Bleibe ruhig und berichte darüber

Bleibe ruhig und berichte darüber
Cyberattacken sind möglich, sollten uns aber nicht aus der Ruhe bringen. Unglaubliche Erkenntnis: Kai D. ist im Haus seiner eigenen Eltern aufgewachsen! Moralische Maßstäbe im europäischen Vergleich. Die Sechs-Wochen-Festanstellung.

www.tv5monde.com ist nicht zu erreichen. Der Hackerangriff, mit dem der selbsternannte Islamische Staat am Mittwochabend alle Kanäle des französischen Senders attackierte, legt die Website schon wieder lahm, nachdem sie gestern kurzzeitig online war.

Die dazugehörige Meldung war gestern die erste in der Tagesschau und findet sich heute unter anderem auf den Titelseiten von FAZ, taz und SZ, wo Nicolas Richter daher im Kommentar auf Seite 4 feststellt:

„Sieht man das Gute im Schlechten, dann ist dem sympathischen Sender TV 5 Monde ein Scoop gelungen: Der ansonsten zu wenig beachtete französische Auslandskanal, mit der Deutschen Welle vergleichbar, hat in beispielloser Weise die Macht von Hackern vorgeführt. Mit kaum einem journalistischen Beitrag hätte er so eindrucksvoll zeigen können, wozu Angreifer aus dem Cyberspace in der Lage sind.“

Hacker können einen kompletten Fernsehsender samt angeschlossener Internetseite und Social-Media-Kanälen kapern? Aber doch nicht hier in Deutschland!, wollte sich wohl Markus Ehrenberg (mit Hilfe von dpa) für den Tagesspiegel versichern lassen. Doch siehe da:

„In Deutschland ist so ein Szenario prinzipiell möglich.“

Zumindest bei ARD, ZDF und Deutscher Welle. Bei den Schmuddelsendern, die die deutsche Medienlandschaft sonst noch zu bieten hat, hat man erst gar nicht nachgefragt, als würde so ein bisschen islamistische Propaganda zwischen „taff“ und „Topmodellen“ gar nicht auffallen. Dabei, und dies ist jetzt zugegebenermaßen ein großer Schlenker, dürften doch gerade spärlich bekleidete junge Frauen Mädchen, die sich vor Kameras und der ersten sprechenden Lederhandtasche in Form von Wolfgang Joop räkeln, zu den Top 3 der Dornen im Auge von Islamisten gehören.

Warum der IS es überhaupt auf einen Fernsehsender abgesehen hatte, und nicht etwa auf das gut sortierte Medienangebot des Vatikans, erklärt Rainer Herrmann auf der Titelseite der FAZ:

„TV5 Monde ist kein militärisches Ziel wie das Central Command. Indem der IS den Fernsehsender ausgesucht hat, zeigt er, wovor er sich fürchtet: Vor der Anziehungskraft der freien Welt.“

Wir hingegen müssen uns, und das ist die Moral von der Geschichte, in Zukunft vor Cyberangriffen fürchten, jedoch nicht zu sehr (noch einmal Nicolas Richter, SZ):

„Die Gefahr durch Cyberangriffe ist echt, und man sollte sich dagegen rüsten: mit Technik, aber auch mit Gelassenheit.“

Keep calm and carry on.

[+++] Um beneidenswerte Ruhe, wenn andere längst überschäumen, geht es auch im Folgenden.

Statt einen Rant über Kai Diekmann, Kai Diekmann seine Zeitung und deren so-called Arbeitsweise in Zeiten eines Flugzeugabsturzes zu verfassen, hat man bei Konkret den Spieß umgedreht und ein kleines Video ins Netz gestellt.

In diesem besucht eine Konkret-Reporterin den Ort des Geschehens:

„Im pittoresken Stadtteil Brackwede ist Deutschlands wohl durchtriebenster Massenblattmacher, Bild-Chef Kai D., aufgewachsen. Im Haus seiner eigenen Eltern“,

sagt sie bedeutungsschwer in die Kamera, während im Hintergrund „Tony’s Schlemmer Pavillon“ die Bastian Sicks unter uns in den Wahnsinn treibt.

Dann macht sie, was man in diesem Fall als guter Fernsehmensch machen muss: Elternhäuser abfilmen, Experten der Kategorie „liest gelegentlich Psychologie heute“ befragen, vermeintliche Selbstreflexion betreiben.

„Es ist nicht leicht diesen Job zu machen. Schließlich leben hier Eltern mit ihrer eigenen Tragödie. Aber wir müssen es tun. Sonst könnten wir ja gleich unseren Presseausweis abgeben.

Und nachdem man schon Moral und Verstand an der Redaktionstür abgenommen bekam, möchte man den natürlich behalten. Schließlich ist er Garant für Qualitätsjournalismus schöne Rabatte. Aktuell gibt es zum Beispiel fünf Prozent auf Bälle, bis zu 20 Prozent auf Staubsauger oder einen Monat Premium-Mitlgiedschaft bei neu.de.

Welcher Journalist wäre schon in der Lage, ohne derartige Vergünstigungen seinen Beruf auszuüben? 

Doch statt dieses weite Feld zu beackern und das eh schon immer lange Altpapier ins Unendliche auszuwalzen, kehren wir noch einmal zum eigentlichen Thema zurück und bemerken, dass die Debatte über Presseethik mittlerweile auch das Lokale erreicht hat, wie dieser Beitrag im Blog von Paul-Josef Raue, dem Chef der Thüringer Allgemeinen, zeigt.

Ein Leser monierte, dass Fotos von Angehörigen nach dem Flugzeugabsturz unverpixelt gezeigt wurden; Raue gesteht das als Fehler ein

(„Wir haben gegen unsere eigenen Grundsätze verstoßen, von denen einer lautet: Wir zeigen keine Familienangehörige oder Freunde im Bild, die nach einer Katastrophe trauern, einem Unglück, einem Mord oder Attentat.“),

erklärt aber:

„Das Foto stammt von der seriösen spanischen Nachrichten-Agentur Efe, die in 110 Ländern mit 3000 Mitarbeitern vertreten ist. Wir müssen feststellen: Die moralischen Maßstäbe sind offenbar im vereinten Europa recht unterschiedlich. Außerhalb Deutschlands ist es in vielen Ländern üblich und weder ethisch noch rechtlich umstritten, dass Agenturen und seriöse Zeitungen Opfer von Unfällen oder Verbrechen sowie deren Angehörige abbilden. Das gilt auch für Spanien.“

Nun will es der Zufall, dass ich vor sechs Jahren, als ein Schüler in Winnenden Amok lief, bei der damals von Raue geleiteten Braunschweiger Zeitung volontierte, und ich müsste mich schon sehr irren, wenn die Gesichter der Kinder am Fenster der Schule, mit denen man den dazugehörigen Artikel bebilderte, verpixelt worden wären.

Aber wurde darüber damals überhaupt schon diskutiert? Das Foto kam auf jeden Fall von der seriösen deutschen Nachrichtenagentur dpa. Das wird schon alles seine Richtigkeit gehabt haben.

[+++] Gleiches gilt für - thematisch großer Sprung, aber gleiches Haus, die die TA sowie BZ herausgebende Funke-Gruppe - die fürstlichen Honorare der Manager dort, die sich aus den erstmals veröffentlichen Geschäftszahlen (siehe Altpapier am Mittwoch) ergeben.

„,Die Gesamtbezüge der Mitglieder der Gruppengeschäftsführung einschließlich der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Tochterunternehmen betragen 4,2 Millionen Euro’, heißt es in der Veröffentlichung. Wenn man davon ausgeht, dass mindestens ein Drittel der Bezüge in diesen Managementpositionen variable Lohnbestandteile sind, gehört das Grundgehalt der Funke-Manager mit fast einer Million Euro zu den Top-Positionen in der deutschen Verlagslandschaft - mal abgesehen von Axel Springer und Geschäftsführern, denen die Zeitung auch persönlich gehört.“

So schreibt es Bülend Ürük bei kress.de.

Es ist doch gut zu wissen, dass die Chefs bei Funkes an vielem sparen, aber nicht an sich selbst.

[+++] Das Internet war gestern früh kurz aufgeregt, weil Jan Hofer in der Tagesschau ein Frühlingsgedicht aufgesagt hat: Ab Minute Drei kann man ihn hier „Die Amseln haben Sonne getrunken“ von Max Dauthendey rezensieren sehen.

Natürlich hatte das alles seine Ordnung, weil an diesem Morgen einfach alle in der ARD ein Gedicht präsentierten, und es müsste auch nicht weiter erwähnt werden, hätte sich Richard Weber nicht offenbar davon inspirieren lassen, als er diese Rezension der sonst nicht durch unbedingt lyrisch anmutenden Sat1-Sendung „Newtopia“ verfasste.

 (Räusper)

„Das größte Hindernis sind die Pioniere.

Eine Ansammlung von Unsympathen und Egomanen.

Wenn etwas nicht nach den eigenen Vorstellungen läuft, gibt’s Probleme.

Dann wird geheult. Mit dem Ausziehen gedroht. Verbal deftig ausgeteilt.

Die Königin der miesen Stimmung – Conny. Sie stört alles.

Dass in der Scheune eine Küche und ein Bad gebaut wird. Das billige Essen.

Die fehlenden biologischen Nahrungsmittel. Die marktwirtschaftlichen Regeln von Peymand und Derk.

Beim Osterfest stören sie sogar die Soft-Getränke für die Kinder.

Die Gruppe ist pleite. Aber Conny meckert und jammert nur.

Keine eigene Idee zum Geldverdienen.

Kein Vorschlag.“

Es formatierte das Altpapier. Es veröffentlichte der Tagesspiegel. 

Nebensätze? Fehlanzeige. Privatfernsehen. Was erwartet man?


Altpapierkorb

+++ Wir wären dann soweit, dass Festanstellungen im Journalismus für sechs Wochen vergeben werden. Das Traum-Angebot machen die sich noch einmal auf den deutschen Markt wagenden Schweizer von 20 Minuten (Altpapier), und zwar hier. +++

+++ Nur weil ein Journalist als Erstes angefragt hat, hat er noch lange nicht das Recht, vor allen anderen informiert zu werden, hat das Berliner Verwaltungsgericht im März entschieden und nun auch an die Pressestelle weitergereicht. +++

+++ Im aktuellen epd Medien widmet sich Paul Crone noch einmal den Attacken aus der rechten Szene auf Dortmunder Journalisten. „Doch wie ko?nnte man die berichtenden Journalisten besser bei der Ausu?bung ihres Berufes schu?tzen, besonders auf Demonstrationen? (...),Wir sehen es als einen Auftrag der Polizei, Journalisten dabei zu unterstu?tzen, ihre Pressefreiheit und Berichterstattung wahrnehmen zu ko?nnen’, erkla?rt [Polizei-] Pra?sident Lange. (...) ,Es wird sich nicht verhindern lassen, dass es im o?ffentlichen Raum zu Bedrohungen und sogar zu Angriffen kommt’’. Außerdem berichtet Altpapier-Autor Christian Bartels von der begehbaren Reportage „Weiße Wölfe“, von der unlängst auch hier die Rede war. +++

+++ Man könnte glauben, der große Erfolg des britischen Fernsehens in der Welt läge einfach nur darin begründet, dass alles besser ist, wenn es mit britischem Akzent daherkommt (bitte an dieser Stelle zum besseren Verständnis „Unbreakable Kimmy Schmidt“ bis zu der Szene gucken, in der der Delfin stirbt). Doch Paul Dempsey, Präsident der BBC Worldwide Global Markets, hat im Interview mit DWDL noch eine andere Theorie: „Ich würde das auf das außerordentlich gute Handwerk der Beteiligten vor und hinter der Kamera zurückführen. Das britische Modell, etwa die geringere Folgenzahl pro Staffel, erlaubt mehr kreative Freiheiten als die industriellere TV-Produktion in den USA, wo trotz einer Bewegung in unsere Richtung immer noch in der Regel 22 Folgen pro Jahr so etwas wie der Richtwert sind. Dazu kommt eine Komplexität britischer Drama-Serien, wenn Sie sich ,Sherlock’ oder auch ‚Luther’ anschauen.“ +++

+++ Neben der LVZ als Tageszeitung und dem Kreuzer als Monatsmagazin erscheint in Leipzig seit kurzem mit der Leipziger Zeitung auch ein wöchentliches Angebot, über das heute Cornelius Pollmer auf der Medienseite der SZ berichtet. „Publizistisch ist die LZ in Summe der Versuch, eine Stimme in einer Stadt zu etablieren, in der es nicht sehr viele vernehmbare publizistische Stimmen gibt. Aus Sicht der Vermarktung ist sie der Versuch, ein Angebot zwischen Krautreporter und Bioladen zu formulieren.“ +++

+++ Unsere tägliche Serienempfehlung der FAZ-Medienseite gibt uns heute: „Altes Geld“ („Der schwerreiche Patriarch Rolf Rauchensteiner braucht eine neue Leber, die übliche Vorgehensweise – wer zahlt, bekomm eine – funktioniert nach Skandalen mit Organhandel nicht mehr. Also ruft er seine Familie zusammen und lockt mit seinem gesamten Vermögen denjenigen, der ihm ein neues Organ besorgt; entweder aus dem eigenen Körper oder von einem Zulieferer. Es dauert nicht lange, dann hat Rauchensteiners Bodyguard das erste Angebot, allerdings ist die Leber hundertfünf Jahre alt und stammt aus Afghanistan“; ab jetzt auf DVD, ab Herbst im ORF) sowie „Daredevil“ („,Daredevil’ ist der vielleicht verletzlichste unter Marvels Superhelden, ein blinder Anwalt namens Matt Murdock (Charlie Cox), den der Teufel nicht nur im übertragenen Sinn reitet. Bei Tag baut er mit seinem Kollegen Foggy Nelson (Elden Henson) eine Anwaltskanzlei auf, nachts übt er Selbstjustiz“; ab heute bei Netflix). +++

+++ Die taz empfiehlt derweil „Krüger aus Almanya“. „Horst Krause heißt in diesem Film einmal nicht Horst Krause. Sondern Paul Krüger. Das spielt aber keine Rolle.“ Wie es dem Kleinbürger Krüger ergeht, wenn er zur Hochzeit seiner Enkelin in die Türkei reisen muss, von deren Einwohnern er nicht so viel hält, zeigt die ARD morgen Abend. Schon heute spricht die SZ auf Seite 22 mit Krause über Geld. +++

+++ Zum Abschluss noch ein Text aus der Mottenkiste (aka Mittwoch): Marvin Oppong erklärt bei kress.de, warum die Telefonzelle sein bester Freund ist. „,Ich habe den Verdacht, dass Handystrahlung nicht gesund ist.’ [Anm. d. Red.: Wenn das Udo von Kampen wüsste!] (...) Zudem, so Oppong, hätten lange Zeit die Kosten gegen das Mobiltelefon gesprochen (...),Da Anrufe auf Handys bei den meisten Handyverträgen viel preiswerter sind als über einen normalen Festnetzanschluss, habe ich inzwischen Hunderte, wenn nicht Tausende Euros für Anrufe auf Handys vom Festnetz aus ausgegeben.’" Wie man’s macht, macht man’s verkehrt. +++

Ein frohes Aluhut-Wochenende wünscht das Altpapier, das am Montag wieder für Sie da ist.