Das ist erneut die Höhe

Das ist erneut die Höhe
Bleiern gelassene Politiker müssten sich mal wieder wundern können. Immerhin tritt der Generalbundesanwalt in Aktion - aber an einer Front, die auch verwundert. Wie stünde es aktuell um die Gesamt-Meinungsmacht eines ProSiebenSat.1AxelSpringer-Konzerns? Außerdem: eine "ganz einfache Entweder-oder-Entscheidung", die der ARD nicht gelingt.

Es gibt frische Enthüllungen mit unmittelbarem Deutschland-Bezug.

"Die neuen Wikileaks-Enthüllungen katapultieren die Diskussion in eine neue Höhe",

macht sueddeutsche.de online gespannt auf die Print- und Epaper-Ausgabe der SZ. Der bekannte SZ-NDR-WDR-Rechercheverbund hat die aktuell publizierten Dokumente wieder "vorab prüfen" dürfen, und die SZ macht wieder erheblich mehr daraus als die öffentlich-rechtlichen Anstalten, in deren Aufsichtsgremien halt viele Politiker aus an der aktuellen Bundesregierung beteiligten Parteien sitzen, in ihren Fernsehsendungen. Dafür informiert die elektronische Presse von tagesschau.de frei online ausführlicher als es die kostenpflichtige privatwirtschaftliche Zeitung tut.

Die SZ also hat wieder eine Doppelseite gestaltet mit eigenen Texten und Fotos der aus Text bestehenden Originaldokumente (z.B.: "Subscriber_ID FRG CHANCELLOR"), bloß die letzten Ziffern der von der NSA abgehörten Telefonnummern sind ge-xt. "Die bleierne Gelassenheit der Regierenden" auch angesichts der neuen Diskussions-Höhe fasst sie in diese Worte:

"Als die SZ vor der Veröffentlichung der Liste Regierungskreise mit den neuen Erkenntnissen konfrontierte, fiel die Antwort lapidar aus. Man wundere sich über gar nichts mehr. Spätestens mit der Entdeckung der NSA-Selektoren in Bad Aibling sei dem Kanzleramt das Ausmaß der amerikanischen Spionage in Europa klar. Nur: Warum sagt das niemand öffentlich?"

Konstantin von Notz ist der wohl profilierteste Politiker der kleinen Opposition gegen die Große Koalition, die die Regierung stellt. Onlinejournalist ist er nicht:

"Die jüngsten Veröffentlichungen sind erneut hochnotpeinlich für das Kanzleramt und Angela Merkel",

leitet er seinen Beitrag im Grünen-Blog gruen-digital.de ein. Zwischen der "neuen Höhe" und dem "erneut", das kein Onlineredakteur verwenden würde, weil es nur aussagt, dass etwas längst in alle Meinungsäußerungswellen und -umfragen eingepreist ist, liegt ein Dilemma sowohl der Politik als auch der Medien. Letztere müssen (oder wollen zumindest) immer neu aufregen und das nicht mit Stoff von gestern. Erstere will am besten gar nicht aufregen und macht genau das zurzeit in Deutschland ja auch sehr gut.

"Und wenn es auch jetzt in der Regierung wieder heißt, dass man sich in der Sache über gar nichts mehr wundere, dann wünschte man sich dort doch langsam mal ein paar Leute, die sich noch wundern können. Auch darüber, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen gegen die NSA wegen Spionage gegen die Kanzlerin einstweilen eingestellt hat",

kommentiert Jochen Arntz, seines Zeichens Hauptstadtredaktions-Chefredakteur der DuMont-Presse.

[+++] Aber hey, der so zurückhaltende Generalbundesanwalt scheint schon ein bisschen in Aktion getreten zu sein. Noch nicht gegen die NSA oder deren einheimische Partneragenturen, sondern erst mal gegen einen vergleichsweise kleineren Überbringer der enstprechenden Nachrichten. Das wird noch nicht ganz hoch gehandelt in den Diskussionen, vielleicht gerade weil mit dem Deutschlandfunk und netzpolitik.org keine ganz prominenten Sturmgeschütze der Demokratie berichteten.

"Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hat nach Informationen des Deutschlandfunks zwei Strafanzeigen wegen unserer Berichterstattung gestellt, in beiden Fällen soll der Generalbundesanwalt schon ermitteln",

meldete netzpolitik.org am Wochenende.

"Wir gehen davon aus, dass diese Info gezielt in Richtung Deutschlandfunk lanciert wurde, um unsere und andere Quellen einzuschüchtern ... ... Und wahrscheinlich wurden wir ausgesucht, weil wir den kleinsten Ärger für die Bundesregierung bedeuten als wenn sie gegen den Spiegel, die Süddeutsche Zeitung oder die Tagesschau vorgehen würde, um dieses Zeichen der Einschüchterung zu setzen",

legte Markus Beckedahl ebd. am Dienstag spürbar mitgenommen nach (und verlinkte ein paar Kommentare kleinerer Sturmgeschütze der Demokratie).

[+++] Den Übergang von der Welt- und Bundespolitik zum alten, aber erneut (Altpapier vom Dienstag) diskutierten Medienmedienthema ProSiebenSat.1AxelSpringer verkörpert der designierte Interviewer der bleiern gelassenen Bundeskanzlerin, LeFloid (Altpapierkorb gestern). Angela Merkel

"erreicht in LeFloids 2,5 Millionen Abonnenten eine beeindruckend große Menge junger bis sehr junger Menschen, und sie zeigt sich damit neuen Medien im Netz gegenüber aufgeschlossener als manches Medienunternehmen. In exakt dieser Sphäre, die der Niedergang von Heftchen wie 'Bravo' und der Aufstieg von Youtube schuf, hat sich LeFloid längst breitgemacht",

porträtiert Johannes Boie den Youtuber, nicht ohne zu erwähnen, dass dieser von einem ProSiebenSat.1-Netzwerk vermarktet wird. Das wiederum kündigte gerade an, ein US-amerikanisches Youtuber-Vermarktungsunternehmen mehrheitlich zu übernehmen (heise.de, Springers welt.de). Und ob wiederum Springer und ProSiebenSat.1 jetzt doch zusammengehen könnten, wird ja gerade gerätselt. Auf den Stand des Geraunes ("Ob am Ende der anscheinend unwidersprochen stattfindenden Sondierungsgespräche eine tatsächliche Fusion steht, bleibt abzuwarten") bringt das Hamburger Abendblatt, das ggf. den Weg dafür mit freigemacht haben könnte. Schließlich war es noch eine Springer-Zeitung, als vor zehn Jahren dasselbe Geschäft gescheitert war. Damals hatte die Institution KEK (Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich) für das damals geplante ProSiebenSat.1AxelSpringer einen "Meinungseinfluss ..., der einem Zuschaueranteil von mehr als 42 Prozent im bundesweiten Fernsehen entsprochen hätte", errechnet (epd medien 2014).

Was natürlich die Frage aufwirft, wie dieser Meinungseinfluss heute aussähe, nachdem Springer seine gesamten Presseerzeugnisse außer der Bild-Zeitung und der Welt abgestoßen hat. Wie sieht's bei ProSiebenSat.1 aus?

Zufällig stellten die ProSiebenSat.1-Sender am Dienstagabend in Hamburg ihre Programmpläne für die nächste Fernsehsaison vor. Das führt heute zu einigen Medienseiten-Berichten. Der eigentlich niemals gelangweilte SZ-Reporter David Denk hat für die SZ-Medienseite einen doch gelangweilten, dafür an Gedankenstrichen reichen Artikel geschrieben ("Insgesamt gerät der Ausblick – von potenziellen Highlights wie 'Udo Honig - kein schlechter Mensch' abgesehen – eher ernüchternd: Sat1 versucht's ab Herbst mal wieder mit einer Daily über eine junge Frau, die in Berlin die große Liebe sucht ... und walzt Filme wie 'Frauenherzen' und 'Einstein' zu Serien aus. Auch ansonsten dominiert Bekanntes und Bewährtes ('The Voice', 'Germany’s Next Topmodel', 'Navy CIS') – allenfalls in Variationen (wie 'Rosins Kantinen' bei Kabel Eins oder 'Got to Dance Kids' bei Sat 1) ... "). Die FAZ bringt den DPA-Bericht, den Markus Ehrenberg für den Tagesspiegel noch etwas aufgehübscht hat.

Christian Meier von Springers Welt ist in seinem Blog aufgefallen, dass inmitten des gut gelaunten Bullshit-tens das "größte TV-Experiment aller Zeiten", das zurzeit auf einem ProSiebenSat.1-Sender läuft, gar nicht erwähnt wurde.

Und die fleißigen Fernseh-Freunde von dwdl.de haben alles, aber auch alles, was gesagt wurde, mitstenografiert.

Zur Zusammenfassung schalten wir noch mal in die SZ:

"Es gibt ein Wiedersehen mit Jürgen von der Lippe ('Tiere wie wir', Sat 1) sowie 'Big Brother' (Sixx). Und ProSieben setzt 14 Menschen auf einer einsamen Insel aus und überlässt sie sich selbst ('The Island')."

Wobei dieses "The Island" natürlich ein eingekauftes Format ist.

Was also die Meinungsmacht von ProSiebenSat.1 angeht, würde ich (ich war auch dort) sagen: Pro Sieben hat zurzeit auch nicht eine eigene Idee, sondern sendet internationale Lizenzshows und Hollywoodfilme (die natürlich Meinungen transportieren, vermutlich keine, über die US-Geheimdienste sich ärgern würden, die aber von RTL gesendet würden, wenn Pro Sieben es nicht täte). Edmund Stoiber gibt offenbar keine Anstöße mehr "zu wichtigen Themen wie Nachhaltigkeit, Bildung und Kultur". Sat.1 verwandelt immerhin geschickt Uwe Ochsenknecht in Uli Hoeness und Hannes Jaenicke in Franz Beckenbauer. Die kleineren Sender teilen sich Sendungen wie "Big Brother" und "Got to Dance" als Liveübertragungen und Wochenzusammenfassungen sowie in Versionen mit sog. Promis bzw. mit Kindern auf. Und die beiden Frauensender verbreiten Frauenbilder, die in sog. sozialen Medien für Aufruhr sorgen könnten, wenn sie nicht auf Frauen in völlig anderen Parallelgesellschaften zielen würden. Meinung äußert sich in manchen Scherzen von Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt und gilt dann anderen Sendern; wer gerade das richtige getrunken oder -raucht hat, könnte den einen oder anderen auch lustig finden.

Mit Meinung im Medienkonzentrations-Sinne aber hat ProSiebenSat.1 nicht mehr das Geringste am Hut. Insofern spräche nichts gegen eine Fusion mit Springer.


Altpapierkorb

+++ Aber Achtung, Thomas Ebeling! Auch die mit weitem Abstand wichtigste ProSiebenSat.1-Programmquelle ist "von der Gefahr einer Überalterung ... [ihres] Publikums bedroht": Da fasst Franz Everschor für medienkorrespondenz.de die letzte Fernsehsaison in den USA zusammen. +++

+++ "Wenn sich die ARD dafür entscheidet, den Zuschauerwunsch nach der Tour zu erfüllen, dann sollten sie den Auftrag ernst nehmen und nicht dauernd die Bedenken zur Schau stellen, einen Sport zu übertragen, dem man zutiefst misstraut. Das ist eine ganz einfache Entweder-oder-Entscheidung", ärgert sich Kurt Sagatz vom Tagesspiegel über die Tour de France-Übertragung der ARD: "Die Radsportfans bleiben bei Eurosport" - also genau dem kommenden großen Gegenspieler mit den vielen Olympia-Fernsehrechten .... +++

+++ Wer früh seinen Rundfunkbeitrag zahlt, "der würde später auch nicht zum Steuerbetrüger": So ungefähr argumentierte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof bei einem Symposion zum 40-jährigen Bestehen der Institution KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten). Das berichtet Joachim Huber im Tagesspiegel. +++

+++  "Eigentlich wollte Kaki Bali nicht ins deutsche Fernsehen, doch in der Regierung sieht man es gern, wenn eloquente Leute aus den eigenen Reihen – obwohl Bali kein Parteimitglied ist – den Deutschen die Athener Position erklären. 'Ich habe dem deutschen Publikum zu erklären versucht, was eine normale Griechin denkt, die für diese Regierung arbeitet', sagt Bali. Sie verheimlicht nicht, dass sie skeptisch war, als sie ihre Teilnahme zusagte. 'Wenn ich die ganzen deutschen Talkshows sehe, habe ich das Gefühl, diese Regierung ist in der Mediendarstellung ein exotischer Buhmann, der den Bolschewismus zurückbringt.' ...": Da stellt das Politikressort der FAZ Alexis Tsipras' Deutschland-Beraterin vor, der der "Journalismus als der schönste Job der Welt" erschienen war, als die Mauer fiel, weshalb sie ihn dann in Deutschland studierte. +++

+++ "Inzwischen muss man konstatieren, dass Facebook für viele Nutzer dieselbe zentrale Rolle spielt, wie es früher das öffentlich-rechtliche Fernsehen tat" und also auch eine Art Schweigespirale à la Elisabeth Noelle-Neumann in Gang setzt: Das entnimmt Julia Bähr auf der FAZ-Medienseite u.a. einer neuen Studie der Informatikerin Kristina Lerman von der University of Southern California. Sie lege "die Conclusio nahe, dass Menschen sich im Internet nicht nur leicht über die vorherrschende Meinung täuschen lassen, sondern viele verstummen." +++

+++ Außerdem geht es dort um den Prozess um den Film "Hungerlohn am Fließband", den die Daimler AG auch vorm Oberlandesgericht Stuttgart gegen den SWR "gründlich verloren" hat. "Eine Revision vor dem Bundesgerichtshof ließ das Oberlandesgericht nicht zu. Daimler werde aber eine Nichtzulassungsbeschwerde einreichen". +++

+++ Der Tsp. macht darauf aufmerksam, dass es nun auch Sky Arts gibt. +++

+++ Die SZ-Medienseite bespricht ausführlich eine US-Serie, die auf keinem ProsSiebenSat.1-Sender läuft ("Broad City" bei Comedy Central) und das WDR 3-Hörspiel "Jetzund kömpt die Nacht herbey" über Immanuel Kant, das W. G. Sebald zu seinen Lebzeiten erst als Fernsehfilm geplant hatte, aber nicht durch bekam.  +++

+++ "Liebe Verantwortliche von Antenne Bayern, Sie haben gute Moderatoren und Sie sind in Bayern ein sehr populärer Sender. Bitte, machen Sie nicht den Fehler, Ihre Nachrichten dermaßen zu vernachlässigen. Auch Sie brauchen glaubwürdige Berichterstattung!" beweits Ekki Kern (radiowatcher.de) Optimismus. +++

+++ Von einem möglichen Erfolg der BBC im Kampf um ihr Bestehen in aktueller Form berichet die NZZ. Die kürzlich angekündigten Stellenstreichungen berührt das aber nicht. +++

+++ Und im klassischen öffentlich-rechtlichen Nachrichten-Fernsehen wird der "GOG"  ("Gang ohne Grund") durch das "SMH" abgelöst, glossiert Rupert Neudeck wiederum in der Medienkorrespondenz. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.