Ein Gemälde mit Mehmet Scholl

Ein Gemälde mit Mehmet Scholl
Die Fernseh-Präsentatoren der Fußball-Ereignisse auf allen Kanälen. Warum man sich in Gütersloh auch über einen französischen Final-Einzug freuen könnte. Welche Zeitung einfach eine gute Wundertüte ist. Neues vom "ältesten Fernsehübertragungsweg" (kostet bald und könnte mehr als bisher mit dem Internet konkurrieren). Außerdem: ein "Ironiker" als Medienwächter, ein "digitaler Marshallplan", das "gute alte Mittel der Dämonisierung", bis zu vierzehn Jahre Haft für einen Tag symbolische Chefredaktion.

Die aktuelle Staffel Fußballnationalmannschaften-Turnier nähert sich ihrem Höhepunkt. Steigt er fürs deutsche Publikum bereits heute abend oder fällt er, wie vor zwei Jahren in der vorigen Staffel, aufs große internationale Finale am Wochenende? Jedenfalls steigen die deutschen tagesaktuellen Medien vielfältig ein.

Die Medienmedien befassen sich selbstverständlich gerne mit den Präsentatoren (Altpapier vorgestern, jensweinreich.de) des Ereignisses im Fernsehen. Im Tagesspiegel gießt Joachim Huber das "Lob", das es inzwischen "von allen Seiten ... für den ZDF-Experten" Oliver Kahn "regnet", gemeinsam mit dem in Medienmedien üblichen Lob für Kahns "Ball-Schlepper" Oliver Welke in einen spätestens am Ende ("freie Fußball-Radikale") überkandidelten Kommentar. Und falls Ihnen so ein Zugang zum Thema zu ungewöhnlich, unverbraucht und frisch erscheinen sollte: Den Klassiker, im Interview mit einer im Inland leidlich bekannten Fernsehnase aus dem Land des Gegners (nicht Alfons mit dem Puschelmikrofon, die andere)  nach einem Tipp für den Spielausgang zu fragen, hat der Tsp. ebenfalls im Angebot. Wobei Natalie Licard erst mal noch die "Mehmet Scholl oder Oliver Kahn?"-Frage gestellt bekommt.

Wer zweifelsfrei "Scholl" antworten würde, könnte dann erwägen, bei Blendle 0,59 Euro für den Die Zeit-Artikel "Einer gegen alle" zu bezahlen.

Da macht Hanns-Bruno Kammertöns auf ein Interview, das Die Zeit "vor gut vier Wochen" mit Scholl geführt, aber noch nicht veröffentlich hat, leicht ("Scholl hat der Redaktion geschrieben, dass er auf all seine Kritiker, auf Oliver Bierhoff, die TV-Kollegen, die Zuschauer, die ganze Welt noch einmal zurückkommen werde. Er bittet um Verständnis dafür, das Interview noch zurückzuhalten. Denn einmal betritt er noch die ganz große Bühne: Beim EM-Finale am Sonntag, das überträgt die ARD"), ganz leicht gespannt.

Für preisbewusste Medienverbraucher könnte es sich jedoch als sinnvoll erweisen, für elf Cent mehr eine Tüte Panini-Bilder oder so was anzuschaffen, und bei der Zeit frühestens zuzuschlagen, falls das Scholl-Interview erscheinen sollte. Denn vor allem arbeitet Kammertöns Parallelen zwischen Fußball-Fernseh-Rahmenprogramm und klassisch glossierendem Feuilleton heraus. Es geht jeweils überwiegend bis ausschließlich darum, durch vor allem gefälliges Geplauder Zeit und/ oder Zeilen zu füllen:

"Während sich 28 Millionen Zuschauer an diesem Samstagabend nach dem Sieg im Elfmeterschießen glücklich zur Nachtruhe begeben, knöttert Scholl in der ARD über den Unsinn dieser Dreierkette. Worum um Himmels willen fühlt sich Scholl betrogen? Was reitet ihn? Keiner weiß es. Weiß es Scholl?".

Sowie darum, auf anderes, das noch folgt, halt gespannt zu machen (über die Interviewsituation vor etwa vier Wochen: "Den Termin beim Zeit-Fotografen absolvierte er nur widerwillig. Vielleicht hatte er noch nichts gegessen ..."). Wobei das Scholl-Foto, das Anatol Kotte für die Zeit geschossen hat (bei Blendle enthalten), schon gut ist.

[+++] Wenn wir bei Illustrationen sind: Dass die FAZ, wie immer man zu vielen inhaltlichen Details steht, einfach eine gute Zeitung im Wundertüten-Sinne ist, belegt sie heute nicht unbedingt mit ihrem Titelseiten-Foto, aber durch das Bild auf der ersten Feuilleton-Seite. Da wird über eine Ausstellung im Literaturhaus München mit Malereien und Zeichnungen des vor allem als Schriftsteller bekannt gewordenen Wolfgang Herrndorf berichtet. Den Artikel illustriert ein Gemälde aus dem Jahr 2002. Es zeigt -  Mehmet Scholl (noch mit Haaren, daher für heutige Fernsehbeobachter nicht auf Anhieb zu erkennen. Aber schön).

Acht Seiten dahinter auf der Medienseite folgt ein (ebenfalls schönes) Fußballspiel-Szenenfoto, um den Artikel "Das Spiel beginnt bei Stunde null" zu bebildern. Von Paris aus unterhält Jürg Altwegg launig ("Immerhin erspart uns 'Le Point' den Schlenker von der vierten Niederlage zum Dritten Reich") mit Geschichts-Vergleichen, die außer bei der FAZ auch im Ausland funzen. Außerdem aber beleuchtet er den Stand der seit dem Island-Spiel erheblich gestiegenen Fußballeuphorie sowie der Fußballfernsehrechte in Frankreich:

"Auch bei der Bertelsmann-Tochter M6 fühlt man sich seit dem vergangenen Sonntag als Sieger. Mit 17,2 Millionen Zuschauern hat der Sender seine höchste Einschaltquote aller Zeiten erreicht. Erstmals erwarb M6 bei einer Endrunde die Rechte für ein paar Spiele der französischen Nationalmannschaft",

darunter, wie vorher natürlich niemand wissen konnte, dieses Island-Spiel. Die Euphorie der Fernsehzuschauer über die Rechte-Verteilung hält sich indes in Grenzen:

"Die Franzosen empfinden die Aufteilung der Spiele ihrer Mannschaft auf zwei sehr unterschiedliche Privatsender unter Ausschluss der öffentlich-rechtlichen Programme als eher verwirrend. In vielen Haushalten hat man sich für ein Abonnement des Bezahlsenders BeIn entschlossen, das pro Monat vierzehn Euro kostet und leicht kündbar ist. Die Al-Dschazira-Tochter ist der einzige Sender, der alle Spiele überträgt, auch jene der Franzosen. Seine Redaktion verfügt über die nötige Sendezeit und sportliche Kompetenz zur Vor- wie Nachbereitung der Begegnungen."

Heißt: Da das heutige Spiel in Frankreich TF1 zeigt, wird das Finale wieder bei M6 laufen. In Gütersloh, wo Bertelsmann seine besten Geschäfte ja weiterhin mit dem Werbefernsehen seiner RTL-Group macht, zu der M6 gehört, könnten sie sich also auch über einen französischen Finaleinzug freuen.

[+++] In Deutschland ist's für Fußballnationalspiele-Fernsehverbraucher übersichtlicher. Die Öffentlich-Rechtlichen zeigen und zeigen, was sie können, und RTL, das dennoch mehr Qualifikationsspiele-Rechte ersteigern konnte, ist genauso gut zu empfangen, oder?

Nicht mehr lange uneingeschränkt. Darauf macht im Tagesspiegel Hans Hege aufmerksam. Schließlich steht beim "ältesten Fernsehübertragungsweg", der Ausstrahlung via Antenne, über die sich in deutschen Ballungsräumen sehr gut fernsehen lässt, in der Peripherie häufig weniger gut, eine Veränderung an. Beim bisherigen digitalen Antennenfernsehen DVB-T sendeten Privatsender wie RTL zumindest in Ballungsräumen mit. Beim übergangsweise bereits eingeführten Standard DVB-T2 wird ihr Angebot ab Sommer 2017 (wie der Tsp. separat zusammenfasst) "mindestens 69 Euro pro Jahr" kosten - obwohl die Sender (ganz anders als etwa Mobilfunkanbieter für ihre Frequenzen) für die DVB-Frequenzen selbst nichts bezahlen.

Hege sieht die Situation, die vielerorts ja ein durchaus selbst spannender Wettbewerb unterschiedlicher Übertragungswege ist, unaufgeregt:

"Wir werden eine weitere Erosion der Besonderheiten des Rundfunks erleben, bei der DVB-T2 nur ein kleiner Baustein ist. Die vielfältigen Fremiummodelle  des Internets mit ihrer Mischung aus freien und bezahlten Inhalten und der zusätzlichen Erlösquelle aus persönlichen Daten werden gegenüber der einfachen Welt des Rundfunks mit ihren ganzen Kanälen und der schlichten Alternative frei oder bezahlt an Bedeutung gewinnen",

lautet das Fazit.

Am Rande: Wer ist Hans Hege? Jahrzehntelang war er Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, bis er Anfang des Jahres in Ruhestand ging (und, auf solchen Posten etwas relativ Seltenes, von einer Frau abgelöst wurde). Falls Sie sich für dieses Biotop der Medienwächter interessieren: Inzwischen frei online steht der epd medien-Artikel über den künftigen Düsseldorfer Medienanstalten-Chef Tobias Schmid, der bekanntlich (Altpapier) bislang RTL-Cheflobbyist war. EPDs Michael Ridder freut sich auf den "Ironiker als Medienwächter", der zumindest den Unterhaltungswert des Biotops steigern dürfte.

[+++] Kommt man nicht vom klassischen Fernsehen, sondern vom Internet her, das ja auch wichtiger Fernsehübertragungsweg ist, lässt sich die Lage der Medien-Infrastruktur auch erheblich aufgeregter betrachten.

"Deutschland braucht einen digitalen Marshallplan",

lauten das tl;dr bzw. der Teaser der aktuellen Sascha-Lobo-Kolumne bei SPON:

"Und wenn es nur die Infrastruktur wäre. Denn Hand in Hand mit der zukunftsverspielenden Haltung "Sparwut vor Investition" läuft eine politische Entscheidung nach der anderen der digitalen Zukunft entgegen. Verwässerung der Netzneutralität, Netzsperren, der Ausbau des absurden und dysfunktionalen Leistungsschutzrechts - alles bittere Begleitbeispiele für EU-seitig vorangetriebene Projekte deutscher Politiker, die bereit sind, für Partikularinteressen die vernetzte Zukunft zu verkaufen. Und dabei ist die radikale, digitale Transformation der Arbeitswelt durch die Vernetzung noch gar nicht berücksichtigt."

Vor allem keilt Lobo gegen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der lieber die sog. Schwarze Null hoch- als Internet-Infrastruktur für wichtig hält.

Das ist wiederum auch interessant vor dem Hintergrund, dass Lobo im langen, aber zumindest reinhörenswerten uebermedien.de-Streit-Podcast mit Stefan Niggemeier ausgiebig das "gute alte Mittel der Dämonisierung" (der AfD) propagiert. Als beinharter Paternalist, wie er sich dort zeigt, scheint es, als könnte Lobo sich mit Schäuble eigentlich prächtig verstehen.


Altpapierkorb

+++ Als "tazzwei-Redakteurin (ehem.)" (TAZ) hat Cigdem Akyol die Redaktion der kurdisch-türkischen Tageszeitung Özgür Gündem besucht, deren Chefredaktion zurzeit "symbolisch für einen Tag" Unterstützer übernehmen - die anschließend aufgrund der türkischen "Antiterrogesetze" mit bis zu vierzehn Jahren Haft bedroht werden. +++

+++ "Der Beitrag der AfD zur politischen Kultur in Deutschland ist nicht mehr weit von dem des Dschungelcamps für die Kultur des christlichen Abendlands entfernt ..."  (Jasper von Altenbockum, vorn auf der FAZ). +++

+++ Die SZ-Medienseite meldet: "Eine Kalkulation für 2015 errechnet für zwei Halbfinal-Shows und das Finale einen Minutenpreis von 791 Euro" - was aber nicht für die Fußball-EM, sondern den ESC (Schlager-Grand Prix) gilt, einer auf der offiziellen Webseite eurovision.de veröffentlichten Berechnung zufolge. +++ Außerdem findet ebd. Hans Hoff, dass sich das Porträt, das der WDR seiner Bettina Böttinger zum 60. Geburtstag spendierte, "prima ins Umfeld im WDR-Fernsehen" einfügt, "wo man Dinge von Belang ohne Lupe ohnehin nur noch schwer findet." +++

+++ Ferner macht sie SZ auf den 20. Geburtstag der Gruner+Jahr-Kinderzeitschrift Geolino sowie auf ein "brand new weekly newspaper" für britische Brexit-Gegner ("Unter den Autoren der Erstausgabe finden sich auch zwei Deutsche: Bild-Chefin Tanit Koch und Wolfgang Blau, der das Digitalgeschäft von Condé Nast verantwortet") aufmerksam. +++ Und als guter Dienstleister deutscher Bingewatcher oder zumindest US-amerikanischer Produzenten wirft die SZ groß die Frage "Was macht HBO nach 'Games of Thrones'?" auf. +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite vergleicht Michael Hanfeld die "Camouflage" der Tagesspiegel-Reporter Sebastian Leber und Johannes C. Bockenheimer auf der Berliner Fanmeile mit einer Israel-Fahne mit der, die eine "Pappnase" vom Handelsblatt (Altpapier) mit britischem Fahnenmaterial unternahm. Erstere findet er "wesentlich sinnstiftender". +++ Adrian Lobe äußert ebd. den "Verdacht, dass Facebook mit Algorithmen Stimmungen lenkt" auch in Bezug auf den Brexit. +++ Und die Geschichte, wie Kai Diekmann die Auschwitz-Baupläne nach Yad Vashem statt ins Bundesarchiv brachte, wird nacherzählt. +++

+++ Einer "Konsultation der EU-Kommission 'zur Rolle der Verleger in der urheberrechtlichen Wertschöpfungskette und der 'Panorama-Ausnahme''" entnimmt Till Kreutzer bei netzpolitik.org Befürchtungen, die EU-Kommission bzw. der deutsche Kommissar darin plante ein europäisches "Leistungsschutzrecht XXL". +++ Reaktionen, u.a. vom DJV, auf die weitere Befürchtung hinsichtlich des neuen BND-Gesetzes (Altpapier gestern) gibt's ebd.. +++

+++ Wachsender Trubel um den journalist, die Zeitschrift der schon erwähnten Journalistengewerkschaft DJV, und zwar wegen der Frage, ob der DJV bei der Neuvergabe der Produktion seiner Verbandszeitschrift die Kündigungsfrist eingehalten hat. Der Verlag Rommerskirchen aus Remagen-Rolandseck bestreitet es (meedia.de). +++

+++ "Zwischen 1.400 und 1.500 Anzeigen ..., die sich nicht nur gegen Böhmermann, sondern auch gegen Verantwortliche des TV-Senders" ZDF richten, zählt der  Mainzer Oberstaatsanwalt inzwischen (Standard). +++

+++ Wer künftig nicht mehr (mit 2,77 Prozent) an der Hannover 96 Sales & Service eines noch kürzlich in der Bundesliga spielenden Fußballvereins beteiligt sein wird: der Madsack-Verlag, meldet dessen HAZ. +++

Neues Altpapier folgt am Freitag.