Oh wie schön ist Panama

Oh wie schön ist Panama
Die Hilflosigkeit der Journalisten im Angesicht des "Lügenpresse"-Vorwurfs. Zwei Meinungen, ob Thomas de Maizière jetzt Urlaub machen darf. Julian Reichelt ist wie George W. Bush. Deutsche Zeitschriftenverleger sind in etwa so cool wie 70-jährige Skateboarder. "Star Trek" kommt zurück. Wenn Verlage Geld sparen wollen, sollen sie Frauen einstellen.

Zu den weniger schönen Aufgaben dieser Medienkolumne gehört es, zu vermelden, welche Journalisten zuletzt erfahren mussten, wie Menschen ihren Hass auf die vermeintliche „Lügenpresse“ nicht länger nur in Facebook-Kommentarsträngen ausleben wollten.

Gestern Abend wurde am Rande einer NPD-Demo gegen ein Flüchtlingsheim in Berlin das Video-Team von Welt und N24 attackiert. Was mit sich bringt, dass die Angriffe nicht nur auf Band und Foto festgehalten wurden, sondern mittlerweile auch im Twitter-Stream des Reporters Martin Heller nachzuvollziehen sind.

Hier das Foto. Hier das Video. Und hier die Meldung von Meedia, dass offenbar niemand zu Schaden kam.

Bereits am Freitag war Helmut Schümann vom Tagesspiegel auf dem Heimweg vom Einkaufen erst angepöbelt, dann von hinten angegriffen worden.

„Was tun in diesem, meinem Land, das täglich erschreckt mit schrecklichen Meldungen, seien sie außen- oder innenpolitisch. In dem wir Medien täglich berichten müssen über die Zustände an der Flüchtlingsfront und die Versuche der Seehofers, der AfDler, der Pegidas und der besorgten Bürger, unsere Demokratie und unsere Humanität auszuhebeln? Auswandern ist der falsche Weg. Anschreien dagegen, nicht müde werden anzuschreien, sich nicht entmutigen lassen von den Mutlosen, denen machbare Hilfeleistung zu unbequem ist. ,Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen’, schreien die. Dann emigriert doch“,

hatte er am Freitag in seiner Titelseiten-Kolumne geschrieben. Nun betont er unermüdlich auf seiner Facebookseite (schön übersichtlich dokumentiert von der Berliner Zeitung), dass ihn der Schock und die Schürfwunden, die er davongetragen hat, nicht einschüchtern werden.

Auf der Website des Deutschlandfunks ist gestern dieser Text erschienen, in dem Marco Bertolasco die vermeintlichen „sieben Todsünden“ der Nachrichten benennt („Ihr seid alle links", „Ihr seid alle rechts“, „Ihr macht doch alles, was die Regierung will“, „Ihr seid die Lügenpresse“) und versucht, mit Argumenten dagegen zu halten.

„Das Wort von der ,Lügenpresse’ ist ein steter Appell an uns, genau das nicht zu sein, um keinen Preis und auch nicht in Details. Es ist auch der Aufruf, zu erklären und zu begründen, dass wir es nicht sind. Es ist sicher auch ein Hinweis, noch mehr im Internet präsent zu sein, wo sich die Parallelwelten informieren, organisieren und radikalisieren. ,Lügenpresse’, das ist aber vor allem ein politisch-gesellschaftliches Warnsignal. Es sind auch Politik und Gesellschaft gefordert, beileibe nicht nur die Medien“,

schreibt er, zugleich die Aussichtslosigkeit seiner Aktion thematisierend:

„Zur Ehrlichkeit gehört aber auch folgende klare Botschaft: Ob unsere Nachrichten noch alle und jeden in diesem Land erreichen können, da bin ich mir nicht mehr sicher, wenn ich mir manche Facebook-Kommentare anschaue. Das ist kein schöner Gedanke.“

Die einen argumentieren gegen den Hass und erreichen dabei nur diejenigen, die ihnen bereits zustimmen. Die anderen lesen den Facebook-Stream von Lutz Bachmann und Pi-News und fühlen sich dabei ebenso in ihrer Haltung bestätigt.

Letztere ist übrigens die Seite, wo aktuell diese Finca in Panama inseriert, auf der man sich ein Stück Land als „Überlebensversicherung“ kaufen soll. Slogan: „Wandere aus, solange es noch geht“. Denn: „Wir haben vor uns, was wir glaubten, hinter uns zu haben: Einen Krieg in Europa!“

Wer glaubt, unsere Parallelgesellschaft lebe in Berlin-Neukölln, der sollte sich das einmal genauer anschauen. Spoiler: Damit einher geht das dringende Bedürfnis, in die Tischplatte zu beißen und irgendwie zu hoffen, dass Leute, die daran glauben, wirklich nach Panama auswandern. (Darüber, dass es natürlich keine Lösung ist, weiterhin unsere rechten Irren Richtung Zentral- und Süd-Amerika zu verschiffen, reden wir dann beim nächsten Mal.)

[+++] Um das oben beschriebene kurz zusammenzufassen: In dieser aufgeheizten Stimmung sollten sich derzeit alle Journalisten noch ein bisschen besser überlegen, was sie wie aufschreiben. Was die Bild-Zeitung nicht davon abhält, weiter Stimmung zu machen. Gestern zeigte sie Innenminister Thomas de Maizière beim Kaffee im Mallorcaurlaub (dokumentiert bei Twitter vom SZ-Berlin-Korrespondenten Thorsten Denkler).

Dessen Kollege Detlef Esslinger schreibt dazu heute auf der Meinungsseite der SZ:

„Es hält die Demokratie am Laufen, wenn man zum Beispiel die Flüchtlingspolitik von Thomas de Maizière mit Argumenten kritisiert. Aber wer ihm zwei sich Reporter nennende Stalker an den Frühstückstisch nach Mallorca schickt, die so tun, als sei es bereits empörend, dass der Minister einige Tage lang versucht, den Kopf freizubekommen, bevor er wieder in seine 18-Stunden-Tage taucht – der macht nichts anderes, als sich in das Zersetzungswerk all jener einzuklinken, die mit der Demokratie auf irgendeine diffuse Weise abgeschlossen haben.

Béla Anda war Regierungssprecher von Gerhard Schröder, nun wirft er als Mitglied der Bild-Chefredaktion im begleitenden Kommentar dem Minister vor, ,mallorcasonnengebräunt’ zu agieren. Kaum ein anderer aktiver Journalist weiß so sehr aus eigenem Erleben, wie fordernd der Politikbetrieb ist. Das waren schon immer die Infamsten: diejenigen, die wider besseres Wissen Anti-Aufklärung betreiben.“

Bild.de-Chef Julian Reichelt reagiert wiederum bei Twitter auf die Kritik so, wie er derzeit am liebsten auf Kritik regiert (siehe auch diesen Bildblog-Artikel), nämlich mit der „Wer gegen uns ist, ist für Pegida“-Schein-Argumentation. Was hier auch Erwähnung findet, um diesen Reichelt-Tweet zitieren zu können, der eine Frage klärt, die mich auch immer im Angesicht von Vieltwitterei umtreibt: Wann arbeiten diese Leute eigentlich?

„. @radiodjamil @BILDblog Um es mit George W. Bush zu sagen: I can walk and chew gum at the same time.“

Ein deutscher Journalist vergleicht sich freiwillig mit George W. Mehr ist an dieser Stelle nicht zu sagen.

[+++] Höchste Zeit, die Stimmung wieder rumzureißen und noch ein wenig Lobhudelei über den deutschen Journalismus zu ergießen. An dieser Stelle übernimmt das Burda-Vorstand Philipp Welte, der laut Meedia beim seit gestern laufenden Publishers’ Summit des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger Folgendes zum Besten gab:

„Wer stellt diese Inhalte her? Facebook ist heute das größte Medienunternehmen der Welt – und beschäftigt keinen einzigen Journalisten! (...) Wir Verlage sind – das mag sich jetzt dramatisch anhören – die letzte Bastion hochwertiger Inhalte. Heute arbeiten in Deutschland etwa 30.000 fest angestellte Journalisten, und mehr als zwei Drittel davon arbeiten hauptberuflich für Zeitschriften und Zeitungen. Wir leisten damit einen fundamentalen Beitrag zur Meinungsvielfalt in unserer Demokratie, zur Freiheit der Information und zur Stabilität unserer Republik.“

Nun muss an dieser Stelle erlaubt sein, zu fragen, wann Welte eigentlich Focus, Bunte und Freizeit Revue zuletzt zur Hand hatte, um ernsthaft behaupten zu können, dort würden hochwertige Inhalte zur Stabilisierung der Republik angeboten. Aber fast noch ein wenig spannender ist ja, wie untervorteilt er sich gegenüber den Medienunternehmen fühlt, die im Internet ohne Journalismus Geld verdienen, während Burda immer noch abstruse Promigeschichten in Magazinform ausdrucken muss.

Hubert Burda himself brachte das bei der Veranstaltung laut W&V auf folgende Formel:

„Wir brauchen keine Subventionen und kein Mäzenatentum, aber ein Level Playing Field“.

Was auch bedeutet, dass er ein solches zurzeit nicht gegeben sieht.

Den weißen Ritter in dieser Situation soll die Politik geben, von der Burda ein „Regelwerk, das fairen Wettbewerb in der digitalen Welt garantiert und professionellen Journalismus ermöglicht“, verlangt.

Dass die Zeitschriftenverleger ihre Probleme aber durchaus auch selbst zu verantworten haben, weil sie Medienwandeln und Digitalisierung zwar wahrnehmen, aber eher skeptisch bis unbeholfen, dafür möchte ich an dieser Stelle dieses Video heranziehen. Es stammt von der Website zum (für die weniger Anglophilen unter uns:) Gipfeltreffen, und zeigt, wie diese jungen Leute es jetzt gerne haben, „12 Dinge, die sie über Zeitschriften wissen sollen.“

Schon bei Punkt drei sieht man zum Begriff Katzensprung eine Katze von einem Kioskdach springen. Bei Minute 1.15 begegnet man dem knackigen Slogan

„Pro Kontakt steigert eine Zeitschriftenanzeige die Markensymathie 1,5 mal so stark wie ein TV-Spot“.

Und zum Abschluss erschlägt das Logo des VDZ das Wort „Vertrauen“. Die Musik zur putzigen Animation klingt so, als habe man aus Kostengründen ein Gema-freies Werk ausgewählt, und was das nun über eine Industrie aussagte, die nicht müde wird, den Wert der eigenen Inhalte zu betonen, möge sich jeder selbst überlegen.

Die deutschen Zeitschriftenverleger wollen auch irgendwie cool rüberkommen, wirken dabei aber in etwa so überzeugend wie ein 70-Jähriger auf einem Skateboard.

Die Politik kann den Verlagen weiter Sonderwürste braten und sie vom Mindestlohn ausnehmen und das Kartellrecht lockern. Doch gute Angebote machen müssen sie schon selbst.


Altpapierkorb

+++ Der DJV hat einen neuen Vorsitzenden namens Frank Überall. Das berichten unter anderem der Kölner Stadtanzeiger und der Berliner Tagesspiegel. Bei kress.de gibt es zudem einen Überblick, was der Verbandstag sonst noch brachte. +++

+++ 2017 soll eine neue „Star Trek“-Serie laufen. Das steht so ziemlich überall. +++

+++ Die Tatsache, dass viele Medien das Zitat aus der Pegida-Rede Akif Pirinçcis in den falschen Kontext setzten, führt jetzt dazu, dass dieser juristisch dagegen vorgeht. „Die Redaktionen der betroffen Medien fallen allerdings höchst unterschiedlich aus. So soll der NDR seine Berichterstattung korrigiert und um Entschuldigung geben haben, die Leipziger Volkszeitung oder auch die Hannoversche Allgemeine“ veröffentlichten Widerrufe. Das ZDF soll dagegen eine Unterlassungserklärung abgegeben haben, während die Zeit online eine Richtigstellung veröffentlichte und Spiegel Online sich korrigierte“, schreibt Meedia. +++

+++ Sixt muss weiter Rundfunkgebühren bezahlen. Das hat in zweiter Instanz der Bayrische Verwaltungsgerichtshof entschieden. „Durch den Beitrag werden Abgaben für die rund 91 000 Sixt-Fahrzeuge und jede der 2200 Betriebsstätten fällig, unabhängig davon, ob sich dort ein Radio- oder ein Fernsehgerät befindet. Der Kläger hält das für rechtswidrig“, berichtet Joachim Huber im Tagesspiegel. Sixt will weiter klagen. +++

+++ Dass wir das noch erleben dürfen: Ein Printprodukt ist so gefragt, dass der Verlag nachdrucken lässt. Es geht jedoch nicht um die gestrige FAZ-Ausgabe, wo man ein solches Erfolgserlebnis dringend nötig hätte (siehe Altpapier gestern), sondern um Barbara, wie DWDL die Gruner+Jahr-Meldung zitiert. +++

+++ Wenn die FAZ ihre frisch freigewordene Stelle der Literaturchefin wieder besetzen und gleichzeitig sparen möchte, dann sollte sie diese an eine ostdeutsche Frau vergeben, zum Beispiel sie selbst, meint Hanna Hünniger. Die dazugehörige Bewerbung ist auch schon fertig. +++

+++ Eine Besuchstour durchs Amazon-Lager hat Nina Rehfeld für die FAZ-Medienseite angetreten: „Die Nachfrage ist so groß, dass die Touren immer mehrere Monate im voraus ausgebucht sind. ,Wir lieben Amazon, wir wollten uns das unbedingt mal anschauen’, sagt die Dame, die mit drei Freundinnen gekommen ist und sich schon im vorvergangenen März angemeldet hat.“ +++

+++ Daneben findet sich auf der Seite Platz für einen Bericht über das geplante Geheimdienst-Gesetz in Großbritannien („Die Kritik entzündet sich an einer Regierungserklärung. In ihr wurde dargelegt, welche Befugnisse die Behörden nach Vorstellungen der Cameron-Administration erhalten müssten, um die Online-Kommunikationen von Terroristen und Pädophilen besser überwachen zu können. Diese Erklärung hatte Befürchtungen über zu weitreichende Eingriffe in die Privatsphäre genährt.“), den Kampf eines französischen Kochs gegen Online-Bewertungen sowie die umstrittene Einladung an Donald Trump, am kommenden Samstag „Saturday Night Live“ zu moderieren. +++

+++ Die Medienseite der SZ widmet sich heute der neuen Vox-Show „Geschickt eingefädelt“, in der Guido Maria Kretschmer um die Wette nähen lässt.

+++ „Im Kampf gegen Umsatzeinbußen durch Werbeblocker im Internet meldet der Axel-Springer-Verlag erste Erfolge. Das Unternehmen ("Bild", "Die Welt") signalisierte am Montag, dass die in der Branche mit Spannung verfolgte "Bild.de-Schranke" zur Sicherung von Anzeigenerlösen funktioniere“, vermeldet Reuters via Der Standard. +++

+++ Und bei DWDL macht sich Alexander Krei Gedanken darüber, was mit dem ProSieben-Nachmittag wird, wenn sich die Ermüdungserscheinungen der Zuschauer, die nach 600 „Big Bang Theory“-Wiederholungen allein in diesem Jahr eingesetzt haben, noch verstärken. +++

Neues Altpapier gibt es am Mittwoch wieder.