Der Eiertanz der relevanten Elefanten

Der Eiertanz der relevanten Elefanten
Wie mit AfD-Beteiligung über die nächsten Landtagswahlen diskutiert wird, bleibt spannend. Appelle wirken und wirken nicht. Sind die Pfälzer Donald Trump und Malu Dreyer dumm und dümmer? Zum Glück zwar weit verbreitete, aber wohl nicht wahre Meldungen machen auf einen fast vergessenen Vorzug gedruckter Zeitungen aufmerksam. WDR-Hörer können sich auf weniger Werbung (und auf mehr Gremiengremlins) freuen.

Konstruktiv formuliert: Der "Eiertanz" potenzieller Teilnehmer und Ausrichter von TV-Duellen vor kommenden Landtagswahlen ist so spannend wie, zum Beispiel, ein Handballspiel. Es geht hin, es geht her, fast jeder Schuss ein Treffer. Zu überlegen, wer denn nun gewinnen könnte, ergibt gar keinen Sinn, bevor das Ende der Spielzeit auf wenige Sekunden herangerückt ist.

Die betreffenden Wahlen finden Mitte März statt. Dennoch rasch ein Blick auf den Zwischenstand, wie ihn der SWR (der wie alle Inhaber von Übertragungsrechten tatsächlich oder vermeintlich spektakulärer Veranstaltungen natürlich auch von den Spielern und deren Organisationen abhängig ist) vermeldet:

Erstens können sich Rheinland-Pfälzer auf eine "Elefantenrunde mit allen relevanten Parteien im SWR" freuen; der SWR führt das gerne auf den "Appell" seines Intendanten Peter Boudgoust zurück. Die gesichtswahrende Lösung für die SPD besteht darin, dass statt der aktuellen Ministerpräsidentin Malu Dreyer für sie der sehr relative Elefant Roger Lewentz auftritt (wie als erstes kress.de meldete): "Lewentz ist seit 2011 Innenminister in Mainz und seit dem Rückzug von Kurt Beck 2012 Vorsitzender der SPD Rheinland-Pfalz."

Bevor Euphorie sich Bahn brechen konnte, kam dann die Meldung, dass zweitens im zweiten südwestdeutschen Bindestrich-Bundesland alles anders bleibt:

"Auch nach Appell des SWR: Grüne und SPD in Baden-Württemberg diskutieren nicht mit der AfD",

lautet die Überschrift. Ins Kleingedruckte startet der SWR geschickt mit: "Der SWR hat final über seinen Wahlschwerpunkt am 10. März 2016 im SWR Fernsehen Baden-Württemberg entschieden, dessen Planungen durch taktische Bedingungen und Absagen einzelner Parteien erschwert wurden". Wer die Beziehungen zwischen Rundfunkanstalten und Landespolitik kennt, könnte vermuten, dass statt "final" ein "viertel-" oder "halbfinal" treffender sein könnte.

Jedenfalls: "Was für ein Eiertanz!", wie Josef-Otto Freudenreich (Kontext-Wochenzeitung) das erste von zwei frischen Fritz-Frey-Interviews einleitet. Frey ist Chefredakteur des SWR und als Politmagazin-Moderator sowie durch sein charakteristisches Westen-Outfit (vgl. @fritzfrey/ Twitter) auch überregional bekannt.

"Wir haben alles durchdekliniert: Sollen wir die Sendung ausfallen lassen? Das kann man machen. Kommen wir damit unserem Informationsauftrag nach? Nee. Wir haben sogar daran gedacht, zwei leere Stühle hinzustellen",

schildert er das Drama seiner Anstalt.

"Das wäre eine klare Ansage gewesen. Voll souverän."

"Das hätte uns sicher Schlagzeilen eingebracht, aber ehrlich, wenn man über Landespolitik diskutieren will, und das ohne die Regierenden, dann wäre nach fünf Minuten der Spaß rausgewesen. Und die Elefantenrunde ist nun mal eine der Korsettstangen in der Wahlberichterstattung."

"Na ja",

entgegnet Freudenreich, der derart leicht doch nicht zu beeindrucken ist. Frey spricht noch vom "Griff in den Mustopf", zu dem sein SWR gezwungen worden sei, und von "Wasser auf die Mühlen der AfD", das sich aus diesem Mustopf wohl ergoss. Das zweite aktuelle Interview hat Michael Hanfeld für die FAZ-Medienseite (derzeit nicht nun doch frei online) geführt.

"Wir waren und sind der Auffassung, dass eine solche 'Elefantenrunde' vor den Landtagswahlen das beste Angebot an das Publikum ist. Wenn dann äußere Faktoren dazu führen, dass wir dieses Konzept nicht umsetzen können – was soll ich als Programmanbieter machen?",

geht's quasi nahtlos weiter. Frey nennt mit Recht als seine "Aufgabe, den Diskurs auch mit dieser Partei zu organisieren", also der AfD. Dieses zu einem etwas späteren Zeitpunkt entstandene Interview enthält überdies bereits spannende Details zu den RLP-Duell-Formalien ("Lewentz wird von uns allerdings nicht als Innenminister, sondern als Parteivorsitzender der SPD Rheinland-Pfalz eingeladen").

Während SZ-Chefredakteur Kurt Kister wohl von leicht links aus und anlassunabhängiger die AfD "zwischen Randständigkeit, Sofa-Nationalismus und einer Art politischem ADHS-Syndrom mancher Spitzenfunktionäre" einordnet, und SPON-Kolumnist Jan Fleischhauer von klarer rechts her "eine Sache, die Donald Trump und Malu Dreyer verbindet", benennt, greift die TAZ von klarer links her genau dies auf. Dort nennt Jürn Kruse Trump und Dreyer aus ungefähr denselben Gründen "dumm und dümmer".

(Falls Sie auch gerade genau das assoziiert haben sollten: Am 5. Februar zeigt Arte diese Doku über das pfälzische Dorf, aus dem Donald Trumps Vorfahren stammten ...).

Kruses Appell jedenfalls:

"Denn so zuwider einem die Meinung des anderen auch sein mag, so wichtig ist in einer funktionierenden Demokratie das Signal: Seht her, wir hassen uns, aber wir reden miteinander und schlagen uns nicht gegenseitig die Fresse ein. Die Domestizierung aller am politischen Diskurs und Prozess Beteiligten ist eine große Errungenschaft moderner demokratischer Gesellschaften",

gehört zum Klügsten, was dazu bisher formuliert wurde.

[+++] Während Elefanten von relativer Relevanz auf solchen Eiern tanzen, geht es in der wirklichen Welt schlimm zu, blutig und brutal. Könnte sogar tröstlich wirken, dass gleich zwei stark gegenläufige Belege aktuell dafür zu sprechen scheinen, dass nicht alles so schlimm ist, wie es in den Medien (den sogenannten sozialen und den sog. Qualitäts-) mitunter erscheint?

Beispiel I, neuer: die gestern tagsüber kursierende Meldung, ein Flüchtling aus Syrien sei quasi in der Warteschlange vorm berüchtigten Berliner Lageso erkrankt und gestorben. Das war offenbar frei erfunden (RBB), hatte sich über "per strg c + v" bei Facebook gepostete Chatverläufe und SMSse verbreitet und zwischenzeitlich die womöglich erwartete Medienlawine in Gang gesetzt. "Pressevertreter schwärmten aus, auf Twitter wurde wild spekuliert", fasst die TAZ zusammen; "nachmittags meldet sich der Pressesprecher der Grünen beim Tagesspiegel. Er bittet, nicht mehr zu berichten, Ramona Pop habe sich mit den Worten 'Wir haben es kommen sehen' geäußert. Das sei nicht so gewesen" (Tsp.). Wahrscheinlich wäre es nur dann so gewesen, wenn andere Umstände auch anders geblieben wären.

Und u.a. in einer zeit.de-Zusammenfassung wird eine Sprecherin der engagierten Initiative "Moabit hilft", die die Nachricht im Vertrauen darauf, dass sie stimmte, mit verbreitet hatte, zitiert mit "Wenn es nicht stimmt, wäre das eine Katastrophe".

Hätte es gestimmt, wäre es natürlich eine Katastrophe gewesen. Das ist mit das Fatale an solchen Entwicklungen: dass sich trotz aller theoretisch verinnerlichten guten Vorsätze (vgl. etwa einen Tweet von @MS_Berlin) offenbar immer mehr Situationen ergeben, in denen dann sämtliche Szenarien als katastrophal erscheinen. "'Mal abwarten, was die Recherche ergibt', kommentierte ein Nutzer am Mittag auf der Facebook-Seite des Bündnisses 'Moabit hilft'. 'Mittlerweile glaubt man nichts und niemandem mehr.' Ein anderer Nutzer schrieb: 'Lügengeschichte! aufgesogen von der Lügenpresse.'", heißt es in einer FAZ-Zusammenfassung.

"Die Lüge ist ein Drama, aber keine Katastrophe", rückt Tsp.-Chefredakteur Lorenz Maroldt per Morgen-Newsletter und Kommentar zurecht ...

Und immerhin zeigt diese Sache einen fast vergessenen Vorzug gedruckter Zeitungen: Während im Echtzeit-Internet das Thema gestern zeitweise vielerorts weit oben stand, kommt es in diesen heute nur unter ferner liefen vor.

[+++] Die andere aktuelle Beleg dafür, dass nicht alles so schlimm ist, wie es in Medien mitunter erscheint, kam hier im Altpapier schon mehrmals vor, zuletzt gestern unten im Korb, zuerst vor einer Woche. Zur angeblichen, vor allem von russischsprachigen Medien als Meldung verbreiteten Vergewaltigung einer Dreizehnjährigen in Berlin wird weiterhin viel geschrieben.

Z.B. hat Hannah Beitzer für sueddeutsche.de mit einem Osnabrücker "Juniorprofessor für die 'Migration und Integration der Russlanddeutschen'" (wirklich schön, dass er Jannis Panagiotidis heißt) gesprochen, der u.a. die "grenzüberschreitende russische Diaspora" umreißt, in die "die Russlanddeutschen ... über die sozialen Medien eingebunden" seien.

Z.B. berichtet die TAZ von einer, sagt man: Battle oder doch eher Beef?, die oder den deswegen Linkspolitiker über sog. soz. Medien führen. Der veritable Elefant Bodo Ramelow soll via Twitter einen bei Facebook postenden, russischstämmigen  (Noch-)Partei-Freund "Kein Deut besser als Frau von Storch!" genannt haben, nachdem dieser der Berliner Polizei "erschreckende Unsensibilität" vorgeworfen haben soll (Sie habe "das traumatisierte Mädchen ... als Lügnerin abgestempelt") ...

[+++] Zurück in die kuschelige Welt der öffentlich-rechtlichen Anstalten: Das neue WDR-Gesetz (Altpapier vom Dienstag) ist durch. Meistbeachteter Punkt:

"dass Reklame im WDR-Radio von 2017 an nicht mehr auf drei Wellen und 90 Minuten pro Tag erlaubt ist, sondern nur noch 75 Minuten auf zwei Wellen. Von 2019 an darf dann nur noch auf einer Welle geworben werden und nur noch 60 Minuten,

wie Hans Hoff (siehe auch Altpapierkorb heute!) dazu unter der Überschrift "Privatsender gewinnen Machtpoker" auf der SZ-Medienseite schreibt.

Wer Radiowerbung für eine der fürchterlichsten Gattungen von legalen Medieninhalten hält, kann sich freuen. Wer sich ärgert: erstens der WDR selbst, zweitens namens "Werbungtreibenden und der Gattung Hörfunk insgesamt" der Geschäftsführer der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (horizont.net mit eingebundenem Joachim-Schütz-Tweet). Drittens etwa auch Floskelwolken-Macher Udo Stiehl als freiberuflicher WDR-Mitarbeiter. "Da haben sich die Verleger in #NRW ... eine Gelddruckmaschine von der Landesregierung liefern lassen", schrieb er ebenfalls bei Twitter.

Wobei  die wohl schönste und sicherste Gelddruckmaschine der ganzen Medienwelt natürlich weiterhin der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk besitzt. Weshalb die Journalistengewerkschaft DJV schon mal vorschlägt, eine womöglich geplante weitere Rundfunkgebühren-Senkung im Gegenwert eines Brötchens im Monat auszusetzen und dem WDR zu spendieren.

Zumindest wird der WDR durch weitere Regelungen desselben Gesetzes entschädigt. So sind Kooperationen mit "privaten Partnern" wie der gerade zitierten Süddeutschen (aktuell mit Fußball-WM-Stoff am Start) nun also noch erlaubter als bisher. Außerdem wird, wenn schon die Werbezeit reduziert, die Anzahl der Rundfunkratsmitglieder von 49 auf 60 erhöht.

Und dass ein Sender davon profitiert, wenn mehr Gremiengremlins hinter bestenfalls halbtransparenten  Kulissen die Interessen gesellschaftlich relevanter Gruppen einzubringen versuchen, kann ja wohl niemand bezweifeln (Bzw., falls Sie die Metapher "Bärendienst" vermisst haben sollten: Hier verwendet sie ein Mitglied der im Düsseldorfer Landtag vertretenen FDP ...).


Altpapierkorb

+++ Herzlichen Glückwunsch an den eben erwähnten (und auch von Fritz Frey im oben verlinkten Kontext-Interview ausführlich zitierten) Hans Hoff sowie an Claudia Tieschky! Sie sind frisch gebackene Träger des Bert-Donnepp-Preises (den vor drei Jahren das Altpapier bekam). Warum, steht auf grimme-institut.de. +++

+++ Die jüngste ARD-Sendung mit AfD-Beteiligung lief gestern spät abends und wird heute viel besprochen (bei faz.net von Frank Lübberding, bei handelsblatt.com von mir [und dass die Überschriften, außer im Altpapier, selten die Autoren selber bestimmen, weiß ja, wer bis hierhin scrollte...], bei tagesspiegel.de, bei den DuMonts, bei SPON, bei welt.de ... +++

+++ Die zeitweiligen "Landesverräter" von netzpolitik.org leaken wieder und zwar "vertrauliche Regierungspläne für anstehende Gesetzesvorhaben". +++

+++ Das "gefährliche Narrativ .,,, auf dem auch die NSA surft: Sicherheit sei bloß eine Frage der richtigen Technologie", diese "Sicherheitslüge, die jetzt an vielen Stellen hervorquillt", verknüpft Sascha Lobo (SPON) mit einem kürzlich verbreiteten, dann obsolelt gewordenen Kölner Fahndungsaufruf. +++ Indes klagt die inzwischen selten, aber heute hier doch bereits erwähnte FDP-Politiker vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen das neue Vorratsdatenspeicherungs-Gesetz (Heribert Prantl, SZ). +++

+++ Auch ein Problem bei ARD und ZDF: "die überaus konservative Programmpolitik plus die offensichtlich abhandengekommene Meisterschaft für ein Dokudrama oder für eine Politserie". Findet Joachim Huber (Tagesspiegel) wegen "Die Stadt und die Macht" und des vorgestern gesendeten Beate-Zschäpe-Dokudramas des ZDF. +++

+++ Verläuft "die Entwicklung des Medienvertrauens" gar nicht so schlimm, wie viele Journalisten immer denken? "Langzeitdaten zeichnen völlig anderes Bild, als es die derzeit gängige Krisenerzählung vermittelt", meinten  zumindest die Münchner Kommunikationswissenschaftler Carsten Reinmann und Nayla Fawzi kürzlich im Tagesspiegel. +++

+++ Was das gerade verbotene, aber wohl auch länger schon weniger wichtige Neonazi-Portal "Altermedia" war, fasst Martin Steinhagen in der Frankfurter Rundschau zusammen. +++

+++ Die SZ-Medienseite stellt erstens die Stadlpost der Stadl Media GmbH vor, die trotz Absetzung des ARD-"Musikantenstadls" sogar gedeiht und künftig öfter erscheint. "Als 'Stadlpost' hat man einen Vorteil gegenüber einer TV-Sendung: Wenn mir ein Beitrag nicht gefällt, kann ich als Leser einfach umblättern, im Fernsehen kann man nur wegschalten", sagt Chefredakteur Thomas Ziegler. +++ Zweitens stellt die SZ natürlich eine neue US-amerikanische Serie vor ("Billions", "derzeit zum Abruf bei Sky, im Fernsehen von April an"). +++ Und drittens den neuen "Athen-Krimi" der ARD-Degeto ("Eine Sightseeing-Bustour ist der reinste Abenteuerurlaub dagegen"). +++ Hier nebenan ist's TV-Tipp des Tages.+++

+++ Auf der FAZ-Medienseite beschäftigt sich Ursula Scheer, frisch gebackene Preisträgerin des "Journalistenpreis Bahnhof 2016", wie das FAZ-Feuilleton auch meldet, mit der Frage, wer in Italien "die Venus verhüllt" hat. +++

+++ Und mehrere Zeitungen melden, dass den in der Türkei schon lange und teilweise isoliert inhaftierten Journalisten Can Dündar und Erdem Gül "schlimmstenfalls lebenslange Haftstrafen" drohen (reporter-ohne-grenzen.de). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.