Mit Taxifahren quersubventioniert

Mit Taxifahren quersubventioniert

"Rudeljournalismus", Einladungsjournalismus und frische Ideen für Zusatzgeschäfte zum notleidenden Journalismus zwischen Wahington und Hamburg. Und Spannendes vom Handball.

Gestern abend sozusagen in der Höhle des Löwen, in Dresden, große Diskussion über "Lügenpresse". Diese eingangs gezeigte Folie des viele klangvolle Titel tragenden Kommunikationswissenschafts-Professors Lutz Hagen zeigt schon, dass die Pressefreundlichkeit, die man aus Presseberichten und -kommentaren zum "Lügenpresse"-Begriff kennt, in Dresden (das, um kurz etwas zu prantln, womöglich nicht mal mehr zu Deutschland gehört ...) nicht zum Grundton gehörte. "Öffentlichkeitsarbeit beeinflusst Nachrichten" und "Journalismus ist selbstbezüglich/ Rudeljournalismus" heißt es dort.

Andererseits war Michael Konken, der Vorsitzende der Journalistengewerkschaft DJV, auch da:

"Konken schiebt das Problem auch auf das Internet: Viell Problem der Vielfalt, schwer den Überblick zu behalten, was seriös ist",

twitterte der verlässliche Flurfunk Dresden, bevor er vom Livetwittern aufs Livebloggen ("Wer also nachträglich liest, fängt besser ganz unten an") umstieg. Getwittert wurde unter dem vielleicht nicht ideal gewählten Hashtag #Lügenpresse, der andererseits doch zeigt, was für Hass, ganz ohne Veranstaltungsbezug, in der digitalen Öffentlichkeit auch unterwegs ist.

Um 20.58 Uhr beendete der weitere Professor Wolfgang Donsbach (der, dem hier neulich vorgeworfen wurde, den Begriff Political Correctness auf arg "Klein-Erna-hafte Weise verwendet" zu haben), die aufschlussreiche Diskussion, indem er sowohl "den Hostile Media Effekt, dass selbst die neutralste Berichterstattung von Betroffenen als 'feindliche Presse' wahrgenommen werde", als auch "einen Kollateralnutzen" solcher Diskussionen bzw. wohl der Pegida-Demonstrationen an sich diagnostizierte.

####LINKS#### [+++] Öffentlichkeitsarbeit beeinflusst Nachrichten, beziehungsweise, wie es der deutsche Handballverband formulieren würde:
 

"'Wissend um die wirtschaftliche Situation vieler Verlage, Redaktionen und Freelancer haben wir zudem die Chance gesehen, eine vielfältigere und ein Mehr an Berichterstattung zu ermöglichen', schreibt DHB Pressesprecher Tim Oliver Kalle in einer schriftlichen Antwort dazu."

So berichtet die elektronische Presse des NDR-Medienmagazins Zapp, das gestern abend auch einen fünfminütigen (nun im Artikel eingebundenen)Fernsehbeitrag zur Handball-WM brachte. Genauer: zum von deutschen Journalisten 20-mal, weltweit wohl 680-mal (NZZ) angenommenen Angebot der Übernahme von "travel and accomodation costs" an den und im Veranstaltungsort Katar. Davon hatte vergangene Woche die TAZ berichtet. Über diesen "Einladungsjournalismus in völlig neuen Dimensionen" hat nun auch Jens Weinreich, im NDR-Beitrag ebenfalls zu sehen, bei krautreporter.de einen ausführlichen Artikel veröffentlicht:

"Ich habe stichprobenhaft überprüft, ob auch nur einer derjenigen, die Katars, nun ja, Gastfreundschaft genießen, seine Leser, Hörer und Zuschauer darüber informiert hat, wer die Reise bezahlt. Ich habe bisher nicht einen Hinweis darauf gefunden. Offenbar haben nicht nur freie Journalisten die Angebote angenommen, die pro Person 4.000 bis 5.000 Euro kosten dürften, zurückhaltend kalkuliert. Die WM-Organisatoren übernahmen alles: Flug und Unterkunft für zweieinhalb bis drei Wochen, zwar nicht in den besten Hotels von Doha, aber doch in ziemlich exquisiten wie dem Mövenpick Tower & Suites, gleich neben dem Hilton Hotel, wo die deutsche Nationalmannschaft logiert. Das bringt, neben der Kostenersparnis, auch eine Zeitersparnis ... Denn die Konkurrenz, all jene Journalisten, die ihre Reisen selbst bezahlt haben oder von ihren Arbeitgebern bezahlen ließen, müssen sich zu Terminen mit dem deutschen Team im Taxi durch den Stau kämpfen. Das kann schon nervend sein, auf jeden Fall anstrengender, als lässig vom Mövenpick zum Hilton zu schlendern."

Die heftige Katar-Kritik ("Katar kauft alles und jeden ein") schließt dann auch noch die Schiedsrichter ein, die gestern das Spiel, in dem die bekanntlich unter merkwürdigen Umständen zum Turnier zugelassene deutsche Mannschaft dann (gegen Katar) ausschied ... Lesenswert aber ist das Stück, das am Rande auch, in der Analyse durchaus d'accord mit den Handball-Verbänden, vom "Zusammenbruch des freien Marktes" spricht:

"Man kann nun darüber diskutieren, inwieweit der Zusammenbruch des freien Marktes die Entscheidung der Journalisten befördert haben könnte, das Angebot der IHF anzunehmen. Man kann darüber debattieren, dass die Honorare lausig sind und sich kaum ein herkömmliches Medium an Reisekosten beteiligt".

Bei diesen Krautreportern als einer Idee, auf den Zusammenbruch des freien Marktes zu reagieren, lange vermisst, hat Weinreich damit übrigens seinen zweiten Beitrag veröffentlicht.

[+++] Was tun gegen den zumindest antizipierten Zusammenbruch auch der festen Märkte? Wie nahezu täglich gibt es eine Fülle von Ansätzen, die, weil sie entweder auf reines Einsparen oder auf nicht so journalistische Zusatzgeschäfte setzen, selten sympathisch wirken. Zur gestern hier thematisierten Entscheidung der Funke-Mediengruppe, in Berlin eine neue Zentralredaktion für die überregionalen Inhalte von Zeitungen in vier Bundesländern zu gründen, hat sich nun auch der DJV (also quasi Michael Konkens Verein) aus Nordrhein-Westfalen geäußert:

"Dabei sind die rund 60 Redakteurinnen und Redakteure des Essener Content Desks diejenigen, die von diesen Plänen am meisten betroffen sind: Eine Zentralredaktion in Berlin zu gründen, ist eine Entscheidung gegen den Content Desk in Essen. Dort weiß seit dem gestrigen Tag niemand mehr, was mit ihm, seinem Arbeitsplatz und seiner Existenz wird."

Das Hamburger Abendblatt, das als Teil derselben Mediengruppe betroffen ist, aber ohnehin schon länger Überregionales geliefert bekommt, bringt einen wohl vom noch aktuellen Zulieferer, Springers Welt, übernommenen Artikel darüber, wie die Washington Post, also die vom Amazon-Milliardär Jeff Bezos besessene Traditionszeitung, nun "selbst ein Software-Provider werden" möchte:

"Wie die 'Financial Times' berichtet, steht die Zeitung in Gesprächen, ihre für die Onlineausgabe entwickelte Software zu lizenzieren und potenziellen Kunden gegen Entrichtung einer Nutzungsgebühr anzubieten."

Die Financial Times zählt zu den wenigen Zeitungen, die den Onlineverkauf ihrer Inhalte ganz gut beherrrschen, daher ist ihr Artikel nicht frei zugänglich.

Ebenfalls in Hamburg ansässig: die, trotz allem, nach eigenen Angaben "noch immer ... größte Frauenmagazin-Redaktion in Deutschland". Die Brigitte will nicht in Software, sondern in Hardware machen, noch härterer als bedrucktes Papier es ist:

"Die neue Kiste funktioniert nach einem klassischen Abo-Modell. Die Kunden zahlen 40 Euro pro Monat und bekommen dafür alle vier Wochen ein Paket voller Beauty-Produkte. Der Verlag verspricht dabei, dass der Wert der Düfte, Lotionen und Schminkutensilien weit über dem gezahlten Abo-Kosten liegen würde. Im Netz ist aus dieser Grundidee schon länger ein ganzes Startup-Segment entstanden, mit dem passenden Angebot für viele verschiedene Produkt-Gruppen. Für den Verlag rechnet sich dieses Konzept gleich doppelt",

referiert meedia.de, was die nicht zu beneidende Chefredakteurin Brigitte Huber gestern mitteilte. Wer unbedingt möchte, kann aber auch auf  neue, noch nicht näher benannte, aber nicht mit eingestellten älteren identische Line-extensions gespannt sein (kress.de).

[+++] Der mexikanische Journalist José Moises Sánchez, von dem heute in Meldungen wegen einer Anklage gegen einen seiner mutmaßlichen Mörder die Rede ist, hatte seine Zeitung La Union "mit Taxifahren quersubventioniert" (TAZ/ EPD).

Unklar, ob dieses Geschäftsmodell noch lange funktioniert hätte.
 


Altpapierkorb

+++ Anderer Ansatz zur Erklärung der "Krise des Journalismus" von Hans-Jürgen Arlt, kürzlich bei carta.info: "Vielleicht reicht die Krise des Journalismus doch tiefer, als die Diagnose nahelegen will, es funktioniere nur sein wirtschaftliches Geschäftsmodell nicht mehr. Im Selfienarium ist Journalismus ein Fremdkörper, im Selfienarium sind nur Werbung, PR und Unterhaltung gern gesehen. Journalismus passt nicht in die Erfolgskultur des 'Ich über mich'". +++ Ein "kurioser Selfie-Angst-Artikel", meint dazu Eve bei socialmediawatchblog.org. +++

+++ "Hass gilt als Architekt der aus internem Personal rekrutierten Doppelspitze", das ist in keinerlei übertragenem Sinne gemeint, sondern gilt dem künftigen Verlagsgeschäftsführer beim Spiegel,  Thomas Hass. "Da er bisher Sprecher der einflussreichen Mitarbeiter KG ... war", muss die sich "nun allerdings per Wahl auf einen neuen Sprecher einigen" (Tagesspiegel). +++ Die Süddeutsche macht vor, was der Spiegel nach viiielen Kabalen doch nicht macht, meint ungefähr Christian Jakubetz bei newsroom.de. +++

+++ Was war am Europäischen Datenschutztag gestern (Altpapier) los? Deutschland macht sich für Vorratsdatenspeicherung stark (SZ). Und Facebook-Europachef Lord Richard Allan gastierte bei einer nicht-öffentlichen Sitzung im Bundestag (futurezone.at). +++

+++ Weniger schön als in Katar vom Mövenpick zum Hilton zu schlendern: Als Berichterstatter aus dem spanischen Trainingslager des Fußball-Drittligisten Hansa Rostock von einem Bodyguard begleitet zu werden. Nachdem "Scheiß NDR" im Rostocker Stadion auf Plakaten stand und Reporter "bespuckt, beleidigt und mit Bierflaschen beworfen" wurden, "eine traf eine Kamerafrau am Kopf", hat sich der NDR aber dazu entschlossen. Das berichtet die SZ-Medienseite. +++

+++ Außerdem ebd.: Wie Verlagsmedien bei Snapchat auf junge neue Nutzer hoffen, denen sie Werbung zeigen können, ein Verriss ("Armes Südtirol, das hast du nicht verdient") des neuen Südtirol-Krimis der Degeto, den die ARD heute um 20.15 Uhr zeigt, und ein Geburtstagsgruß an "das wandelnde Hawaiihemd" Tom Selleck, das 70 Jahre als wird. +++

+++ Zuschauer sollen "Verbotene Liebe", das künftig nur noch einmal wöchentlich läuft, nun "konzentrierter glotzen" (Tagesspiegel). +++

+++ In der FAZ: Vorn auf dem Feuilleton der Patrick-Bahners-Artikel "Reden Sie niemals mit der Presse!" über die Lage des Investigativjournalismus in den USA ("Präsident Obama hat mehr Verfahren wegen Geheimnisverrats eingeleitet als alle seine Vorgänger zusammengenommen. Gerade der systematische Zugriff seines Justizministeriums hat das Willkürliche dieser Anklagen ins Licht gerückt"). Es geht um Jeffrey Sterling, der wegen Geheimnisverrats schuldig gesprochen wurde. Ein paar Hintergründe in diesem epd medien-Text aus dem Juni 2014. +++

+++ Ferner im FAZ-Feuilleton: "Vom Monopol auf Daten ist abzuraten", ebenfalls großer Artikel von Thomas Hofmann ("Professor für Datenanalytik und Informatik an der ETH Zürich", "war fast acht Jahre bei Google als Entwicklungsleiter tätig") und Bernhard Schölkopf ("einer der Gründungsdirektoren des neuen Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme", "arbeitete in der Forschungsabteilung von Microsoft"): "Mit 'pervasive computing' und dem 'Internet der Dinge' sind wir selbst Teil eines Datennetzes geworden, das die wirkliche und die Online-Welt umspannt und die Verknüpfbarkeit der Daten weiter entgrenzt: Daten darüber, welche Geschäfte ich wann aufsuche (Yelp), vor welchem Regal ich stehen bleibe (Hyper-Lokalisierung), welchen Menschen ich begegne (Bluetooth), welche Fortbewegungsmittel ich nutze (GPS), wann ich aufstehe (Kalender, Weckfunktion), wie ich mein Ei zum Frühstück verspeise (Google Glass). Es gibt keine naturgegebene Grenze, vor der die Datenerfassung haltmachen würde, weil alles schrittweise zur Vorhersagbarkeit und Beeinflussbarkeit menschlichen Verhaltens beiträgt", schreiben die beiden. +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite: die Nachricht, dass David Landau gestorben ist, "einer der wichtigsten israelischen Journalisten". +++ Die "große Medienverschwörung", die Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner aus dem mysteriösen Todesfall des Staatsanwalts Alberto Nisman mache. +++ Außerdem auch ein Verriss des neuesten der zahllosen Krimis der Degeto ("der bewaffnete Arm der ARD"), auch was über Selleck, außerdem die neue Sky-Serie ("Gedreht ... wurden die Innenszenen in der Nähe von London und die Außenszenen in Island. Durch eine jener merkwürdigen Launen der Natur, wie sie auch zur unheimlichen Atmosphäre von 'Fortitude' beitragen, trafen die Dreharbeiten an einem Skiort an der isländischen Ostküste mit dem ersten Winter seit dem Beginn von Aufzeichnungen zusammen, in dem der Schnee - ausfiel"), die auch der Tagesspiegel bespricht. +++

+++ Ein milderes Urteil über "Kripo Bozen"? Hier nebenan. +++

+++ Auch gestorben: der Kölner Journalist Wolfgang Jorzik. "Ob ich mir vorstellen könne, für die 'Kölner Woche' zu schreiben, fragte er mich. Ich antwortete lachend, dass das eigentlich nicht so meine politische Richtung sei. Egal, meinte Wolfgang, es gehe um guten, unabhängigen Journalismus: Wir sollten einfach mal einen Kaffee zusammen trinken" (Nachruf von Frank Überall bei report-k.de). +++

+++ "Aber in den Zeitungen liest man doch einen kritischen Fußballjournalismus." - "Ja, die haben es aber auch etwas leichter, weil sie eben nicht so auf Bilder, auf O-Töne angewiesen sind wie die Kollegen vom Fernsehen. Die Süddeutsche oder die taz haben halt keine Übertragungsrechte ...": Da erklärt Rudi Brückner sein neue Fußballtalkshow "Ultra" bei Tele 5 im TAZ-Interview. +++ Siehe auch Tsp., der außerdem die Zukunft von "11 Freunde-TV" eruiert.  +++

+++ Und die Einschaltquoten der ARD- und ZDF-Sendungen zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz macht der Tagesspiegel zum Thema, nicht ohne Anja Reschkes "Wieso sollten wir ausgerechnet Auschwitz hinter uns lassen?"-Kommentar zu loben. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.