Boah, Danaer

Boah, Danaer
Oder Pyrrhus versus Python? Glasperlen für Elche? Googles Millionen-Spende für europäische Zeitungen wirkt jedenfalls. Und Günther Oettinger gibt in Österreich die Kassandra. Außerdem: eine Kolumne, die zu kurz war! Und etwas, das billiger wird.

Googles gestern morgen bekannt gewordene Millionen-Spende für acht mehr oder minder notleidende europäische Zeitungen tut, was sie soll. Sie spaltet die Gemüter und Lager. "Die einen wollen etwas von Google, die anderen kriegen etwas von Google. Das ist die Kurzvariante", fasst die TAZ zusammen.

Zur Verdeutlichung hagelt es erstens Zahlen aller Art, zweitens antike Metaphern. Die bringen die Wucht, mit der die Würfel am Fallen sind, immer noch am besten rüber.

Starten wir die kleine Umschau beim schärfsten deutschen Google-Kritiker Axel Springer, dessen Chef vor etwas über einem Jahr öffentlichkeitswirksam seine Angst vor Google bekannte (FAZ, Altpapier damals) und dessen jüngstes Journalismus-Flaggschiff sich übrigens den Spaß gestattet, "Axel Springer did not reply to requests for comment" zu schreiben.

In der Welt leitet Christian Meier seinen Artikel mit einer seit drei Monaten offenen deutschen Stellenausschreibung Googles ein. Gesucht wird (linkedin.com) ein "Media Outreach Manager" in Hamburg. Was heißt das auf deutsch? Googlen hilft nicht so, "outreach" heißt, sagt Leo: "freundlicher Kontakt", "Ausladung", "Grabweite", "übertreffen". Das umreißt wohl ganz gut tut, was Google mit Journalismus tut. Es übertrifft und umgarnt ihn, wie die Welt-Überschrift lautet, lädt ihn aus und würde ihn ggf. auch begraben. Für die aktuelle Millionen-Spende möchte Meier die Metapher "Danaergeschenk" noch nicht ganz in die Debatte werfen.

"Na endlich", "Google und Verlage umarmen sich", möchte Rainer Stadler von der NZZ aus der neutralen Schweiz sagen, nicht ohne später die Andeutung vorzuhalten, dass es sich um eine Python-artige Umarmung durch den "Koloss" handeln könnte. Interessant ist Stadlers Text vor allem, weil er das offenkundige Vorbild dieser "Digital News Initiative" nicht nur nennt. Er skizziert auch, was aus der "historischen Einigung im Interesse des französischen Volks", in deren Rahmen Google anno 2013 bereits 60 Millionen Euro für französische Medien spendete, bisher wurde.

Genau diesen damals in der deutschen Verlagslandschaft durchaus beachteten Deal nutzt Spiegel Online, um damalige Kommentare renommierter Medien gegen die zu verwenden, die nun mit Google dealen.

"Das Geld für die französischen Kollegen nannte die 'Zeit' damals abfällig 'Krumen für Frankreich' und kommentierte, die Verlage 'liefern sich dem Netzkonzern aus'",

blickt Judith Horchert zurück. Und "Pyrrhussieg der Presse" titelten damals die Humanisten von der FAZ (nicht Michael Hanfeld, Jürg Altwegg), deren Digitaldivision inzwischen ja der ehemalige SPON-Lenker Matthias Müller von Blumencorn leitet.

Nun haben sich mit der FAZ und der Zeit also zwei der renommiertesten Platzhirsche der deutschen Presselandschaft in die Rolle der Elche begeben. (Für jüngere Leser: Das Sprachbild von den Elchen stammt nicht aus der Antike, sondern von 1963; die Illustration ist jünger).

Ob das "ein paar Glasperlen" für "Einzelvertreter lokaler Eliten" sind, wie es schon mal der ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz formulierte (Standard), ob es den Begünstigten oder gar noch anderen nützt?

"Ob die Initiative dem Journalismus wirklich hilft, ob der Konzern im Valley bessere technische Lösungen für Europas Journalismus im Netz entwickelt und wem das alles hilft, das kann im Moment niemand sagen",

fasst Claudia Tieschky auf der SZ-Medienseite zusammen. Dass die ganze Sache dem Journalismus nicht hilft, eher im Gegenteil, würde Anne Fromm im besten Kommentar dazu, dem schon eingangs zitierten der TAZ, sagen:

"Qualitätsmedien halten Distanz zu Unternehmen. Offenbar gilt das nicht, wenn Google anklopft. Die Presse kämpft längst gegen sinkendes Vertrauen ihrer Leser. Die Vorwürfe der Ulfkottes und Co, Journalisten seien gekauft, wabern über Pegida-Demos, durch Blogs und Kommentarspalten der Nachrichtenseiten. Diese Skeptiker und Verschwörungstheoretiker werden sich über die Kooperation von Verlagen mit Google sicher freuen."

[+++] Wobei ein Achtel von 150 Mios für Verlage, zumal wenn sie sich selbst gehören wie die FAZ, ein schönes Sümmchen ist. Für Google ist's "auf den letzten ... Quartalsgewinn hin berechnet ... der Gewinn von 3-4 Tagen", wie @fiete_stegers twitterte.

Der Überschuss des Konzerns hat sich im ersten Quartal 2015 "im Jahresvergleich von 3,45 auf 3,59 Mrd. Dollar (3,3 Mrd. Euro)" erhöht (Standard). Und auch wenn also die 2013 für französische Medien spendierten 60 Millionen nicht in die nun für drei Jahre versprochenen 150 Mios einbezogen werden (kress.de), handelt es sich immer noch um vergleichsweise lousy pennies.

Wobei Zahlen natürlich geduldig sind. "Google gibt im Jahr sieben Milliarden Dollar für Forschung aus und der Europäische Journalismus ist ihnen ganze 150 Mio. wert", twitterte der neue Springer-Beauftragte für sog. soz. Medien. (Und ein anderer der relativen Paradiesvögel, die Springer immer einkauft, Stefan Aust, sagte bei einer Berliner Ringvorlesung auch was zum Thema, vgl. Tagesspiegel ...).

Der Textbaustein,

"dass Google allein in Deutschland einen Umsatz in Höhe von 3 bis 5,8 Milliarden erwirtschaftet",

geht gerade ebenfalls durch die Medien. Er steht etwa im gestern hier verlinkten Artikel aus dem Madsack-Newsroom und bei horizont.net und beruft sich jeweils auf die VG Media - also die Institution mit der nicht beneidenswerten Aufgabe, das im Prinzip gültige Leistungsschutzrecht in Geld für die Verlage umzumünzen. Diese VG veranstaltet gerade Hintergrundgespräche, um ihre Sicht der Dinge zu verbreiten, und hat dabei diese 3 bis fast sechs Milliarden verbreitet. "In welchem Zeitraum, wird in dem Bericht nicht erwähnt" (heise.de). Es geht halt darum, dass die Presseverlage qua LSR sechs Prozent dieser Umsatz-Summe erhalten sollen.

Weiterhin bleibt die "Geltendmachung des Leistungsschutzrechts" (Thomas Stadler, internet-law.de) schwierig. Es gibt aber Unbekannte in diesem Verfahren. Spannend ist weniger, was die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt, die als nächste Instanz mit einer Entscheidung dran ist, sagen wird ...

[+++] Den offensichtlichen Kontext von Googles vorerst kleine Spendierlaune bildet der "immer schärfer ausgetragene Streit zwischen der Strategie der Internet-Konzerne und den europäischen Institutionen" (Tieschky in der SZ noch mal). Den Anstoß gaben die EU und ihr polyphon geäußertes Vorhaben, Googles extreme Monopolstellung auf dem europäischen Markt nicht unangetastet lassen zu wollen.

Traditionell besonders vielstimmig äußert sich der deutsche Digitalwirtschafts-Kommissar Günther Oettinger. Gerade gab er in Österreich futurezone.at ein Interview. Es sorgte nicht nur für die üblichen Boahs (Fefe) und den inzwischen leicht schalen Spaß bei netzpolitik.org, sondern zog auch handfeste Verwirrung (Standard wiederum) beim freilich viele Politiker verwirrenden Thema Vorratsdatenspeicherung nach sich.

So einiges, was Oettinger sagt, klingt dennoch vernünftig (z.B.: "Mir ist eine wirksame europäische Regelung lieber, auch wenn sie in einigen Artikeln unterhalb des deutschen Datenschutzniveaus liegt. Dann können wir in ganz Europa abmahnen und abstrafen"). Und einiges richtet sich sehr deutlich an kalifornische Konzernzentralen. Z.B. sagt Oettinger, nachdem er vom "geistigen Handwerker" Udo Jürgens sowie vom im Vergleich weniger herausragenden österreichischem Fußball gesprochen hat:

"Wir erwarten, dass Unternehmen sich an unsere Regeln halten, wenn sie an unserem Markt teilnehmen wollen. Ansonsten könnte auch ein weiteres Verfahren folgen. Im schlimmsten Fall fliegt ein Teilnehmer sogar aus dem gemeinsamen Markt."

Direkt Google gilt diese Aussage:

"Aber Google hat ein Interesse daran, im europäischen Markt tätig zu sein. Der Konzern wird sich dreimal überlegen, ob er mit uns in eine Schlacht gehen will."

Die 150 Mios könnten die erste Überlegung in diesem Sinne sein.


Altpapierkorb

+++ Unglaublich, aber auch so was gibt's: "ein Kommunikationsproblem ..., weshalb der Text zu kurz ist" - mehr unter der mittwöchlichen Kolumne der TAZ-Kriegsreporterin (die sich irgendwie mit Hugo Egon Balder "das ein und das andere Probeschlückchen hinter die Binde gekippt" hat). +++  Wo bleibt das Positive? "Die baden-württembergische Landesregierung von Grünen und SPD soll sich dafür einsetzen, dass Drei-Stufen-Tests im öffentlich-rechtlichen Rundfunk künftig kostengünstiger durchgeführt werden können" (Medienkorrespondenz). Eines Tages wird sich jeder Haushalt einen Drei-Stufen-Test leisten können ... +++

+++ "In Bamberg wurde am Dienstag nicht nur die Öffentlichkeit ausgeschlossen, sondern sogar der Pressesprecher - so dass niemand mehr berichten kann, wie sich das Gericht eigentlich verhält in dem Prozess gegen einen Bamberger Chefarzt. Diesem wird der Missbrauch von zwölf Frauen vorgeworfen. Dabei macht die Justiz oft gerade dann Fehler, wenn ihr keiner so genau zusieht: zum Beispiel im ersten Prozess gegen Gustl Mollath oder im Vergewaltigungsprozess gegen den Lehrer Horst Arnold, der unschuldig fünf Jahre ins Gefängnis musste": Annette Ramelsberger schreibt auf der SZ-Medienseite über das Verhältnis der Justiz zu Journalisten, die wiederum oft "durch Juristen in Fehler getrieben" würden, z.B. wenn Staatsanwälte so nuscheln wie im Uli-Hoeneß-Prozess. +++ Außerdem nennt David Denk Springers neuen Erklär-Bären (Altpapierkorb gestern) "lieblos oder vielleicht einfach günstig animiert". +++

+++ Innovation aus Portugal: eine Kommission "für eine ausgewogene Berichterstattung" im Wahlkampf, in der vor allem die Parteien das Sagen haben. Reiner Wandler berichtet in der TAZ. +++

+++ Die FAZ-Medienseite verblüfft, indem sie keine amerikanische Serie bespricht. Bloß, was "The Wire"-Autor David Simon über die Lage in seiner Heimatstadt Baltimore bloggte ("...   Turn around. Go home. Please"), erwähnt sie. +++ Größter Artikel: ein Interview mit dem US-amerikanischen Journalisten Paul Salopek, der um die Welt wandert und drüber berichtet. "Herr Salopek, Sie haben Ihren Job bei der 'Chicago Tribune' gekündigt und wandern nun zu Fuß um die Welt. Warum?" - "Ich verließ das Blatt aus freien Stücken, als man dort anfing, massiv zu sparen. Nach einem kurzen Abstecher in die Wissenschaft und einigen Dozentenstellen kam mir die Idee für den 'Out of Eden Walk' ..." Interessant auch die Entstehungsgeschichte: Das Interview habe "die Masterclass 'Zukunft des Wissenschaftsjournalismus' der Robert Bosch Stiftung und des Reporter Forums geführt", heißt es. Die Stiftung wird es wohl ab Mai auch online stellen. +++

+++ "Am Ende probierte Schmidt noch eine elektronische Zigarette, sogar mit Mentholgeschmack ..." Nicht Googles Eric, unser Helmut: Frank Lübberding musste gestern das Elfmeterschießen abwarten, um dann eine Maischberger-Nachtkritik schreiben zu können (faz.net). +++

+++ Ganz Berlin ist voll gespannt auf den "Homeland"-Dreh. Die Berliner Zeitung setzt gar eine Volontärin darauf an, verpasst so aber die beste Pointe, die von der DPA kommt. "Im Zentrum der Geschichte steht der Bundesnachrichtendienst (BND)", lautet sie (DPA/ TAZ). +++ "Das Medienboard, Brandenburgs Wirtschaftsministerium und die Berliner Senatskanzlei sollen aktiv an der Akquise beteiligt gewesen sein. Heißt auch: Die US-Produktion wird finanziell unterstützt. Gerüchte wollen von einem Betrag von bis zu fünf Millionen Euro wissen" (Tagesspiegel). +++

+++ "Sollte Politico tatsächlich abbilden, worüber Brüssel so nachdenkt, hätte Europa ein Problem: Die neuen linken und rechten Bewegungen, die vor allem in Südeuropa Millionen Bürger mobilisieren, werden hier als possierliche Kuriositäten abgehandelt. Während der Niedriglohnsektor in Deutschland immer größer wird, die französischen Sozialsysteme unter Druck geraten und Griechen Wertsachen verkaufen müssen, um Ärzte bezahlen zu können, erkundigt sich Politico bei der Wall Street nach dem Stand der Dinge" (Die Zeit neulich über das oben erwähnte neue Springer-Flaggschiff). +++

+++ Auf nicht nur strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen den Prenzlauer Berg Nachrichten, die derzeit crowdfunden, und den Krautreportern macht meedia.de aufmerksam. +++

+++ Sat.1 wird immer kleiner (der FAZ-Text von gestern steht inzwischen frei online) und hat dadurch auch den Vorteil, nicht mehr als Vollprogramm betrachtet zu werden (digitalfernsehen.de über den uralten Streit um Drittsendezeiten). +++

+++ Ein, vielleicht das Steckenpferd Günther Oettingers ist das Geoblocking, das er etwa ungefragt ins oben erwähnte Interview warf. Eine starke Gegenmeinung ("Geoblocking ... ist eine Strategie, um die Profite der populärsten Werke in den weitverbreitesten Sprachen zu maximieren" und "geht auf Kosten von unabhängigen Künstlern, auf Kosten von Werken in den Sprachen der kleineren EU-Mitgliedsstaaten und auf Kosten der wesentlichen Merkmale eines europäischen Binnenmarktes") publiziert netzpolitik.org von Cory Doctorow. Wobei in den Kommentaren wiederum ebenfalls pointierte Gegenmeinungen dazu zu lesen sind. Womöglich weiß man gar nicht, wozu Vericht auf Geoblocking führen würde ... +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.