Die Frisur ist nicht das Problem.

Die Frisur ist nicht das Problem.
Wie lustig ist es, per Quiz zu vermelden, wer an Krebs erkrankt ist? Ist die Rettung durch starke Männer eine Option? Wo findet auch heute noch Qualitätsjournalismus statt? Wie steht Wolfgang Büchner zu Brüsten? Und was haben Pumuckl und Joschka Fischer gemeinsam?

Das Internet kann nichts dafür. Die Menschen sind schon ganz alleine so scheiße. Das soll hier mal am Anfang stehen, bevor es nun wieder darum geht, was für Scheußlichkeiten sich in den vergangenen 24 Stunden im Netz angehäuft haben, die akute Auswanderungswünsche Richtung Mars wecken - und nein, besorgte Bürger, dafür ist nicht die Angst vor Flüchtlingen am Jägerzaun verantwortlich.

Sondern, nur zum Beispiel, die Social-Media-Beauftragten der TV Movie, die gestern Abend noch rasch ihr Klicksoll auf dem Rücken eines Krebserkrankten zu erfüllen versuchten.

„+++ GERADE VERMELDET +++ Einer dieser TV-Moderatoren muss sich wegen KREBSERKRANKUNG zurückziehen. Wir wünschen, dass es ihm bald wieder gut geht“,

wurde getwittert und gefacebookt, darunter die Fotos von Stefan Raab, Günther Jauch, Joko Winterscheidt und Roger Willemsen.

Denn war gibt es Lustigeres, als ein Bilderrätsel mit Krebs?

So ziemlich alles, inklusive Cindy aus Marzahn, möchte man antworten.

Nachdem ein paar andere Menschen im Netz die gestrigen Abendstunden dazu nutzten, der TV-Movie-Redaktion genau das mitzuteilen, wurde zumindest der Facebook-Post gelöscht und durch eine Entschuldigung ersetzt:

„Eure Kritik ist gerechtfertigt und wir geloben Besserung.“

Wie dringend nötig die ist, dokumentiert das Bildblog, denn selbstverständlich hat man die Rätselsache vorher schon mit Missbrauchsopfern, Kinderpornos und Todesfällen praktiziert.

Wäre die Welt einfach, könnten man sich in Zukunft an die Regel „Internet mit Redaktionshintergrund: Idioten. Rest des Internets: Besser“ halten. Doch dass das nicht stimmt, ist bekannt und zuletzt hier im Altpapier am Beispiel verstörend beschränkter Facebook-Kommentare dokumentiert worden.

Nun gibt auch Atila Altun, Leitet die Communityredaktion bei Tagesspiegel.de, Einblick in die Abgründe, die sich in der dortigen Kommentarspalte auftun.

„Kraftausdrücke und Herabwürdigungen von Bevölkerungs- oder Religionsgruppen lesen wir dort täglich. Antisemitische Kommentare oder gezielte Aufrufe zu Mord werden teilweise mit Klarnamen gepostet. Hasspropaganda wie Verschwörungstheorien finden sich in nahezu jeder politischen Diskussion. (...)

Sicherlich löst man mit dem Löschen solcher Kommentare keine Probleme. Aber will man wirklich darüber diskutieren, ob alle Juden schwul seien? Oder ob Flüchtlingsheime brennen sollten? Man mag vielleicht nicht gleich Nazi sein, wenn man Asylbewerber stigmatisiert, aber gerade Kommentatoren, die Flüchtlinge asozial nennen, sie als minderwertig, nicht leistungs- und integrationsfähig verunglimpfen, beginnen ihren Kommentar nicht selten mit den Worten: ,Ich bin ja kein Nazi, aber...’ und bedienen sich prompt und möglicherweise auch unbewusst dieser Nazi-Rhetorik, Menschen zu entmenschlichen, da deren Existenz angeblich die ,Volksgemeinschaft’ gefährde.“

Die große Aufgabe dieser Gesellschaft ist offenbar nicht die Integration der Flüchtlinge, sondern die der vielen Kleingeistnazis, die 70 Jahre für eine angemessene Anstandspause halten, um zwischen Festungsmauern entwickeltes Gedankengut zu recyclen.

Wir hatten das schon: Es ist kompliziert. Und deshalb endet dieser absurd weit geschlagene Bogen bei einem Redaktionsmitglied, das sich des sozialen Netzes bedient, um etwas Kluges zu schreiben. ORF-Nachrichtenmann Armin Wolf ist es, der sich auf seiner Facebookseite an einer Erklärung für den auch in Österreich anzutreffenden Hass gegenüber Fremden versucht, und dabei auf den Verlust liebgewonnener Sicherheiten abzielt:

„Die Sehnsucht danach, dass es so ordentlich, gemütlich und friedlich wird wie damals, als Mama und Papa sich um die Probleme kümmerten und einen vor der bösen Welt beschützten, ist verständlich – aber eben kindlich. Erwachsenen, die sich an die 1970er erinnern können, sollte klar sein, dass sie jetzt Mama und Papa sind und die Probleme selber lösen müssen – und auch mit manchen Problemen leben. Die Sicherheit von damals kommt nie mehr wieder, auch wenn wir es uns noch so wünschen. Die Welt ändert sich – und es wird auch kein ,starker Mann’ die Geschichte zurückdrehen. Das ist übrigens das Einzige, was man verlässlich aus der Geschichte lernen kann: die Versuche mit den ,starken Männern’, die gehen nie gut aus.“

[+++] Der Text von Armin Wolf ist für Facebook-Verhältnisse sehr lang.

Facebook möchte in Zukunft mehr von dieser Länge und damit Blogger-Platform werden.

Dies ist eine sehr schlechte Überleitung.

Aber Ihnen soll halt nicht vorenthalten werden, was Andrea Diener heute auf der FAZ-Medienseite und auch in diesem Internet verfügbar schreibt:

„Facebook ist das Schmuddeleck für schnell geteilte Katzenbilder und Petitionen gegen irgendwas, aber der schöne Edelcontent wandert woandershin. Das widerspricht der Firmenphilosophie, das bessere Internet zu sein, natürlich zutiefst.“

Also erinnert man sich seiner in den Eingeweiden der Seite bereits angelegten Notizfunktion und hofft darauf, dass nach den Medien und den Werbekunden auch die Blogger ihr Schicksal an Mark Zuckerbergs putzige Internetbutze hängen.  

„Bleibt natürlich die Frage: Warum um Himmels willen soll man auf Facebook bloggen? Es scheint zunächst so sinnvoll wie ein Ferrari mit Tempomat oder Kachelwindows auf dem Mac. Es hat ein leidlich besseres Layout, man gibt seine Inhalte aber dennoch aus der Hand, und die Gestaltungsmöglichkeiten sind begrenzt. Jene Menschen, denen es Spaß macht, an ihrem Blog herumzuschrauben, die wird Facebook damit sicherlich nicht erreichen“,

meint Diener.

Gleiche Prognose, etwas andere Argumente hat Tobias Schwarz von den Netzpiloten.

[+++] Höchste Zeit, sich den Internetinhalten zu widmen, die selbst Anhänger der Blogger-versus-Journalisten-Debatte eindeutig als Journalismus klassifizieren – die der so-called klassischen Medien nämlich. Wie es diesem durchweg nur das Positive sehenden Altpapier gebührt, ist das Urteil darüber vernichtend. Zumindest, wenn man den Argumenten Ronnie Grobs folgt, die er gestern zum Auftakt einer Serie bei der Medienwoche formulierte, die sich den Veränderungen des Journalismus durch das Internet widmet.

Dass Grob aktuell eine gewisse Frustration mit sich herumträgt, ließ sich schon an seinem Abschiedtext von „6 vor 9" ablesen. Nun kommt er zu dem Schluss: Inhalte blöd. Überwachung blöd. Finanzierung blöd. Nur eins ist gut:

„Der ernsthafte, wertvolle Journalismus findet statt! - und zwar oft auf Papier. Auch wenn es im Internet einige ernsthafte Publikationen gibt. Auch wenn Zeitungswebsites immer wieder grossartige journalistische Online-Projekte durchziehen. Und auch wenn Buzzfeed und Watson ihre ,So-verrückt-ist-die-Welt’-Postings ab und zu mit echtem Journalismus auflockern. Gemessen an der Anzahl von originären, demokratierelevanten Inhalten schneidet Print gegen das Netz immer noch noch gut bis sehr gut ab.“

[+++] Falls Sie nun ein dringendes Bedürfnis verspüren, mit allen Medien Schluss zu machen, aber nicht wissen, wie Sie nach Kündigung sämtlicher Abos noch die elende Rundfunkgebühr loswerden – Beatrix von Storch, AfD-Mitglied und Inhaberin eines Sitzplatzes im EU-Parlament, kennt die Lösung: Post von der GEZ einfach zerreißen, und schon ist man alle Sorgen los. So praktizierte sie es zumindest selbst, wie sie auf ihrer Facebookseite verkündete, was wiederum Stefan Niggemeier ausgegraben und vertwittert hat.

Der konkrete Anlass für von Storchs Durchgriff war die Ein- und wieder Ausladung der AfD-Chefin Frauke Petry zur „Sandra Maischberger“-Sendung gestern, die Sonja Álvarez im Tagesspiegel dokumentiert:

„,Teilnahme storniert, wurde wieder ausgeladen’, teilte Petry per Twitter mit. ,Warum wohl? Staatlich indoktrinierte Meinungsfreiheit mit Zwangsgebühren?’ Die Maischberger-Redaktion weist den Vorwurf als ,vollkommen unberechtigt’ zurück. ,Wie bei jeder Sendung mit einem derart aktuellen Thema veränderte sich auch bei dieser neuen Ausgabe unseres ARD-Talks die Gästerunde fast täglich - durch Zu- und Absagen potentieller Gesprächsgäste’, heißt es in einer Stellungnahme, die auch über Twitter verlinkt wurde.“

Wie die Sendung ohne Petry, aber mit Til Schweiger war, lässt sich unter anderem hier, hier und hier nachlesen.

Vor Erreichen des Altpapierkorbs bleiben damit nur noch zwei Dinge zu sagen: Wie stolz ich bin, von Frau von Storch gesprochen zu haben, ohne ihre Frisur zu erwähnen. Denn Frauen an Äußerlichkeiten festzumachen, gehört sich nicht. Und ist auch gar nicht nötig. Schließlich kann man, nur zum Beispiel, zur Einschätzung ihrer Zurechnungsfähigkeit auch auf dieses Video verweisen, das sie dankenswerterweise auf ihrer Website veröffentlich hat und sie bei einem Redebeitrag im Parlament zeigt. Thema: Bargeld als einziger Garant für Datenschutz.

Menschen mit einem verqueren Weltbild sind nicht nur im Internet zu finden. Sie vertreten uns auch in Brüssel. Und damit nun endlich zum


Altpapierkorb.

+++ Seit acht Uhr heute Morgen tagt der Rechtsausschuss des Bundestages – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auf der Tagesordnung neben neuen Hilfen für Griechenland ein „Gespräch mit dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, dem Generalbundesanwalt, Harald Range, dem Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, und dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Hans-Georg Maaßen, zu den Ermittlungen gegen Journalisten von netzpolitik.org“. Eben jene haben schon gestern vermeldet, dass de Maizière und Maaßen Stellvertreter schicken werden und immer noch nicht ganz klar ist, wer jetzt wann was erfuhr. +++

+++ Dass RWE sich am Samstag in Garzweiler an der Pressefreiheit vergriffen hat, wie gestern hier schon erwähnt, meint auch die taz. „Ich halte es für skandalös, dass die Polizei als Handlanger von RWE die Presse an einer freien Berichterstattung gehindert hat“, beschwert sich Chefredakteur Andreas Rüttenauer beim NRW-Innenministerium. Die taz hat das Schreiben online gestellt und natürlich auch einen Text zum Thema. +++

+++ Lilian Lepère versteckte sich vor den Attentätern auf Charie Hebdo in einer Druckerei, in die eben diese geflüchtet waren. Das vermeldeten zwei französische Fernsehsender – und zwar, während alle drei noch im Gebäude waren. Nun klagt Lepère, steht bei Zeit Online. +++

+++ Wolfgang Büchner. Von dem hat man auch lange nichts mehr gehört, seitdem er beim Demokratiesturmgeschütz von Bord gegangen ist. Doch heute schreibt Charlotte Theile auf der SZ-Medienseite, wie es für ihn beim Schweizer Boulevardblatt Blick läuft, wo er nun angeheuert hat. „,Anders als beim Spiegel kann er beim Blick von oben nach unten durchregieren und muss keinen Widerspruch fürchten’, sagt ein Mitarbeiter. Auch die Ressortleiter würden ihm wenig entgegensetzen – erstens, weil auch ihre Jobs nicht sicher seien. Zum Zweiten schielen wohl einige auf den Posten des Desk-Chefs.“ Wohin das führt, wenn Büchner durchregiert, beschreibt Christian Lücher im Medienblog des Tages-Anzeigers („Der starke Fokus auf nackte Haut und Sexgeschichten stört den deutschen Medienmanager.“) +++

+++ Wo Lücher sich zudem der Meldung vom Wochenanfang widmet, dass in der Schweiz Swisscom, Ringier und die öffentlichen-rechtlichen Rundfunkanstalten Werbung in Zukunft gemeinsam vermarkten wollen. +++

+++ WDR 5 soll reformiert werden, und die Mitarbeiter sind nicht zufrieden, schreibt Uwe Mantel bei DWDL. „,WDR 5 auf dem Weg zum Durchhör-Radio’ - mit diesen Worten ist ein Schreiben von WDR-Redakteuren überschrieben, mit dem diese ihren Unmut über die geplante Reform des Info-Senders zum Ausdruck bringen. ,Weniger Meinung, weniger Wissenschaft, weniger Landespolitik’ und ,ein seichteres Programm’ - das wäre ihrer Meinung nach das Resultat, wenn der Rundfunkrat den in der vergangenen Woche vorgelegten Plänen zustimmen würde.“ +++

+++ Buzzfeed goes Bewegtbild und wird dabei mit 200 Millionen Dollar von NBC Universal unterstützt, vermeldet Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti im Firmenblog. +++

+++ Wenn am Donnerstag bei RTL Crime eine neue Serie startet, dann ist das nur ein Thema für die SZ Medienseite, wenn die Drehbuchautoren von „Breaking Bad“ und „Dr. House“ am Werke waren. Das ist bei „Battle Creek“ der Fall. Wer erst noch den Text lesen möchte, bevor er sich auf die Serie stürzt, sollte sich auf sehr viele Farbfilterbeschreibungen einstellen. +++

+++ Schon heute läuft am späten Abend „Für Elise“ in der ARD. „Er zeigt ein junges, musisch begabtes Mädchen, das die Verantwortung für seine alkoholkranke Mutter übernommen hat. Es ist die Geschichte einer Selbstbehauptung, und sie kennt nur eine Heldin: die fünfzehnjährige Elise. Jasna Fritzi Bauer, Spezialistin für charakterstarke Figuren auf der Schwelle zwischen Kind und Frau – zurzeit ist sie im Kino in ,About a Girl’ zu sehen –, war bei den Dreharbeiten schon 22 Jahre alt. Doch das hat ihr nur dabei geholfen, der Titelfigur eine glasklare Kühle und Festigkeit zu verleihen, die sich dann doch als hilfloses Scheinerwachsensein erweist“, meint Ursula Scheer auf der Medienseite der FAZ. Wo zudem Michael Hanfeld „The 100“ bespricht – benannt nach den 100 Personen, die losgeschickt werden, um zu schauen, ob man auf der Atomkrieg-versuchten Erde schon wieder leben kann.  +++

+++ Das Hamburger Abendblatt hat seine Inhalte hinter einer Bezahlschranke. Alle Inhalte? Nein. Auf das HSV-Blog „Matz ab“ kann man frei zugreifen. Finanzieren soll es sich jetzt aber über Spenden; bis Jahresende soll die alberne Summe von 99.999 Euro eingenommen werden, heißt es auf der Website. „Die Buchhalter der Funke-Gruppe hätten sich vor einiger Zeit wohl bestimmt nicht träumen lassen, dass sie schon bald Spendengelder verbuchen würden, damit eines ihrer Verlagsprojekte weiterbestehen kann“, meint Meedia. +++

+++ Pumuckl, von Beruf Kobold, wird in der Bebilderung einer neue Buchauflage dünner dargestellt, als wir ihn aus dem Bayrischen Rundfunk kennen. Der Tagesspiegel hat deswegen eine Psychologin befragt. Springers Welt hingegen kann vermelden: Pumuckl leidet schon länger unter Gewichtsschwankungen und ist damit ein Leidensgenosse Joschka Fischers. +++

Frisches Altpapier gibt es morgen wieder.