Animationsarbeit

Animationsarbeit
Sieben "Kerneigenschaften der journalistischen Arbeit", die der Unterscheidung zum Nichtjournalismus dienen sollen. Die Schweinefleischpflicht im Licht der Überparteilichkeit (und was Volker Beck dazu noch zu sagen gehabt hatte). Außerdem: digitalfaustischer Pakt, Potemkinsche Zeitung, Pressefreiheit vorm Bundesverfassungsgericht?

Gestern wurde in Berlin wieder kräftig über Lage und Zukunft des Journalismus diskutiert. Diskussionsleiter Thomas Leif fuhr gar eine Doppelschicht.

Die Abendveranstaltung verblüffte dadurch, dass zum Thema "Wie kommt das Neue in den Journalismus?" (nicht: "Wie kommen die Volksparteien in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?") auch Degeto-Chefin Christine Strobl auf dem Podium saß. Das Twitterecho, das natürlich selten Realität 1:1 widerspiegelt, haut oberflächliche Kenner üblicher Journalismuszukunftsdiskussionen nicht vom Stuhl. Dafür erfreut es durch Überschaubarkeit. Wer zwei Stündchen Echtzeit über hat, kann sich das Ganze dank World Wide Wagner zeitsouverän anhören. Ich war nicht dort.

Aber bei der Nachmittagsveranstaltung "Journalist oder Animateur – ein Beruf im Umbruch", die es vergleichsweise in sich hatte. Wer gerne streitet, kann das bestens tun über zwar noch vorläufige, bei der Brenner-Stiftung aber bereits als PDF abrufbare Formulierungen wie nur zum Beispiel der, dass Journalisten "die äußere und innere Pressefreiheit" nutzen, "um Recherche, Auswahl und Veröffentlichung an den Kernmerkmalen journalistischer Arbeit auszurichten", wohingegen "Animationsarbeit"-Leistende "Rechte der äußeren Pressefreiheit als Parasit in Anspruch" nähmen, doch "Themenwahl und Darstellung zuallererst an den Merkmalen der Aufmerksamkeitsökonomie" ausrichten würden.

Formuliert haben das Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz, deren letztes Arbeitspapier auch schon allerhand Streit animierte, über dessen Öffentlichkeitswirkung die Brenner-Stiftung sich vermutlich gefreut hat. Das nächste Arlt/ Storz-Arbeitspapier will dieselbe im April veröffentlichen.

Gestern in der Diskussion dazu zeigten sich zwar alt bekannte Reflexe, z.B., dass manche Journalisten weiterhin gerne solche, die sie wg. PR für keine Journalisten halten, aus Gewerkschaften ausgeschlossen sähen, wogegen sich Frank Überall, Chef der ja auch nicht von wachsender Bedeutung erschütterten Journalistengewerkschaft DJV, bereits verwahrte. Qualitätsjournalismus-Professor Volker Lilienthal wollte Arlt/Storz' Thesen so auch nicht (und nicht einmal den Begriff "Qualitätsjournalismus") unterschreiben. Wirklich gelingen dürfte die beabsichtigte rigide Unterscheidung zwischen Journalismus und Nichtjournalismus im dynamisch weiterlaufenen Medienwandel wohl kaum. Aber spannendere Journalismuszukunftsdiskussionen als sie gemeinhin auf deutschen Podien laufen, könnten sich damit bestreiten lassen.

Und die sieben Arlt/Storz'schen "Kerneigenschaften der journalistischen Arbeit", der nicht animatorischen also, (Unabhängigkeit, Aktualität, Allgemeinverständlichkeit, Relevanz, Richtigkeit, Kontrolle und Überparteilichkeit), könnten tatsächlich hilfreich sein.

[+++] Tagesaktuell schönes Beispiel für Überparteilichkeit: wie Sascha Lobo bei SPON beschreibt, dass "eine bestimmte Form von Debattenverkürzung" "genau dort, wo sich redaktionelle und soziale Medien überschneiden und zu allem Überfluss auf die Politik wirken", nicht nur von denen betrieben wird, die seiner Meinung nach inhaltlich eher Unrecht haben, sondern auch von den anderen, sogar im ungefähr selben Ausmaß:

"In meinem Social-Media-Umfeld fanden sich viele, die sich oft über die falschen Gerüchte mokiert hatten, die über Flüchtlinge verbreitet wurden. Jetzt, da die vermeintliche Botschaft ... in ihre Weltsicht passte, verbreiteten eben diese aufgeklärten, gebildeten, mediengewandten Personen Falschmeldungen, [die] nicht einmal durch einen Klick selbst überprüft wurden."

Es geht darum, wie am 1. März das Wort "Schweinefleischpflicht" in die sogenannten sozialen Medien gespült wurde, wo dann alle üblichen Verdächtigen sowie die, die ebenfalls gerne dazu gehören würden, ihren ... Senf wäre schon wieder so albernes Wortspielchen ... jedenfalls: teilten:

"Begonnen hatte die Eskalation wahrscheinlich mit einer Überschrift der 'Lübecker Nachrichten'. Einem eher differenzierenden Artikel hatte jemand online die Überschrift 'Schweinefleisch-Pflicht in öffentlichen Kantinen?' gegeben, gefolgt von der Unterzeile 'Die Nord-CDU fordert eine Schweinefleisch-Pflicht für alle öffentlichen Kantinen im Land, vor allem für Kitas und Schulen.' Schon die Überschrift mit Fragezeichen war eine suggestive Unterstellung, die im Artikeltext explizit ausgeschlossen wurde. Die Unterzeile schließlich war falsch. Schlicht falsch."

Sie ging aber viral, wie Lobo ebenfalls luzide beschreibt.

Bliebe hinzuzufügen, dass SPON, das von Lobos differenzierenden Kolumnen so profitiert (während normale Autoren dort bekanntlich alles außer differenziert schreiben dürfen ...) wie Lobo von seinem reichweitenstarken Outlet, zuvor natürlich zumindest bei der  Verbreitung der Schweinefleischpflicht-Aufregung führend beteiligt gewesen war. Welches deutsche Nachrichtenportal war das nicht?

Und welches verzichtet auf eine So-spottet-das-Netz-Schau zu jüngsten Entwicklungen um den linken Grünen Volker Beck (der übrigens mit mehreren knackigen Schweinefleischpflicht-Statements, darunter "Rechtspopulismus!", im Zitaterennen der Bild-Zeitung noch die Nase vorn gehabt hatte ...). Und wer, der weiß, wie Onlinejournalismus zurzeit leidlich funktioniert und sich in irgendeiner Zukunft finanziell zu tragen hofft, kann das Nachrichtenportale-Mitarbeitern lange vorwerfen?

Sollten Arlt/ Storz ihre "Animationsarbeit"-Definition in der ausführlicheren Fassung nicht noch überarbeiten, müsste der Onlinejournalismus vermutlich so gut wie vollständig dort eingeordnet werden.

Am Rande: "Merken die Reflexempörten nicht, dass der Skandal nur funktioniert, wenn man die Voraussetzung jener teilt, die mit dem Bild hetzen wollen?", schrieb FAZ-Feuilletonist Christian Geyer zur noch etwas davor aufgebrandeten Aufregung um einen Erika-Steinbach-Tweet. Der Frage, woher genau das schon ältere Foto stammt, mit dessen Verbreitung Steinbach dieses Aufbranden erreichen wollte, ist Fiete Stegers für ndr.de nachgegangen. Geklärt hat er sie noch nicht, aber aufschlussreich ist die Recherche. Und sie zeigt, dass Lobo bei dieser Gelegenheit auch noch eher zu den Reflexempörten zählte. Nur am Rande, wie gesagt. Jetzt zu den wichtigen Dingen.

[+++] Die globalen Reichsten-Charts werden traditionell von der US-amerikanischen Forbes errechnet. Sie nicht etwa unter dem Blickwinkel der eskalierenden Ungleichverteilung von Vermögen, sondern dem der Durchklickbarkeit (z.B. tagesschau.de) zu verbreiten, zählt zu den verdammten Pflichten deutscher Nachrichtenmedien. So bereicherten sie am Tag, als die Schweinefleichpflicht viral ging, das Angebot.

Und kaum hat Mark Zuckerberg "die Top Ten der Superreichen" ge-"stürmt" (SPON natürlich), könnte nun "die Luft" für ihn "dünner" werden.

Wobei sich unter letzerer Überschrift bei kress.de eine dennoch lesenswerte Einschätzung Christian Jakubetz' zum bundeskartellamtlich eröffneten Marktmachtmissbrauchs-Verfahren gegen Facebook verbirgt:

"Die Ermittlungen ... könnten jetzt erstmals der juristische Kniff sein, den Datenschützer immer wieder mal gesucht und nie richtig gefunden haben. Der Kniff besteht vor allem darin, dass bei den Ermittlungen zwei Dinge miteinander verknüpft werden, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben: die Marktmacht des Unternehmens und seine Geschäftsbedingungen - und damit wiederum seinen Umgang mit dem Thema Daten."

Jakubetz greift dann sogar zur schönen Metapher "digitalfaustischer Pakt", die SEO-geschulte Animateure als Überschrift natürlich niemals zulassen würden.

Bei SPON übernahm diese Meldung das gute Ressort, die Netzwelt, und gelangt zur Einschätzung:

"Die langjährige Position von Facebook, als Netzwerk mit Sitz in Irland fühle man sich nicht an deutsche Datenschutzgesetze gebunden, lässt sich immer schwieriger durchhalten"

Mit der in sämtlichen Meldungen zitierten, einen Satz umfassenden Aussage des Konzerns "Wir sind überzeugt, dass wir das Recht befolgen und werden aktiv mit dem Bundeskartellamt zusammenarbeiten, um dessen Fragen zu beantworten" ergibt das einen spannendes Spannungsfeld.


Altpapierkorb

+++ "Wer wissen will, wie es um die deutschen Zeitungen und Verlage bestellt ist, der schaue sich die Reaktionen an: Keine Empörung, keine Schlagzeilen, in den nationalen Zeitungen nicht einmal eine Notiz". Hier im Altpapier war die Zeitungslandschafts-Ausdünnungs-Ankündigung der Funke-Mediengruppe in Thüringen am Dienstag natürlich Thema. Aber SPON-Reichweite haben wir nicht. Nun schildert der Funke-Kenner Bülend Ürük die "in einen dichten PR-Nebel gepackte" "Entlassungs-Welle" und ihre Folgen bei kress.de ausführlich. Falls Sie sich beim Lesen fragen, wer denn Manfred Braun, den "Erfinder der Potemkinschen Zeitung" (Ürük), zum "Medienmann des Jahres" gekürt hat: Horizont war's, die Werberpostille. +++ Die aktuell übrigens (laut turi2.de) meldet, dass der Bauer-Verlag im Namen der Pressefreiheit, jedoch zum Zweck des Pressegrosso-System-Aushebelns, vom Bundesgerichtshof auf noch vors Bundesverfassungsgericht ziehen wolle. +++

+++ "Wie wir Sklaven von Google wurden" heißt ein beinahe ganzseitiger Text der "emeritierten Charles-Edward-Wilson-Professorin der Harvard Business School" Shoshana Zuboff (die Ihnen in Mario Sixtus' eher fröhlicher Arte-Doku "Ich weiß, wer Du bist" begegnet sein könnte) im FAZ-Feuilleton: "Die bloße Tatsache des Überwachungskapitalismus löst Empörung aus, weil sie die Würde des Menschen verletzt. Die Zukunft dieses Narrativs wird von den empörten Wissenschaftlern und Journalisten abhängen, die sich an diese Front begeben, von empörten Volksvertretern und Politikern, die begreifen, dass ihre Autorität in den Werten demokratischer Gemeinschaften gründet, und von empörten Bürgern, die in dem Wissen agieren, dass Effizienz ohne Autonomie nicht effizient, aus Abhängigkeit resultierende Folgebereitschaft kein Gesellschaftsvertrag und Freiheit von Ungewissheit keine Freiheit ist". +++ Der Google-Hierarch Eric Schmidt arbeitet jetzt auch direkt fürs US-amerikanische Militär, d.h. "wird Leiter eines neuen Gremiums für Innovation im US-Verteidigungsministerium" (sueddeutsche.de). +++

+++ Eher kein Überwachungskapitalismus-Kritiker: Michael Kroker, der in seinem wiwo.de-Blog unter der Überschrift "Social-Media-Entwicklungsland Deutschland" "die Ablehnung von Facebook, Twitter & Co." beklagt. +++

+++ Die SZ-Medienseite meldet den Tod ihres Mitarbeiters Hans-Joachim Föller mit 57 Jahren. "Seit 1998 arbeitete Hans-Joachim Föller als freier Journalist (u.a. für 'Frankfurter Allgemeine Zeitung', 'Süddeutsche Zeitung', 'Die Welt', 'Deutschlandfunk', 'Deutschlandradio', 'Rheinischer Merkur', 'Das Parlament', 'Gerbergasse 18', 'tageszeitung', 'Tagesspiegel'), wobei die Darstellung der Folgen der SED-Diktatur einen großen Schwerpunkt bildete" (geschichtswerkstatt-jena.de). +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite geht es, eher knapp, darum, "wie Präsident Bush die NSA losließ". +++ Außerdem ergreift Michael Hanfeld im "tortalen Krieg" Partei für den nun nicht mehr anonymen Tortenwerfer auf die AfD-Politikerin Beatrix von Storch: "Nicht einmal mit einer Backwerkattacke kann diese Rechtspartei angemessen umgehen." +++

+++ Wer oben auf den Link "So-spottet-das-Netz-Schau" klickte,sah schon: Kaum, dass die Berliner Zeitung endlich online relauncht hat, sieht tagesspiegel.de auch anders aus. +++ Ist das Online-Medienressort der Dumont-Zeitungen nun besser aufgestellt? Eher im Gegenteil. +++

+++ Zum Radio: Bei uebermedien.de befasst sich Boris Rosenkranz mit der Playlists-Ermittlung. +++ Die bayerische Erregung um Volksmusik-Verlagerung fasst epd medien zusammen. +++ Und die neuen Marktanteilsermittlungen dwdl.de ("In der Spitzengruppe heißen die weiteren Verlierer unterdessen 1Live, das über 40.000 Hörer verlor und damit wieder hinter WDR 2 zurückfiel, das im Gegenzug 0,8 Prozent zulegen konnte. Noch deutlich kräftiger bergab ging's für NDR 2 ..."). +++

+++ Was Christine Strobls Degeto für den heutigen Fernsehabend vorbereitet hat: einen Reihen-Krimi natürlich. "'Der Tel-Aviv-Krimi' in der ARD lässt kein Klischee aus" (Thorsten Schmitz, SZ). "Es spielen auch Israelis mit in dem Krimi, dessen erste Folge bis auf zwei Sequenzen in Berlin spielt. Aber auch die können die Serie nicht retten, denn man hat sie komplett entisraelisiert". +++ "Tatsächlich öffnet der Krimi den Blick auf die Vielschichtigkeit der israelischen Kultur und des Judentums in einer ungekünstelten Weise" (Viviane Schilling, TAZ). +++ Der Film "setzt einen anderen Ton, als ihn die Legion anderer Findet-den-Mörder-Filme im deutschen Fernsehen bisher getroffen hat." (Ursula Scheer, FAZ). +++ Die neuen Donnerstagskrimi-Reihen der Degeto sind "ausnahmslos eigene Entwicklungen, die sich dadurch auszeichnen, dass deutsche Ermittler ins Ausland versetzt werden" (Tilmann P. Gangloff hier nebenan, der den Film trotz der "letztlich bestürzend banalen Lösung" also auch als Tagestipp führt). +++

+++ Friede Springer hat der DPA erläutert, was sie so mit dem vor allem weiter von ihr besessenen Konzern vor hat. +++

+++ Über die neue englische Zeitung The New Day (AP gestern) berichtet nun auch Ralf Sotschek (TAZ). +++

+++ Und wo bleibt das Positive? In Minga. "Vor zwei Jahren" (siehe Altpapier vor fast zwei Jahren ...) "musste die Münchner 'Abendzeitung' Insolvenz anmelden. Dem Käufer Martin Balle schlug Skepsis entgegen. Heute ist die Legende von einst ein profitables Start-up", berichtet Claudia Tieschky in der Süddeutschen und erfährt indirekt von Michael Graeter Bestätigung ... +++

+++ Sowie im ZDF: "... Nun aber geschah Wundersames, [Markus] Lanz wirkte in seiner Show für einige magische Augenblicke fassungslos. Es fiel von ihm alle Versteifung ab, 'das ist total abgefahren!!', purzelte es aus ihm heraus – einer seiner Gäste war ins Dschungelcamp gegangen, ohne dies finanziell nötig zu haben" (Ljubiša Toši? im Standard .unter der Überchrift "Lanz in seiner Talkshow – kurz fassungslos: Vermenschlichung") +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.