Der raffinierteste Hund im Stall

Der raffinierteste Hund im Stall
Das Gottvater der Intimbeichte ist gestorben und bei Burda möchte man daraus noch ein paar Klicks generieren. Junge Menschen können endlich für Journalismus Geld ausgeben. Was dem G7-Gipfel an Protestlern fehlte, machte er durch Buffets wett. Facebook und Google bleiben böse. Was klingt blöder: Daily Romantic Comedy oder Inhalteindustrie?

Prioritäten setzen muss man können. Wer heute durch die Medienseiten der Zeitungen surft oder blättert oder was immer ihm angenehm erscheint, sieht, dass viele Paul Sahner eine einräumen. Am Sonntag war der Bunte-Journalist und „Gottvater der Intimbeichte“, um hier gleich die überall angeführte alte taz-Beschreibung anzubringen, mit 70 Jahren einem Herzinfarkt erlegen.

„Wenn man die Würdenträger in dieser eitlen Branche so vergleicht, war Sahner einer der besten Typen. In seinem Genre als Gesellschaftsreporter, Klatschreporter und Interviewer von Prominenten war er ohnehin einsame Spitze. Selbst die Männer konnten sich dem Brummsingsang nur schwer entziehen. Auch hatte er so melancholische Stofftieraugen. Der Produzent Wolfgang Rademann hat ihm mal das Angebot gemacht, in der Serie Traumschiff als Heiratsschwindler aufzutreten. Mit seinem Dackelblick wäre Sahner genau der Richtige gewesen. Er hat die Rolle aber abgelehnt“,

schreibt Hans Leyendecker heute auf der Medienseite der SZ.

„Er hatte nämlich etwas ungeheuer Entwaffnendes. Er schuf für denjenigen, mit dem er sprach und von dem er selbstverständlich etwas wollte, aus dem Stegreif eine vermeintliche Vertrautheit. Jedem anderen hätte man das übel genommen, Paul Sahner, der jeden auf der Welt duzte, nicht. Dafür war er viel zu freundlich“,

meint Michael Hanfeld in der FAZ.

Hans-Peter Siebenhaar erklärt Sahner in seiner Handelblatt-Kolumne zum „König der Aufmerksamkeit“ und glaubt, sein Tod markiere das Ende einer großen Epoche des Glamourjournalismus (so steht es zumindest im Teaser. Im Text ist das „Ende“ weggefallen, sodass ein Tod nun eine Epoche markiert, was seltsam klingt, auf der anderen Seite aber auch nicht als Erfindung Siebenhaars ausgeschlossen werden kann angesichts der Tatsache, dass er Sahner später noch als Schlüssel bezeichnet, der nun verloren ist. Und wollen wir noch darüber sprechen, dass jemand die Kolumne in zwei Teile geteilt hat, wobei auf Seite 1 bereits der komplette Text steht und auf Seite 2 einfach noch einmal die letzten Absätze? Nein, lieber nicht, denn die massive Anzahl an Werbung auf der Seite zwingt gerade meinen Computer in die Knie. Lieber Tab zu und nächster Text.)

Entschuldigung für den Exkurs.

Anja Meier nennt Sahner in der taz „eines der besten Pferde in Riekels Bunte-Stall“, für den es kein „unbeschreiblich“ gegeben habe.

„Der Gesellschaftsreporter verfügte über eine journalistische Technik, die jungen KollegInnen von ihren LehrerInnen heute beizeiten ausgetrieben wird: übergroße Nähe zum Berichtsgegenstand, kombiniert mit Küchenpsychologie und Tendenz zur Ranschmeiße.“

Arno Makowsky nutzt im Tagesspiegel das gute, alte „Klatschreporter“.

„Normalerweise gehen bei medienerfahrenen Leuten bei diesem Stichwort sofort alle Alarmglocken an. Normalerweise. Bei Sahner vergaßen sie es in dem Moment, in denen der Mann ihnen seine Fragen auf eine Art stellte, die ihnen vorgaukelte, sie seien seit Ewigkeiten mit ihm gut befreundet.“

Und bei Meedia kann man bei Beate Wedekind aus erster Hand erfahren, wie es war, Paul Sahner auf den Leim zu gehen und ihn trotz Enthüllungsstory noch zu mögen.

„Er hat mich schwerstens beflirtet, seine blitzenden Augen, seine sonore Stimme mit dem unverwechselbar sanft-rauem Timbre, auf die ich sowieso stand, taten das ihre. So nach einer Stunde stellte er das Tonbandgerät ab und verführte mich zu Äußerungen über Kolleginnen, über die Männern meines Lebens, meine Leidenschaften… Nun, er hat all meine Indiskretionen, die er aus mir heraus charmiert hatte, veröffentlicht. Ich gestehe, sie haben das Interview erst spannend gemacht. Aber ich war stocksauer, und ich wollte eine Zeitlang den Kontakt einschlafen lassen. Irgendwann war ich nicht mehr eingeschnappt, schließlich war ich es, die ihm auf den Leim gegangen war – er war halt ein raffinierter Hund, der Paul.“

Nur bei Burda, wo der König, Hund und Gottvater im Stall stand, weiß man so viel Empathie nicht aufzubringen.

Zwischen Werbung für das neue Star Wars Magazin und die vegetarische Ausgabe der Lisa hat man die Pressemeldung im Burda Newsroom versteckt. Zwar wird dort Hubert Burda mit „Paul Sahner war ein großer Journalist und ein wunderbarer Mensch“ zitiert, und Patricia Riekel darf ihn „einen der größten Gesellschaftsjournalisten dieses Landes“ nennen. Doch damit im Newsroom zur Topnews zu werden, dafür hat es nicht gereicht. Da steht seit zwei Wochen die Werbung für das I-like-Blogs-Rezepte-Magazin. Was immer noch ein ehrenvollerer Umgang mit dem Verstorbenen ist als die Aufmachung der Todesnachricht bei bunte.de.

„Wir trauern um einen besonderen Kollegen: Paul Sahner ist im Alter von 70 Jahren verstorben. Klick: Auch sie gingen 2015 von uns“,

steht da gleich unter der Überschrift und soll bedeuten, dass sich hinter dem Aufmacherfoto von Sahner eine schöne Klickstrecke mit den beliebtesten Toten des Jahres befindet. Denn nur weil ein verdienter Kollege verstorben ist, ist das noch lange kein Grund, seine Todesnachricht nicht noch für ein paar zusätzliche Klicks zu nutzen.

Im Artikel begegnet man dann den Stellungsnahmen aus der Pressemitteilung, um am Ende auf den Abbinder „Mehr zum Thema: Tod“ zu treffen. Denn natürlich hat bunte.de ein Ressort „Tod“.

Immerhin ist jemand seit gestern Abend auf die Idee gekommen, den Zwischensatz „Im Video: So trauerten vergangenes Jahr die Promis um Joachim Fuchsberger“ zu entfernen, der ebenfalls um Klicks und damit noch mehr Möglichkeiten buhlte, Rewe-Grilltipps einzublenden. Dafür hat die seltsam programmierte Seite heute Morgen einen roten Kasten über Sahners linkes Auge gelegt – „Sie interessiert – Paul Sahner. Jetzt liken und keine Bilder mehr verpassen!

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Nun kann man natürlich diskutieren, ob ein Klatschreporter, nicht per se ein Experte der leisen Töne, so etwas nicht einfach aushalten muss, auch nach seinem Ableben. Aber da sich nun wirklich jede Zeitung um einen ehrenvollen Nachruf bemüht hat, ist das für Burda und Bunte schon ein Armutszeugnis. Nicht einmal ein eigenes Tag hat man Sahner in der Pressemeldung gegönnt. Da war nur Platz für „Bunte“, „Patricia Riekel“ und „Philipp Welte“. Denn wer tot ist, braucht kein Tag mehr. Sorry, Paul. Oder, wie Riekel es ausdrückt:

„Unsere Trauer ist unbeschreiblich.“

[+++] Machen wir einen großen Sprung in die journalistische Zukunft.

Nein, dazu wurde gestern Abend nichts Bahnbrechendes von Tim Cook verkündet. Bei Apple ist man bis auf Weiteres damit beschäftigt, auf den Stand von Spotify und Google Maps zu kommen. (Es berichten Spiegel Online, sueddeutsche.de, Zeit Online, tagesschau.de, Tagesspiegel, Meedia und viele mehr.) Dafür kommt Blendle nach Deutschland.

Beim diesem Online-Kiosk eines Start-ups aus den Niederlanden kann man einzelne Artikel aus den verschiedensten Verlagshäuern kaufen. Verfügbar sein werden Texte von SZ und FAZ über Spiegel und Zeit sowie Neon und Auto-Bild bis zur Thüringer Allgemeinen und der Leipziger Volkszeitung. Im Laufe der Woche solle das deutsche Angebot in die Betaphase gehen, schreibt Peter Turi.

„Blendle war im Frühjahr 2014 in den Niederlanden gestartet und gewann dort bisher über 300 000 Nutzer. Ein Großteil der Kunden sei unter 35 Jahren, betonte Blankesteijn. Das ist eine Zielgruppe, die für Printmedien schwieriger zu erreichen ist“,

erklärt der Standard.

Junge Menschen, die online für publizistische Inhalte Geld ausgeben? Das muss die Zukunft des Journalismus sein! Zumindest für heute.


Altpapierkorb

+++ Bei M. DuMont Schauberg hat man sich gestern von Alfred Neven DuMont verabschiedet. Der Kölner Stadtanzeiger und Meedia berichten. +++

+++ DGB, dju, FFII, NR und Correctiv warnen: „Das Gesetzgebungsverfahren zur EU-Richtlinie ,über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformation (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung’ gefährdet in erheblichem Umfang die Meinungs- und Pressefreiheit. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Arbeit von Journalisten und den Schutz von Whistleblowern.“ Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie bitte diese Pressemitteilung. +++

+++ „The reality is there are 3,000 accredited journalists here in Germany to cover the G7 meeting, and there simply aren’t enough protesters to go around. Fortunately, what the G7 lacks in protesters, it more than makes up for in buffets.“ Comedy-Autor, Journalist und Olivenbauer Charlie Skelton und wie er Journalisten auf dem G7-Gipfel sah (Quelle: Guardian).

+++ Mathias Döpfner kaufte sich ein Prinzessinnenpalais, hat der RBB herausgefunden. +++

+++ Internet.org. Klingt sympathisch, ist es aber nicht, schreibt Carolin Schwarz auf der Medienseite der FAZ über das neueste Facebook-Projekt – eine Plattform für abgespeckte Internetseiten mit weniger Datenvolumen für Länder, in denen das Netz nicht stark genug ist für das Brimborium, das manche Website ausmacht. Aber: „Die Netzaktivisten der Electronic Frontier Foundation (EFF) sagen es klipp und klar: ,Internet.org ist nicht neutral, nicht sicher und nicht das Internet.’ Durch den beschränkten Zugriff entstehe eher eine Art digitales Getto für arme Nutzer, dies sei kein Einstieg für das gesamte Internet. Zudem ist der Dienst in manchen Ländern, etwa in Indien, nur über einen einzigen Netzbetreiber verfügbar. Die neuen Nutzer werden hier also nicht nur an das Internet heran-, sondern auch einem exklusiven Dienstleister zugeführt. Ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil.“ +++

+++ Da wir gerade von amerikanischen Internetkonzernen und der FAZ reden: Adrian Lobe erklärt dort heute auch, wie sich Google als Staat machen würde. „Wenn der Staat nicht erfolgreich wirtschaftet, soll er weichen. Und hier kommt Google ins Spiel. Nach [Investor Tim] Drapers Lesart erbringt der Tech-Gigant dieselben Dienstleistungen wie eine Regierung: Informationen, Netze (Internet), Versicherungen. Das, was der Wohlfahrtstaat kontinentaleuropäischer Prägung aufgrund des demographischen Wandels bald nicht mehr zu leisten imstande sein könnte, soll Google erbringen. Aber ist das wirklich vorstellbar?“ +++

+++ Wer schon heute wissen will, wie die Zeitung am kommenden Sonntag aussieht (auf jeden Fall die aus dem Hause FAZ bzw. FAS), kann etwa bei Horizont ein paar Bildchen des neuen Layouts betrachten. +++

+++ Günther Jauch macht weiter. Zumindest bei RTL. Hat der Tagesspiegel herausgefunden. Der zudem „aus dem Inneres des ARD-Walfisches“ gehört hat, dass auch dort Anne Will als Nachfolgerin hoch im Kurs steht. +++

+++ Als die USA Anfang des Jahrtausends in den Irak einmarschierten, brauchten sie Curveball. Er war ihr Kronzeuge dafür, dass dort chemische Kampfstoffe produziert wurden. Später stellte sich heraus, dass das gelogen war. Die Geschichte erzählt heute Abend „Krieg der Lügen“ in der ARD nach, aber nicht gut, wie Bernd Graff in der SZ findet: „Was den Film diskreditiert, ist die Form der Aufarbeitung: Niemand wird mit Curveballs Aussagen konfrontiert, es gibt nur subjektivistisches Reenactment der Story.“ Bernd Pickert sieht das in der taz anders: „Es ist die Stärke des Films, Fragen offenzulassen, nicht zu urteilen. Bittner hat sich seinem Protagonisten genähert, ohne sich ihm zu unterwerfen.“ +++

+++ Am kommenden Sonntag entscheiden die Schweizer, ob sie auch eine Haushaltsabgabe für ihren Rundfunk zahlen möchten. Die NZZ, die sich ja schon seit Wochen an der Debatte abarbeitet, hat heute noch einmal zusammengetragen, wie das System in anderen Ländern funktioniert, und was die Zeitungsverleger dazu sagen. +++

+++ „Viele Fußballjournalisten träumen von einem zweistündigen Exklusivinterview mit Pep Guardiola, andere vielleicht von einem Angelausflug mit dem U21-Nationaltrainer Horst Hrubesch. Stefan Erhardt träumt davon, sagt er, Peter Handke auf einem Dorfbolzplatz zu treffen und mit ihm darüber zu reden, warum ",sowohl in seiner Prosa als auch in seinen Theaterstücken immer wieder Fußball auftaucht – als konkrete Szene, Metapher oder Motiv’.“ Altpapier-Autor René Martens bei Zeit Online über das Fußballmagazin Der tödliche Pass, das dieser Tage 20 Jahre alt wird. +++

+++ Ein neuer Name ist wie ein neues Leben – entweder diese Hoffnung oder ein ganz anderer Wahnsinn hat Sat1 dazu verleitet, das neueste Vorabendserienprojekt nicht Soap oder Telenovela zu nennen, sondern Daily Romantic Comedy. Wer nun tatsächlich noch mehr wissen will, er schaue bei DWDL vorbei. +++

+++ „Über die Zukunft der Inhalteindustrie“. Nein, das habe ich mir nicht ausgedacht, das steht tatsächlich über dem neuen Medien-Blog von Christian Meier bei Springers Welt. Wir halten kurz inne und denken: was für ein unromantisches Scheißwort. +++

Frisches Altpapier gibt es morgen wieder.