Breaking Better

Breaking Better

Oder sogar Breaking Worse? Jedenfalls bricht endlich die goldene Zeit der deutschen Fernsehserien an! Bingewatching in der ZDF-Mediathek. Außerdem: ältere Hasen als starke Medienmarken.

Ganz Berlin im Berlinale-Fieber! Das heißt: "jetzt schon legendäre!" Empfänge, an denen man sich gar nicht satt sehen kann, grundsolide öffentlich-rechtliche aber ebenfalls; hochrangigste Gespräche, kuratiertes Kulinarisches Kino, überall Begeisterung, last but not least: Filme satt.

Und nun auch noch das! Das seit mindestens Sommer '13 gespannt erwartete "deutsche 'Breaking Bad'" erblickt das Licht der Leinwände.

"Vielleicht eine vermessene Vorfreude: Das goldene Zeitalter der TV-Serie als goldener Herbst im deutschen Free-Fernsehen",

dichtet Joachim Huber vom Tagesspiegel jedenfalls schon mal angesichts unserer beiden Beiträge der Berlinale-Reihe "Berlinale Special Series":

"Für Deutschland treten an: 'Blochin - The Living and the Dead' (ZDF) und 'Deutschland 83' (RTL). Beide Produktionen wollen sein wie die internationalen Vorbilder: wuchtig, bedrängend, atemlos. Kompression, Aggression, Dramen mit Vertikal-Allüre."

Aber "horizontal" erzählt, natürlich. Pünktlich zur Weltpremiere der RTL-Serie kommt eine Breaking News. Es sei "die erste deutschsprachige Serie, die es ins Programm eines US-Senders schafft", remixt dwdl.de die umfangreichen Blurbs, die die Produktionsfirma zur Verfügung stellte.

####LINKS#### "Während sich deutsche Sender schon immer stark aus dem US-Serienportfolio bedienen, gelang umgekehrt noch keiner deutschsprachigen Serie der Sprung über den großen Teich zu einem größeren Sender", plaudern die Fernsehfüchse aus dem Nähkästchen. Aber jetzt ist es so weit. Schon spricht Nico Hofmann "von einem 'Meilenstein für die deutsche TV-Produktion'." Genau genommen spricht Nico Hofmann nur selten von keinem Meilenstein, das ist ja Teil seines Erfolgsrezepts. Jedenfalls handelt es sich bei der Erfolgs-Produktionsfirma um diejenige formerly known as Teamworx (oder sogar teamWorX).


Die andere genannte Serie ist eine Studio Hamburg-Produktion, spielt aber natürlich in Berlin.

"Matthias Glasner, zuletzt 2012 mit 'Gnade' im Berlinale-Wettbewerb, ist der 'Creator' der Serie. Da muss er lachen, 'Creator' sei eine Erfindung der Berlinale, sagt er. Wahr sei, dass er für die 360 Minuten der ersten, fünfteiligen Staffel die Bücher geschrieben und Regie geführt habe. 'Dass alles in meiner Hand war, bedeutet totale Verantwortung, bedeutet auch, dass ich bei Misserfolg alleine verantwortlich bin'",

sagte er dem Tagesspiegel. Wobei, ein Autorenfilm im Sinne des alten Jungen Deutschen Films ist's natürlich doch nicht. Ein Blick auf die Webseite der hier aktiven Produktionsfirma zeigt, auf der Höhe der Zeit: "Buch: Matthias Glasner in Zusammenarbeit mit einem Writers Room (Svenja Rasocha, Laura Lackmann, Maxim Kuphal-Potapenko)" - also die Namen, die Altpapier-Leser kennen könnten ...

So wie "Deutschland 83" soll auch die ZDF-Miniserie im Herbst ins Fernsehen kommen. Ja, "das ZDF plant ... eine kleine Revolution. Möglicherweise geht die erste Staffel noch vor der Ausstrahlung komplett in die Mediathek oder die fünf Teile laufen an fünf Tagen hintereinander", weiß der Tagesspiegel. Um auch da noch einen draufzusetzen: Es ist mitnichten so, dass sich das ZDF erst noch bei bahn.de eine Bahnsteigkarte mit Barcode ausdrucken muss. Vielmehr ist auch diese kleine Revolution längst am Laufen:

"Im Fernsehen wird man 'Schuld', die sechsteilige Reihe nach Justiz- und Kriminalgeschichten des Strafverteidigers und Bestsellerautors Ferdinand von Schirach, erst in eineinhalb Wochen sehen können: vom 20. Februar an jeweils freitags um 21.15 Uhr. Im Internet aber, in der ZDF-Mediathek, gibt es die komplette Staffel bereits seit dem vergangenen Wochenende: Der Sender nennt das 'Premiere im Netz' und schwärmt von 'völlig neuen Wegen', die man auf diese Weise beschreite. Das Stichwort dafür heißt Binge Watching...",

übertrumpft early adopter Jochen Hieber Huber heute auf der FAZ-Medienseite. Tatsächlich, hier können Sie zeitsouverän 270 bzw. immerhin 257 Minuten "Schuld" bingewatchen. Laut Hieber lohnt sich das ("alle Folgen nutzen ihre jeweils fünfundvierzig Minuten für eine ungemein dichte, dabei nie gedrängt wirkende Handlungs- und Figurenintensität").

Bei aller Euphorie über deutsche Fernsehserien: Natürlich schlafen auch die Amerikaner nicht. SZ-Medienseite: "In dieser Woche laufen in Deutschland drei Superheldenserien an". Zwei davon bespricht die TAZ frei online unter lustiger Überschrift, eine der Tagesspiegel. Nina Rehfeld bespricht auf der FAZ-Medienseite ja ohnehin täglich US-amerikanische Serien-Highlights ("Auch 2015 stehen spannende Dinge auf dem Programm  - nicht zuletzt die Folgeprojekte der zuletzt besten Serien 'Fargo' und 'True Detective'"). Und dann ist da noch "Better Call Saul", das Spin-off des Original-"Breaking Bad"s, das ebenfalls in Berlin gezeigt wird und ab heute auch in Deutschland horizontal-vertikal nonlinear auf Netflix abrufbar ist, eine der "meisterwarteten Serien des Jahres" (Springer/ Funke-Presse). "Nach dem ersten Eindruck stehen die Zeichen gut, dass 'Better Call Saul' etwas Besonderes werden könnte", glaubt sueddeutsche.de. Und der österreichische Standard legt unter seinem Bericht aus Berlin offen, dass seine Reisekosten Netflix übernahm ...

[+++] Eben lachte Matthias Glasner noch über den Begriff "Creator", da hat das Medienboard Berlin-Brandenburg, Ausrichter des oben verlinkten, nach eigener Einschätzung "jetzt schon legendären!" Empfangs, bereits einen "Video-Creator-Wettbewerb" ins Leben gerufen:

"Alle in Deutschland ansässigen Kreativen ab 18 Jahren -  sowohl Neulinge als auch erfahrene YouTube-Videomacher sowie klassische Medienschaffende - können an 'Your Turn - Der Video-Creator-Wettbewerb' teilnehmen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die einzureichenden YouTube-Kanal-Konzepte dazu dienen, einen bestehenden YouTube-Kanal aufzuwerten oder einen komplett neuen Kanal zu realisieren",

und ein "Strategic Partner Manager" der Google-Firma YouTube rhabarbert auch kräftig über Kreativindustrie usw.. Was das steuerfinanzierte Board im Sinn hat, arbeitet eher der Tagesspiegel heraus: "Für Medienboard-Geschäftsführer Elmar Giglinger liegt großes Potenzial in den authentischen Online-Kanälen. 'Da hat sich fast unbemerkt ein eigener Kosmos mit enormer Wirtschaftskraft entwickelt.' Von den Wachstumsraten im Bereich der Web-Video-Netzwerke würden andere Medien nicht mal träumen."

[+++] Tatsächlich lassen sich bei Youtube für junge Solo-Kreative ja "rund 60.000 Euro im Monat" oder noch mehr machen, rekapitulierte lousypennies.de kürzlich, um dieses Geschäftsmodell schon mal auf Facebook zu übertragen, wo "über kurz oder lang ... die Einblendung von Werbung in selbstgehosteten Videos und anderen Inhalten" gestattet und die Einnahmen nach Youtube-Muster geteilt werden könnten. So "könnte Facebook zu einem Youtube für eine neue Art von Massenmedien werden", zu einer "Monetarisierungs-Möglichkeit" "für alle Medienmacher", und dann wäre, so lousypennies.de-Autor Karsten Lohmeyer, etwa Jürgen Todenhöfer mit seinen mehr als 370.000 Facebook-Fans, ein Massenmedium.

Und tatsächlich sind so einige solcher älteren Hasen, die in Zeiten, in denen es für Gedrucktes noch richtig gut lief, starke "Medienmarken" geworden sind und es schon durch Medienpräsenz in Talkshows bleiben, unterwegs. Nur zum Beispiel Roland Tichy, der Ex-Wirtschaftswoche-Chefredakteur, der auf seinem regelmäßig gefüllten Namensblog auch Kollegen wie aktuell gerade Ralf-Dieter Brunowsky (der in für Zeitschriften erheblich weniger schlechten Zeiten Capital-Chefredakteur war) Gast-bloggen lässt.

Brunowsky nutzt das bzw. bloggte schon in seinem eigenen Namensblog eine Kritik zum "Wohin mit dem Geld?"-Titel und der Titelstory des neuen Spiegel-Hefts (siehe auch Altpapier gestern): "Autor ist Wirtschafts-Ressortleiter Armin Mahler, der starke Mann in der Mitarbeiter-KG, die den letzten Chefredakteur Büchner weggeschossen hat." Und zumindest bei der Betrachtung des wirtschaftlichen Rahmens macht Brunowsky Punkte:

" Und dann noch ellenlange Werbe-Zeilen für Hermann-Joseph Tenhagens neue Publikation, einem 'Verbraucherportal' namens 'Finanztip'. Wäre früher echt tabu gewesen. Ausführlich wird dargestellt, von wem der 'Finanztip' Investorengeld bekommen hat (wieso ist das für den Titel 'Wohin mit dem Geld' wichtig?), und dass er für die Vermittlung von Usern an Finanzdienstleister 'eine kleine Provision' erhält. Ansonsten wollten die ehemaligen Investmentbanker keinen Gewinn machen. Kaum zu glauben, aber das steht alles in dieser Geschichte. Man erfährt auch, warum: Tenhagen, laut Spiegel 'Deutschlands bekanntester Verbraucherschützer' und bis vor kurzem langjähriger Chefredakteur von 'Finanztest', ist seit kurzem Kolumnist bei 'Spiegel Online', was Mahler ausdrücklich erwähnt. Und - auch kaum zu glauben: 'Seine Medien-Präsenz in Spiegel Online soll helfen, das neue Verbraucherportal Finanztip bekannter zu machen'."

Ältere Hasen, die durch Medienpräsenz mehr Medienpräsenz generieren und, zumal, wenn sie Wirtschaftszeitschrifts-Chefs waren oder Finanzvorstände (wie Jürgen Todenhöfer bei Hubert Burda, der inzwischen ja "als sein ceterum censeo zum Besten" gibt, "mit Qualitätsjournalismus allein könne heute niemand mehr überleben ..."), diese gut zu monetarisieren verstehen dürften - das könnte eine ziemlich plausible Medienzukunfts-Vision sein.


Altpapierkorb

+++ Unter einem unglaubliche Seriosität ausstrahlenden Dr.-Kai-Gniffke-Foto ist Gniffkes Antwort auf die Kritik am "additiven Journalismus" der "Tagesschau" aus der jüngsten FAS (gestern hier via stefan-niggemeier.de erwähnt), im tagesschau.de-Blog auch vollständig zu haben: "Unser mediales Umfeld hat sich tiefgreifend verändert. Die Möglichkeiten für jedermann, unsere Arbeit zu überprüfen und nachzurecherchieren, haben sich durch Internet und Soziale Netzwerke erheblich ausgeweitet. Das ist ein wesentlicher Grund für das gewaltig angewachsene Feedback. Der Dialog mit dem Publikum nimmt viel Zeit in Anspruch und ist auch nicht immer vergnüglich. Aber er ist wichtig, weil er unsere Sinne zur Einhaltung unserer Standards schärft und zu konstruktiven Diskussionen in der Redaktion wie in dieser Woche führt. Und weil er die Chance bietet, unserem Ziel näher zu kommen, Menschen für den gesellschaftlichen Diskurs zu gewinnen." +++

+++ Kabel Deutschland wird's zwar bald gar nicht mehr geben (als Marke). Es bzw. Vodafone zieht aber mit seiner Einspieseentgelt-Klage gegen ARD und ZDF vor den Bundesgerichtshof (digitalfernsehen.de). +++

+++ Die ProSiebenSat1-AG könnte bald ein Dax-Konzern sein (Kommissar Hans-Peter Siebenhaar bei handelsblatt.com. +++

+++ "Es soll Nörgler geben, die behaupten, das deutsche Fernsehen beherrsche die Kunst der Serie nicht. Einschränkend kann man sagen: Vielleicht zurzeit nicht", so beginnt der FAZ-Nachruf auf den "Löwengrube"-Autor Willy Purucker. +++ "Die 'Löwengrube' war Puruckers Opus magnum, aber er war weit darüber hinaus ein ungeheuer fleißiger Autor, hat zahlreiche Drehbücher zu anderen Münchner Themen geschrieben. Seine letzten Fernsehfilme, die er für den Bayerischen Rundfunk geschrieben hatte, wurden unter dem Reihentitel Geschichten aus dem Nachbarhaus präsentiert. Das war es tatsächlich, was die Arbeit von Willy Purucker ausmachte" (Karl-Otto Saur in der SZ). +++

+++ Außerdem zitiert die FAZ Harald Schmidts "Das Schweizer Fernsehen ist wie ich - jung, frech und voller neuer Ideen". +++ Und meldet, dass die russische Medienaufsicht Roskomnadsor dem unabhängigen Sender TV2 aus Tomsk die Lizenz entzogen hat. "Das vom Kreml kontrollierte, alles dominierende Propagandafernsehen verbreitet derweil Geschichten von Amerikanern und Polen, die in der Ostukraine Zivilisten töteten." +++

+++ In der TAZ befasst sich Meike Laaff mit den Empfehlungen von Googles Löschbeirat (siehe Altpapier, Süddeutsche neulich). +++ Und Ulrike Herrmann fragt, warum die "Swissleaks"-Enthüllungen "kaum jemanden aufregen". +++

+++ Kaum hatte die ARD-Degeto Franka Potente für einen Island-Krimi gewonnen, der allerdings wohk noch gar nicht gedreht wird ist das ZDF der Igel und dreht bereits Island-Krimis (dwdl.de). +++

+++ Die innovative Art von Interview aus dem SZ-Magazin, in der  Sven Michaelsen und Michael Ebert Hubert Burda sein Leben erzählen, steht nun frei online. Gestern wurde Burda 75. +++ Und am Samstag brachte die SZ das circa 1000. Interview, in dem der Netflix-Chef sagte, dass er "Goodbye Lenin" gesehen hat und Netflix-Nutzer sich "vielleicht bald auf die erste deutsche Eigenproduktion freuen" (zitiert digitalfernsehen.de) ...

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.