Um mal mit einer positiven Bewertung einzusteigen: Das „heute-journal“ des ZDF ist lernfähig. Dass Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der Mannschaftsarzt des FC Bayern München, die Brocken hinschmeißt, war am gestrigen Abend nicht die Aufmachermeldung. Man kann das loben, denn am Mittwoch war ja tatsächlich das allerwichtigste Thema des Tages eine Pressekonferenz, auf der Jürgen Klopp verkündete, er werde nur noch bis zum Ende dieser Saison Trainer bei Borussia Dortmund sein.
Man muss das „heute-journal“ aber auch nicht loben, denn um 22.06 Uhr, im zweiten Nachrichtenblock der Sendung, kam die Meldung von der Demission des Münchener Medizinmanns dann doch noch - vor einigen Bildern zum „Marsch der Lebenden“, dem Gedenkmarsch vom Konzentrationslager Auschwitz zum Vernichtungslager Birkenau, der seit 1988 am Gedenktag der Opfer des Holocausts stattfindet (siehe dazu die Meldung der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz).
Zu der Art, wie hier zu Lande Nachrichten gewichtet werden, äußert sich das Neue Deutschland unter der Überschrift „Ein Trainer ist ihnen wichtiger als 400 Tote im Mittelmeer“. Das bezieht sich nicht nur auf das „heute-journal“, in dessen erwähnter Mittwoch-Sendung die 400 Toten i.Ü. überhaupt nicht vorkamen (wohingegen die Meldung, dass eine Moderatorin der Sendung einen Preis bekommt, sehr wohl Platz fand), sondern auch auf die Seite-1-Gestaltungen der Tagespresse am Donnerstag:
„Auf der Suche nach der Schlagzeile des Tages fiel die Antwort in den meisten Chefredaktionen der Republik (...) fast einvernehmlich aus. Ein Trainer ist uns wichtiger als 400 Tote im Mittelmeer. Die Gründe folgen mutmaßlich einer makaberen Logik. Ein deutscher Erfolgstrainer wie Klopp tritt beim BVB in Jahrzehnten nur einmal zurück. Die journalistische Formel lautet daher: Schlichte Botschaft, hoher Bekanntheitsgrad der Person, emotionale Nähe von Millionen Lesern, die wöchtlich der Zirkusvorstellung Fußball beiwohnen. Das Sterben im Mittelmeer hat es als Schlagzeile dagegen schwer: Es geschieht täglich, die Handelnden bleiben anonym, das Thema ist komplex, die emotionale Distanz riesig.“
Mein Tipp für heute Abend: Wenn im Laufe des Tages nicht noch überrraschend der Busfahrer eines Bundesligisten zurücktritt und damit die Nachrichtenmacher der Republik aus der Fassung bringt, wird als erster Beitrag im heute-journal ein Bericht vom Trauerakt für die Germanwings-Absturzopfer zu sehen sein.
Was steht nun drin in den Dokumenten? Hier finden Sie schon mal elf Enthüllungen. Die Washington Post greift Folgendes heraus:
„WikiLeaks said the documents in its archive detail how Sony collected ‚intelligence‘ on rival pictures, including the $49,967,762 budget for (Oliver) Stone’s ‚Snowden‘. The line-by-line budget for the film, which is in production, shows more than $7 million for actors, including $2 million for the lead actor in the Snowden role.“
[+++] Einer der aktuell stärksten medienkritischen Texte steht im Tagesspiegel: „Das Zurschaustellen der eigenen Kinder im Internet ist Missbrauch“, und der „dürfte klar gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstoßen“, kommentiert dort Caroline Fetscher. Der Anlass ihres Textes:
„Enorm ist die Resonanz auf die Darstellungen der Unglücke Unmündiger im Alltag auf YouTube. Dort wurde ein Video, das einen Zehnjährigen zeigt, der nach einer Betäubung beim Zahnarzt auf einem Autorücksitz taumelnd zu sich kommt – „David after dentist“ –, bisher nahezu 130 Millionen Mal angeklickt. Wie würde man es als Erwachsener finden, wenn solche Szenen aus der Kinderzeit von einem selber weltweit abrufbar wären? Wie könnten juristische Langzeitfolgen aussehen, wenn die unfreiwillig zu digitalen Hofzwergen Gemachten eines Tages Entschädigung verlangen (...)?“
Fetschers Fazit:
„Eine Welt, in der eine Inflation kommerzieller Niedlichkeitssymbole einer Nachrichteninflation von Grausamkeiten gegenübersteht, nutzt ‚das Kind‘ stellvertretend als lukrativen Blitzableiter.“
[+++] Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht so unabhängig ist, wie er gern selbst von sich behauptet, ist ein gängiger Vorwurf (aktuell gilt er einem Regierungs-Minnesänger, der 2014 die meisten Kommentare in den ‚Tagesthemen‘ gesprochen hat). Dass die öffentlich-rechtlichen Sender auch ein Defizit im Bereich unabhängiger Musik haben - ja, es gäbe gewiss weniger holprigere Übergänge! -, bringt nun der Interessenverband VUT (Verband unabhängiger Musikunternehmen) ins Spiel:
„Der VUT bekennt sich zum bestehenden Finanzierungssystem, stellt aber hinsichtlich der Erfüllung des Bildungs- und Kulturauftrags Defizite fest und erhebt folgende Forderungen: Wir erkennen an, dass auch öffentlich-rechtliche Anstalten zur Legitimierung ihrer eigenen Existenz darauf achten müssen, eine gewisse Reichweite zu erzielen. Doch die seit langer Zeit zu beobachtende inhaltlich-formale Annäherung verschiedener öffentlich-rechtlicher Sender an rein privatwirtschaftliche Formate lehnen wir ab und mahnen mehr redaktionelle Musikprogramme an, die die Vielfalt der deutschen Musiklandschaft abbilden.“
Stefan Fischer schreibt dazu auf der SZ-Medienseite:
„Der Vorwurf (...) kommt nicht unerwartet - aber die Richtung, aus der er kommt, ist es schon. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sieht sich zwar des Öfteren der Kritik ausgesetzt, er vernachlässige seinen Kultur- und Bildungsauftrag. Dass aber Popmusikproduzenten ihn erheben, überrascht.“
Im Detail argumentieren die Indie-Lobbyisten so:
„Die von kleinen und mittelständischen Musikunternehmen produzierte Musik ist im Rundfunk massiv unterrepräsentiert. Einem Marktanteil von mehr als 30 Prozent der verkauften Musikaufnahmen steht lediglich ein Anteil von 5,5 Prozent der gespielten Songs im gesamten Radioprogramm gegenüber.“
Die Musik, schreibt wiederum Fischer, werde „häufig in Nischenprogramme wie den ‚Nachtmix‘ auf Bayern 2 verbannt“. Unabhängige Musik ist somit in gewisser Hinsicht ein Verwandter des Dokumentarfilms, der ja oft auch nur in der Nische und/oder nachts läuft. In dieser Woche zum Beispiel in der Nacht von Montag auf Dienstag um 0.25 Uhr - was aber etwas mit Günter Grass zu tun hatte. Bei letzterem Link handelt es sich auch um Eigenwerbung für eine Rezension für die Medienkorrespondenz.
[+++] Die Medienkorrespondenz berichtet aktuell auch darüber, dass sich Medienpolitiker in Hessen von Diskussionen um die Journalismus-Förderstiftung in Nordrhein-Westfalen (siehe Carta 2013 und eines von vielen, vielen Altpapieren) haben inspirieren lassen. Die SPD-Landtagsfraktion hat kürzlich ähnliche Vorstellungen zu Papier gebracht.
„Die Regierung solle die Förderung von Start-ups im Printbereich über die Bank für Wirtschaftsförderung und Infrastruktur prüfen. Die Bank wird vom Land Hessen betrieben“,
referiert die MK einen der Vorschläge. Mehr wissen wir vielleicht nach dem 10. Juni. An diesem Tag findet im Landtag eine „Anhörung zur Lage der Printmedien in Hessen“ statt. Ihre Sorge um die Medien begründet die SPD i.Ü. unter anderem damit, dass „von den 33 hessischen Tageszeitungsverlagen mittlerweile 27 aus dem Flächentarifvertrag ausgestiegen“ seien.
Nicht nur kein Tarifgehalt, sondern möglicherweise bald gar keines mehr bekommen die Redakteure der gerade erst von Madsack an Ippen verkauften Frankenberger Zeitung, die im Regierungsbezirk Kassel erscheint. Die soll nämlich eingestellt werden, wie meedia.de berichtet.
Altpapierkorb
+++ Über den gestrigen Mord an dem ukrainischen Journalisten Olesja Busina, „der aus seiner Nähe zu prorussischen Positionen nie einen Hehl gemacht hatte und bei den letzten Parlamentswahlen für die Partei ‚Russischer Block‘ kandidiert hatte“, berichtet die taz. Siehe auch Tagesspiegel/dpa.
+++ Auf der FAZ-Medienseite geht es heute u.a. um Roboterjournalismus: „Die Nachrichtenagentur Associated Press nutzt seit Juli des vergangenen Jahres ein Software-Tool namens Wordsmith, das automatisch Finanzberichte verfasst. Zum Beispiel Quartalsberichte börsennotierter Unternehmen. Wordsmith nutzt die Technik der Natural Language Generation, um aus Daten Texte zu generieren. In einer Pilotphase wurden die Meldungen von einem Redakteur gegengelesen. Seit Oktober gehen die Meldungen ohne menschliche Kontrolle heraus, wie die Wirtschaftsredakteurin Philana Patterson dem American Press Institute sagte. Pro Quartal werden bei der AP dreitausend automatisierte Meldungen erstellt.“ Im Kern steht in dem Text nichts anderes drin als in jenen Artikeln, die vor drei Jahren zu dem Thema erschienen sind (siehe hier und hier zum Beispiel).
+++ Ebenfalls auf der FAZ-Medienseite: Andrea Diener ist wütend über die „reaktionäre Perversion“ namens „Flow“. Okay, dieses Zitat stammt von Stefan Gärtner (konkret 3/15), aber Diener sieht dieses G+J-Prodüktchen nicht unähnlich: „Ich möchte nicht gelobt werden, weil ich das Abenteuer unternehme, einen Knopf anzunähen. Ich möchte bitte nicht behandelt werden wie meine eigene lernschwache kleine Schwester. Mein feministischer Antrieb besteht hauptsächlich aus dem Bedürfnis, nicht verarscht werden zu wollen, und dieses Magazin gehört leider in genau diese Kategorie: Es nimmt mich und meine Probleme nicht ernst.“
+++ Die Zeit hat einen Nachdreher zur Cyber-Attacke auf den Sender TV5Monde (siehe Altpapier) im Blatt - und konzentriert sich dabei auf den stellvertretenden Chef der französischen IT-Sicherheitsbehörde, der sagt: „Der Angriff auf TV5Monde zählt zu den drei größten Cyber-Sabotageakten, die wir weltweit kennen."
+++ Ein Redakteur der US-Plattform Gawker begründet, warum einige Kollegen und er sich gewrkschaftlich organisieren wollen: „It's now possible to find a career in this industry, rather than just a fleeting job. An organized work force is part of growing up. I fully expect that Gawker Media will emerge from this experience stronger than it has ever been.“
+++ „Warum die besten Vorlagen für Videospiele inzwischen Hochglanz-Fernsehserien sind“, erklärt uns Michael Moorstedt im SZ-Feuilletonaufmacher.
+++ Weitere Anmerkungen zu „Newtopia“: Senta Krasser (Medienkorrespondenz) wundert sich darüber, dass Sat 1, „dieser mindererfolgreiche Privatsender, offenbar tatsächlich geglaubt hat, 15 Jahre nach Erfindung des Containerfernsehens ‚Big Brother‘ neue Maßstäbe setzen zu können. Die einst in den damaligen Aktienrausch hinein platzierte Grundidee ‚Setz dich einen Monat, ein Jahr in den Container, dann bist du reich‘, sie ist alt. Das Personal ist längst mediengeschult und weiß, wie es sich vor der Kamera zu benehmen hat. ‚Echt‘ – das geht nicht mehr. Betrug am Zuschauer schon gar nicht.“
+++ Weitere Anmerkungen zur ZDF-Politsatire „Eichwald, MdB“ (siehe Altpapier von Donnerstag): „Von den grauen Bildern über die stets leicht wackelige Kamera bis hin zu den Schnitten im Abspann kopiert ‚Eichwald, MdB‘ exakt die Bildsprache der Vorbilder“. nämlich „The Thick of It“ und „Veep“. „Das soll jedoch nicht heißen, dass ‚Eichwald, MdB‘ eine schlechte Serie wäre“, schreibt Julian Heissler im Freitag. „Die Dialoge heben ‚Eichwald, MdB‘ aus dem Humorniveau etwa der ‚heute-show‘ heraus“, meint Heike Hupertz (epd medien).
+++ „Wer wissen will, woher der durchschnittliche Pegida- oder Hogesa-Anhänger seine weinerliche Weltsicht bezieht, der kann im Netz mehrere Dutzend einschlägige Portale checken, auf Facebook die entsprechenden Seiten lesen oder sich bei Youtube abertausende Videos reinziehen. Oder aber er folgt einfach Erika Steinbach auf Twitter. Das ist bequemer und konzentrierter. Auch deshalb kann man dankbar sein, dass die Frau so viel zwitschert“ - das schreibt die Frankfurter Rundschau über einen der bekanntesten weiblichen Trolle im deutschsprachigen Raum.
+++ Die taz geht auf die Crowdfunding-Kampagne des Missy Magazines ein, das für zusätzliche Aktivitäten 35.000 Euro einsammeln will (siehe Altpapier).
+++ Radio im Wochenende: Jochen Meißner bezeichnet in der Medienkorrespondenz Tim Etchells am Sonntag bei Deutschlandradio Kultur laufendes Hörspiel „Auch wenn wir gescheitert sind“ als „collagiertes Konglomerat aus Reden politischer Funktionsträger“ und lobt es als „ein Lehrstück über optimierte Kommunikationsstrategien der Gegenwart, in der sich die politischen Redner wie Agenten der Algorithmen aufführen“.
+++ Da wir mit einem Irgendwas-mit-Fußball-Thema eingestiegen sind, steigen auch wir mit einem aus: Kann man eigentlich die Abokosten für das „Fußballpaket“ von Sky steuerlich geltend machen? Zumindest ein Spieler aus der 2. Liga kann es nicht. Dies hat das Finanzgericht Münster entschieden.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.