Heute mal 'ne Bild-Zeitung kaufen?

Heute mal 'ne Bild-Zeitung kaufen?
Dank des bemerkenswerten Umgangs von Springers heißem Blatt mit Bildern wäre das einer Überlegung wert. Außerdem: Facebook hat leibhaftige Managerinnen aus Irland nach Berlin eingeflogen, um aus "tougher Balance" heraus den Begriff "Flamespeech" in die deutsche Debatte um geposteten Hass zu werfen. Sowie: Alle Kritiken zu Frank Plasbergs gespannt erwartetem Talkshow-Remake.

Manche Medienjournalisten, darunter ich, schreiben niemals "die Bild" oder in der noch schlimmeren, schon weil meistens einfach irgendwo rauskopierten Variante: "die BILD", sondern immer: "die Bild-Zeitung". Eines der Argumente für diese Position ist, dass das Wort Bild ja etwas oft Sinnvolles, Nützliches oder Schönes bezeichnet, und man die häufig sehr kritikwürdige Zeitung des Springer-Konzerns beim Kapern dieses Wortes nicht unterstützen sollte.

An diesem Dienstag aber sollte jeder Mal zu bild.de klicken oder sogar ein preiswertes Bild-Zeitungs-Exemplar kaufen. Das dürfte zumindest historischer bleiben als solche mit angeblich spektakulären Schlagzeilen à la "Wir sind Papst". Und zwar wegen der Bilder. Es gibt sie dort heute nicht, stattdessen sind graue Flächen zu sehen.

"Dort, wo sonst starke, aussagekräftige Bilder stehen, sind graue Flächen. In unseren digitalen Kanälen und in der Zeitung verzichten wir auf Bilder. Wir wollen damit zeigen, wie wichtig Fotos im Journalismus sind. Und dass es sich lohnt, jeden Tag um das beste Foto zu kämpfen! Denn Fotos können ...",

usw. heißt es im online nicht namentlich gekenntzeichneten Artikel "Warum BILD...", pardon: "Warum Bild heute keine Bilder zeigt!" Die Titelseite der gedruckten Bild-Zeitung sieht so aus, enthält also durchaus Reizwörter wie "Müller" und "Ebay" sowie ganz oben eine typische "Ballermann ist mir zu porno"-Schlagzeile, aber nur mit Silhouette statt eines Fotos als Illustration.

Was immer man von der Bild-Zeitung an sich hält: Das ist eine sinnvolle, nützliche und, zumindest im Vergleich mit dem, was sonst dort zu sehen wäre, auch schöne Aktion. Wie riet vergangene Woche der Medienethiker Alexander Filipovic im Hinblick auf das weltweit diskutierte Foto des toten Flüchtlingsjungen am Strand?

"Redaktionen sollten die Fotos ... eher beschreiben als zeigen."

[+++] Was tut sich im Fragekomplex, was im Internet gezeigt, geschrieben, geteilt werden sollte und was besser nicht?

Ob Dr. Gniffke aus der "Tagesschau"-Chefredaktion noch nicht zum bemerkenswerten Umgang der ARD-"Tagesthemen" mit dem Flüchtlingsjungen-Foto gebloggt hat, fragte ich am Freitag hier. Gestern nun ergriff sein Stellvertreter Christian Nitsche das Wort und hielt bei blog.tagesschau.de eine eindrückliche Rede:

"Wenn Qualitätsmedien nichts übertünchen, sich journalistisch an der Suche nach Problemlösungen intensiv beteiligen, können die Herausforderungen überschaubarer werden. Die Menschen können dann klarer einordnen, was ansteht. Je besser Medien in diesem Sinne aufklären, desto schwerer dürften es radikale Kräfte haben, ihren Hass auszukippen und dafür Unterstützer zu finden."

In so einem aufklärerischen Sinne sollten solche Fotos gezeigt werden, meint Nitsche, und hat damit absolut Recht. Dass im Blogeintrag gestern zunächst auch vom "Königsberger Schlüssel" die Rede war, so als hätte der Autor eine Fluchtbewegung vor 70 Jahren im Hinterkopf, die dieser Tage auch oft zum Vergleich herangezogen wird, erhöht wie die meisten Tippfehler online nur die Authentizität. Inzwischen steht da auch  
"Königsteiner Schlüssel".

Außerdem wurde die Frage "Darf man den toten Flüchtlingsjungen zeigen?" in die evangelisch.de-Reihe "Ihre Fragen, unsere Antworten" aufgenommen. In der Antwort heißt es:

"Es macht einen Unterschied, in welchem Kontext das geschieht. Wer das Bild einfach so, ohne Warnung, in die Welt schickt, schockiert über Gebühr. Journalisten haben gerade online die Möglichkeit, vor solchen Inhalten zu warnen und eine Schranke davor zu setzen, die bewusst überwunden werden muss. Der Facebook-Algorithmus kennt diese ethische Verantwortung nicht."

Womit Hanno Terbuyken ebenfalls absolut Recht hat.

[+++] In punkto Facebook gibt es etwas recht spektakuläres Neues:

"In einem Konferenzraum des Berliner Hotel de Rome, nahe der S-Bahn-Station Friedrichstraße, haben sich die deutschen Facebook-Sprecher Tina Kulow und Eva-Maria Kirschsieper sowie die extra aus Irland eingeflogenen Managerinnen Ciara Lyden und Julie de Bailliencourt den Fragen von etwas mehr als einem Dutzend deutscher Journalisten gestellt. Neben dem Tagesspiegel und Spiegel Online waren auch wir von t3n.de vor Ort",

berichtet die genannte Webseite. Der Tagesspiegel berichtet ebenfalls, Spiegel Online tut aus Gründen, die sich nicht erschließen, so, als sei sein Bericht nicht Ergebnis einer Pressekonferenz, sondern irgendwie anders entstanden. Dabei charakterisiert es Facebooks Rolle in Deutschland geradezu, dass der Konzern hierzulande weder eine echte Adresse (siehe Altpapier) besitzt, noch überhaupt verantwortliche Mitarbeiter hat, sondern nur die genannten Sprecherinnen. Und der/ die "Director Corporate Communications Northern Europe" Tina Kulow äußert selten etwas anderes als algorithmisch aus dem kalifornischen Englisch übersetzte AGB-Phrasen. Insofern bemerkenswert, dass zwei leibhaftige Managerinnen aus der Europazentrale eingeflogen wurden (die bekanntlich deshalb in Dublin sitzt, weil Irland sich am allerwenigsten in der EU um Datenschutz schert).

AGB-Sound war am Montag natürlich dennoch zu hören:

"Gleich zu Beginn wurde den Anwesenden eines in aller Deutlichkeit klargemacht: 'Rassismus hat keinen Platz auf Facebook!' Fast schon gebetsmühlenartig klang dieser Satz durch den kleinen Saal. Und: 'Ja, wir haben Fehler gemacht!'",

schreibt Andreas Weck von t3n.de. Astrid Herbold vom Tagesspiegel:

"Kulow wurde dabei nicht müde, den anwesenden Journalisten zu versichern: 'Rassismus und Hate Speech haben keinen Platz auf Facebook.' Das Thema beschäftige das Team intern sehr: 'Wir wissen, dass wir eine gesellschaftliche Verantwortung haben.' Und man arbeite intensiv daran, 'die Menschen auf Facebook zu schützen.'"

Allerdings gibt es noch, künftig vermutlich auch in der deutschen Debatte, auch noch den Begriff "Flamespeech" bzw. "flaming speech" (Tsp.). Das handele es sich um

"hasserfüllte, beleidigende, verächtliche Äußerungen. Hier sei die Gratwanderung schwieriger. 'Es gibt keine universelle Definition von Hate Speech', sagte Lyden. Das Unternehmen tendiere deshalb seit einigen Jahren dazu, aggressive Kommentare einzelner Nutzer stehen zu lassen. 'Das ist eine toughe Balance für uns.'"

Und aus dieser toughen Balance warfen die Facebook-Managerinnen allerhand diffuse Zahlen unter die anwesenden Journalisten: Zu den "einige hundert Mitarbeitern" der "Community-Abteilung", die, "rund um die Uhr an Standorten, die über die ganze Welt verteilt sind" pro Woche "mehrere Millionen sogenannter 'Reports', also von Nutzern beanstandete Inhalte" bearbeiten würden, gehöre auch "'ein großes Team' deutscher Muttersprachler". Hat der Tagesspiegel notiert.

Allen, die weiterhin mit-reporten wollen, hat de Bailliencourt einen Rat gegeben:

"Oft ... wären die Hinweise der Nutzer zu unspezifisch. Sie riet dazu, möglichst einzelne Beiträge zu melden - nicht ganze Seiten mit tausenden Kommentaren."

Nur der Vollständigkeit halber: Auch die Kommission für Jugendmedienschutz legt Wert auf den Hinweis, dass "Nutzer, die problematische Beiträge finden, ... diese entweder bei der KJM oder bei der Länder-Zentralstelle 'jugendschutz.net' melden" können (EPD).

Es ist inzwischen ja tatsächlich so, dass Menschen, die unter Klarnamen Hass posten, Konsequenzen zu spüren bekommen. T3n.de ist da verdienstvoll; bekanntestes Beispiel ist derzeit ein Berliner (Bild-Zeitung: "Er ist 26 Jahre alt, noch bei seiner Mutter gemeldet – und Deutschlands schlimmster Internet-Hetzer!"). Dazu hat wiederum der Tsp. ein interessantes Interview mit einer Arbeitsrechtlerin geführt, die den Begriff der "Veröffentlichungsgrade" in die Diskussion bringt ("Wenn ich etwas öffentlich poste, für 'jedermann' sichtbar, dann ist das so, als wenn ich eine Anzeige in der Tageszeitung schalte oder etwas im Unternehmen ans Schwarze Brett hefte"). Insofern scheint sich beim Hass-auf-Facebook-Problem etwas zu bewegen.

Die Veranstaltung in Berlin allerdings, die die Facebook-Sprecherin Eva-Maria Kirschsieper laut Tsp. mit dem Satz "Die Lösung kann nicht sein, dass man Menschen das Sprachrohr nimmt" abschloss, scheint ein Stückchen absurden Theaters gewesen zu sein.

Damit zu Frank Plasberg.


Altpapierkorb

+++ Gestern abend lief in der ARD Plasbergs Remake seiner insbesondere durch die zeitweilige Löschung aus der Mediathek bekannten Talkshow. "Geriet die erste Sendung zu flapsig, war die zweite fast ein wenig hysterisch", fasst Barbara Nolte (tagesspiegel.de) zusammen. Alle, alle, alle Rezensenten haben der Neuauflage der Show aus dem März mit allen Gästen von damals zugeschaut: das Medienressort der DuMont-Zeitungen, das kaum etwas außer Talkshowbesprechungen und DPA-Meldungen enthält, Christian Meier (welt.de), Arno Frank für SPON, natürlich Altpapier-Autor Frank Lübberding (faz.net) und auch ich (handelsblatt.com). Keiner fand's gelungen. Der neu dazugestoßene WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn dürfte froh gewesen sein, als er nach einer guten halben Stunde Plasbergs Runde verlassen durfte. Immerhin damit hat er alles richtig gemacht, diese Sendung auf einen der raren Montage zu terminieren, an dem im Kontrastprogramm die Fußballnationalmannschaft spielte und viel Aufmerksamkeit normaler Zuschauer abzog (dwdl.de). +++

+++ Einen "ganz normalen Asylbewerber" in Berlin, der in den letzten Jahren via Satellitentelefon "als Informant und Berichterstatter für internationale Medien. Für die Fernsehsender CNN, BBC, für die Washington Post, um nur die größten zu nennen" aus Homs berichtet hat und nun "herumsitzen und abwarten" muss, Abu Emad, stellt Patrick Wehner bei jetzt.sueddeutsche.de vor. +++ "Dass es derzeit gar nicht genug antirassistischen Journalismus in Deutschland geben kann", exemplifiziert der Freitag an Twitter-Accounts wie Straßengezwitscher (@streetcoverage). +++

+++ Was völlig anderes, aber mit einem ähnlichen Begriff: "Thomas Fuchs, der Koordinator des Fachausschusses Netze, Technik, Konvergenz der Medienanstalten, betonte, dass 'ein Migrationsprozess von UKW hin zu Digitalradio  nur dann gelingen kann, wenn sich alle Marktbeteiligten in einer digitalen Hörfunkwelt wiederfinden. Deswegen ist es besonders wichtig, dass die nächsten Schritte im Konsens mit privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern erfolgen.'" Dieser Migrationsprozess ist weiter fortgeschritten als gedacht, der DAB-Anteil liegt "bei ca. zehn Prozent der Tagesreichweite von Radio insgesamt". Das teilt die-medienanstalten.de, also Fuchs' Laden, mit. Siehe auch heise.de. +++

+++ Thema der FAZ-Medienseite: "Wie ARD und ZDF den Markt verzerren", und zwar die öffentlich-rechtlich besessene Produktionsfirma Bavaria. Michael Hanfeld bezieht sich auf im Auftrag der Allianz Unabhängiger Filmdienstleister erstelltes Gutachten, aus dem frei online bereits der scharfe Öffentlich-Rechtlichen-Kritiker Hans Peter Siebenhaar vom Handelsblatt zitiert. +++

+++ Die Büros der türkischen Zeitung Hürriyet haben "etwa 150 Anhänger der türkischen Regierungspartei AKP ... gewaltsam gestürmt", und zwar wegen eines Tweets (AFP/ TAZ). +++ "It's a shame but a well known phenomenon: Ther's no solidarity in Turkish journalism" (Frank Nordhausen, anderer Tweet). +++

+++ "Sogar noch skurriler ..., als bislang bekannt war" (Süddeutsche): die Verfassungsschutz-"Landesverrat"-Netzpolitik-Sache. +++ Siehe auch tagesschau.de (also die andere Seite des SZ-ARD-Rechercheverbunds) sowie natürlich netzpolitik.org selbst ("Unsere Anwälte können sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie eine extra für die Akteneinsicht erstellte Akte bekommen haben"). +++

+++ "Der Presserat sieht in der Veröffentlichung von Fotos jenes Co-Piloten, der im März eine Germanwings-Maschine in Frankreich zum Absturz brachte, keinen Verstoß gegen den Ehrenkodex der österreichischen Presse. Kritik gab es indes wegen der überschießenden Berichterstattung der Gratiszeitung 'Heute' sowie am Abdruck von Fotos der trauernden Angehörigen in mehreren heimischen Medien" (Standard, es geht also um den österreichischen Presserat). +++

+++ Themen der SZ-Medienseite: wie die britische BBC ihre Zukunft sieht, schweizerischer "Gaga-Wahlkampf", eine US-amerikanische Fernsehserie ("Hand of god"). +++

+++ Bertelsmanns RTL nimmt eine Fernsehsendung zur neuen Zeitschrift von Bertelsmanns Gruner + Jahr, "Stern Crime - Wahre Verbrechen", ins Programm (wuv.de). +++

+++Die FAZ-Vorbesprechung zur neuen Sat.1-Daily mit Susan Sideropoulos als "Irgendwas-mit-Medien-Schaffende" in Berlin von gestern steht inzwischen frei online. +++

+++Außerdem läuft heut abend im Fernsehen "Die Udo Honig Story" auf Sat.1. Michael Hanfeld scheint die Komödie mit Uli-Hoeneß-Bezug in der FAZ so lala zu finden. Jürgen Overkott (WAZ/ der westen.de) findet, sie leide unter Sat.1' vor Jahren gelaufenem Wegzug aus Berlin: "Doch leider sitzt Sat.1, wie der Hoeneß-Club FC Bayern, in München" bzw. im Münchener Umland, "so dass die Zocker-Satire von Regisseur Uwe Janson und seinem Drehbuch-Autor David Ungureit unter erkennbarer Beißhemmung leidet." +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.