Täglich nicht heute, Freitag nicht jeden Tag

Täglich nicht heute, Freitag nicht jeden Tag
Voilà: die Zukunft! Sie bespricht heute Sendungen von vorgestern, verabschiedet sich von der Einheitsgröße und der Anonymität gleichzeitig, lässt betroffene Kreise gegen Ad-Blocker mobil machen, und manchmal nimmt sie sich auch Zeit, bevor sie online geht.

Meine Damen und Herren, die Zukunft des Journalismus ist da! Wollen mer se reinlassen? Na denn.

Wie ich darauf komme, das ausgerechnet jetzt zu vermelden? Zum einen ist die Süddeutsche Zeitung schuld, die heute ihre Medienseite mit der Rezension einer Doku aufmacht, die bereits am Sonntag im ZDF lief – „Schöne neue Welt“ von Claus Kleber aus dem Silicon Valley, gestern schon im Korb gelobt. Claudia Tieschky findet sie großartig– aber Moment? Vorgestern war doch schon?!

„Das ZDF hat den Film, den Kleber mit Angela Andersen realisiert hat, am Sonntag spät abends ausgestrahlt, man bekommt ihn aber noch in der ZDF-Mediathek.“

Ja, das stimmt und ist das gleiche Argument, mit dem auch Michael Hanfeld seine Spalte zum Thema auf der Medienseite der FAZ erklärt.

Am Dienstag eine Nicht-etwa-live-Sendung vom vergangenen Sonntag besprechen: Das muss die Zukunft sein. Sonst wäre es nämlich einfach nur sehr, sehr seltsam (oder das ZDF sollte seine Herausgabe von Pressezugängen überdenken).

Zum anderen ist heute der Tag, an dem die gecrowdfundete Zeitung an den Start geht, die den Beweis antreten möchte, dass eben nicht nur schlechte Nachrichten guten Nachrichten sind. An dieser Stelle sollte nun eigentlich ein erster Eindruck vom konstruktiven Ansatz von Perspective Daily geschildert werden. Aber bislang (wir schreiben kurz nach halb acht) erscheint auf der Seite nur die freundliche Meldung, dass die Server umgestellt werden. Zukunft will Weile haben.

Wenden wir uns in der Zwischenzeit jemandem zu, der das mit der Journalismus-Zukunft auch voll drauf hat: Wolfgang Blau, aktuell Chief Digital Officer bei Condé Nast International, hat dem österreichischen Kurier ein Interview gegeben, das deutschen Datenschützern die Fußnägel nach oben rollen lässt:

„Ein zweiter Punkt ist, dass Verlage es versäumt haben, ihren Online-Lesern Anreize zu geben, sich zumindest kostenlos auf ihren Verlags-Sites zu registrieren. Facebooks eigentlicher Vorteil ist nicht seine Größe, sondern dass Facebook auch thematisch oder sozio-demografisch hoch spezialisierte Nutzer über alle Geräte hinweg persönlich identifizieren kann. Wenn ein Verlag hingegen nur fünf Prozent seiner Online-Nutzer wiedererkennen und gezielt mit Werbung ansprechen kann, ist er schon glücklich. Das ist nicht Facebooks Versäumnis.“

Blaus Idee ist, dass die Verlage ihren Nutzern, wenn sie sie denn kennen, nicht nur personalisierte Werbung, sondern auch entsprechende Inhalte präsentieren können:

„Die gesamte mobile Nutzerwelt ist personalisiert, aber die meisten klassischen journalistischen Seiten und Apps stecken noch im Motto des Industrie- oder Broadcast-Zeitalters fest: ,one size fits all’, ein und dasselbe Produkt für alle. Nicht nur Homepages, auch Newsletter und Leseempfehlungen auf Artikelseiten oder Video-Empfehlungen sollten persönlicher werden. Das bedeutet keinesfalls, den redaktionellen Anspruch auf eine allgemein verbindliche News-Agenda aufzugeben, sehr wohl aber, das knappe Zeitbudget unserer Nutzer endlich zu respektieren.“

Ja. Nein. Also: Ich möchte das nicht, dass große Verlagshäuser mit Hilfe ihrer diversen Nachrichtenseiten persönliche Profile über mich als Leser anlegen – und das nicht nur, weil dann rauskommt, dass ich gerne 70-teilige Fotostrecken über Faultiere ansehe, wenn sie denn angeboten werden. Aber wäre es alternativ nicht schön, wenn Zeitungen mal etwas überraschend anders machten als Mark Zuckerberg? Nur so als Idee.

Die Washington Post hat sich derweil entschlossen, von nicht-zahlenden Mitgliedern zumindest die E-Mail-Adresse einzusammeln, berichtet das Nieman Lab. Tschüss, Anonymität. Es war so schön mit Dir.

Und nun: Perspektive Daily! Nein. Immer noch nicht erreichbar. Also doch weiter mit den Zukunftsvisionen etablierter Verlage. Bei Netzpolitik.org berichtet Constanze Kurz, was im Bericht der Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz steht, die sich seit 2014 „mit Rechtsfragen des Jugendschutzes offline und online, mit Fragen des Wettbewerbs, der Medienvielfalt oder der Auffindbarkeit von Inhalten beschäftigt.“

Nun hat sie herausgefunden:

„Etwa dreißig Prozent der Nutzer würden Ad-Blocker nutzen, bei manchen Angeboten sogar über fünfzig Prozent. Die ,betroffenen Kreise’ (S. 20) fürchten deshalb, dass es zu Beeinträchtigungen der Medienvielfalt kommen könnte und fordern gesetzgeberische Maßnahmen.“

Betroffene Kreise? Gesetzliche Maßnahmen? Das kommt Kurz bekannt vor:

„Man könnte laut lachen, allerdings wissen wir nicht erst seit dem Leistungsschutzgeld für Presseverleger, dass Forderungen dieser speziellen ,betroffenen Kreise’ in der Politik regelmäßig sehr ernstgenommen werden. Zwar hat das Oberlandesgericht Stuttgart dem Springer-Konzern gerade zu verstehen gegeben, dass es ein Verbot von Ad-Blockern nicht goutiert, aber was interessieren schon Gerichte, wenn die Lobbyisten es auf eine Gesetzesänderung abgesehen haben.“

Das Wall Street Journal berichtet derweil, die New York Times plane, für einen Aufschlag seinen Abonnenten ein werbefreies Angebot zu machen. Um diese Strategie auch in Deutschland zu verfolgen, müssten Verlage ihre Leser jedoch überhaupt erst überzeugen, zu bezahlen. Da erscheint es doch leichter, sich von der Politik durch die Brust ins Auge helfen zu lassen.

Perspective Daily? Antwortet nicht. Dann schalten wir doch zurück zum Journalismus von heute bzw. aus der vergangenen Woche, als Gruner+Jahr den mutigen Wochenmagazin-Vorstoß namens frei! einkassierte (Altpapier vom Freitag).

Wir erinnern uns (mit Hilfe der G+J-Pressemitteilung aus dem Februar):

„Das Weekly richtet sich an Frauen im Alter zwischen 30 und 60 Jahren, die am aktuellen Zeitgeschehen ebenso interessiert sind wie an unterhaltender Berichterstattung. Der Untertitel ,Meine Woche – Meine Zeit’ steht für eine Auszeit vom Alltag. Die Leserinnen sollen mit der klar gegliederten Mischung aus News, Service und Spaß das entspannte Freitagsgefühl die ganze Woche über genießen.“

Seit gestern wissen wir, auf was der Verlag als Nächstes setzt (Quelle: Meedia):

„Doch [G+J-Produktvorstand Stephan] Schäfer lässt sich nicht entmutigen. Er plant jetzt, ein Gesellschafts- und Lifestyle-Magazin für Frauen, die ernst genommen werden wollen. Bereits Mitte September soll die zunächst zweimonatlich erscheinende Zeitschrift an die Kioske kommen. (...) Wie zu hören ist, soll der Frauen-Titel eine Mischung aus anspruchsvoller und leichter Lektüre bieten. Geplant sind daher Analysen und Reportagen zu Politik und Wirtschaft, die für Frauen relevant sind. Die Artikel sollen kritisch und gehaltvoll, die Sprache überraschend und voller Wortwitz sein, die Bildsprache direkt und unverbraucht, heißt es unternehmensintern.“

Satt einer Woche voller Freitage soll nun also ernst zu Nehmendes, Unverbrauchtes präsentiert werden (lustig, dass sie bei G+J nicht nur mit der Öffentlichkeit, sondern auch intern so sprechen, by the way), und das nur alle zwei Monate statt einmal in der Woche: Mal schauen, ob Frauen das wollen. Oder ob diese nicht generell im Jahr 2016 lieber ins Internet gehen als an den Kiosk.

Keine neuen G+J-Zeitschriften mehr sind derweil in Österreich zu erwarten, denn das Unternehmen hat seine Anteile an der österreichischen Verlagsgruppe News (u.a. Autorevue, Golfrevue, Yachtrevue) an deren Geschäftsführer Horst Pirker verkauft.

„Der deutsche Magazinriese trennte sich in den vergangenen Jahren nach und nach von Auslandsbeteiligungen: Gruner+Jahr verabschiedete sich bereits 2013 aus Polen, Serbien und Slowenien; 2014 aus Kroatien und Indien, auch China war da Ausstiegsthema; 2015 war Italien dran. 2014 ließ Gruner+Jahr noch verlauten, man konzentriere sich neben Deutschland auf die Auslandsmärkte Frankreich, Spanien (auch oft hinterfragt) und Österreich“,

schreibt Harald Fidler im österreichischen Standard.

Und was sagt G+J-Frontfrau Julia Jäkel heute?

„Wir sind mit Entschiedenheit dabei, alle unsere Geschäfte darauf zu prüfen, wie sie zu dem sich neu formenden Gruner + Jahr passen. Unser strategischer Schwerpunkt liegt dabei auf der Transformation aller unserer Geschäfte, zuvorderst in den Kernmärkten Deutschland und Frankreich, und raschem digitalen Wachstum.“ (G+J-Pressemitteilung)

Deutschland, Frankreich, Internet: Wie lange das noch aktuell bleibt? Wir bleiben dran. Natürlich auch an den täglichen Perspektiven, die nun, mittlerweile kurz nach neun, immer noch offline sind.


Altpapierkorb

+++ „Der Vertreter von Reporter ohne Grenzen (RSF) in der Türkei, Erol Önderoglu, ist wegen Unterstützung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor Gericht gestellt worden“, meldet Der Standard. Die deutsche Sektion der ROG zeigt sich entsetzt; die European Federation of Journalists findet das nicht akzeptabel. Mehr Meldungen aus der Türkei gibt es zudem im Feuilleton des SZ, wo u.a. Yavuz Baydar schreibt: „Journalismus in der Türkei bedeutet derzeit, dass Redaktionen beeinträchtigt werden, dass man Gefängnisstrafen für Berichte oder Kommentare befürchten muss, dass man in ständiger Angst lebt, entlassen zu werden, dass man unter Drohungen und Schikanen arbeitet. Ein ehrenwerter Beruf ist zu einem Fluch geworden. Während es immer weniger Zweifel daran gibt, dass sich in der Türkei alle Macht auf eine Person konzentriert, die alle staatlichen Institutionen vereinnahmt, verlieren die Medien ihre Unabhängigkeit und Vielfalt.“ +++

+++ Über die mediale Eskalation der Brexit-Debatte berichtet die ehemalige London-Korrespondentin der ARD, Annette Dittert, bei DWDL. +++

+++ No! No! No! Und sagte ich schon No!? Wozu? „Wann immer in den vergangenen Jahren öffentlich darüber diskutiert wurde, wie sich der Sender verändern müsse, ob er nicht zu piefig und provinziell ist, fiel auch der Name Ulli Zelle als Symbol für die alten Zöpfe, die man abschneiden müsse.“ Schreibt Stefan Niggemeier in seinem Ulli-Zelle-Portrait bei Übermedien, worin auch mehr als klar wird, warum Zelle niemals in Rente gehen darf. Denn was wäre die RBB-„Abendschau“, wenn nicht er als Außenreporter am weihnachtlichen Berliner Bahnsteig stehen könnte, um die wirklich brisanten Fragen zu stellen („Wo fahren sie hin?“)? Wenn Ulli Zelle geht, können sie den ganzen Sender abstellen. Echt mal! +++

+++ Der Donaukurier entlässt seinen Chefredakteur Claus Liesegang, berichtet Bülend Ürük bei kress.de. „[Verleger Georg] Schäff soll, so wird gemutmaßt, direkten Zugriff auf die Redaktion wollen, dies sei einfacher, wenn ihm als Verleger kein Chefredakteur im Weg stehe. Der Herausgeber gilt als streitlustiger Erbe, der sich nicht gerne in Schubladen stecken lässt. In den vergangenen Jahren hat sich der Kunstliebhaber von mehreren Chefredakteuren getrennt, oft in einer für die Öffentlichkeit überhasteten und wenig rationalen Entscheidung“. Auf der Medienseite der SZ ergänzt Viola Schenz: „Zu hören ist aber auch, dass Liesegangs ,Gestaltungswille’ nicht allen in der Redaktion gepasst habe. ,Die Chemie hat nicht gestimmt’, sagt einer. Wie zu erfahren ist, stehen mit der Kündigung auch ,Strukturveränderungen’ an: Der Posten des Chefredakteurs solle aufgelöst werden, Aufgaben auf andere verteilt werden. Von 2017 an soll es wohl nur noch einen ,Redaktionsleiter’ geben.“ +++

+++ Wenn Rezensenten eine Fernsehsendung wahlweise einen „Meniskusriss von einer Show“ (Imre Grimm, HAZ) bzw. ein „fragwürdige[s] Bauerntheater zu später Stunde“ (Alexander Krei, DWDL) nennen, dann scheint man seine Abende definitiv besser verbringen zu können als mit „Beckmanns Sportschule“ vor dem Fernseher. +++

+++ Wie sich derweil Sat1 bei seiner Fußball-EM-Übertragungspremiere am Sonntagabend geschlagen hat, steht im Tagesspiegel. Der sich zudem der hier bereits am Donnerstag thematisierten Frage widmet, wie Facebook und Twitter auf die Live-Übertragung von Terroristen-Nachrichten reagieren. +++

+++ „Es gibt viele politische Gründe, Lager einzurichten und Jahrzehnte bestehen zu lassen. Davon, was das für die Menschen in ihnen bedeutet, vermittelt auch Anne Poirets Film, so sehenswert und informativ er ist, nur eine vage Ahnung“, meint Ursula Scheer auf der Medienseite der FAZ über die Arte-Dokumentation „Neue Heimat Flüchtlingslager“, die heute Abend um 21.45 Uhr läuft. +++ Zudem berichtet Philipp Mangold vom großen Julian-Assange-Abend „First they came for Assange“ in der Berliner Volksbühne. +++

+++ Social-Media-Posts anderer Leute auf der eigenen Seite einzubetten, mit zwei bis drei Sätzen zu versehen und das ganze Artikel zu nennen ist eine bequeme Art und Weise, sich Inhalte zu verschaffen – zumindest, bis der Eingebettete rebelliert und alle seine Posts löscht. So ergangen ist es Instyle.de, wie Meedia berichtet. +++

Frisches Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.