Die Leere nach dem Druckschluss

Die Leere nach dem Druckschluss
Berliner Zeitungen bestechen durch Inhaltsleere und vermitteln doch, was man über den Besuch der Queen wissen muss. Sie landet heute Abend in Tegel, wo zuletzt nicht gerade die Pressefreiheit verteidigt wurde. Dafür derzeit sehr engagiert für den Journalismus: Google. Und vielleicht auch bald wieder der DJV. By the way: Wann kommt endlich michaelkonkenkritisiert.tumblr.com?

Kaufen Sie heute die Berliner Zeitung, und zwar nicht wegen der guten Texte, sondern wegen des unerwarteten Weißraums. So (oder so ähnlich) empfahl gestern Redakteurin Christine Dankbar die heutige Ausgabe bei Twitter. Ein Stromausfall hatte die Kollegen zur schönsten Rushhour unfreiwillig entschleunigt und dafür gesorgt, dass der erste Andruck mit Leerstellen und Blindtext erfolgen musste.

Die Konkurrenz vom Tagesspiegel nutze die Gelegenheit sowie den technischen Vorsprung und erfand online die Text-Gattung der Tweet-Beschriftung.

So wenig Inhalt ist selbst bei Berlins Tagespresse selten, was jedoch nicht heißt, dass der Preis für den traurigsten Online-Artikel des Tages an den Tagesspiegel geht. Ein Meedia hat schließlich einen Ruf zu verteidigen. Unter der Überschrift: „Kampf ums Überleben: Krautreporter gründen Genossenschaft“ schrieb ein unbekannter Autor:

„Die Krautreporter gehen aufs Ganze: Neben der seit einigen Tagen laufenden Abo-Offensive wollen die Initiatoren des digitalen Crowdfunding-Magazins nun auch ihr Unternehmen in eine Genossenschaft umwandeln. Gesucht werden 400 Investoren, die je 250 Euro beisteuern und den Ausbau des Angebots tragen.“

Nun ist es nicht so, als fehle es an Verständnis für die mangelnde Bereitschaft, jeden Meedia-Artikel auch zu lesen. Doch wer für die Redaktion arbeitet, sollte vielleicht wissen, welche Nachrichten man bereits verbreitet hat.

Auftritt Krautreporter Sebastian Esser in den Kommentaren:

„Kollegen, das stand doch alles in dem Interview mit uns, das ihr selbst (!) am Donnerstag veröffentlicht habt. Und das ist auch keine Pressemitteilung, die ihr da zitiert, sondern die Webseite der Genossenschaft, die seit letzter Woche online ist. Aber: Thanks for sharing!“

Auch ohne, wie ich, leicht befangen zu sein in dieser Sache (Offenlegung: Ich habe auch schon für die Krautreporter geschrieben), sollte man an dieser Stelle erkennen, dass das Argument mit dem nicht ganz so heilen Online-Journalismus so falsch nicht ist. Ob die Reporter der Kraut nun der fachgerechten Reparatur fähig sind, oder wir auf den weißen Ritter noch ein wenig warten müssen, darüber lässt sich sicher streiten. Klar ist: Er sollte seine Internetseite nicht nur als Abspielstation für Werbegeflacker sehen, sondern zur Abwechslung auch mal ein klitzekleines Herz für die redaktionellen Inhalte haben im Sinne von: Was veröffentlichen wir da eigentlich? Das wäre schön.

In Berlin werden sie sich mit dieser Frage heute jedoch nicht beschäftigen können: Um 19 Uhr landet in Tegel die Queen, und da können wir davon ausgehen, dass es bei den vier Texten zum Thema, die gerade die Startseite des Tagesspiegels zieren (Stand: 7.42 Uhr), nicht bleiben wird.

Um das Ganze zu einem runden Abschluss zu bringen, folgen wir der Kette fehlende Inhalte -> kaputter Online-Journalismus -> Queen bis zu diesem Artikel des Hamburger Abendblattes.

„Der Besuch der britischen Queen und ihres Mannes Prinz Philip in Deutschland ist am Dienstag und Mittwoch im Fernsehen vornehmlich eine Sache des Ersten und des Rundfunks Berlin-Brandenburgs (rbb), aber auch das ZDF und Vox sind dabei. Hier ein Überblick über die Sondersendungen“.

Und dann folgt: der dpa-Überblick der Sondersendungen.

(„Am Dienstag (18.50 Uhr) steigt die ARD mit dem Ersten in die Berichterstattung mit dem Beitrag ,Die Queen in Deutschland’ ein. Mareile Höppner und Seelmann-Eggebert kommentieren die Ankunft. Am Mittwoch sendet die ARD ab 10.05 Uhr fast drei Stunden lang live: Geplant sind unter anderem die Stationen der Queen bei Bundespräsident Joachim Gauck, die Bootsfahrt von Bellevue zum Kanzleramt und der Besuch der Kanzlerin.“)

Wenn ich recht informiert bin, dient derartig verschriftlichtes Fernsehprogramm ausschließlich der Google-Optimierung – und zwar im althergebrachten Sinn der Klickverstärkung (gut, einen Schlenker machen wir hier noch).

Was man mit diesem Begriff ebenfalls beschreiben könnte, lässt sich seit gestern Abend unter www.newslab.withgoogle.com nachlesen.

„Google's mission is to organize the world's information and make it universally accessible and useful. We created the News Lab to support the creation and distribution of the information that keeps us all informed about what's happening in our world today—quality journalism. Today's news organizations and media entrepreneurs are inventing new ways to discover, create and distribute news content—and we're here to provide tools, data, and programs designed to help.“

Folgerichtig sind auf der Seite die Anwendungen und Möglichkeiten aus dem Hause Google beschrieben, von denen zu erzählen Manche längst als gut gehendes Geschäftsmodell entdeckt haben: So recherchiert man im Netz; so macht man seine Geschichten dank Google Maps noch schöner; so ergänzt man seinen Bericht um ein Youtube-Video.

Natürlich kommt so ein Newslab nicht allein:

„And, as a global initiative, Google’s News Lab will also power the training and research arm of Google’s Digital News Initiative in Europe, the company says“,

heißt es bei Techcrunch.

Den deutschen Finger dieser Initiative (siehe etwa dieses und dieses Altpapier) wird sicher der folgende Satz aus dem Newslab besonders freuen, der da lautet:

 „Reach a wider audience by joining our global news network.“

Ganz recht, das ist der Werbeblock für Google News, in manchen Verlagshäusern Inhalteindustrien auch bekannt als: der Teufel.

Man könnte an dieser Stelle nun das große Fass Leistungsschutzrecht und die seltsame Hassliebe der Verlage zu Google aufmachen. Oder man beschränkt sich auf den Hinweis, dass es sich bei Googles uneigennütziger Unterstützung nicht ganz so technikaffiner Journalisten eben auch um Werbung handelt. Weil hier noch ein weiteres Thema wartet, belassen wir es bei Letzterem, verbunden mit der Bitte: Niemand braucht eine Karte mit den Stationen des Queen-Berlin-Besuchs! Den Kollegen lieber noch mal zum BER rausschicken, das ist sinnvoller.

Und nun: Themenwechsel.

[+++] Und zwar einen der besonders harten Sorte: Der Al-Dschasira-Journalist Ahmed Mansur, der am Samstag in Berlin festgenommen worden war (Altpapier gestern), ist wieder auf freiem Fuß.  

„Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Auslieferungsverfahrens ergaben sich neben den rechtlichen Aspekten nicht ausschließbare politisch-diplomatische Bedenken, die durch Vermittlung des Berliner Justizsenator Heilmann mit den zuständigen Bundesbehörden abgewogen worden sind. Die Bedenken gegen die Bewilligungsfähigkeit der Auslieferung hätten nach dortiger Einschätzung auch nicht durch Zusicherungen Ägyptens ausgeräumt werden können. Aufgrund dessen ist von der Durchführung des Auslieferungsverfahren abgesehen und vom Berliner Generalstaatsanwalt Rother die Entlassung des Betroffenen angeordnet worden.“

In diesem schrecklichen Behördendeutsch verpackte der Pressesprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft die Nachricht gestern Nachmittag.

Übersetzt bedeutet das wohl: Wir können doch unter den aktuellen Umständen keinen Journalisten an Ägypten ausliefern! (Wie schlecht es dort derzeit um den Rechtsstaat und die Pressefreiheit steht, berichtet der Nahost-Korrespondent Martin Gehlen im Interview mit Meedia).

Aber warum wurde Mansur dann überhaupt festgenommen? Zwar habe Ägypten einen Haftbefehl an Interpol geschickt. Dort habe man diesen aber ausgesiebt, weil man keine politische Verfolgung betriebe, schreibt heute Ronen Steinke im Politikteil der SZ (Seite 7):

„Danach muss etwas geschehen sein, wobei die Frage des genauen Zeitpunkts deshalb interessant ist, weil der Anwalt des Reporters den Verdacht erhebt, dass sich Ägypten und Deutschland sehr kurzfristig bilateral abgesprochen haben könnten, an allen Interpol-Warnungen vorbei.“

Hat man sich beim umstrittenen Besuch des ägyptischen Präsidenten al-Sisi in Deutschland Anfang des Monats etwa etwas zu gut verstanden?

„Saad Djebbar, one of Mansour's lawyer, said that while his client was ,very happy’ about the court's decision, he was also ,very said’ that the Al Jazeera journalist was detained in the first place“, berichtet Al Jazeera.

Eine Erklärung der Vorgänge wird hoffentlich nachgereicht. Bis dahin müssen wir festhalten, dass Deutschland offenbar nicht mal in der Lage ist, die Pressefreiheit in Tegel zu verteidigen.


Altpapierkorb

+++ Der Fall Mansur hat Kurt Sagatz beim Tagesspiegel animiert, zusammenzutragen, was ausreicht, um in anderen Ländern als Journalist eingesperrt zu werden. Dem bekanntesten Fall – dem des saudischen Bloggers Raif Badawi – widmet sich heute auch Paul-Anton Krüger auf der Medienseite der SZ, der dazu mit Badawis Frau Ensaf Haidar gesprochen hat: „Alles, was Ensaf Haidar weiß, ist, dass die Prügelstrafe in den vergangenen beiden Wochen nicht vollstreckt worden ist. Einmal, am 9.Januar, hatten sie ihren Mann geschlagen. Nach dem Mittagsgebet, inmitten der Menschen vor der weißen Al-Jafali-Moschee in der Hafenstadt Dschidda. Er war an Armen und Beinen gefesselt. Die Rutenhiebe trafen seinen Rücken und die Beine, wie Augenzeugen berichteten. Danach wurde die Strafe aus medizinischen Gründen ausgesetzt.“

+++ Auf Michael Konken ist Verlass. Wenn es etwas zu kritisieren gibt im deutschen Journalismus, ist der Vorsitzende des DJV stets zur Stelle (Falls jemand akut unter zu viel Tagesfreizeit leiden sollte, kann er gerne mit Hilfe dieser Google-Suche einen entsprechenden Tumblr basteln. Die Idee stelle ich hiermit zur Verfügung, die Url michaelkonkenkritisiert.tumblr.com ist auch noch frei). Nun will ihn nach zwölf Jahren Alexander Fritsch im Amt beerben. „Wenn sich der DJV nicht verändert, um ihn herum aber alle Strukturen zusammenbrechen, verliert er an Bedeutung. Stillstand ist Verrat an den Mitgliedern“, sagt dieser unter anderem im Interview mit Ulrike Simon bei horizont.net. +++

+++ Die NZZ arbeitet sich auch nach der Abstimmung über die Rundfunkfinanzierung in der Schweiz noch an dem Thema ab und schaut dafür heute nach Großbritannien, wo man die BBC unter Reformdruck sieht und sich über deren Auslandsradio wundert. +++

+++ Sandra Maischberger rückt dank Günther Jauch im kommenden Jahr mit ihrer Talkshow von Dienstag- auf Mittwochabend und der Tagesspiegel hat dazu ein paar schöne Erkenntnisse wie "Nach zwölf äußerst erfolgreichen Jahren am Dienstagabend gibt uns der Wechsel die Gelegenheit, unsere Sendung noch aktueller und journalistischer zu gestalten" (Sandra Maischberger) zusammengetragen. Auch DWDL und Meedia berichten (unter anderem). +++

+++ Die Gesichtserkennung, das unbekannte Wesen, dem widmet sich heute Fridtjof Küchemann auf der Medienseite der FAZ. Anlass: Die Technik kann einiges, und der Datenschutz hat das Nachsehen, so scheint es sich zumindest derzeit in den USA zu gestalten.  „,Die Software ist da, es fehlt nur noch die Massenverbreitung, die Algorithmen sind einsatzbereit, und verschiedene Nutzergruppen wollen und werden das einsetzen’, sagt Stephan G. Humer [Internetsoziologe an der Universität der Künste in Berlin]. ,Die Bürger dürfen nicht denselben Fehler machen wie in der Vergangenheit bei vielen Services im Internet: Man muss sich jetzt damit auseinandersetzen. Es wird kommen.’“ +++

+++ Außerdem heute in der FAZ: Die mittelmäßige HBO-Politkomödie „The Brink“, die bei Sky anläuft; die Debatte über das neue Geheimdienstgesetz in Frankreich („Das Gesetz, wie es sich die Nachrichtendienste nicht schöner wünschen konnten, erlaubt eine weitgehende Überwachung der Online- und Telefonkommunikation von Verdächtigen, die bisher von einem Richter bewilligt werden musste. Die Internetanbieter und die Telefongesellschaften werden zur Beihilfe verpflichtet. Die bisherige Kontrollkommission CNCIS wird durch eine neue ersetzt: CNCRT.“); Michael Hanfeld in Thomas-Mann-Gedächtnis-Sätzen zur Griechenland-Krise („Wenn nicht nur die Bürger den Eindruck haben, dass es gar nicht mehr darauf ankommt, wie dieses Ende aussieht und mit welchen Konsequenzen es verbunden ist, sondern auch die Politiker dies vermitteln – Merkel, Schäuble, Hollande, Juncker, Dijsselbloem, Lagarde –, haben die Spieler Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis ihr Minimal-Ziel, vor den eigenen Wählern wenigstens noch halbwegs gut dazustehen, zu einem denkbar hohen Preis erreicht.“) +++

Neues Altpapier gibt es morgen wieder.