Kleiderordnung ist alles

Kleiderordnung ist alles
Das deutsche Fernsehen braucht weder Krawatte noch BH. Charlie Hebdo verteilt Geld und zerlegt sich selbst. Newsletter sind das neue Facebook. Ein Social-Media-König hat endlich seinen eigenen Twitter-Account. Mit Brathähnchen kann man viel falsch machen.

Deutsche Fernsehabende bringen immer nur die wichtigsten Fragen mit sich. Die der gestrigen Ausgabe lauteten: Keine Krawatte? Kein BH? Und wurden wie folgt beantwortet:

Nein, das mit den BHs haben sie dann noch nicht gemacht beim RTL. Der 65. Geburtstag eines Showtitans, dessen Karriere zu Zeiten begann, als man noch gar nicht Showtitan sagte, war nicht Anlass genug, sich mit der geballten Kraft des Feminismus anzulegen. Oder man hatte einfach nicht ausreichend junge Frauen gefunden, die bereit waren „etwa 20 Minuten lang auf der Bühne zu stehen und hübsch auszusehen“ und sich dabei erst von Hugo Egon Balder den BH zerschneiden und dann von Thomas Gottschalk begutachten zu lassen, der auf die Brüste geklebte Filmszenen erraten sollte. So zumindest die Spielidee für die von RTL übertragene Geburtstagsshow für Gottschalk, die sich dieser Stellenausschreibung entnehmen lässt.

Das Missy Magazin verbreitete sie gestern über seine sozialen Kanäle, verbunden mit der Einschätzung, dass man sich ziemlich sicher sei, dass es sich hierbei nicht um einen #Gottschafake handele – wobei es wahrlich nicht viel Fantasie braucht, um sich den dazugehörigen „Neo-Magazin“-Beitrag auszumalen, in dem jemand in einem grünen Ganzkörperanzug an einer Schreibmaschine sitzt und sich die denkbar klischeeigste Spielidee für Gottschalks Geburtstag ausdenkt, um damit einmal mehr das Internet zu trollen. Denkbar wäre es.

Genauso, wie es auch möglich ist, dass man bei RTL von selbst auf diesen Witz von einem Herrenwitz gekommen ist. Wer wie ich am Samstagabend fünf Minuten des großen „DSDS“-Finales gesehen hat, der weiß, dass dieser Sender im Geheimen längst von der Belegschaft von „Berlin Tag & Nacht“ gesteuert wird.  

Was ich eigentlich sagen wollte: Die große BH-Sause fiel gestern Abend aus, und Thomas Gottschalk war nicht einmal traurig, wie er Spiegel Online mitteilte:

„,Ich habe diese Bikini-Wette auf den Proben nie gesehen, aber jetzt im Vorfeld mitbekommen, womit ich überrascht werden sollte’, so Gottschalk. ,Das war sicher nett gemeint, ich verzichte aber dankend: An meinem Geburtstag soll kein Bikini zu Schaden kommen.’“

Was ohne diese sinnlose Zerstörung von unschuldigen Wäschestücken übrig blieb, fasst Peer Schader in seiner Rezension für DWDL zusammen:

„Nun ist's offiziell: Für eine durchschnittliche ,Wetten dass..?’-Sendung braucht es keinen Bagger, nicht mal kuriose Wetten. Sondern bloß einen gut gelaunten Thomas Gottschalk, der mit einem Best-of seiner bisherigen Show-Gäste und Wegbegleiter nett gemeinte Sticheleien austauscht, Tanzbewegungen zu Rockoldies andeutet und Hollywood-Prominenz per Smartphone-Grußbotschaft zuschalten lässt, damit die nicht wieder frühzeitig zum Flieger muss. Zumindest erinnerte so einiges in ,Gottschalks großer Geburtstagsparty’, die dessen derzeitiger Hauptauftraggeber seinem Star zum 65. schenkte, an eine Art ,Wetten dass..? light’. In der Rockmusicalversion.“

„Wetten, dass..?“ braucht keine Wetten, und eine Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen keine Krawatte. Es reicht völlig, wenn der Moderator Hosentaschen hat und Hände, die er darin versenken kann. Das ist die Antwort auf die oben gestellte zweite Frage und die Erkenntnis nach der erste Ausgabe „heute+“, die sich hier in der Mediathek nachsehen lässt.

Dass die neue Spätnachrichtensendung des ZDF zwischen Wille zur Supercoolness und Verdammung zur Supernervosität schwankte, lässt sich an der Hosentaschensache ganz gut darstellen: Mal wusste der sich ab und an verhaspelnde Moderator Daniel Bröckerhoff nicht, wohin mit seinen Händen. Mal wollte er angemessen lässig rüberkommen, während der echt ey voll ironische Sachen sagte wie „Jetzt nehmen wir mal verrückterweise an, das stimmt mit dem Klimawandel“ oder „Ende offen, sagt die GDL, und alle anderen so: Yeah“.

Wenn Bröckerhoff sich an seinen neuen Job gewöhnt und jemand der Redaktion das Lexikon der Jugendsprache wieder weggenommen hat, wird das sicher gut erträglich. Womit dann nur noch geklärt werden müsste, wo man den Zwang zur Personalisierung gegen ein wenig mehr Aktualität eintauschen kann, um zwei weitere Besonderheiten der gestrigen Ausgabe zu nennen.

In anderen Worten: Da ist noch Luft nach allen Seiten, aber alles andere wäre ja auch seltsam. Und wenn jemand dieser Tage noch Zeit hat, Formate sich entwickeln zu lassen, dann ist es doch hoffentlich das öffentlich-rechtliche Fernsehen.

Alexander Krei kommt bei DWDL in der derzeit einzig verfügbaren Rezension der Sendung zum salomonischen Fazit:

„Es ist ein spannender Weg, den das ZDF mit dieser Form der Nachrichten eingeschlagen hat, und es lohnt sich ganz bestimmt, ihn weiter zu beschreiten. Schon alleine deshalb, weil ,heute+’ den Begriff der Nachrichten neu zu definieren versucht. (...) Wer ,heute+’ am späten Montagabend einschaltete, um zu erfahren, was der Tag so brachte, wird vermutlich eher mit Fragezeichen ins Bett gegangen sein. Ob die Sendung der Erwartungshaltung der Lanz-Zuschauerschaft entspricht, darf daher aus guten Gründen bezweifelt werden. Und doch ist es richtig und wichtig, sich an neuen Spielarten zu probieren - erst recht, wenn das Fernsehen in der Verwertungskette erklärtermaßen an letzter Stelle steht.“

Wir bleiben dran. Und wechseln das Thema.

[+++] Ja, es ist ein harter Schnitt von Vergangenheit und Zukunft des deutschen Fernsehens zu Vergangenheit und Zukunft von Charlie Hebdo.

Am Donnerstag wird Carthasis erscheinen, ein Band mit Werken, die Charlie-Hebdo-Karikaturist Luz seit dem Anschlag auf die Zeitschrift gezeichnet hat.

„Geschichten aus der Dunkelkammer der Angst. Versuche, sich den Terror von der Seele zu zeichnen, wiederkehrende Traumaträume“,

so beschreibt Alex Rühle das Buch heute auf der Medienseite der SZ.

Während die Traumabewältigung läuft, scheint die Redaktion des Magazins auseinanderzufallen: Gestern hat der Carthasis-Zeichner Luz angekündigt, Charlie Hebdo zu verlassen:

„,Wenn ich abhaue, dann weil es schwierig für mich ist, über das Tagesgeschehen zu arbeiten’, sagte er. Es fehlten Zeichner für die anstehende Arbeit. ,Jeder Redaktionsschluss ist eine Folter, weil die anderen nicht mehr da sind’“,

zitiert ihn der Standard.

In der SZ lässt sich zudem von der Kündigung der langjährigen Mitarbeiterin Zineb El Rhazoui lesen:

„Zwei Interpretationen kursieren über die angekündigte Entlassung, die eine so hässlich wie die andere: El Rhazoui, die das Manifest in Le Monde mitunterzeichnet habe, solle pars pro toto abgestraft werden. Noch peinlicher freilich wäre die andere Motivation: Charlie Hebdo wolle mit der Entlassung der islamkritischen Autorin aus der Schusslinie der Fanatiker.“

Immerhin ist gestern endlich eine Entscheidung gefallen, was mit den 4,3 Millionen Euro an Spenden passieren soll, die seit dem Anschlag eingegangen sind und über die die Redaktion in einen Streit geriet, der in den vergangenen Wochen über Le Mond und Mediapart an die Öffentlichkeit gelangte (siehe Altpapierkorb).

„Das Geld solle an die Opferfamilien ausgezahlt werden, erklärte die Leitung der Satirezeitung am Montag. Das französische Justizministerium sei gebeten worden, eine Kommission einzuberufen, die über die genaue Verteilung der erhaltenen Spenden entscheiden solle. Demnach kam das Geld von 36.000 Spendern aus 84 Ländern“,

schreibt wiederum der Standard.

Wie war das noch einmal mit den Tigern, die Wanzen und den Mittelmäßigen bzw. den Mühen der Ebene?

Der gute, alte Brecht mag sich zwar seine Arbeiterjoppen hat maßschneidern lassen. Aber recht hatte er.


Altpapierkorb

+++ Drei Tweets, 1,6 Millionen Follower: POTUS is in the Twitter-house, und der Guardian meint: „If the White House is telling the truth, and Obama really does write his own entries on the new account, that would put him in a very elite club indeed. As a recent study by Burson Marsteller discovered, though 86% of the 193 member states of the United Nations are represented on Twitter, very few world leaders actually tweet themselves.“ +++

+++ Neben Facebook scheinen Newsletter zunehmend zur Bedrohung für klassische Medien zu werden – und die Verlage sind selbst schuld daran: Seit gestern verbreitet nun auch Focus-Chef Ulrich Reitz einen. Weil der Morgen schon so voll ist, sendet er um 16 Uhr, was Meedia zu der Schlussfolgerung veranlasst: „Dabei ist natürlich die Uhrzeit die größte Herausforderung. Seine Kollegen, denen bereits der Morgen gehört, geben meistens überwiegend nur eine Einschätzung ab, was uns in den kommenden Stunden erwartet. Reitz hingegen ist gezwungen, alleine aufgrund der Uhrzeit, das bisherige Tagesgeschehen eher einzuordnen. Auf die Schnelle keine leichte Aufgabe.“ Am Ende des Tages das Geschehen einzuordnen? Wie die Füchse von den Tages- oder gar Online-Zeitungen das immer machen, ist wirklich Wahnsinn. +++

+++ Nachdem am Donnerstag Pro7 das Finale von „Germany’s next Topmodel“ wegen einer Bombendrohung abbrechen musste, fragen Markus Ehrenberg und Joachim Huber heute im Tagesspiegel, ob Live-Sendungen überhaupt noch eine Zukunft haben? Haben sie, meinen die Sender unisono. Schon allein, weil dieses Format ein Garant für Überraschungen und Emotionen sei. Ähm... ja. +++

+++ Eine über die Bombendrohung fast vergessene Diskussion über „GNTM“ greift heute die SZ auf ihrer Medienseite auf, für die Felicitas Kock das Finale in einer betreuten WG für Frauen, die an Magersucht oder Bulimie erkrankt sind, gesehen hat. +++

+++ Der Diskussion um die Existenzberechtigung des öffentlichen Rundfunks in der Schweiz widmet sich die NZZ heute mit einem Beitrag von Edzard Schade vom Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft, der an die Ursprünge des Mediums im Ersten Weltkrieg erinnert: „Die sprachlich und parteipolitisch zerklüftete Presse galt gerade innerhalb der Eliten als Katalysator der erwähnten innenpolitischen Spannungen. In dieser Situation waren breite bürgerliche Kreise und der für die Radiokommunikation zuständige freisinnige Bundesrat gewillt, den Rundfunk entschlossen in den Dienst der Gesamtgesellschaft zu stellen.“ +++

+++ Ob Jörg Kachelmann vom Springer-Verlag eine Rekordsumme wegen der Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte bekommt, entscheidet sich nun erst im Herbst. Es berichten u.a. Meedia und dpa/Horizont. +++

+++ Gut recherchierter Journalismus, von dem seine Macher auch leben können? Auch bei Weeklys versucht man sich daran. „Wenn die Verlage nicht bereit seien, diesen Leuten ein angemessenes Einkommen zu sichern, dann müsse man eine Revolution von außen starten“, zitiert Amelie Nerger von Vocer Gründer Jasper Fabian Wenzel in ihrem Text zum Projekt. +++

+++ „Es ist also gar nicht verkehrt, mich anzuschreiben. Sie machen es nur verkehrt“, schreibt Maximilan Buddenbohm bei kress.de, bevor er am Beispiel eines Brathähnchens erklärt, was für schreckliche Post PR-Butzen Bloggern schicken. +++

+++ Der ESC ist für den ORF eine Riesenherausforderung, aber alle sind super happy und total sicher, dass sie das Megaevent megamäßig stemmen werden. Ist die sprachlich angenäherte Zusammenfassung dieses Textes zum Thema bei DWDL, in dem ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz schöne Sätze sagen darf wie „Er ist sozusagen die Königsklasse der Hauptabendshows, mit der wir zeigen werden, wofür öffentlich-rechtliche Fernsehunterhaltung steht“ oder "Um das alles gleichzeitig zu stemmen, müssen wir natürlich alle unsere Kräfte bündeln. Aber wir haben ein tolles Team, die Vorbereitungsarbeiten laufen sehr gut und wir liegen im voll Zeitplan". Hurra! +++

+++ Den Wettbewerb im  „Wie viele Serien passen auf eine Medienseite?“ kann heute einmal wieder die FAZ für sich entscheiden. Themen sind: Die letzte Staffel und das Ende nach 15 Jahren von „CSI“, die belgische Serie „Fünf Schwestern und ein toter Schwager“ „Clan“ sowie „Der Fall Deutsche Bank – Abstieg eines Geldhauses“. +++ Über die Doku, die heute Abend im ZDF läuft, berichtet auch die taz. Jens Müller: „Laabs' Film ist eine Erzählung vom Sündenfall: der seit rund 25 Jahren betriebenen Umwandlung der Geschäftsbank in eine Investmentbank.“ +++

+++ Vor einem Jahr startete mit 14ymedio eine unzensierte Online-Zeitung in Kuba. Für die taz hat Sebastian Erb mit dem Redaktionsleiter Reinaldo Escobar darüber gesprochen, wie es bisher lief. „,Wir dachten, dass es schwieriger werden würde’, sagt er. Das heißt natürlich nicht, dass alles einfach wäre. Im Gegenteil.“ +++

Neues Altpapier gibt es morgen wieder.