Arne Feldhusen gegen Bayer Vizekusen

Arne Feldhusen gegen Bayer Vizekusen
Ein Oscar für die ARD. Eine denkwürdige Ed-Snowden-Formulierung. Kriegsreporter zur #tazgate-Debatte. Außerdem: Was kommt heut abend (außer Fußball) im Fernsehen?

Wie heißen noch mal diese Megapartys, bei denen Stars immer Preise abräumen oder sogar -sahnen und Lady Gaga Outfits trägt, bei deren analytischer Einordnung dann alle deutschen Qualitätsportale (die online schließlich auch leben müssen) ihre Nutzer unterstützen?



Klar, Oscars®. Am Rande der jüngsten dieser Veranstaltung hat eine BR-Koproduktion (br.de) bzw. NDR-Koproduktion (ndr.de) auch so einen Oscar eigeheimst. Sowohl Ed Snowden, der bekannte Whistleblower, um den es in dem Dokumentarfilm "Citizenfour" geht, als auch Lutz Marmor, der NDR-Intendant und ARD-Vorsitzende, haben Regisseurin Laura Poitras bereits gratuliert.

Und dieser Film "Citizenfour" ist bereits gratis im Internet zu haben, legaler als viele andere Filme. Schließlich hat es mit dem Rechtssystem der durchsetzungsfähigsten Weltmacht, der USA, zu tun. Ende 2014 hat der pensionierte Navyoffizier Horace B. Edwards

"Anklage gegen die Produzenten des Filmes erhoben, da die Dokumentation 'gestohlene Informationen missbraucht, die ausländischen Feinden offenbart wurden'."

Und

"um zu beweisen, dass der Film geheime Dokumente preisgibt haben seine Anwälte die Originalversion als Beweismittel vor Gericht eingereicht. Damit scheint Edwards allerdings das genaue Gegenteil von dem erreicht zu haben, was er eigentlich bewirken möchte: Dem Webportal t3n zufolge müssen laut amerikanischem Gesetz alle Beweismittel, die in einem Prozess vorgelegt werden öffentlich einsehbar sein",

was "die Leakplattform Cryptome.org" dann nutzte, um den Film der breiten Weltöffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. So umreißt netzpolitik.org (mit Updates, Durchstreichungen, Links und Spenden-Empfehlungen) die komplexe Situation. Der Tagesspiegel weist auf Berliner Kinos hin, in denen der Film noch läuft. Die ARD will ihn im Juni ausstrahlen (Nachtrag: In dieser Pressemitteilung gratuliert übrigens auch BR-Intendant Ulrich Wilhelm ...).  Falls übrigens eben der Eindruck entstanden sein sollte, öffentlich-rechtliche Qualitätsmedien würden ihr junges Publikum bei der Einordnung von Lady Gagas Auftreten allein lassen: nein, überhaupt nicht.

[+++] Während Ed Snowden selbst "die Gelegenheit" der Oscars sowie die "enorme Reichweite" von reddit.com für ein "AMA, Kurzform für 'Ask me anything'" mit "rund 7,5 Millionen Nutzern weltweit" nutzte (meedia.de berichtet, Jonas Jansen berichtet im faz.net-Blog nicht nur, sondern fragte auch mit) und dabei die denkwürdige Formulierung "Vergesst nicht: Nicht das Gesetz verteidigt uns, sondern wir verteidigen das Gesetz ..." schuf, bricht die TAZ heute ein aktuelles US-amerikanisches Gerichtsurteil mit Snowden-Bezug auf internationale Medien herunter. Oder herauf?

Es geht um Barrett Brown (siehe zuletzt dieses Altpapier bzw. den darin erwähnten FAZ-Artikel). Meike Laaff und Johannes Gernert schildern die auch nicht unkomplexe Rechtslage und befragen am Ende deutsche Experten, ob es nach dieser US-amerikanischen "Logik möglich" wäre, etwa "den 'Guardian' oder den 'Spiegel' dafür zu belangen, Teile der Snowden-Leaks zu veröffentlichen":

"Der Kölner Internetanwalt Christian Solmecke verweist auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Onlinemedium in Deutschland auch auf rechtswidrige Inhalte verlinken darf, solange es dem Informationsinteresse des Lesers diene und sich der Berichterstatter den Inhalt nicht zu eigen mache. ... 'Sollte es in den USA so sein, dass Journalisten solche Verlinkungen nicht mehr vornehmen dürften', stellt Solmecke fest, 'ist nicht auszuschließen, dass deutsche Journalisten, die auf rechtswidrige US-amerikanische Quellen verweisen, auch dementsprechend belangt werden könnten.'"

[+++] Deutsche Whistleblower auf Snowden-Niveau sind nicht bekannt. Vielmehr bekommt der Enthüllungsjournalismus zusehends spezielle Probleme. In der #tazgate-Debatte (zuletzt Altpapier gestern) scheint es keine ganz neuen Fakten zu geben, der TAZ-Hausblog bleibt am Morgen beim "kürzesten Blogpost aller Zeiten", heisersstimme.wordpress.com auf dem Stand von vor einer Woche. "Das eigentliche 'Gate' der 'taz', wenn man es so nennen will, ... ist das angeknackste Vertrauen; intern ebenso wie extern", fasst Tatjana Kerschbaumer im Tagesspiegel zusammen. Daneben greifen zwei unserer kontroversesten Medienjournalisten nochmals bzw. neu ein.

Michael Hanfeld, der FAZ-Kriegsreporter mit dem weitreichenden Gedächtnis, der ja schon früh dabei war, legt noch mal nach gegen die TAZ-Erklärung "in eigener Sache" von gestern:

"Unter der Chefredakteurin Ines Pohl ist in der Redaktion ein Klima des Misstrauens entstanden, das sich ein ums andere Mal manifestierte. Etwa, als ein verdienter Rechercheur in Sachen sexuellem Missbrauch an Kindern (insbesondere an der Odenwaldschule) und mit der Pädophilie sympathisierenden früheren Positionen der Grünen kaltgestellt wurde. Nur um die Verwerfungen in der Redaktion zu glätten, wurde im vergangenen Jahr mit Rüttenauer ein zweiter Chefredakteur berufen. Auch das gehört zum Bild der 'taz', deren Chefs schreiben, es gelte nun, das Vertrauen in die Zeitung zurückzugewinnen",

glossiert er heute am Rande seiner Medienseite. Das entschuldige die "Computer-Spionage freilich nicht". Auch Hanfelds Gegenüber von der TAZ selbst, Silke Burmester, attackiert im Rahmen eines feuchtfröhlichen Rundumschlags die eigene Zeitung:

"Der Umstand, dass ein taz-Mitarbeiter die Computer seiner Kollegen mittels eines Keyloggers ausspähte? Och, da sagen wir mal nix. Wir als Kommunikationsexperten verweigern die Kommunikation, dann wird es auch niemanden interessieren. Wir machen einfach das Licht aus und tun so, als wären wir nicht da. Wenn wir nix sagen oder nur einen rüden Satz, dann wird sich das Ungemach schon verziehen. Ist das, taz-Medienredaktion, eine neue Interpretation von Sprachlosigkeit? "

Ansonsten geht's im Rundumschlag um die "Journalisten des Jahres"-Megaparty, bei der die Journalisten-Oscars des medium magazins vergeben wurden,und um Reinhold Beckmanns neues TV-Ev ent (siehe jeweils Altpapierkorb).

[+++] Womit wir zur täglichen Frage gelangen, die immer am Ende des Tages diesen versüßt: Was kommt denn heute abend im Fernsehen?

Einerseits natürlich Fußball (am Rande: Bei faz.net finden sie es nicht zu blöd, von "Problemen bei ARD und ZDF durch verlegte WM" zu titeln, weil in siebeneinhalb Jahren womöglich mehr Sportereignisse als sonst zeitgleich stattfinden ...). Das ZDF sendet ein Spiel von Bayer Leverkusen, der Mannschaft, die häufig dramatische Spiele liefert, nicht selten auch dank eigener Leistungen - bloß niemals, wenn das frei empfangbare Fernsehen live überträgt.

Und die ARD? Holt nicht etwa eine Problemfilm-Wiederholung aus dem Archiv, sondern setzt "die erste öffentlich-rechtliche Großproduktion des 'Stromberg'-Kreativduos" dagegen. Hans Hoff ist auf der SZ-Medienseite unter der Überschrift "Dreamteam" genauso begeistert wie Tagesspiegels Joachim Huber über das "Pointengewitter", in dem "beim Lachen über die eine die nächste glatt überhört wird". Hinter der heutigen 20.15 Uhr-Komödie "Vorsicht vor Leuten" stehen mit Ralf Husmann und Arne Feldhusen Autor und Regisseur der von vielen geschätzten Serie "Tatortreiniger"  - ob die "das Triple schafft", lautet die allerspannendste Frage demnächst bei der Verleihung der deutschen Fernseh-Oscars.


 

Altpapierkorb

+++ Den rührendsten Artikel zur Verleihung der Journalismus-Oscars hat der Tagesspiegel, dessen Chefredakteurs-Kreativdreamteam Casdorff/ Maroldt ausgezeichnet wurde: "Sollte jemand auf der Suche sein nach begnadeten Dankreden für Auszeichnungen aller Art: Hier war der passende Pool dazu. 'Die Menschen auf dem Hochseil wären nichts, wenn nicht unter ihnen alle möglichen Paradiesvögel arbeiten würden', hieß es an einer Stelle. Rührend wie Georg Mascolo, der einen ersten Preis bekam, für diesen er eigentlich seine Frau für viel geeigneter erachtete, die in derselben Kategorie Zweite wurde ... " +++ Dritter in derselben Kategorie wurde dann netzpolitik.orgs Markus Beckedahl, der auch ganz gerührt ist, "einen Bilderrahmen gewonnen (Beweisfoto)" zu haben: "Eigentlich wollte ich ja nie Journalist werden, sondern nur irgendwas mit Internet machen." +++

+++ Kein Klima des Misstrauens, vielmehr tief empfundenes, hohes Lob des deutschen Journalisten, der vielleicht bald auf dem höchsten Hochseil des globalen Journalismus balancieren könnte: Daniel Bouhs preist in der TAZ Wolfgang "Blau, der Intellekt lebt und liebt" und zum neuen Guardian-Chefredakteur gewählt werden könnte. +++

+++ Will Butler, Bassist der teils geschätzten Rockband Arcade Fire, verwandelt, wie die SZ meldet, derzeit Guardian-Inhalte in Songs und erklärt sie auch eloquent ("... What can I say? ..."). +++

+++ Der Journalismuszukunfts-Artikel des Tages kommt vom neulich als Comicautor hier erwähnten David Schraven: "Das Internet hat Marktfunktionen übernommen, die früher Verlage innehatten. Autos werden über das Netz verkauft und Jobs vermittelt. Die traditionellen Verlage und Medien verlieren deswegen rasant an Einkommen. Gleichzeitig steigt die wirtschaftliche Bedeutung der sozialen Medien. Diese Bewegung ist unumkehrbar und hat dramatische Auswirkungen auf alle Bereiche des Journalismus", die aber dennoch "besser als man denkt" sei. Da hat Schraven gemeinnützigen Journalismus im Sinn (correctiv.org). +++

+++ "Die Zeitschrift, die ihre Leser mit beißender Satire zum Lachen bringen wollte, war in ihrer Existenz bedroht. Jetzt schwimmt 'Charlie Hebdo' im Geld und weiß doch nicht wie weiter. Die halbe Welt wartet auf das neue Heft und interessiert sich nur für eine Frage: Bringen sie wieder Mohammed?" (Jürg Altwegg auf der FAZ-Medienseite über die Lage der Satirezeitschrift). +++

+++ "Info-Bombardement auf allen Kommunikationskanälen. Reinhold Beckmann, Ex-ARD-Talker, hat eine neue Reportagereihe mit dem schlichten Titel #Beckmann. Talk mit Markus Lanz. Interview im 'Stern'. Artikel in der 'Hörzu', ein Interview mit Redaktionsleiter Stein in quotenmeter.de. Ganzseitige Werbung im aktuellen 'Spiegel'." (Burmester in der TAZ). Auch toll, wie unberührt man von solch Bombardements auf allen Kommunikationskanälen bleiben kann ... +++ Die Sendung lief am Montag. Kritiken: "Beckmann stapft wie das personifizierte schlechte Gewissen umher. Aber immerhin gibt es hier eindringliche Bilder und Interview-Passagen. ... '#Beckmann' ist nicht die Inszenierung des Bösen, sondern Vortäuschung persönlicher Betroffenheit. Die Simulation einer Reportage." (Richard Weber, tagesspiegel.de). +++ "Bei '#Beckmann' ist der Presenter in vielen Einstellungen schlicht über-präsent, ohne dass es dafür einen erzählerischen Grund gibt" (Stefan Winterbauer, meedia.de). +++ Völlig hin und her gerissen scheint der Rezensent von sueddeutsche.de gewesen zu sein. +++

+++ Die SZ interviewt außerdem Deutschlandradio-Intendant Willi Steul zur im März startenden Deutschlandfunk-Reihe "Koran erklärt". "Der Koran enthält, wie die Bibel auch, großartige Passagen zur Schöpfung, aber auch problematische, etwa zur Anwendung von Gewalt. Beides werden wir vorstellen", sagt Steul u.a.. +++

+++ "Bei komplexen horizontalen, also durcherzählten Geschichten hat das sogenannte 'Binge Watching' (von engl: Gelage) durchaus Sinn, wenn man als Zuschauer mit den vielen dramaturgischen Wendungen Schritt halten will" (BLZ). Da empfehlen Maike Schultz und Klaudia Wick die europäische Serie "The Team" in der ZDF-Mediathek bingezuwatchen: "Wer dem Verlauf der Geschichte folgen will, tut ... wirklich gut daran, die Mediathek zu nutzen und nicht auf die wochenweise TV-Ausstrahlung im März zu warten. Serienfans werden sich außerdem darüber freuen, dass die Geschichte dort im englischen Original mit Untertiteln zu sehen ist." +++

+++ Könnte Hartmut Engler, Sänger der teils geschätzten Band Pur nicht mal Inhalte von sueddeutsche.de vertonen? Nein, erst mal performt er, der "sonst eher selten als Gast im Fernsehen auftauche", in einer Vox-Show: "Außerdem darf ich umsonst nach Südafrika! Als Schwabe nimmt man sowas gerne mit", zitiert ihn dwdl.de. +++

+++ Wenn Sie sich noch ein wenig im neuen evangelisch.de umschauen wollen: Kürzlich hat hier ein prominenter deutscher Schauspieler auf die Interview-Frage, ob er denn an die Zukunft des Fernsehens glaubt, eine überraschende Antwort gegeben ... +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.