Neues vom Gesamtmeinungsmarkt

Neues vom Gesamtmeinungsmarkt
Heute mit einer Geschichte aus der Parallelgesellschaft der Medienwächter: Die Kommission namens KEK fordert große Schritte. Außerdem: neue Hoffnung für bayerische Freunde klassischer Musik? Und ist, wer "Lügenpresse!" ruft, in Wahrheit "Presse-süchtig"?

Heute mit einer Geschichte aus der Parallelgesellschaft der Medienwächter: Die Kommission namens KEK fordert große Schritte. Außerdem: neue Hoffnung für bayerische Freunde klassischer Musik? Und ist, wer "Lügenpresse!" ruft, in Wahrheit "Presse-süchtig"?

Ganz Berlin im Berlinale-Fieber (Altpapier gestern, -korb heute)? Nein, ganz Berlin nicht. In der Friedrichstraße haben die vierzehn deutschen Landesmedienanstalten ihre gemeinsame Geschäftsstelle eingerichtet.

Dort hat auch die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, die KEK, ihren Sitz. Gestern stellte sie im Sitzungsraum Erfurt ihren 525 Seiten mit 1665 Anmerkungen dicken, etwa drei Kilo schweren und gedruckt demnächst für 80,00 Euro bei Vistas zu habenden Medienkonzentrationsbericht vor. Wahrscheinlich ist er ungedruckt bald auch hier gratis downloadbar, wo einstweilen die vier Vorgängerberichte die Wartezeit verkürzen.

Die regelmäßigen Pressemitteilungen der putzigen Kommission gehören zu den wenigen im Medienbereich, die im Allgemeinen nicht einmal mit einer meedia.de-Meldung oder einem Turi-Tweet geadelt werden. Schließlich verspräche etwa der Zulassungsverlängerung-Antrag der Your Family Entertainment AG für das an Familien gerichtete Unterhaltungsspartenprogramm Fix & Foxi auch bei krassester Zuspitzung niemals viele Klicks. Vielen Fernsehsendern, mit denen sich die KEK beschäftigt, begegnet man nirgends außer beim Surfen in der Fernsehsender-Rubrik der durch Akribie bestechenden KEK-Datenbank. Inzwischen sollen immerhin 141 der 180 lizensierten Privatsender (weil eine KEK-Bescheinung notwendig ist, um senden zu dürfen, stellen auch Projekte Anträge, aus denen dann doch nichts wird) tatsächlich auf Sendung sein.

Gestern aber ging es gar nicht um Fix & Foxi. Vielmehr konstatierte der aktuelle KEK-Vorsitzende Ralf Müller-Terpitz eine "dramatische Veränderung auf den Medienmärkten", dass das geltende Recht "nicht mehr hinreichend" sei und schrittweise, aber "nicht unbedingt in kleinen Schritten"!, geändert werden sollte. "KEK spricht sich für medienübergreifende Vielfaltsicherung aus", heißt das in der neuesten Pressemitteilung

Die KEK will sich also wieder mit größeren Fischen als Fix & Foxi befassen und in die Betrachtung des "Gesamtmeinungsmarkts", wie das schönste Wort der Pressekonferenz (ich war da) lautete, sogar das Internet einbeziehen. Wer im Sachregister auf den letzten drei der 525 Konzentrationsberichts-Seiten googelt nachschlägt, stößt gar auf Google (S. 264). Wer dorthin blättert, findet ein mehrseitiges Kapitel, darin auf Seite 267 die Zwischenüberschrift "Internet-Suchmaschinen - eine Gefahr für die öffentliche Meinungsbildung?" Darunter heißt's:

"In diesem Zusammenhang ist zunächst zu klären, ob Suchmaschinen überhaupt eine meinungsbildende Funktion zugesprochen werden kann. In der 'KPD-Entscheidung' aus dem Jahr 1956 hat das Bundesverfassungsgericht konstatiert, dass für das Bestehen einer demokratischen Ordnung eine Meinungsbildung der Öffentlichkeit unerlässlich ist, so dass sich ein Bürger - entsprechend seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs.1 Satz 1 GG - aus allgemein zugänglichen Quellen informieren und im Rahmen einer gesellschaftlichen Kontrovere austauschen können muss."

Hoppsala, Google und die KPD-Entscheidung von 1956 (welche die Partei, wie Freunde der Zeitgeschichte wissen, gar nicht überlebt hat)?

Die KPD kommt dann aber im KEK-Bericht wohl nicht mehr vor. Zweieinhalb Seiten später folgert die KEK:

"Die Gefahr, dass Google die öffentliche Meinungsbildung beeinflusst, ist mithin evident."

Was das in der Praxis heißen könnte? Die KEK würde bei ihrer Arbeit (von der ihre Pressemitteilungen künden) gern vom bisherigen "fernsehzentrierten" zu einem "fernsehbasierten" Ansatz übergehen, also beim Gewichten der Meinungsbildungsrelevanz das Internet dann mit einbeziehen, wenn ein Fernsehveranstalter beteiligt ist.

Auf Nachfrage sagte Müller-Terpitz, dass wenn es so käme und Google dann einen lineares Programm ausstrahlenden Fernsehsender übernehmen wollen würde (wörtlich sagte er: wenn Google mit einem Sender "fusionieren" würde, was wahrscheinlich auch etwas über die Vorstellungen der KEK aussagt ...), die Konzentrationskommission einschreiten müsste. Solange Google so etwas nicht plant, wäre es der KEK aber egal. Denn die Kommissionsmitglieder argumentieren als Juristen zwar gerne mit der "Aktualität, Breitenwirkung und Suggestivkraft", mit der das Bundesverfassungsgericht 1994 das Fernsehen definiert hat. Aber weiterhin nur, wenn es erstens linear gesendet wird und zweitens "journalistisch-redaktionell gestaltet" wurde. Schließlich müssen die Juristen sich an geltendes Rundfunkrecht halten, auch wenn sich das Mediennutzern, die keine Rundfunkjuristen sind, oft nicht erschließt. Auf Youtube abrufbaren Katzen- und Enthauptungsvideos traut die Kommission nicht viel Suggestivkraft zu, solange die Gesamtbevölkerung viel linear fernsieht als im Internet unterwegs ist.

Vielleicht hofft die KEK - diese Vermutung wurde zumindest gestern geäußert - damit wieder ihrem langjährigen Lieblingsgegner zu begegnen. Da handelt es sich, fast schon vergessen, um den von ARD und ZDF (für die die KEK nicht im geringsten zuständig ist) abgesehen größten Fisch im Inland. 2006 hatte die KEK dem Springer-Konzern wegen der Gefahr "vorherrschender Meinungsmacht" den Kauf der ProSiebenSat.1 AG untersagt. Dass, nachdem beide sich jahrelang durch sämtliche Instanzen gezofft haben, 2014 vorm Bundesverwaltungsgericht dann doch Springer Recht bekam, hat nichts mehr geändert, dass der Verlag die Sendergruppe nicht kaufen konnte. Inzwischen aber besitzt Springer mit N24 zumindest einen kleinen Fernsehsender. Da könnte ein fernsehbasierter Ansatz greifen.
 
Sollte Springer also schon mal noch mehr journalistisch-redaktionelle Aktivitäten abstoßen? Müsste Google sich sputen, falls es ProSiebenSat.1 kaufen wollen sollte?

####LINKS#### Nö, jeweils. Geschehen ist eigentlich nichts, als dass die Kommission namens KEK den Gesetzgeber zum Handeln aufforderte. Erst mal hofft sie, dass die Rundfunkreferenten ihren 525-seitigen Bericht lesen. Ob dann in der Bund-Länder-Kommission zum Thema Medienkonvergenz, die in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen soll, jemand sich danach richtet, muss sich zeigen. Heute berichtet offenbar keine einzige Zeitung und auch kein Onlinemedium vom gestrigen KEK-Termin. Das sagt vielleicht auch etwas aus.



[+++] Für öffentlich-rechtliche Programme ist die KEK wie gesagt überhaupt nicht zuständig. Aber im Privatradio-Markt.

Hier könnte man gewiss die "60 bayerischen Lokalradios" finden, die nun gemeinsam mit dem landesweiten bayerischen Privatsender vorm Landgericht München I gegen den Bayerischen Rundfunk klagen.

Es geht um die vom BR nach längeren (in diversen Altpapieren, z.B. hier und hier gestreiften) Diskussionen für 2018 beschlossene Verlagerung seines Klassikprogramms ins wenig genutzte Digitalradio bzw. - um klassische Musik scheren sich auch die Privatsender wenig - um das werbefreie Jugendprogramm, für das der BR auf diese Weise reichweitenstarken UKW-Platz frei macht.

"Die Kläger argumentieren, der Tausch sei rechtlich unzulässig. Er verstoße gegen das Wettbewerbsrecht, da er die Interessen der Privatsender verletze und staatliche Ressourcen in wettbewerbsverzerrender Weise gegen die privaten Hörfunkanbieter einsetze", berichtet nun die Süddeutsche. Wie jetzt diese Klage ausgehen könnte? Die SZ meint:

"Bedeutung hat die Bayernposse vor allem, weil es Ziel des Landtags war, Landesrecht an den Staatsvertrag anzupassen. Auch wenn das misslang - der Wille lässt nach Ansicht der Kritiker erkennen, dass der Staatsvertrag das übergeordnete Gesetz ist, nach dem sich der BR richten muss."

Es dürfte eine streng rundfunkrechtliche Auseinandersetzung in dem Sinne werden, der sich Mediennutzern, die keine Rundfunkjuristen sind, häufig nicht erschließt.

Zur Klassiksender-Frage hatte ich letztes Jahr schon mal die Meinung geäußert, dass die Argumentation einer sonst gerne von ihrem "Auftrag" redenden Rundfunkanstalt, ihr Klassikprogramm aus dem viel verbreiteteren UKW-Radio zu entfernen, um stattdessen einen weiteren, vielleicht anders ausgerichteten Popsender einzuspeisen, eines Tages als Argument in grundsätzlichen Diskussionen über die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Verwendung finden könnte.
 


Altpapierkorb

+++ Überschrift "Lügenpresse" heute auf der TAZ-Meinungsseite. Darunter argumentiert Georg Seeßlen, dass "das 'Lügenpresse' der Pegida ganz und gar nicht" bedeute, "dass man den Medien als Nachrichtenübermittlung oder Erzählmaschine nicht traute. Man ist da, ganz im Gegenteil, nachgerade Presse-süchtig." Und entwickelt daraus ein komplexes Drama: "Die freie Presse, ein kompliziertes, manchmal ekliges und manchmal kreatives Durcheinander von ehrenwerten, nicht so ehrenwerten und ehrlosen Personen und Institutionen, ist drauf und dran, die Fähigkeit zu verlieren, Erzählungen der Welt zu erzeugen, mit denen eine demokratische, liberale und kapitalistische, oder auch eine postdemokratische, digitalkontrollierte und finanzkapitalistische Gesellschaft 'richtig' leben kann. Der Markt kann sich 'Qualitätsjournalismus' bald nicht mehr leisten, und der einzelne Berufsjournalist kann sich nicht mehr leisten, durchweg ehrenwert zu bleiben." +++

+++ Das gibt's auch nicht alle Tage: Michael Hanfeld ist von einer Nico-Hofmann-Produktion nicht uneingeschränkt begeistert. Zur gerade auf der Berlinale gezeigten und in die USA verkauften, im Herbst dann bei RTL zu sehenden Serie "Deutschland 83" schreibt er heute auf der FAZ-Medienseite: "Spannend ist die Geschichte, die sich Anna und Jörg Winger, der bei den ersten fünf von acht Folgen Regie führt, ausgedacht haben. Jeweils am Ende der ersten beiden Folgen, die nun auf der Berlinale liefen, will man unbedingt wissen, wie es mit Martin alias Moritz weitergeht. Und das ist für eine Serie das Wichtigste. Der Ton stimmt, ein paar trockene Gags gibt es, Action in angemessener Form. Ein paar Schwächen allerdings hat das Drehbuch, an dem weitere vier Autoren geschrieben haben ... Das ist eine Nummer kleiner und in der Figurenbeschreibung etwas schematischer, als man es gerne hätte. Aber es ist ein Anfang ...". +++

+++ Österreichischen Berichterstattern hatte Netflix ja die Reisekosten zur Präsentation seiner neuesten Serie "Better call Saul" nach Berlin bezahlt. Die deutschen Medien berichten zweifellos unbezuschusst und auch heute viel: groß auf der SZ-Medienseite, faz.net (Nina Rehfeld aus Phoenix), in der TAZ, Tsp. mit Interview. +++

+++ Als "hochironisch-trockene Figur, die reichlich Schorf auf der Seele mit sich rumträgt", lobt die SZ schon mal den Helden der allerneuesten ARD-Krimireihe - und vergisst ganz den Hinweis, dass "Der Metzger und der Tote im Haifischbecken" erst am Donnerstag läuft. Heute abend zeigt die ARD Karneval und das ZDF Krimi, morgen ist's dann wieder umgekehrt. +++

+++ Die FAZ-Medienseite ist heute eine reine Serien-Seite. Außerdem geht es um die italienische Serie "1992", die "zeigt, wie in Italien eine korrupte Schicht durch eine noch korruptere abgelöst wurde", und im März auf diversen Sky-Kanälen zu sehen sein wird.  +++

+++ Die TAZ-Medienseite widmet sich ganz dem Medienkrieg. Im in Ungarn "beginnenden Medienkrieg, hinter dem ein Kräftemessen zwischen Premier Viktor Orbán und seinem Jugendfreund, dem Oligarchen Lajos Simicska, steckt", müsse "kritische Berichterstattung ... nicht unbedingt eine Frage der Überzeugung" sein, sonden könne "auch den Charakter eines Revanchefouls" besitzen, meint Ralf Leonhard. +++ Und die Kriegsreporterin ist mittwochs ja auch immer auf Sendung ("'Dahoam is Dahoam', zu Deutsch: 'Scheiße bleibt Scheiße'"). +++

+++ Visionär Lutz Marmor: "Auf lange Sicht würden Fernsehen und Internet zusammenwachsen, sagte Marmor. 'Wenn wir eine Zukunft haben wollen, werden wir im Netz eine Rolle spielen müssen.'" (Tagesspiegel/ DPA über eine neue ARD-Intendantensitzung und Jugenkanalsplanunungs-Bekanntgaben). +++ Am Ende einer unpolemischen Schilderung dessen, was ARD und ZDF inzwischen intensiv auf Youtube anstellen, meint der Abiturient und Praktikant Lukas Menzel auf netzpiloten.de: "Allgemein ist der Weg von ARD und ZDF aber ein Schritt in die richtige Richtung. Für viele Jugendliche und junge Erwachsene haben YouTube, Netflix und Co. das Fernsehen in großem Maße ersetzt, sodass diese gar nicht mehr von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erreicht werden. Die jetzigen Aktivitäten bieten somit schon einen guten Vorgeschmack auf den Jugendkanal ..." +++

+++ Ein "pressierendes Problem für DuMont" bzw. deren Presse? Da aggregieren die Wortspieler von turi2.de eine meedia.de-Originalenthüllung eines internen DuMont Schauberg-Papiers. Es geht um Sorgen um die Berliner Zeitung. +++

+++ Eine neue "Ethik des Teilens" unter den Fragestellungen "Will und schafft es Gutes, was ich teilen möchte?" bzw. "Ist es wahr? Ist es notwendig? Ist es gut?" will Friedemann Karig auf krautreporter.de mithilfe des Mainzer Philosophiedozenten Frank Brosow  sowie Sokrates' entwickeln. Anlass sind die Enthauptungs- und anderen Mordvideos der ISIS-Terroristen, die "wir" laut Karig aus angeblichen folgenden Gründen in digitalen Medien zu teilen neigten: "Wir verbreiten Unmenschliches, aus einem menschlichen Antrieb: Wir wollen verarbeiten, was wir sehen. Wir wollen genau wissen, was da passiert. Wir wollen Leid teilen und dadurch lindern." +++

+++ "Die chinesische Unternehmensgruppe Wanda erweitert ihren Einfluss im internationalen Sportgeschäft" und kauft die Schweizer Sportmarketing-Agentur Infront, die hierzulande vor allem durch ihren Angestellten Günter Netzer bekannt ist und von Philippe Blatter geführt wird (faz.net). +++

+++ Nun geht's auch los mit "Newtopia", dem Ex-"Utopia", das Sat.1 mit der "Produktionsfirma Talpa Germany" in Königs Wusterhausen schon lange aufbaut ("105 Kameras"). Dafür, dass es sich bei dieser Firma um ein Endemol-Springer-Joint Venture handelt, war im Tagesspiegel kaum Platz. Dass die oben erwähnrte KEK einem "Newtopia Livestream" längst Unbedenklichkeit auf dem Gesamtmeinungsmarkt bescheinigt hat, wäre wirklich keiner Erwähnung wert ... +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.