Wir lassen uns das Singen nicht verbieten

Wir lassen uns das Singen nicht verbieten
Der WDR spart am Funkhaus Europa, während der MDR in den Schlager investiert. Vor dem Presserat debattieren schon einmal andere, ob Zurückhaltung bei der Nennung der Nationalität von Straftätern noch angesagt ist. Neues von der traurigen Lage der Pressefreiheit in der Türkei. Wenn der größte Fan der eigene Pressesprecher ist.

Offenbar war alles nur ein Irrtum. Falls Sie sich in den vergangenen Wochen Sorgen um die Zukunft des Funkhauses Europa gemacht haben sollten, kann die Pressestelle des WDR Sie beruhigen. Zwar wurde gestern vom WDR-Rundfunkrat genau die Reform beschlossen, die alle befürchteten (Altpapier vom Freitag). Aber wer sich die dazugehörige Pressemeldung anschaut, kann dort wahrlich nichts Negatives finden.

„Herzstück der Reform ist die Erweiterung des muttersprachlichen Angebots montags bis freitags um eine 30-Minuten-Sendung für Flüchtlinge aus dem arabischen Raum. WDR-Hörfunkdirektorin Valerie Weber: ,Die Welt ist in Bewegung, und wir sind es auch. Das neue arabische Angebot steht ganz in diesem Sinn. Zugleich bauen wir Funkhaus Europa zu einem europäischen Kulturradio aus, das die Vielfalt der Kulturen und Sprachen spiegelt.’“

Klingt doch prima. Und weiter:

„Weiteres Kernstück der Reform ist eine Neuorganisation der Kooperation zwischen den am Programm beteiligten  ARD-Landesrundfunkanstalten WDR, Radio Bremen (RB) und Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb). Valerie Weber: ,In diesem Zusammenhang sind auch manche Musiksendungen betroffen. Einige bekommen einen neuen Sendeplatz unter der Woche zu einer besseren Sendezeit; andere werden am Samstagabend platziert, manche Sendungen nach Mitternacht entfallen ganz. Die bisherige Musikfarbe von Funkhaus Europa ändert sich dabei nicht.’“

Ach so. Echt?

Bei Christoph Twickel von Spiegel Online liest sich das etwas anders:

„Eine unverzichtbare Farbe im öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogramm? So sieht man es beim WDR nicht mehr. Die Musiksendungen, die in den Nachtstunden liefen, sollen verschwinden; insgesamt 17 Sendungen. Hauptmusikformat soll nun eine tägliche zweistündige Magazinsendung sein, in der die Musik aus der Rotation kommt.“

Nun ist es ein bisschen wohlfeil, sich darüber aufzuregen, wenn Pressesprecher ihren Job machen und ihr Unternehmen gut darstellen lassen wollen. Aber ein öffentlich-rechtlicher Sender, der sich eben nicht auf dem freien Markt refinanziert, sondern durch uns, hätte sich gerade bei einer so umstrittenen Entscheidung zu ein wenig mehr Ehrlichkeit aufraffen können.

In eine ähnliche Richtung zielt der Kommentar von Anne Burgmer vom Kölner Stadtanzeiger:

„Jetzt ist die Reform durch. Und das, obwohl die richtigen Fragen in der Sitzung diskutiert wurden. Darunter diese: Ist es nicht das falsche Signal zur falschen Zeit, wenn man ausgerechnet jetzt, wo wir darüber diskutieren, wie Menschen aus anderen Kulturkreisen in Deutschland integriert werden können, die Muttersprachen-Programme zusammenkürzt? Natürlich ist es das. Auch wenn es richtig ist, das arabischsprachige Angebot auszubauen, haben andere Muttersprachler ebenfalls ein Recht auf Beachtung – jeder vierte Einwohner in NRW hat einen Migrationshintergrund. Gleichwohl wird etwa das türkischsprachige Angebot von acht auf 2,5 Stunden gekürzt. Dabei sind es gerade auch solche Programme, die legitimieren, dass sich Deutschland den teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk weltweit leistet.“

Zum Glück ist nicht jeder Sender so knauserig wie die WDR. Der zeitgleich tagende Rundfunkrat des MDR hat zum Beispiel gestern beschlossen, ein trimediales Angebot zu schaffen, das Fernsehsendung, Digitalradio und Internetseite verbindet. Schalten wir für weitere Informationen in die dazugehörige Pressemeldung:

„MDR-Rundfunkratsvorsitzender Steffen Flath: ,Wir begrüßen es sehr, dass der MDR der großen Hörerschaft, die Schlager und deutschsprachige Musik besonders schätzt, dieses Angebot macht. Es fördert obendrein die programmliche Attraktivität des modernen Digitalradiostandards DAB+, der auch in Mitteldeutschland von Jahr zu Jahr mehr Radiohörer überzeugt.“

Yep. Schlager. Möge das Geld auch knapp, die AfD laut Prognosen bei über 10 Prozent und die Flüchtlingsheime überfüllt sein: Das Singen lassen wir uns nicht verbieten.   

[+++] Um eine wackelige Überleitung zu schaffen: Der deutsche Schlager hat wenig Probleme damit, Nationalitäten zu nennen, und dabei ist „Zwei kleine Italiener“ noch die harmlosere Variante (Yes, I am looking at you, „Zigeunerjunge“ und „Da sprach der alte Häuptling der Indianer“). Für deutsche Journalisten stellt sich die Lage etwas anders da - zumindest, wenn es um Straftaten geht. 

In Ziffer 12.1 des Pressekodex ist bislang geregelt:

„In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“

Nach den Vorfällen der Kölner Silvesternacht wird der Presserat morgen debattieren, ob diese Einschränkung weiter Bestand haben sollte. Im Medium Magazin hatte Bild-Chefin Tanit Koch gleich schon mal die Abschaffung gefordert („Sie steht für ungerechtfertigte Selbstzensur und belegt, wie unmu?ndig Leser in den Augen des Presserats sind. Schlimmer noch: Ihre Anwendung schu?rt das Misstrauen gegenu?ber der journalistischen Arbeit - Menschen merken, wenn ihnen relevante Informationen vorenthalten werden“). Das war wohl das erste Mal, dass sich jemand bei der Bild-Zeitung überhaupt mit dem Pressekodex auseinandersetzte.

Auf der Medienseite der FAZ spricht sich DJV-Chef Frank Überall heute für den Erhalt aus.

„Für Bürger, Kriminalisten, Politiker und Journalisten lässt sich in Sachen ,Köln’, aber auch bei anderen Phänomen nicht spontan überblicken, ob Herkunft und Kultur der Tätergruppen einen Einfluss auf ihr kriminelles Tun haben. Wo das der Fall ist, muss man das wahrheitsgetreu berichten. Das aber erlaubt die Ziffer 12.1 des Pressekodex uneingeschränkt. Urteile sind keine Vorurteile. Aber um zu Urteilen zu kommen, muss man erst recherchieren – was wiederum Ressourcen kostet. Zu diesen Quellen objektiver Berichterstattung gehört journalistisches Handwerk, aber auch Zeit. Die Verbreitung diskriminierender Vorurteile nervt schon in den sogenannten ,Sozialen Medien’ im Internet – mit professionellem Journalismus haben sie nichts zu tun. Darauf – und nur darauf – macht der Pressekodex in seiner jetzt umstrittenen Ziffer aufmerksam.“

Alles richtig. Problematisch ist jedoch, dass Journalisten keine Gatekeeper mehr sind, und ihnen die Polizei aktuell in den Rücken fällt. Denn während Journalisten noch überlegen, ob die Nationalität in diesem oder jenem Fall eine Rolle spielt, beömmelt sich das Internet bereits über die Original-Polizeimeldung, in der Dinge stehen wie „Ein Täter sieht aus wie ein Indianer“.

„Die Polizei unterliegt diesem Pressekodex nicht. Aber: Sollte sie nicht wenigstens eigene einheitliche Regeln haben? Früher erreichten Polizeimeldungen zunächst die Redaktionen. Im besten Fall wurden sie dort von einem Journalisten ins Reine geschrieben. Aber in vielen Fällen landen Polizeimeldungen eben eins zu eins in der Zeitung, in Anzeigenblättern zum Beispiel. Dort redigiert oft niemand mehr. Außerdem ist die Polizei quasi selbst publizistisch tätig, seit seit sie ihre Meldungen über das ,Presseportal’ ins Internet stellt. Für jeden einsehbar“,

schreibt Boris Rosenkranz bei Übermedien.

Ja, ebenfalls richtig, aber irgendwie auch seltsam, wenn Journalisten jetzt von Pressestellen fordern, journalistische Maßstäbe anzulegen, weil sie selbst ihre Deutungshoheit verloren haben. Rosenkranz’ Übermedien-Kollege Stefan Niggemeier (der offenlegt, dass er morgen als sachverständiger Gast beim Presserat zugegen sein wird) plädiert derweil für etwas mehr Selbstbewusstsein: 

„Bleibt noch das Argument, dass es nicht ginge, dass die Menschen im Internet Informationen finden, die ihnen ihre Zeitungen vorenthalten. Tatsächlich ändert das Internet hier die Machtverhältnisse dramatisch. Aber seriöse Medien entscheiden sich auch sonst bewusst dafür, Dinge nicht zu veröffentlichen, obwohl man sie im Internet findet: Unverpixelte Bilder, mörderische Videos, unbestätigte Gerüchte, private Informationen. Dass Menschen auf anderen Wegen erfahren, was nicht in der Zeitung steht, ist nicht neu und ist kein Grund, es in die Zeitung zu schreiben.

Medien wählen aus und lassen weg, was irrelevant ist, was die Öffentlichkeit nichts angeht, was ethischen Ansprüchen widerspricht. Man kann das, wie ,Bild’-Chefredakteurin Tanit Koch, ,Selbstzensur’ nennen. Der übliche Ausdruck dafür ist: Journalismus.“


Altpapierkorb

+++ Nach der türkischen Zeitung Zaman (s. Altpapier gestern) ist auch die mit ihr eng verbundene Nachrichtenagentur Cihan unter staatliche Aufsicht gestellt worden. „,Cihan’ meldete am Montagabend, das Istanbuler Gericht habe dieselben Treuhänder wie bei ,Zaman’ ernannt. Der Schritt erfolgte während des EU-Gipfels mit der Türkei zur Flüchtlingskrise in Brüssel“, meldet Zeit Online. Die Website vom Zaman ist mittlerweile auch offline. Auf der FAZ-Medienseite gibt Karen Krüger einen Überblick über die Lage der Presse in der Türkei und Erdogans Strategie: „Seit dem Regierungsantritt der AKP 2002 war der Aufstieg Erdogans zum mächtigsten Mann der Türkei im Grunde genommen ein Heimspiel. Es gab nur zwei Dinge, die ihm auf diesem Weg wirklich in die Quere kamen: sein Zerwürfnis mit seinem ehemaligen Weggefährten, dem Prediger Fethullah Gülen, der über ein weltweites Netzwerk an Unterstützern verfügt, und kritische Journalisten. (...) Das wichtigste Ziel der europäischen Regierungen ist nun aber, die Flüchtlingsströme nach Europa zu stoppen. Dafür brauchen Brüssel und Angela Merkel die Türkei. Sie erkaufen sich ihre Kooperation, indem über europäische Standards wie Pressefreiheit und Menschenrechte geschwiegen wird.“ +++

+++ Wie die Dortmunder Ruhr Nachrichten mit der Bedrohung ihrer Redakteure durch Rechtsextreme umgehen, und wie sie das Flüchtlingsthema als Lokalzeitung begleiten, erzählt Chefredakteur Wolfram Kiwit der Drehscheibe. +++

+++ Sich eigene Jubelperser mit ins Talkshow-Studio zu bringen, ist gar nicht so einfach, haben Joachim Huber und Martin Niewendick für den Tagesspiegel herausgefunden. „Das fängt schon damit an, dass die Talkshows mit Publikum auf Wochen ausgebucht sind. Wer sich zum Beispiel eine Karte für die nächste ,Anne Will’-Sendung besorgen will, muss lange warten. Bis Anfang Juni sind keine Karten mehr zu haben. Und selbst wenn: Die Themen der Sendungen werden, das ist der Aktualität geschuldet, immer sehr kurzfristig bekannt gegeben. Als Kartenkäufer weiß man in der Regel schlicht nicht, für welches Thema mit welchen Gästen man sich einen Platz reserviert hat.“ Anlass für die Recherche bot der etwas zu frenetisch seinem Chef applaudierende Sprecher von Heiko Maas bei „Anne Will“ am Sonntag. +++

+++ Bei DWDL feiert Alexander Krei zehn Jahre „Das perfekte Dinner“. +++

+++ Der WDR hat sich der Mammutaufgabe angenommen, „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace als Hörspiel zu inszenieren, berichtet Stefan Fischer auf der Medienseite der SZ. „Als reguläre Hörspiel-Produktion, mit professionellen Sprechern und in einem Studio inszeniert, wäre ein Projekt dieser Dimension niemals zu verwirklichen. Dafür sind selbst die Kapazitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht ausreichend. Das ist aber nicht der Grund, weshalb ,Unendlicher Spaß’ mit Laien und weitgehend außerhalb eines Hörspielstudios realisiert wird. Das Projekt arbeitet mit einer Website, die dem Nutzer die notwendigen Mittel für eine Sprachaufnahme zur Verfügung stellt. Man kann das auch als durchaus radikales Experiment des WDR verstehen, mit dem der Sender herausfinden will, wie weit der Hörfunk sich vom klassischen Radio lösen kann.“ +++

+++ Zudem hat Jens Schneider für die SZ Georg Löwisch getroffen, um sich erzählen zu lassen, wie es nach einem halben Jahr als taz-Chefredakteur so läuft. +++

+++ Sat 1 ist jetzt nicht gerade der Sender, von dem man derzeit Großartigkeiten erwartet. Aber der Film „Zwei Leben, eine Hoffnung“ zum Thema Organspende scheint gelungen, meint zumindest Markus Ehrenberg im Tagesspiegel. „Annette Frier spielt das grandios. Als ,Danni Lowinski’ war sie Fernsehliebling, für kesses Mundwerk bekannt. Hier zeigt die 42-Jährige als zwischen gesetzlicher Regelung und Gewissensbissen schwankende Transplantationschirurgin, dass sie mehr drauf hat, als ,nur’ witzig zu sein. Und einen Organspendeausweis hat sie auch.“ +++

+++ „Trotz seines jungen Alters hat Daniel Rosemann viel vorzuweisen, er kennt die Arbeit im ProSieben-Maschinenraum aus dem Effeff. Dort kann man die richtigen Räder in Gang setzen, sich aber auch die Finger schmutzig machen. Eigenschaften, die man - so der Flurfunk beim Sender - sehr schätzt. In der auf Effizienz optimierten Matrix-Struktur der ProSiebenSat.1-Sendergruppe ist es längst keine Selbstverständlichkeit mehr, dass auf die entscheidenden Sessel auch wirklich leidenschaftliche Programm-Macher geraten.“ Rupert Sommer porträtiert bei kress.de den neuen Pro-Sieben-Senderchef, ohne Angst vorm Phrasenschwein zu zeigen. +++

+++ Außerdem enthüllt dort Bülend Ürük, dass die AfD durchaus weiß, was sie da tut, wenn sie mal wieder Krawallaussagen von sich gibt. +++

Neues Altpapier gibt es morgen wieder.