Journalisten als Künstler

Journalisten als Künstler

Mal wirklich frische Ratschläge für die Krisenbranche. Wo man am besten Medien-Subventionen beantragt. Wie Pegida zumindest dem Binnenpluralismus gut tut. Wo wieder ein digitaler Graben klafft. Außerdem: wer in ein neues Amazon investiert, das unkaputtbare Leistungsschutzrecht.

An Ratschlägen für Journalisten in der Krisensituation, in der der Journalismus gewiss steckt, mangelt es nicht gerade. Schon weil zu den besten Ratschlägen an Journalisten wie auch an Verlagsmanager zweifellos gehört, niemals Ratlosigkeit zu zeigen. Dass Journalisten sich als Künstler verstehen sollten, hört man aber dennoch selten. Mit diesem Rat macht Nannenschul-Leiter Andreas Wolfers echt was her.

Das Video, dem der Rat entstammt, verbreitet meedia.de unter der ebenfalls daraus entnommenen Schlagzeile "In fünf Jahren gibt es keine General-Interest-Magazine mehr" (noch einen Tick zugespitzt: " ... sind Spiegel, Focus und Stern tot ..."). Aber was ist dran an der Prophezeiung, künftig müssten Journalisten "auch Künstler und Kuratierer" sein?

Zumindest besticht der gut fünfminütige, unbedingt sehenswerte Film "Quo Vadis Content - Wie funktioniert Journalismus im digitalen Zeitalter?" durch seine eigene, sagenhaft geschlossene künstlerische Form.

Wie die Kamera, während sie Experten wie Wolfers und natürlich den beliebten Journalismus-Professor Stephan Weichert abfilmt, sich zwar ständig bewegt und so die hibbelige junge Zielgruppe anspricht, wie unmerklich sanft all ihre Fahrten zugleich aber ablaufen, so dass auch Silversurfer das Werk problemlos genießen können  - das ist eines Ballhaus' würdig. Ähnlich schön füllt der Film das alte Kunsthandwerk der Maskenbildnerei mit neuem Leben. So rosig-frisch kommen Experten selten rüber. Solcherart in Szene gesetzt, überzeugen dann auch die Botschaften umso mehr. Etwa wenn Weichert wieder "alternative Finanzierungsformen" für den Journalismus empfiehlt, vor allem "Subventionen", also "Stiftungen, Mäzenaten, Spenden".

Tatsächlich handelt es sich bei diesem "Backyard TV" um ein Projekt von nextmedia-hamburg.de (offizielle Schreibweise: "nextMedia.Hamburg"), einer "Standortinitiative der Hamburger Digital- und Medienwirtschaft", "gemeinsam getragen und gestaltet vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Verein Hamburg-@-work (e.V.), der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung und engagierten Unternehmen". Wer Subventionen für irgendwas mit Medien möchte, sollte Hamburg unbedingt in den Blick nehmen.

Falls Sie Hamburg noch nicht kennen und sich beim Filmgucken nach der stylishen Kulisse fragten (oder ob die hanseatischen Standortförderer Ken Adam beauftragt haben, noch mal bigger than life einen adäquaten Set zu errichten): Nö, gefilmt wurde im real existierenden Gruner + Jahr-Sitz am Hamburger Hafenrundfahrts-Hafen.

[+++] Damit in die Wirklichkeit, in der nicht alles so rosig aussieht. Das Gerücht, dass der Verlag irgendwoanders hinziehen muss, damit die nur noch aus Traditionsgründen an zweiter Position des Verlagsnamens genannte Ex-Verleger-Familie die schöne Immobilie an Unternehmen aus renditestärkeren Branchen vermieten kann, kennen Sie.

Wo die Jahrs erst mal etwas vom im November überwiesenen Geld investiert haben, berichtet Stephan Dörner: ins "Amazon des B2B-Handels", das nämlich "Waren für den Industrie- und Handwerkerbedarf" online verkauft. Bzw., so einfach ist es auch nicht, in eines von mehreren Start-ups, die sich so eine Entwicklung erhoffen. So wie sich einst John Jahr sr. und Richard Gruner zusammentaten, so sind auch jetzt weitere hanseatische Medienunternehmer mit an Bord:

"Die Verlegerfamilie Jahr, die sich kürzlich von ihren Anteilen am Verlag Gruner + Jahr getrennt hat, hat sich über die familieneigene Jahr Assetmanagement GmbH an Contorion beteiligt, der Bauer-Verlag über den Bauer Venture Fund",

steht bei wsj.de  - also beim Wall Street Journal Deutschland, das Ende dieses Jahres seinen Betrieb einstellen wird (Altpapier). Klicken Sie noch mal hin.

####LINKS#### [+++] Harter Schnitt. Pegida-Diskussion. Gestern schrieb FAZ-Schlachtross Jasper von Altenbockum im S.1-Leitartikel "Pegida ist ein anderes Wort für die Sehnsucht nach politischer Führung" (inzwischen frei online, bloß ohne die Print-Überschrift).

 

"Doch, man darf Pegida pauschal verurteilen!", leitartikelt das Feuilleton heute zurück. "Je pauschaler diese Zurückweisung, desto besser", sagt Christian Geyer sogar. Sein Text (S. 11) richtet sich eher gegen etwas, das Sigmar Gabriel der der Bild-Zeitung sagte, und gegen "klügelnde Reden", die der Philosoph Byung-Chul Han schwang ("schwingt", schreibt Geyer tatsächlich; es geht wohl um diesen SZ-Beitrag), als gegen Altenbockum. Aber der Beweis, dass Binnenpluralität, auch dann oder gerade wenn unterschiedliche Ressorts die Fraktionen bilden, ein Medium belebt, gelangt der FAZ mal wieder.

Frank Lübberdings wiesaussieht.de reagiert mit einer Gast-Reportage Benjamin Preislers, eines "politischen Analysten", auf Altenbockum. Und während die TAZ ihren geschriebenen Witz zwar locker bei Urban Priol (Dieter Nuhr?) einreichen kann, die Veröffentlichung auf der Titelseite aber vielleicht noch mal überschlafen hätte, öffnet Sascha Lobo bei SPON die Debatte in dem Sinne, dass, wer Pegida kritisiert, dennoch Pegida-Kritik nicht pauschal gut finden muss:

"Der zuverlässig wirr redende SPD-Innenminister Ralf Jäger erklärte zum Beispiel, die Organisatoren seien 'Neonazis in Nadelstreifen'. Der Kopf von Pegida, der gelernte Koch Lutz Bachmann, ist vor einer Haftstrafe nach Südafrika geflohen, saß wegen Einbruch zwei Jahre im Gefängnis und verbüßt aktuell eine Bewährungsstrafe wegen eines Drogendelikts. Weniger Nadelstreifen geht gar nicht. Weil sich aber die Quatsch-Alliteration so geschmeidig anhört wie ein Bestsellerbuchtitel, hat die Wendung ... sogar international Karriere gemacht, der 'Guardian' schrieb in nochmaliger, noch falscherer Verdichtung über 'pinstriped nazis'",

obwohl da ja nicht mal mehr die Alliteration funktioniert.

"'Das Volk ist leider oft dumm', schrieb Franz Josef Wagner im Zentralorgan der Volksdummheit" ist noch ein großer Satz, und mit der einleitenden Beobachtung "Pegida ist eines der bisher wenigen Politphänomene in Deutschland, die Online wie Offline funktionieren", gleich weiter zum nächsten Thema.

[+++] Der "digitale Graben" - das "Loch, das zwischen analoger Welt und digitalisierten jungen Menschen klafft und das offensichtlich schwer zu überwinden ist", klafft eben beileibe nicht immer dort, wo man es gern hätte.

Der Grund, aus dem Claudia Tieschky den Begriff heute in den Diskurs wirft, ist ein völlig anderer: die gerade (Altpapierkorb gestern) bekannt gewordene Insolvenz des Senders Joiz, der im Internet wie im klassischen Fernsehen sein Publikum suchte. Im TV sei zuletzt ein "Marktanteil von 0,03 Prozent bei den 14- bis 29-Jährigen" gemessen worden, woran man aber zweifeln können. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg "springt" dem "Social-TV-Sender", wie sie ihn nennt, "zur Seite (dwdl.de) und beklagt:

"Die Messsysteme für Radio- und Fernsehprogramme werden von großen öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstaltergruppen dominiert. Sie bilden neue Angebote und insbesondere solche mit jugendlichen Zielgruppen unzureichend ab und benachteiligen diese bei der Werbevermarktung."

Das sollte "ein Weckruf für die gemeinsamen Organe KEK und ZAK der Medienanstalten sein", ruft Hans Hege, der jahrzehntelange MABB-Direktor, dessen in diesem Jahr lang gesuchter Nachfolger (Altpapier) im neuen dann antreten wird.

Als Veteran der Medienwacht weiß Hege natürlich, dass seine vielen Kollegen schon ganz andere Weckrufe besonnen in Aktenordner einheften ließen. Aber die Idee, "die strikte Sicherung der Netzneutralität für audiovisuelle Medien" zu fordern, war noch mal eine gute.
 


Altpapierkorb

+++ Der bisher instruktivste Medienseiten-Artikel zur Deutsche Welle-Frage steht heute in der TAZ. Jens Twiehaus umreißt "das Dilemma der rund 3.000 MitarbeiterInnen", bzw. sind's mehrere Dilemmata. Einerseits ist der Sender im Inland notwendigerweise kaum bekannt, andererseits schieße er sich ins Bein, wenn er kaum mehr auf deutsch senden würde (sagt der Personalratsvorsitzende), dritterseits nutzten "lediglich 250.000 Zuschauer pro Woche ... die deutschen TV-Angebote, aber 30 Millionen die englischen", vierterseits sei es ein "Großmannssucht-Syndrom", wenn die DW nun mit BBC und CNN konkurrieren möchte, meint Twiehaus. +++ "Englisch ist die Amtssprache der Welt", meint Joachim Huber (Tagesspiegel) und hält die DW irgendwie für bereit für den "globalen 'Infokrieg'". +++ Ungewohnt unentschlossen: Michael Hanfeld auch heute wieder dazu in der FAZ ("Die Deutsche Welle spricht die Sprache des Geldes"). +++

+++ Kaum hat dwdl.de einen weiteren seiner Goldenen Günter, den "in der Kategorie 'Unfreiwilliger Bumerang des Jahres'", an "das Leistungsschutzrecht und seine geistigen Väter, die deutschen Verlage", verliehen, verleiht der real existierende Günther, also Digitalwirtschafts-Kommissar Oettinger, seinem "Wunsch nach einem EU-weiten Leistungsschutzrecht für Presseverleger" Ausdruck . Das berichtet die Piratin Julia Reda aus Europa. +++ "Spanien ohne Nachrichten" ist in ungefähr diesem Zusammenhang eine bemerkenswert blöde Überschrift auf der SZ-Medienseite (allerdings nur über einer 13-zeiligen Meldung). Keine Nachrichten mehr, weil Google keine mehr aggregiert? Frei online und sinnvoll aufbereitet gibt's das Wesentliche zur spanischen Google News-Frage beim Standard. +++

+++ "Eine Viertelmillion Euro aus eigener Tasche hat er bislang in sein Projekt gesteckt, gerade hat er ein Haus verkauft, um den Laden am Laufen zu halten. Die Bezahlschranke der Internetseite wirft nicht viel ab, Zusagen für finanzielle Unterstützung aus Europa haben sich nicht materialisiert, und die 20.000 Dollar, die er anfangs von den Briten und Amerikanern bekommen hatte, um libysche Journalisten auszubilden und zu trainieren, sind lange verbraucht ...": Da stellt Paul-Anton Krüger auf der SZ-Medienseite den Libya Herald vor, die Michel Cousins 2012 gründete. +++

+++ Hat Anne Wills Talkshow gestern nacht die Debatten beflügelt? Sie hat zumindest gezeigt, "wie der politische Diskurs kaum noch etwas mit der Lebenswelt der Menschen zu tun hat", leitet Frank Lübberding bei faz.net mit Beispielen aus sauer- und siegerländischen Lebenswelten her. +++ Sie verzettelte sich "zwischen merkwürdigen Unterscheidungen, Zuständigkeitswirrwarr und abstrakten politischen Gedankengebäuden" (Tim Slagman, welt.de). +++

+++ Barrett Brown (AP vom Dienstag) muss bis zum 22. Januar auf sein Urteil warten, meldet die FAZ auch ("... Die Verteidigung bezeichnete Brown dagegen als investigativen Journalisten, der nur einen Link zu gestohlenen Daten gepostet habe. Diese hätten schon auf einer öffentlich zugänglichen Domain im Netz gelegen ..."). +++

+++ Den Radiosender Echo Moskau, "eine der letzten Bastionen freier Meinungsäußerung in Russland", stellt die BLZ vor. +++

+++ Fernsehpläne des RBB (neues "Polizeiruf 110"-Team, vielleicht ein deutsch-polnisches, Ideen für Kurt Krömers Sendeplatz) skizziert der Tsp.. +++ Außerdem geht's dort um die #SchauHin-Initiative auf Twitter, die auch das Hashtag "#YallaCSU" ersann. +++

+++ Eine deutschsprachige Forbes-Ausgabe, aber nur für Österreich, ab April kündigt der Standard an. +++

+++ Wegen einer globalen Fernsehproduktionsfirmen-Fusion entsteht auch in Deutschland die neue "Endemol Shine Group". Zu den Tochterfirmen und Joint Ventures gehören "Endemol beyond, META productions, Florida TV, Herr P. GmbH und Wiedemann & Berg Television" (dwdl.de), die Sendungen "wie 'Big Brother', 'Bitte melde Dich', 'Circus HalliGalli' und 'Wer wird Millionär' sowie 'Got to Dance'" herstellen (wuv.de). +++

+++ Und an der Zeit-Magazins-Meldung von Eberhard Feik als Stasi-IM sei nichts dran, sagte dessen Witwe Annelie Feik der DPA (Tagesspiegel). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.