Das Imperium faucht zurück

Das Imperium faucht zurück
Wie der Deutschlandfunk einmal einen Fehler und danach alles noch schlimmer machte. Die Null-Euro-Affäre ist für den NDR immer noch nicht ausgestanden. Thierry Chervel sagt, was Mathias Müller von Blumencron sagt, ist „frech“. Außerdem: ein Blick zurück in das Fernsehjahr 1966.

Judith Rakers, die Sprecherin der „Tagesschau“, ist sehr prominent, und es gibt Leute im NDR, die glauben, dass das als Qualifikation für andere Aufgaben ausreicht. Wer das für Polemik hält, dem sei ein Blick empfohlen in die Reportage „Wie wird man Internet-Millionär? Judith Rakers im Silicon Valley“, die das NDR Fernsehen am Montagabend ausgestrahlt hat.

 „‚Die Sendung mit der Maus‘ erklärt das Valley“, 

lautet das Urteil von Frank Schmiechen (Gründerszene), und in die falsche Richtung geht das nicht, zumal Kinderfernsehen für Erwachsene bei einigen öffentlich-rechtlichen TV-Machern ein nicht unpopuläres Genre ist, allerdings bin ich mir nicht sicher, ob man der „Sendung mit der Maus“ damit gerecht wird. 

Rakers, die als Expertin für IT-Wirtschaft bzw. irgendwas mit Valley bisher nicht aufgefallen war, findet hier heute nur deshalb Erwähnung, weil es als sicher gelten kann, dass sie keinen Grund hatte, sich über die Höhe ihres Honorars zu beklagen. Ganz anders als die beiden Kabarettisten Matthias und Jennifer Ehnert, die sich in einem Offenen Brief an den NDR-Intendanten Lutz Marmor - der im Altpapier in der vergangenen Woche bereits zweimal Erwähnung fand, zuletzt hier im Korb unten - darüber beschwert haben, dass der NDR bzw. eine Redaktion mit dem niedlichen Namen „Planung, Entwicklung, Innovation“ ihnen als Honorar null Euro angeboten hat:

„Die Argumentation der Redaktion (...) ist nämlich die, Zitat (aus der Erinnerung): ‚Es hat doch einen Werbeeffekt für Sie, wenn wir Ihr Programm senden!‘ (...) Dieser so genannte ‚Werbeeffekt‘ ersetzt (aber) nicht ein ernst zu nehmendes Honorar. Man käme beim NDR ja auch nicht auf die aberwitzige Idee, Til Schweiger zu fragen, ob er unentgeltlich einen NDR-‘Tatort‘-Kommissar spielen möchte, um damit in Zukunft seine Kinofilme besser bewerben zu können.“

Silke Burmester hat für die SZ die Sache nun noch einmal aufgegriffen, weil es hier nicht nur um das nicht unübliche feudale Gebaren geht, das öffentlich-rechtliche Sender manchmal gegenüber Mitarbeitern an den Tag legen, die nicht so prominent sind wie Judith Rakers oder Til Schweiger, sondern um Grundsätzlicheres. Burmester leitet ihren Artikel so ein:

„Es gibt Zeitungen und Magazine, die verweisen angesichts fragwürdig niedriger Honorare auf den angeblichen Werbeeffekt, den es für freie Journalisten habe, darin zu publizieren.“

Sollte nun auch bei Redakteuren eines öffentlich-rechtlichen Senders „dieses eigenartige Verständnis von Geben und Nehmen“ Verbreitung finden, wäre damit eine weitere Eskalationsstufe erreicht.

Der NDR hat der Darstellung der Ehnerts zwar widersprochen, man habe sehr wohl ein Honorar zahlen wollen, aber eines, das unter den Vorstellungen der Künstler lag (siehe das oben verlinkte Altpapier). Dennoch:

„Aktuell steht Aussage gegen Aussage. Der NDR hat keinen Schriftverkehr über das Honorarangebot, kann sich also nicht glaubwürdig von dem Vorwurf befreien“,

schreibt Burmester, die auch zu berichten weiß, dass das Imperium zurück faucht.

„(Es) melden sich freie NDR-Mitarbeiter bei dem Kabarettisten, die berichten, dass NDR-Redakteure Kontakt zu ihnen aufgenommen hätten. Um ihr Befremden zu äußern, dass sie den offenen Brief in den sozialen Medien geteilt hätten.“ 

Der gute alte Kameradenschwein-Vorwurf also. Und:

„Am Sonntag bekam (Matthias) Ehnert außerdem eine E-Mail von Youtube. Der Showreel, ein Film mit Arbeitsproben für Castingagenturen, der den Darsteller Ehnert 43 Sekunden lang in einem NDR-Til-Schweiger-‘Tatort‘ zeigt, wurde gesperrt. Von der ARD. Aus ‚urheberrechtlichen Gründen‘“.

[+++] Wenn man ein bisschen Trost braucht angesichts mancher aktueller Usancen im öffentlich-rechtlichen Milieu, ist ein Blick zurück in Zeiten, die besser gewesen sein könnten, immer eine Option. Derzeit bietet sich Klaudia Wicks Medienkorrespondenz-Leitartikel über das Fernsehjahr 1966 an. Es „markiert das Ende einer Aufbauphase“ bzw. eine Phase „zwischen Etablierung und Neuorientierung“. Wick geht auf einige beispielhafte Filme des Jahres ein, unter anderem auf Egon Monks NDR-Produktion „Preis der Freiheit“, ein Film über Grenzsoldaten der NVA:

„Der Brecht-Schüler Egon Monk hat 1960 in Hamburg die Fernsehspielabteilung des NDR übernommen (...) Binnen weniger Jahre entsteht (...) eine neue Fernsehspielpraxis, die sich einerseits filmischer Mittel bedient, dabei aber andererseits in ihrer dramaturgischen Form der analytischen Distanz und den Vermittlungsformen des epischen Theaters verpflichtet ist. ‚Private Leidenschaften interessieren mich nicht‘, bekennt Egon Monk in Bezug auf sein Fernsehspiel ‚Ein Tag‘ (ARD/NDR, 6.5.1965), das nüchtern und vermeintlich emotionslos den Alltag im Konzentrationslager von 1939 beschreibt. Auch ‚Preis der Freiheit‘ folgt diesem Vermittlungsmuster, das die minutiöse Zustandsbeschreibung an der bewachten Grenze nutzt, um den Zuschauer nicht zum Mitfühlen mit einzelnen Spielfiguren, sondern zum Nachdenken über die Verhältnisse an der Mauer zu bringen.

Um mal ein bisschen ungerecht zu sein, aber nur ein bisschen: Ein wesentliches Problem der zeitgenössischen TV-Fiction besteht darin, dass die heutigen Fernsehspielchefs genau das Gegenteil von dem wollen, was Monk wollte: Sie wollen den Zuschauer „zum Mitfühlen mit einzelnen Spielfiguren“ bringen. 1968 wechselte Monk i.Ü. auf den Intendantenposten im Hamburger Schauspielhaus - solche Lebenswege sind ja auch schon lange nicht mehr denkbar.

Wicks Text ist ein Vorabdruck aus einem Buch, das zur Ausstellung „Deutsches Fernsehen 1966 – Perspektiven in Ost und West“ erscheint, die am 11. Februar in der Deutschen Kinemathek beginnt (für die die Autorin arbeitet). Liest man solche Artikel, ärgert man sich nicht nur darüber, dass die Sender Filme von Monk und anderen Pionieren nicht mehr zeigen, sondern auch darüber, dass sie sie aufgrund der gesetzgeberischen Beschränkungen, denen die Öffentlich-Rechtlichen online unterliegen, online nicht zur Verfügung stellen können.

[+++] Womit wir in der Medienpolitik angelangt wären: Im Entwurf des neuen WDR-Gesetzes, auf den sich die Landtags-Fraktionen von SPD und Grünen geeinigt haben und über den heute der Düsseldorfer Landtag abstimmt (siehe Altpapier von Dienstag), steht „überraschenderweise“ (Hans Hoff, SZ), dass der WDR im Radio ab 2017 weniger Werbung senden darf als bisher und ab 2019 dann noch a bisserl weniger. Von einer „Rolle rückwärts“ spricht Michael Hanfeld (FAZ-Medienseite), weil es gestern noch so ausgesehen hatte, als planten die Regierungsparteien keine Werbereduzierung. 

Die erste Kehrtwende ist der aktuelle Move aber beileibe nicht, denn 2013 hatte der SPD-Medienpolitik-Guru Marc Jan Eumann „erstmals verkündet“, es müsse „gesetzlich verankert werde(n), dass der WDR seine Radiowerbung reduzieren müsse" (siehe einen älteren Artikel aus der Medienkorrespondenz). Und wer fordert nun

"alle Abgeordneten des Nordrhein-westfälischen Landtags auf, dieser übereilten und programmgefährdenden Kürzung der Werbung im WDR-Hörfunk bei der heutigen Abstimmung nicht zuzustimmen"?

Die WDR-Redakteursvertretung.

[+++] Der öffentlich-rechtliche Sender, der in diesen Stunden den desolatesten Eindruck hinterlässt, dürfte wohl der Deutschlandfunk sein, der in einer Ankündigung eines Beitrags gerade mit der Einschätzung überraschte, die Hamas vertrete eine „fast antisemitische Ideologie“.

Nur fast? Dazu Felix Huesmann (Ruhrbarone): 

„Das verwundert doch stark: Schließlich ist der Wunsch nach der Vernichtung nicht nur des Staates Israel, sondern der Juden allgemein, bereits in der Charta der Hamas von 1988 niedergeschrieben.“

Auf Facebook reagierte der Sender dann so: 

“Liebe Hörer, die Formulierung ‚fast antisemitisch‘ hat zu Protesten geführt, die wir verstehen können (...) Wir bedauern, dass das zu Missverständnissen geführt hat.”

Weil zur Reaktion auch eine „Definition“ des Antisemitismus gehörte, wie man sie so ähnlich aus dem rechten Milieu schon oft gehört hat, konstatierte Huesmann: 

„Beim Deutschlandfunk wollte man die Aussage (...) nicht so stehen lassen und machte alles nur noch schlimmer. Anstatt einen Fehler in der Einschätzung der Hamas einzugestehen, werden die Kritiker belehrt.“

Nachdem die Korrektur der „Missverständnisse“ wieder „Dutzende empörte Kommentare“ (Ruhrbarone, siehe u.a. hier) nach sich gezogen hatte, reagierte der Sender folgendermaßen:

„Die Antwort hätte so nie gegeben werden dürfen, und wir stellen sicher, dass so etwas nicht wieder vorkommt.“

Lieber würde man aber erfahren, warum im Sender innerhalb kurzer Zeit gleich zweimal derart Befremdliches „vorkommt“. Auf der DLF-Website heißt es in einer Anmerkung unter der Ankündigung des Beitrages über die Hamas nun:

„Wir möchten (...) klarstellen, dass auch der Deutschlandfunk keinen Zweifel daran hat, dass die Ideologie der Hamas gegen Juden gerichtet ist und insofern auch eindeutig antisemitisch ist.“

Na, dann is ja alles gut.


Altpapierkorb

[+++] Wer Sehnsucht hat nach Sozialdemokraten, die AfDisten in Talkshows zeigen, was ne Harke ist (und da scheint es viele Menschen zu geben, wenn ich meine Timelines als Maßstab nehme): Ralf Stegner geht heute dorthin, wo auch Frauke Petry hingeht: zu „Maischberger“. Siehe Tagesspiegel.

+++ Thierry Chervel (Perlentaucher) wundert sich doch sehr über die Äußerung der FAZ-Spitzenkraft Mathias Müller von Blumencron, dass „die Qualitätsmarken wachsen“ (siehe Altpapier von Dienstag). Beziehungsweise: „Was (er) da sagt, ist schon frech. Qualitätsmarken in der deutschen Medienlandschaft wachsen nicht nur nicht, sie schrumpfen und schrumpfen und schrumpfen (...) Die Auflage der FAZ sinkt seit Jahren - mit krassen Folgen für den Inhalt des Qualitätsblatts. Allein die Zahl der Literaturkritiken pro Jahr dürfte sich seit 2000 fast halbiert haben.“ Was der Angegriffene dazu sagt? Siehe diverse Tweets.

+++ Die Berliner Zeitung will „jetzt juristisch gegen alle vorgehen, die unsere Redakteure bedrohen und diffamieren. Eine erste Strafanzeige wurde gestellt." Warum man das aber erst seit Neuestem so handhabt, ist nicht ganz klar.

+++ Auf die Demonstrationen sogenannter Russlanddeutscher, die in verschiedenen Städten stattgefunden haben, weil die Protestierer eine von vielen russischen Medien verbreitete „Horrorgeschichte“ (Die Welt) über ein angeblich von mehreren Flüchtlingen in Berlin vergewaltigtes Mädchen glauben, berichten neben der Springer-Zeitung u.a. noch Spiegel Online und die Stuttgarter Zeitung. Daniel Bax kommentiert in der taz: „Es greift (...) zu kurz, die Proteste, bei denen sich Russlanddeutsche mit Parteigängern von Pegida und NPD treffen, als vom Kreml gesteuert zu betrachten. Sie knüpfen vielmehr an eine Stimmung an, die hierzulande bis in die Mitte der Gesellschaft verbreitet ist, wie man nach der Kölner Silvesternacht sehen konnte. Vorurteile gegen Flüchtlinge und ‚Araber‘ sind in Deutschland ja keine Randerscheinung, sondern gehören sogar in bestimmten Feuilletons zum guten Ton.“ 

+++ „Thema des Tages“ auf Seite 2 in der SZ: Drei FDP-Politiker reichen heute zum zweiten Mal seit 2010 beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen die Vorratsdatenspreicherung ein. Heinrich Amadeus Wolff, „Ordinarius für Öffentliches Recht, Recht der Umwelt, Technik und Information an der Universität Bayreuth“ habe „die Verfassungsbeschwerde akkurat und penibel verfasst“, meint Heribert Prantl. „Massiv“ rüge Wolff, dass Menschen, die in sogenannten Vertrauensberufen tätig sind (also u.a. Journalisten), „keinen umfassenden Schutz vor einer Vorratsdatenspeicherung genießen, sondern nur der Zugriff auf ihre gespeicherten Daten beschränkt sei“.

+++ Warum der Häuptling der bayerischen Sozialdemokraten den Bayerischen Rundfunk mit dem nordkoreanischen Fernsehen vergleicht, steht u.a. bei Spiegel Online und der Augsburger Allgemeinen.

+++ Friedemann Karig (jetzt.de) interviewt Andre Wolf, einen Vertreter des Wiener Vereins Mimikama, der unter anderem „fremdenfeindliche Facebook-Fakes“ entlarvt. Wolf sagt:  „Im Laufe des Jahres 2015 gab es erst eine deutliche Zunahme. Dann flachte es im Oktober etwas ab. Seit den Anschlägen von Paris im November und dann den Übergriffen der Silvesternacht boomen aber fremdenfeindliche Fake-Meldungen. Momentan haben wir täglich zwei bis vier neue große Fakes, die uns teilweise mehrfach gemeldet werden und die wir auch überprüfen.“

+++ Und in der Medienkorrespondenz stelle ich „Toxic Tunes“ vor, eine neue Konzert- und Sendereihe des NDR, die mit einem neuartigen Konzept - der Sender selbst spricht von einem „Gesprächskonzert“ - dazu beitragen will, das Publikum für experimentelle Musik verschiedenster Art ein bisschen zu verbreitern. Die Aufzeichnung der ersten „Toxic Tunes“-Veranstaltung am 30. Januar von 22.05 bis 23.00 Uhr bei NDR Info. 

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.