Foxtrott steht für Zukunft

Foxtrott steht für Zukunft
Komisch: Wenn LeFloid Angela Merkel interviewt, erfährt man auch nicht mehr, als wenn Ulrich Deppendorf dies tut. Bei der FAZ gehen Frauen und Kinder zuerst. Die böse Gratiskultur ist böse. Stefan Winterbauer hat ein iPhone und das ist auch gut so. Der Bauer-Verlag sieht sich als Start-up. Besorgte Bürger zeigen sich von ihrer allerbesten Seite.

„Jetzt passt einfach gut, weil wir unseren Dialog mit den Menschen in Deutschland begonnen haben.“

Ja, das war ein schöner Einstiegssatz, den LeFloid Angela Merkel bei seinem Interview entlockt hat, das seit gestern Abend online steht und seitdem von ziemlich jeder Redaktion gesehen und besprochen wurde – und sei es nur aus Neid, nicht selbst die 30 Minuten mit der Kanzlerin gehabt zu haben, die man, selbstredend, besser genutzt hätte als dieser dahergelaufene Youtuber.

Denn der Satz ging noch weiter und damit über in einen Werbeblock für www.gut-leben-in-deutschland.de, die aktuelle Bürgerdialog-Kampagne der Bundesregierung, und danach kam nichts mehr, das wir noch nicht gewusst und an anderer Stelle von Merkel gehört hätten: Dass sie die Ehe für eine Sache zwischen Mann und Frau hält. Dass sie sich über das Abhören durch die NSA nur so mäßig aufregen kann (auch wenn das unter Freunden eigentlich gar nicht geht). Dass sie auch schon mal so ein Google Hangout gemacht hat („War ein Riesending damals“.)

„In dem rund 30 Minuten Interview übernimmt LeFloid dann auch eine Rolle, die man aus den wöchentlichen Merkel-Podcasts kennt. Als leicht eingeschüchteter Fragensteller gibt er meist nur Stichpunkte in vollkommen verklausulierten Fragen vor, auf die Angela Merkel dann antwortet – oder auch nicht. Manchmal hakte er nach, aber die Rückfragen waren dann wiederum recht devot formuliert, dass Merkel wiederum nicht wirklich antwortete. Standard-Lückenfüller von LeFloid als Überleitung zur nächsten Frage war dann auch ,Sehr cool’. Fand ich eher uncool, war aber wahrscheinlich nur Unsicherheit oder Überforderung“,

meint Marcus Beckedahl bei netzpolitik.org. Andere ziehen ein ähnliches Fazit:

„Zeitweise ähnelt das Interview einer Sammlung von ,Angelas Kalendersprüchen für jeden Tag’. (...) Die Kanzlerin, sie hat sogar LeFloid gezähmt. Und er hat sich zähmen lassen.“ (Annett Meiritz bei Spiegel Online, die sich das Interview zur Sicherheit mit Schülerpraktikantin Jette angesehen hat, welche LeFloid auch zuschaut, wenn er nicht im Kanzleramt abhängt.)

„Auch Mundt kritisieren einige: zu zahm sei er, zu aufgeregt, heißt es vor allem zu Beginn. In der Tat hätte ein, zwei Mal weniger Höflichkeit gut getan.“ (Hannah Beitzer bei sueddeutsche.de)

„Endlich. Die ,Neuland’-Frage. Aber diesmal ist Merkel bestens vorbereitet. Sie habe sogar schon mal bei Google Hangout mitgemacht, plaudert die Kanzlerin. Und belehrt den jungen Mann dann darüber, dass es gar nicht so unproblematisch sei, wenn die Regierung nur noch über eigene Kanäle kommuniziere. ,Da fehlten dann doch die kritischen Fragen.’ Genau die fehlten auch LeFloid. Die Kanzlerin aber lächelte, sie hatte sich erfolgreich Neuland erobert.“ (Christian Bos beim Kölner Stadt-Anzeiger)

Da haben die Berliner Politikkollegen noch mal Glück gehabt, dass dieser Typ aus dem Internet ihren Job zumindest nicht besser gemacht hat als sie selbst. Oder?

Altpapier-Kollege Frank Lübberding sieht das bei faz.net etwas anders: Zwar sei das Interview aus journalistischer Sicht ein Desaster gewesen. Aber:

„Mundt prägt mit seiner Reichweite das Verständnis vieler junger Leute von der ,großen Politik’. Sie halten sie wie er für eine fremde Welt, der sie nur noch mit Unverständnis gegenüberstehen. Unsere Gesellschaft verliert damit einen Teil ihres früheren Selbstverständnisses über deren Rolle - und die Funktion des politischen Journalismus in diesem politischen Betrieb. Dafür ist dieses am vergangenen Freitag aufgenommene Interview durchaus exemplarisch zu nennen. Die etablierten Medien sollten über die Folgen ernsthaft nachdenken, trotz der berechtigten Kritik an Mundt. Sie selbst sind dem Trend zum Boulevard nämlich schon längst in gleicher Weise ausgesetzt. Da sollte sich niemand etwas vormachen.“

Absolut.

[+++] Vom „Pennäler im Kanzleramt“ (nochmal faz.net) zu Frauen unter Männern, was zunächst nach einer ziemlichen Alltagssituation klingt, bis man diverse Zahlen einstreut: Knapp zwei Jahre ist es her, dass bei Zeit Online die Morgenkolumne namens Fünf vor 8.00 an den Start ging, in der fünf alternde Männer erzählen dürfen, wie sie die Welt sehen. Dafür gab es Hohn, Spott und bald darauf eine Antwort bei faz.net namens Ich. Heute. 10 vor 8.

Nun zieht eben dieses Mehr-Autorinnen-Blog unter dem neuen Namen 10 nach 8 zu Zeit-Online.

„Wir freuen uns, dass zusammenkommt, was zusammengehört,“

meint dazu Zon-Chef Jochen Wegner.

Interessanter ist aber der Blick auf das, was auseinandergeht: Ein Jahr nach Frank Schirrmacher bemüht man sich bei der FAZ offenbar, genau so ein alter Boysclub zu werden, gegen den man sich etwa vor zwei Jahren mit 10 vor 8 noch positioniert hatte. Man wird den Eindruck nicht los, als sei die Zukunftsstrategie der Zeitung, sich auf ihre Werte und Leser aus den 1950ern zu besinnen – die abonnieren und zahlen schließlich noch – und danach auf die Sintflut zu warten.

Frauen und Kinder gehen zuerst. An Bord verbleibt Don Alphonso.

[+++] Um sich noch ein wenig in diesem Zukunftspessimismus zu wälzen, an dieser Stelle die Nachricht von gestern, dass die schwierige Refinanzierung von Inhalten im Netz schwierig ist. Unter anderem, weil gut 20 Prozent der Internetnutzer einen Werbeblocker im Einsatz haben, wie der Online-Vermarkterkreis im Bundesverband Digitale Wirtschaft hat ermitteln lassen. In der dazugehörigen Pressemitteilung übt sich Oliver von Wersch, stellvertretender Vorsitzender des OVK, in Publikumsbeschimpfung:

„Hier entsteht also ein erheblicher Schaden für die Digitale Wirtschaft, der in letzter Konsequenz das konsensuale Ziel eines freien Internets für alle gefährdet. Offensichtlich fehlt bei weiten Teilen der Nutzerschaft immer noch das Bewusstsein für die Bedeutung von Werbung für die Refinanzierung kostenfreier Angebote im Internet.“

In anderen Worten: Die Gratiskultur ist noch böser, als gedacht. Auf der anderen Seite könnte man auch argumentieren, dass deutschen Verlagen das Bewusstsein für die optische Zumutung fehlt, die ihre blinkende, mies programmierte Pop-up-Werbung darstellt.

Jedes Mal, wenn ich etwa die Seite des Tagesspiegels besuche, springt der Lüfter meines Laptops an, weil er angesichts der zahlreichen, querschießenden Banner und selbststartenden Werbevideos in die Knie geht. Da stellt sich die Frage, ob ein Ad-Blocker wirklich reine Gemeinheit ist oder nur Notwehr, um die eigene Hardware zu schützen. Das hätte der Online-Vermarkterkreis im Bundesverband Digitale Wirtschaft mal ermitteln sollen – auch, damit eine echte Neuigkeit dabei herumkommt.

[+++] Die letzte Erkenntnis vor dem Altpapierkorb: Heute ist der Tag, an dem ich Stefan Winterbauer dankbar sein muss.  Denn er hat ein iPhone, ich nicht. Er kann den ersten deutschen Instant Article in der Facebook-App seines Telefons in seiner vollendeten Schönheit sehen. Ich nicht. Für mich und alle anderen Apple-Verweigerer kommt der medienrevolutionäre Artikel über Mario Götze und sein WM-entscheidendes Tor daher wie jeder andere Artikel bei bild.de. Winterbauer hingegen sieht und erklärt:

„Man liest immer nur eine Frage mit dazugehöriger Antwort vor rotem Hintergrund. Dazwischen eingestreut finden sich reichlich Bilder-Galerien, Video-Schnipsel, Ton-Dokumente, Einschätzungen eines Bild-Reporters. Die Navigation ist ziemlich narrensicher.“

Danke, Stefan Winterbauer, danke Meedia! Wo sich zudem ein Interview Georg Altrogges mit Julian Reichelt findet, der schöne Werbeblock-Sätze sagen darf wie  

„Der Aufwand für diesen ersten Instant Article war nicht klein.“

„Mich reißt der Götze-Artikel auch deshalb so mit, weil ich die emotionalsten Momente noch einmal im bewegten Bild erleben kann.“

„Man darf nicht vergessen: Wir reden hier über einen Test, dem weitere folgen werden. Sicherlich auch in anderen Aufmachungen und Formatierungen. Wir wollen lernen, wie der perfekte Journalismus in einer mobilen Welt aussieht.“

Das Team bei der Bild-Zeitung, das sich um die facebookgerechten Artikel kümmert, nennt sich übrigens Team Foxtrott – mit F wie Future. Man kann es sich nicht ausdenken.


Altpapierkorb

+++ Gestern hat der Bauer-Verlag der Presse verkündet, in Zukunft auch etwas mit Internet machen zu wollen. „Nur etwa 4 Prozent des Umsatzes von zuletzt rund 2,3 Milliarden Euro macht der Verlag im Netz. Einige Wettbewerber sind da schon wesentlich weiter, und auch Bauer will sein digitales Standbein vergrößern (...) Allerdings schlägt Bauer dabei einen anderen Weg ein als die meisten Rivalen. Statt einfach die bestehenden Zeitschriften ins Netz zu bringen und so die Zugkraft der alten Titel auch dort zu nutzen, will Bauer komplett neue Marken aufbauen und diese möglichst weltweit ausrollen, steht heute auf Seite 25 im Unternehmensteil der FAZ. Für die Medienseite der SZ hat sich derweil Angeloka Skavik die, äh, interessante Firmenphilosophie erklären lassen. „,Wir verstehen uns ja eigentlich als Start-up’ – dieser Satz bezieht sich deshalb keineswegs nur auf Dynamik und Aufbruchsgeist, den man gerne im Unternehmen hätte. Sondern auch darauf, dass sich das Unternehmen für Tarifbindung und Arbeitnehmervertreter nicht so recht erwärmen kann. Man halte eben nicht viel von einem Tarifvertrag, ,der vielleicht vor 30 Jahren mal passend war’, heißt es.“ +++

+++ Wer spontan Auswanderungswünsche Richtung Mars verspüren möchte, für den lohnt sich ein Blich auf den Tumblr Perlen aus Freital – der Untertitel „Besorgte Bürger zeigen sich von ihrer allerbesten Seite“ erklärt, worum es geht. Über das Wochenende war das Angebot jedoch kurzzeitig verschwunden. Warum, und ob das Zitatrecht auch für Nazis gilt, erklärt Matthias Meisner im Tagesspiegel. +++

+++ Auch die BBC muss sparen und sich mit Diskussionen über ihre Berechtigung herumschlagen, wie Gina Thomas heute ausführlich auf der Medienseite der FAZ erläutert. +++

+++ Auf dem Boden schlafen und in den richtigen Momenten den Ellbogen einsetzen können, das sind nur zwei Fähigkeiten, die man mitbringen sollte, um als Brüsseler Grexit-Journalist am Puls der Zeit zu sein. Wie deren Alltag in den vergangenen Tagen aussah, beschreibt Diego Velazquez im Luxemburger Wort: „Der Premier grüßt freundlich, immerhin hat man in den letzten Wochen relativ viel Zeit wegen der Griechenlandkrise miteinander verbracht. Ähnlich ist es mit dem Finanzminister bei der Eurogruppe, den man am Wochenende momentan öfter sieht als den eigenen Partner.“ +++

+++ Am Wochenende machte die Meldung die Runde, dass ein Mitarbeiter der Weltwoche einen Text einfach aus dem britischen Telegraph abgeschrieben hatte. Nun hat der Tagesanzeiger herausgefunden, dass er sich vorher auch schon bei der FAZ bedient hatte. +++

+++ Ja, es lebt noch, das StudiVZ. Sebastian Meineck hat für Spiegel Online mal reingeschaut. +++

+++ Statt vier sollen in Zukunft alle neun ARD-Anstalten Produzentenberichte veröffentlichen, in denen aufgeschlüsselt wird, welche externen Produzenten beauftragt wurden, schreibt die Medienkorrespondenz. Die Verantwortung dafür liegt beim MDR, dessen Intendantin Carola Wille aus diesem Anlass bei Carta das hohe Lied der Transparenz singt. Indem sie das Wort 27 Mal bemüht, was zu schönen Sätzen wie dem folgenden führt: „Neben der gesetzgeberischen Verstärkung der Transparenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden auch Fragen journalistischer Transparenz weiter an Bedeutung gewinnen. Glaubwürdiger Journalismus und Transparenz stehen zunehmend im Zusammenhang.“ +++

+++ 2267 Mal hat hingegen ProSieben in den vergangenen zwölf Monaten „Big Bang Theory“ gezeigt, hat Uwe Mantel für DWDL nachgezählt. +++

+++ Zum Abschluss die Fernsehfrage: Was gucken wir heute? Der Tagesspiegel empfiehlt „37 Grad: Schuften bis zum Schluss“ im ZDF, das sich Rentnern widmet, die keine Rentner sein können, weil das Geld nicht reicht („Bevor sich Politikerhände zur Zustimmung für milliardenschwere Ausgaben heben, sollten sich die Verantwortlichen mal diesen kleinen, wichtigen Film ansehen.“) sowie die ARD-Doku „Blick in den Abgrund – Profiler im Angesicht des Bösen“ („Die Profilerin Helina Häkkänen-Nyholm aus Helsinki kann selbst beim Angeln in den finnischen Fjorden nicht abschalten und erzählt ihrem Mann vom aktuellen Fall. Profiler, das erzählt dieser Film en passant, tragen diese schwere Arbeit in sich, mit sich herum, auch ins Privatleben, direkt in die Familie.“) Über Letztere meint die SZ: „Der Film will nicht reißerisch sein. Er verzichtet etwa auf Musik. Und doch eskaliert die Gewalt der Bilder.“ Auch die FAZ berichtet auf ihrer Medienseite. +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.