Datenschutz ist eine Wassermelone

Datenschutz ist eine Wassermelone
Die Vorratsdatenspeicherung speichert doch SMS-Inhalte, wird heftig kritisiert und beschlossen. Die Hagener Polizei landet einen "Facebook-Hit", der früher auch nicht möglich gewesen wäre. Was via Glasfaserleitung so nach Ramstein gelangt. Außerdem: alles zur großen "'Homeland'-Sabotage".

Der Mantel der Geschichte weht wieder über dem Berliner Regierungsviertel. Weitreichende Gesetze sind dabei, beschlossen zu werden. Zum Einen geht's um das Feld des Datenschutzes, auf dem die insgesamt wohl zweit- oder drittbekannteste Aussage der Bundeskanzlerin überhaupt, "Geht nicht, gibt's nicht" oder so ähnlich lautete sie, wieder öfter als ohnehin immer zitiert wird. Die diesbezügliche aktuelle Originalenthüllung stammt vom Spiegel.

Das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist so gut wie durch, schließlich ist die große Koalition wirklich groß, wird aber weiter heftig kritisiert. In der Sache ganz neu ist die Kenntnis davon, dass die VDS bei SMSsen doch "auch den Text" "erfasst" (Süddeutsche), weniger wohl, weil jemand das möchte, als weil es nicht anders geht.

Die NDR-"Zapp"-Redaktion hat das dreiminütige Video "Vorratsdatenspeicherung gefährdet Journalismus" gestaltet, in dem noch mal der neue, abstrus zugeschnittene Straftatbestand "Datenhehlerei" beleuchtet wird. Außerdem

"kann bereits die Ankündigung einer Vorratsdatenspeicherung oder ihr vorübergehendes In-Kraft-Treten dazu führen, dass Menschen ihre Lebens- und Kommunikationsweisen der permanenten staatlichen Überwachung anpassen",

antizipiert der Politikwissenschaftler Lars Bretthauer im Rahmen von "sechs Thesen zur Vorratsdatenspeicherung" auf netzpolitik.org.

"Ausverkauf der Grundrechte", zitiert ferner das "Zentrum für Digitalen Fortschritt e. V.", D64, seinen Co-Vorsitzenden Nico Lumma - der freilich auch "Netzkolumnist" der Bild-Zeitung ist, deren stellvertretender Chefredakteur Bela Anda in seinem Morgen-Newsletter heute [Link funktioniert nur an diesem Freitag] argumentiert: "Was amerikanische Unternehmen durch meine Handy-Nutzung wissen, wird bald auch der deutsche Gesetzgeber erfahren – wenn er's will". Sascha Lobo wiederum kolumnierte noch bitterer, lustiger als er es sonst immer tut (SPON), aber auch im Wissen, dass Datenschutz der breiten Mehrheit gleichgültig ist.

"Was für eine Ironie, dass ausgerechnet die [Polizei] jetzt versucht, den Bürgern ein Gefühl für Datenschutz zu vermitteln. Früher, in der Zeit vor Facebook, lief das andersherum",

trifft Detlef Esslinger auf der SZ-Meinungsseite (mit Bezug auf den neuesten "Facebook-Hit der Hagener Polizei") einen Nagel auf den Kopf.

[+++] Das zweite weitreichende Gesetz, das derzeit beschlossen wird und die Mehrheit zweifellos mehr interessiert, betrifft das Asylrecht. Auch die allerbekannteste Aussage der Bundeskanzlerin auf diesem Feld, "Wir schaffen das!", gewiss mindestens so glaubwürdig wie ihre Datenschutz-Aussagen, wird ebenfalls immer gerne zitiert. Dieses Gesetz muss in einer Medienkolumne heute kein Thema sein; das wird es sicher noch.

[+++] Eigentlich immer am spannendsten und aufschlussreichsten im Deutschen Bundestag: die laangen Sitzungen im NSA-Untersuchungsausschuss NSAUA, die von netzpolitik.org immer im sich nicht ganz leicht erschließenden, doch soghaften Steno-Stil live-gebloggt werden.

Die Sitzung gestern von 13.39 bis 22.56 Uhr verknüpfte beide großen aktuellen Bundestagsthemen, den Schutz bzw. Nicht-Schutz der Daten und die Flüchtlingspolitik. Schließlich ist es ein überzeugender Asylgrund, aus einem Land wie Afghanistan zu fliehen, in dem US-amerikanische Drohnen, die auch mit mehr oder hoffentlich weniger deutscher Hilfe über Ramstein Daten-gesteuert werden, Menschen töten. Um von gestern ab 16.27 Uhr zu zitieren:

Warken: "Ziele nach Land unterschieden?"

Bryant: "Nein, immer nur Ziel der Aufklärung. JSOC hat strengste Verfahren, die es gibt, damit immer alles gleich ablief. Andere Schwadrone vllt. andere Verfahren."

Warken: "Haben Zertifikat über Anzahl Einsätze bekommen. Können Sie sagen: 'Manchmal trifft man Ziel, manchmal nur was anderes, manchmal was Falsches' – wie war Verhältnis/Größenordnung?"

Bryant: "Alles legitime Ziele, KA, wann falsche Ziele getroffen."

Warken: "Meine, rein technisch, aus Versehen."

Bryant: "Gab Verfehlungen, wo Ziel überlebt hat. Fehler weniger als 10%, Fehler hieß: Rakete ist falsch eingeschlagen oder nicht explodiert, aber nie falsches Ziel afaik."

Schipanski (?): "Daten stets über Ramstein?"

Bryant: "Ja."

Schipanski: "Wegen Glasfaserleitung?"

Bryant: "Ja. Glasfaser schneller als Satellit und nicht wetterabhängig. Direkte Verbindung Ramstein-Pentagon."

Brandon Bryant, "US-Drohnenpilot, der im Irak, New Mexico und Nevada im Einsatz war, 2011 aber aus Gewissensgründen ausstieg", war der erste Zeuge im NSAUA gestern. Nina Warken ist Parlamentarierin von der CDI, also kaum verdächtig, die USA und deutsches Regierungshandeln der letzten Zeit mehr als unbedingt nötig kritisieren zu wollen.

Wenn Ihnen der Steno-Stil doch zu anstrengend ist: Eine konventionelle Zusammenfassung derselben Sitzung hat Kai Biermann für zeit.de erstellt. "Eine Telefonnummer reicht, um Menschen zu töten", lautet die Überschrift.

[+++] Damit in die unmittelbare Medien-Landschaft, zu der außer knallhartem Journalismus ja auch hochwertig produzierte Fiktionen gehören, die soghafte Wirkung erst recht erzielen. Zum Beispiel "Homeland", diese faszinierende US-Serie, die hierzulande vermutlich mehr Menschen vom Lesen guter Kritiken als vom kontinuierlichem Angucken kennen. Schließlich wussten zuletzt nicht einmal die serienjunkies.de, ob die in Deutschland gedrehte fünfte Staffel von Kabel Eins im Free-TV gezeigt werden wird.

Jetzt aber sollte das klar sein. Schließlich läuft eine Riesen-Viralkampagne rund um "die 'Homeland'-Sabotage" (KSTA), die deutschen Dienstleistern am Drehort Berlin gelungen ist.

"'Homeland ist rassistisch', ist auf einer Hauswand zu lesen, auf anderen Wänden steht 'Homeland ist ein Witz, und wir haben nicht gelacht', 'Homeland ist keine Serie' und 'Homeland ist eine Wassermelone', was so viel bedeute wie 'Homeland ist ein Schwindel'",

beschreibt der Tagesspiegel die Graffitis in arabischen Schriftzeichen, die die Filmproduzenten als authentizoides Ornament haben wollten, aber nicht zu lesen verstanden. Die Fotos, die sie punktgenau zeigen, können Medien einfach Heba Amins Pressemitteilung ("'Arabian Street Artists' Bomb Homeland: Why We Hacked an Award-Winning Series") entnehmen, wovon natürlich viele, viele Medienmedien gerne Gebrauch machten - zumal die beteiligte Graffitikünstler auch für Interviews zur Verfügung stehen (und nicht einmal irre wählerisch sind).

"Der Vorwurf ist, dass die Sendung ihren amerikanischen Protagonisten erlaubt, jegliches Mittel anzuwenden. Die Figuren haben zwar damit zu kämpfen, dass sie so viele ethische und völkerrechtliche Grenzen übertreten und natürlich lastet das auf ihrem Gewissen. Aber letztlich ist es im Angesicht der Bedrohung doch immer annehmbar. Auf der anderen Seite haben die Antagonisten, die in erster Linie aus der muslimischen oder arabischen Welt oder aus Südostasien stammen, überhaupt keine ethischen Bedenken. Und das ist ein Umgang mit einer riesigen Bevölkerungsgruppe, der so undifferenziert ist, dass es an Propaganda grenzt. Schon allein was die Ethnien und die Glaubensrichtungen angeht, ist die muslimische Welt sehr viel heterogener, als die Show darstellt. Gleichzeitig ist 'Homeland' für viele Leute eine glaubwürdige Quelle",

schlägt Caram Kapp, einer der Beteiligten, im zeit.de-Interview sozusagen einen Bogen nach Ramstein und erst recht dorthin, woher via Glasfaser die Daten kommen.

Weitere Ausschnitte aus dem erheblichen Medienmedien-Echo: Die Dumont-Medien (gleicher Text KSTA wie oben) hatten das Glück mit Silvia Perdoni jemanden am Start zu haben, der "Homeland" kennt und Kapp auch nach "Figuren wie der sympathischen persischen CIA-Analystin Fara Sherazi, die im Kampf gegen den Terror ihr Leben verliert", fragte (Antwort: "Da sollte ich besser nichts zu sagen, ich habe nur die ersten zwei Staffeln geschaut - und natürlich unsere, aktuelle Folge."). Der ebenfalls Beteiligte mit dem Künstlernamen Stone dagegen, "gebürtiger Münchner, 46 Jahre alt. Sein wahrer Name, den er nicht in der Zeitung lesen will, könnte deutscher nicht sein", berichtete der Münchener Süddeutschen am Telefon von "sachlichen Fehlern" auch in den Staffeln zwei und drei. Falls Sie Stone nun auch am Telefon hören mögen: hier (radioeins.de).

Rieke Havertz von der TAZ schließlich hat gestern mit keinem "Homeland"-Saboteur telefoniert, aber die Hauptdarstellerin Claire Danes in Ellen DeGeneres' Talkshow bzw. auf Youtube über das Berghain, Berliner Eisdielen und so was quatschen gehört.

Kurzum: Riesen-Medienmedienecho, in dem nicht nur alle berichten, was alle berichten, sondern sich auch um individuellen Zugang bemühen. Wenn die Redakteure und Journalisten, die bislang oft vor allem von den Produktionswerten, raffinierten Dramaturgien, den sympathischen Stars oder auch von Einladungen zu Presseevents geflasht waren, im Hinterkopf behielten, dass US-amerikanische Fernseh- und VoD-Serien oft (Medienwissenschaftler würden sagen: immer, anders geht's ja gar nicht) Werte transportieren, die sich sicher oft teilen, aber auch in Filmkritiken zumindest hinterfragen lassen, dann hätte die Sache sich gelohnt.


Altpapierkorb

+++ Meanwhile in USA: Der neue Trend geht zu "Anthologieserien", berichtet Korrespondent Franz Everschor in der Medienkorrespondenz (deren Leitartikel auf die kölsche Fernsehereignis-Show Cologne Conference zurückblickt). +++

+++ Da wir gerade bei Sogwirkungen waren: eine "geradezu hypnotische" entwickele der Dokumentarfilm "Ruhr Record", den Arte noch einmal heute nacht um 2.55 Uhr zeigt. "Am besten: Aufnehmen!", rät Manfred Riepe (auch in der MK). +++

+++ Die neue Barbara (Altpapier gestern) wirkt auch. "#Barbara begeistert: Selten so viele - positive - Berichte über eine neue Zeitschrift gelesen wie aktuell. Glückwunsch, @grunerundjahr", twittert der Bertelsmann-Pressesprecher. +++ Beim Gruner haben sie dann auch ausgelassen gefeiert. +++ "Ganze 53 Anzeigenseiten befinden sich im ersten Heft, das mit 204 Seiten deutlich üppiger ausgefallen ist als ursprünglich geplant", hat Alexander Krei (dwdl.de) gezählt und leitet seine liebevolle Blattkritik mit einem persönlichen Erlebnis "kürzlich ... in Holland" ein. +++ "'Barbara' ist besser gemacht als vieles, mit dem es konkurriert", würde auch Ursula Scheer (FAZ) sagen.

+++ Unten drunter auf der FAZ-Medienseite bespricht Michael Hanfeld dann die ebenfalls neue Zeitschrift Men’s Health Dad, "die erste Frauenzeitschrift für Männer". "An dem blöden englischen Titel geht wohl kein Weg vorbei", schreibt er auch - doch. Das zumindest muss man Barbara bescheinigen: Es ist die erste deutsche Zeitschrift seit langem ohne Anglizismus im Titel. +++ Den Witz, dass sich der Titel der Frauenzeitschrift für Männer "auch ohne zweites Genitiv-S nach dead" anhört, hatte kürzlich Martin Wittmann in der SZ gemacht. +++

+++ Heute auf der SZ-Medienseite stellt Mike Szymanski einen der vielen "neuen Krimihelden", die das Fernsehpublikum immerzu bekommt, vor: "Er heißt Zeki Demirbilek und ist trotz dieses Namens ein sehr bayerischer Typ: Er ist Muslim, geht zum Beten in die Moschee und isst gerne Schweinsbraten." Was ihn gleich schon wieder mit Barbara Schöneberger verbindet ... ++ Außerdem porträtiert David Denk anlässlich des 50-Jahre-"Aspekte"-Jubiläums Luzia Braun ("Die Jubiläumsparty nutzte Braun, um einem ihrer liebsten Hobbys nachzugehen: 'Ich tanze unheimlich gern - je wilder, desto besser.' Allzu viele Gelegenheiten gebe es dazu in ihrem Alter leider nicht mehr. In ihrem Alter? Es gibt wohl wenige jüngere 61-Jährige als Luzia Braun: 'Das Brave, Biedere ist nicht so meins.'") +++

+++ In der Frühzeit des Altpapiers, das in Kürze 15 wird, war Joachim Widmann stellvertretender Chefredakteur der Netzeitung, bei der es damals entstand. Jetzt macht er in Journalistenschule und hat "10 Gebote des Lokaljournalismus" formuliert (verbreitet via kress.de). Z.B.: "Du verbringst Stunden in Ratssitzungen zur Ausstattung des örtlichen Jugendzentrums und fragst dich (und sie) nicht ein einziges Mal, warum zur selben Zeit, wie jeden Abend, zwanzig, dreißig Jugendliche mit Dosenbier an der Tanke abhängen." +++ "Das Meiste, was Joachim Widmann fordert, lässt sich so gar nicht umsetzen, wenn nicht mal irgendwer anfängt, in Lokalredaktionen das Gerücht zu kolportieren, dass auch Recherchezeit Arbeitszeit ist", würde dazu Ralf Heimann (operation-harakiri.de) sagen. +++

+++ Unter dem längeren Artikel "Warum wird nicht konsequent gegen die Verbreitung von 'Mein Kampf' im Netz vorgegangen?" auf der wieder prallvollen FAZ-Medienseite meldet Jürg Altwegg ("Mon Combat/ Hitler-Ausgabe in Frankreich"):  " .... Im Internet gibt es das E-Book kostenlos. Der Verlag Fayard hatte vor Jahren eine kritische Edition angekündigt. Das Projekt war umstritten, innerhalb und außerhalb des Verlags, der es eine Zeitlang auf Eis legte. Jetzt teilt Fayard mit: Das Buch kommt in einer Neuübersetzung von Olivier Mannoni heraus, der auch Günter Grass übersetzte." +++

+++ Inzwischen viel besprochen: die RBB-Radio-Produktion "Wer hat Burak erschossen?" Siehe TAZ (wo Anne Fromm auch eine Deutschlandradio-Produktion mit-bespricht), FAZ, SZ. +++

+++ Und dass "41 Prozent aller gedruckten Produkte" in Deutschland "Werbedrucke oder Kataloge" seien und erst "dahinter ... Zeitungen und Anzeigenblätter mit einem Anteil von 10 Prozent" folgten, weiß horizont.net aus der Druckindustrie zu berichten. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.