Auf Augenhöhe mit Legenden

Auf Augenhöhe mit Legenden
Colin Farrell bald als Hajo Seppelt? Jedenfalls hagelt es gerade großes Lob für deutsche Investigatoren im internationalen Sportmilieu. Zugleich geht der "Wettlauf" um die Fernsehrechte an den übernächsten Olympischen Spielen neu los, und die ARD-"Sportschau" wird endlich auch "unique" (ARD). Außerdem: frische "Hiobs-Botschaften für die Online-Werbeindustrie" und den Journalismus, der sich dadurch finanzieren möchte.

Wer waren noch mal die idealen Vorbilder für alle, die trotz allem immer noch Journalisten werden (bzw. bleiben) wollen?

Die jungen Enthusiasten von correctiv.org hatten die Namen und ihr Verdienst kürzlich (Altpapier von vor einer Woche) in der Lektion "Die investigative Recherche" ihres Video-Tutorials genannt: Die "Watergate-Berichterstattung von Bob Woodward und Carl Bernstein" ist das Maß der Dinge, auf das circa neun von zehn Deutschen, denen überhaupt etwas zum Journalismus einfällt, früher oder später kommen. Hatten Robert Redford und Dustin Hoffman nicht sogar renommierte Oscars gewonnen, oder waren sie nicht mal nominiert?

Einheimische Vorbilder für deutschen Nachwuchs gibt es eher nicht, oder? Die Landesverratsvorwurf-Attacke gegen Markus Beckedahl lässt sich schwer dramatisieren, zum Glück für ihn; und dass das Rechtssystem grundsätzlich funktioniert, zeigte es ja auch. Und was war noch mal die wichtigste Leistung Hans Leyendeckers, der an diesem Donnerstag in der SZ übrigens aus der Tiefe seiner Erfahrungen sowohl die sehr relative "Intensität eines Skandals" in den Medien kommentiert (Meinungsseite, unfrei online; es geht um die Schlapphüte vom BND), als auch im bewährten Team mit Klaus Ott scharf und doch empathisch an der Beckenbauer-Sache dran bleibt ("Ob Beckenbauer den Ansehensverlust, den er gerade erleidet, bemerkt, ob der ihm egal ist oder nicht, das weiß man nicht. Der 70-Jährige hat vor ein paar Wochen seinen Sohn Stephan begraben müssen, und was ist der Verlust eines Kindes verglichen mit einer Affäre, die mit Namen wie Jack Warner oder Mohamed Bin Hammam verbunden wird?", Sportressort, frei online)?

Aber halt. Jetzt gibt einen Deutschen auf Augenhöhe mit den genannten Legenden. Wir schalten zur WDR-Pressestelle auf Twitter:

"Dickes Lob von #WADA-Ermittler Proud für WDR-Autor Seppelt und seine Doping-Recherchen: 'To some degree it's like .. Woodward and Bernstein'"

Dass der WADA-Charirman gar nicht Proud heißt (sondern sie es eher beim WDR waren), wurde schnell korrigiert. Und in der Sache hat Hajo Seppelt, der überhaupt gerade aussieht, als könnte er bald von Colin Farrell verkörpert werden, das Lob verdient.

Was genau Dick Pound sagte, lässt sich im NDR-"Zapp"-Beitrag dazu hören. Bzw. ließe es sich, wenn der NDR nicht meinte, immerzu übersetzen und Seppelts (weiterhin in der Mediathek verfügbare) TV-Reportage "Geheimsache Doping" gleich vorweg aus eigener Einschätzung als "Sternstunde" bezeichnen zu müssen, als sei "Zapp" auch bloß eine ARD-Trailershow. In eigener Sache berichten, ist halt immer schwierig. Immerzu kritisieren, muss aber ebenfalls nicht sein. Lesen Sie also auch den Text auf der NDR-Webseite:

"Er war einer, der wie Don Quichote gegen die Windmühlen lief. 'Es war schon früher so, dass Kollegen oder Kolleginnen uns eher mit Fingerspitzen angefasst haben. Ich kann mich gut dran erinnern, dass vor ein paar Jahren es so gewesen ist, dass wenn wir über Missstände im Sport berichtet haben, es geheißen hat, wir würden den Sport kaputtmachen und wir würden das Produkt beschmutzen. Und wir müssen aufpassen, weil wir auf der einen Seite die Fernsehrechte einkaufen, dass wir Liveübertragungen haben, dass wir hohe Einschaltquoten generieren wollen. Auf der anderen Seite stellen wir dieses Produkt gleichzeitig in Frage. Das kann doch nicht gehen, wurde argumentiert.' Heute sei das anders, konzidiert Seppelt",

schreibt die "Zapp"-Redaktion.

[+++] Na ja, schaun mer mal. Schließlich dürften sie sich in der ARD durchaus freuen, dass die nächsten Fußballländer- wieder Freundschaftsspiele sind und nicht bei RTL laufen, sondern mindestens 195 Minuten lang das Programm des sog. Ersten füllen. Schließlich geht, um den Intendanten den Bayerisches Rundfunks, Ulrich Wilhelm, zu zitieren, der "Wettlauf" um die Fernsehrechte an der weltweit größte Sportveranstaltung nach jener weltgrößten Sportveranstaltung, an der russische Sportler womöglich nicht teilnehmen dürfen, allmählich los.

Der von Wilhelm, dem früheren Regierungssprecher, geleitete BR "ließ am Dienstag im BR-Funkhaus in München Vertreter von Sportverbänden, Ex-Sportler und Senderverantwortliche über die Zukunft der Sportberichterstattung im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk diskutieren" (dwdl.de). Und zwar vor allem deswegen, weil ARD und ZDF die Fernsehrechte an den Olympischen Spiele ab 2018 bekanntlich einstweilen nicht besitzen, sondern der Eurosport-Eigentümer Discovery Communications sie hat. Was der "Sportrechteintendant" der ARD bei dieser Gelegenheit der Öffentlichkeit so mitteilte, kommentiert Joachim Huber im Tagesspiegel:

"Wenn Wilhelm warnt, der Sport würde sich am Ende selbst schaden, wenn er 'eine Kommerzialisierung bei diesen Sportarten auf die Spitze treiben' würde, dann zeigt der Sachverständige, dass er ein aufrechter Mann mit einem Zug ins Naive ist. Spitzensport ist Profisport, Profisport ist durchkommerzialisierter Sport. Jeder der Beteiligten – und das heißt Sportler, Verein, Verband, Rechteagenturen, Sender – holt heraus, was herauszuholen ist. ARD und ZDF profitieren davon, denn nur Spitzenleistungen garantieren Spitzenquoten. Mit ihren milliardenschweren Lizenzkäufen füttern sie das System, das Ulrich Wilhelm jetzt beklagt."

Und dass Wilhelm und die ARD willens sind, "mit Discovery über Sublizenzen" zu verhandeln, also das System weiter zu füttern, war eine der zentralen Aussagen in München. Der meinungsfreudige Öffentlich-Rechtlichen-Kritiker Michael Hanfeld interpretiert in 20 Zeilen auf seiner FAZ-Medienseite schon mal:

"Details zu einem Deal mit Discovery ... nannte Wilhelm nicht: 'Wie wir das genau lösen wollen, ist noch offen.' Mit welchem Geld die ARD das 'lösen' will, dürfte klar sein: mit dem Beitragsüberschuss von 1,6 Milliarden Euro, der auf einem Sperrkonto liegt, den die Ministerpräsidenten aber sicher bald freigeben."

Wo genau der Grat zwischen Polemik und Prophezeiung verläuft, zeigt sich wie so vieles immer am besten im Rückblick. Denkbar sind solche Szenarien aber gewiss, schließlich kennt das Rundfunkrecht bereits Sportereignisse von "erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung". Huber hat noch einen grundsätzlichen Satz, den Sportreporter und erst recht öffentlich-rechtliche Verantwortungsträger sich merken sollten:

"Eine Sportübertragung ist die Übertragung eines Ereignisses, an dessen Zustandekommen und Qualität der übertragende Sender nur einen sehr geringen Anteil hat. Das gilt für das übrige Programm nicht. Da gehören mehr Ehrgeiz und mehr Geld hin."

[+++] Zugleich lässt eine hohe Würdenträgerin der ARD, Henriette Edle von Hoessle, "Leiterin ARD Design und Präsentation", übrigens mitteilen (dwdl.de), dass die ARD- "Sportschau"

"nun (endlich) eine unique, moderne und sehr starke Bildmarke erhält. Dieser Schritt verhilft der 'Sportschau' zu einem deutlich optimierten Markenauftritt, nicht zuletzt in den non-linearen Bereichen. Zudem erlaubt die Bildmarke auch Logos unserer jeweiligen Veranstaltungspartner zu integrieren, was somit die partnerschaftliche Zusammenarbeit auch visuell zum Ausdruck bringen kann".

Michael Hanfeld wird bestimmt bald herausfinden wollen, was die sogenannten Kreativen für die Erbringung dieser modernen Leistungen bekommen, und in irgendeinem Transparenzbericht wird es dann auch drinstehen.

Indes in der Beckenbauer-Sache poppte am Morgen eine DPA-Meldung von bemerkenswerter Nichtssagendheit auf:

"Der Pay-TV-Sender Sky verwehrt sich gegen eine Vorverurteilung von Franz Beckenbauer in der WM-Affäre. Gleichzeitig lässt das Unternehmen offen, inwiefern Auftritte des 70-Jährigen als Experte anstehen. 'Was seine Mitwirkung auf dem Sender anbelangt, stehen wir in engem Austausch mit seinem Management und beobachten außerdem aufmerksam die weitere Entwicklung', teilte Sky auf Anfrage mit."

Deutet die Meldung an, dass Sky angesichts schwindenden Marktwerts das Honorar für Beckenbauer-Auftritte am Spielfeldrand drücken möchte? Sagt sie doch einfach nur rein gar nichts aus?

Jedenfalls ist das Anlass, zu den anderen aktuell sehr wichtigen journalistischen Investigatoren in der Welt der millionen- bis milliardenschweren Sportveranstaltungen zu schalten. Gerade bekamen Jens Weinreich und die anderen Spiegel-Autoren für ihre "Sommermärchen"-Enthüllungen viel Lob auch von Kritikern und gar eine Entschuldigung des Bild-Zeitungs-Agitproppers Alfred Draxler (Altpapier gestern). Dazu hat Ulrike Simon für die Madsack-Zentralredaktion den Chefredakteur interviewt.

"Was verspüren Sie: Genugtuung?"

"Keine Genugtuung, nein, aber Stolz auf die 'Spiegel'-Redaktion",

sagt Klaus Brinkbäumer, und dann auch noch ernsthaft

"Ein Fußballer würde jetzt sagen: 'Es ist unwichtig, wer die Tore schießt, wichtig ist, dass wir gewinnen.'"

Lange Länderspielabende vorm Fernseher verbringt der Spiegel-Teamchef offenbar auch gerne. Falls Sie jetzt noch die durchaus einen Tick interessantere Brinkbäumer-Aussage über Helmut Markwort, den scharfen Spiegel-Kritiker aus dem Focus-Milieu, lesen wollen, müssen Sie derzeit einen HAZ-Tagespass für 0,99 Euro bezahlen. Schließlich ist Journalismusfinanzierung (weiter im Altpapierkorb ...) ...


Altpapierkorb

+++ Schließlich ist Journalismusfinanzierung weiterhin eine enorm offene Frage. "Und jetzt verschärft auch noch der vor allem in Deutschland beliebte Browser Mozilla Firefox die Lage. Denn der bietet in seiner neuesten Version Nummer 42 fürs private Surfen eine erweiterte 'Tracking Protection', die einem Werbeblocker gleichkommt", schreibt der schon erwähnte Michael Hanfeld in seinem längsten Beitrag in der heutigen FAZ. Frei online berichtet, ebenfalls besorgt ("Die Hiobs-Botschaften für die Online-Werbeindustrie reißen nicht ab"),  Chefredakteur Volker Schütz bei horizont.net. Hanfeld wiederum referiert eine mobilegeeks.de-Recherche zum derzeit noch wichtigsten deutschen Werbeblocker-Hersteller Eyeo, um am Ende seiner Glosse zu schließen: "Die Moral von der Geschichte? Gibt es nicht. Sondern nur 'Gier online', die auch ganz nebenbei die Finanzierung von unabhängigem Journalismus im Netz auffrisst." Wobei die Werbefinanzierung von unabhängigem Journalismus im Internet ja in den allermeisten Fällen ohnehin nur ein Geschäftsmodell für irgendeine Zukunft ist, das in der Gegenwart allenfalls teilweise gelingt. +++

+++ Welche offenbar relativ erfolgreiche Onlinestrategie focus.de mit älteren Meldungen, ob sie nun mal wahr waren oder nicht so, fährt, beschreibt Stefan Niggemeier in seinem Blog. +++

+++ Einen kleinen Überblick über Helmut-Schmidt-Würdigungen in und auf Zeitungen haben die DuMont-Medien (ksta.de) erstellt. +++ Coup der FAZ: vorn auf dem Feuilleton heute ein "erstmals veröffentlichtes", "im Sommer 2011 in Hamburg" von Patrick Bahners und Jürgen Kaube geführtes Schmidt-Interview "über die letzten Dinge". Einstiegsfrage: "Die Vorkämpfer des Rauchverbots haben Sie gelegentlich mit den Wiedertäufern verglichen. Damit haben Sie ein Bild verwendet, das viele der Angesprochenen vielleicht gar nicht mehr verstehen. Inwieweit haben Sie sich die politische Welt aus Erinnerungen an die deutsche Religionsgeschichte verständlich machen können?" +++

+++ "Die Mädchen kichern, die Burschen sind schneidig, die Bomber so phallisch, wie sie waren, bester Flieger-Porno also, Export-Version. Vor lauter Freude darüber, dass man Songs der Rolling Stones, der Beatles, von Dave Clark Five und The Who einkaufen konnte, wurde leider vergessen, dass die deutsche Jugend von 1965 weder am Himmel noch auf Erden diese Klassiker hörte, sondern zeitgenössischen Mist von den Lords bis Freddy Quinn. (Die Lords, ein ganz besonderes Missverständnis der Evolution, traten zeitweise sogar als Starfighter-Piloten auf.)": Hätte RTL mal Willi Winkler als Berater für seinen Fernsehfilm "Starfighter" angefragt. Heute schildert er auf der SZ-Medienseite die "quietschgelbe Flieger-Romanze" mit viel Freude und intimer Kenntnis: Zu Franz Josef "Strauß‘ Hundertstem im September ist die Welt am Sonntag in rührender Ahnungslosigkeit auf den Aufschneider" Ernest F. "Hauser hereingefallen und hat auch Strauß postum zum US-Spion befördert. Der Starfighter ist also schönste deutsche Geschichte, die hier aufs Allerschönste versemmelt wird". +++

+++ Umso größer das SZ-Lob für die englisch-französische Sky-Serie "The Last Panthers" ("wie bestes europäisches Kino"). +++ "Die Optik der Serie - stets dunkel, grün- oder gelbstichig, grobkörnig - ist Kaputt-Chic vom Feinsten; ausgesucht hässlich sind die meisten Settings. Am schlimmsten trifft es in der ersten Folge Ungarn" (Oliver Jungen, FAZ). +++

+++ "Andererseits fallen einem beim Thema Serienstreaming zunächst einmal Namen wie Netflix, Amazon Prime Instant Video (neuerdings mit Prime Music), Watchever und Maxdome ein" (Markus Ehrenberg im Tsp. über eine neue Sky-Plattform). +++ Wobei Watchever-Nutzern bei Watchever inzwischen wohl eher "alte Kathodenstrahlröhren und graubraune Rundfunkanstaltsflure" einfallen, wie Alexander Matzkeit in epd medien zum jüngsten Relaunch dieses Portals anmerkt. +++

+++ Noch'n Thema der SZ-Medienseite: die nun auch im Bahnhofshandel erhältliche Zeitschrift Transform. "Online erschien Transform schon im Frühsommer. Per Crowdfunding sammelten die Herausgeber und Chefredakteure Richard Gasch, 30, aus Leipzig und Jan Korte, 28, aus Berlin 10.000 Euro, um das Heft auch drucken zu können ..." +++

+++ Noch Themen der FAZ-Medienseite: ein Lizenzabkommen des europäischen Sky mit dem US-amerikanischen HBO für dessen Serien wie "Game of Thrones" und, ab Februar 2016, "Vinyl" "über das Musikgeschäft im New York der siebziger Jahre, die von Martin Scorsese, Mick Jagger und Terence Winter produziert wird". +++ Außerdem berichtet Jürg Altwegg über Berichte der schweizerischen NZZ "aus und über Deutschland", die "von deutschen Lesern mit fast so heftigen Reaktionen bedacht [werden] wie umgekehrt der provozierende Essay des Schweizer Schriftstellers Lukas Bärfuss in dieser Zeitung ('Die Schweiz ist des Wahnsinns')". +++

+++ Immer öfter in Was-mit-Medienressorts vertreten: die Deutsche Telekom. "Wenn Netzbetreiber entscheiden, welche Daten dem Kunden schmackhaft gemacht werden und welche nicht, geht das auf Kosten jener Unternehmen und Nutzer, die dieses Privileg nicht genießen", schreibt Jannis Brühl bei sueddeutsche.de über eine neue T-Mobile-USA-Strategie. +++ Ein Gemeinschaftsunternehmen, das die Telekom hierzulande mit Microsoft startet, ist Thema bei meedia.de und heise.de. +++

+++ "Um ... mit Videowerbung 'nicht nur Youtube zu füttern'" soll in Österreich ein gemeinsames Videoportal von privatwirtschaftlichen Verlagen und dem ORF entstehen (Standard). +++ Während bei der ebenfalls teilweise vom ORF besessenen Nachrichtenagentur APA offenbar eingespart werden soll (ebd.). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.