahr 2016. Es stammt von Susanne Amann, Sprecherin der Mitarbeiter KG des Spiegel-Verlags, und aus einem Interview mit dem Fachmagazin Wirtschaftsjournalist, von wo das Serviceunternehmen Meedia es ins frei verfügbare Internet geholt hat. +++

+++ Eine Lokalzeitung namens Mittelbayrische hat Snapchat für sich entdeckt, verkündet sie selbst. Der Coolnes-Zenit der App ist damit offiziell überschritten. +++

+++ Der Tagesspiegel widmet sich heute der Frage, warum in Berlin so wenig Fernsehfilme gedreht werden, und hat dazu auch den Chef des Medienboards Berlin-Brandenburg befragt. +++

+++ „Frank Überall hat aufmerksam zugehört. Die ,Cumhuriyet’ ist eine von mehreren Redaktionen, die der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) an diesem Montag besucht, um sich vor Ort ein Bild über den Zustand der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei zu machen – und seine Solidarität zu bekunden. ,Wir dürfen nicht wegschauen’, sagt er. ,Deshalb bin ich nach Istanbul gereist – um hinzuschauen und öffentlich aufzurütteln.’“ Die taz hat ihn begleitet. +++

+++ Bereits gestern hat die Zeitung in ihrer Printausgabe ein Bild unglücklich beschnitten, was zuerst Radio1-Moderator Christoph Azone twitterte, dann Meedia mit einem Text „Text“ würdigte und nun auch Ihnen bekannt ist. +++

Das nächste Altpapier erscheint am Freitag.