Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Medienpolitik in Straßburg, Israel und Nordrhein-Westfalen; ein Offener Brief an Julia Jäkel; weit ausholende Kritik an der Ukraine-Berichterstattung. Außerdem: Hat das ZDF ein „Herz für Attentäter“?

Die Fotografenorganisation Freelens und das Europäische Parlament sind unterschiedlich einflussreich im Kampf mit sehr mächtigen globalen Medienwirtschaftsunternehmen. Am Donnerstag haben sie auf diesem Feld auf jeweils ihre Weise agiert. „Liebes Facebook, wir müssen reden ...“, schreibt Lutz Fischmann, der Geschäftsführer von Freelens, in einem Offenen Brief. Der Anlass: Nazis veröffentlichen dort Gewaltaufrufe gegen bzw. „Steckbriefe“ von Fotografen, und die Macher des Gesichtsbuchladens unternehmen dagegen nichts. Was Nazis angeht, haben Fotografen derzeit ja viel zu berichten, insofern ist es nicht verwunderlich, dass erstere, die in der Offline-Welt bekanntlich recht rabiat vorgehen gegen Menschen mit Kameras (siehe eines der Post-HoGeSa-Demo-Altpapiere), online ihrem Ruf gerecht werden. Fischmann schreibt:

„Wenn die Verletzung von Persönlichkeitsrechten und der Aufruf zur Gewalt schon nicht gegen deine ‚Gemeinschaftsstandards‘ verstoßen, möchten wir dich darüber informieren, dass es in Deutschland Gesetze gibt, die solche Taten untersagen – egal, ob du dein ‚Facebook-Recht‘ anwenden willst oder nicht.“

[+++] Das EU-Parlament hat a bisserl mehr Macht als Freelens, und dennoch handelt es sich bei dem Antrag, den es am Donnerstag unter anderem in Suchmaschinen verabschiedete (Vorgeschichte siehe Altpapier), um „eine nicht bindende Resolution“, wie zum Beispiel taz-Europakorrespondent Eric Bonse betont. Michael Hanfeld (FAZ) ist dennoch happy:

„In Straßburg hat das Lobbying von Google wohl nicht so gut funktioniert. Anders als in Brüssel bei der EU-Kommission und anders als in Berlin, wo der Digitalverkehrsminister Alexander Dobrindt immer noch an einen Wettbewerb glaubt, den es nicht gibt, scheinen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments (...) ein Monopol noch zu erkennen, wenn sie eins sehen (...) Auf wen genau sich das Interesse richten soll, wird zwar nicht gesagt, aber es ist klar, wer gemeint ist: Google.“ 

Die taz erinnert in dem oben bereits zitierten Artikel noch einmal daran, wie „die Resolution zustande kam“:

„Sie wurde von dem spanischen Abgeordneten Ramon Tremosa und dem deutschen CDU-Politiker Andreas Schwab vorangetrieben. Beide kommen aus Ländern, die – nicht zuletzt auf Druck heimischer Verleger wie Axel Springer – die enorme Marktmacht von Google brechen wollen (...) Das Europarlament schwenkt nun auf die deutsche Linie ein – wenn auch verklausuliert. Die Kommission müsse verhindern, dass Suchmaschinen ihre ‚dominierende Stellung‘ auf dem Markt missbrauchten. Ziel müsse es sein, „Suchmaschinen von anderen kommerziellen Diensten zu entkoppeln“ (...)“

Johannes Boie unterscheidet in seinem Kommentar für SZ.de „zwischen den Angelegenheiten der Kommission und der Entscheidung des Parlaments“:

„Das Verfahren der Kommission ist ein mehr oder weniger normaler, bürokratischer Prozess, in dem Google Änderungen an seinen Produkten vorgenommen hat, um in dem Verfahren Boden gutzumachen und seine Gegner zu beruhigen (...) Das Verfahren (,,,) ist bislang offen, niemand weiß, was am Ende passieren wird. Doch das Parlament versucht, der Kommission eine Entscheidung gegen Google aufzuzwingen, bevor das Verfahren überhaupt abgeschlossen ist. Emotionen drohen das eigentliche Verfahren zu überlagern.“

Weitere Texte gibt es etwa bei netzpolitik.org, wo aber andere Aspekte des Entschließungsantrags als die „gerade in den Medien hochgehypten Wünsche nach einer Google-Regulierung“ im Mittelpunkt stehen, und Spiegel Online („Die Entflechtung von Unternehmen ist im europäischen Wettbewerbsrecht nicht unüblich, beispielsweise in der Energiebranche“).

[+++] Wie in der Resolution des EU-Parlament ist auch in einem Gesetz, über das das israelische Parlament am vorvergangenen Mittwoch erstmals abgestimmt har, der eigentliche Adressat nicht konkret erwähnt. Das „Gesetz zur Förderung und zum Schutz des Textjournalismus in Israel“ werde in „in der Öffentlichkeit auch ‚Israel-Hayom-Gesetz‘ genannt, weil es ausschließlich die gleichnamige Zeitung treffen würde“, berichtet die Jungle World:

„Es geht um eine Reglementierung von kostenlosen Zeitungen, die ‚sechs Tage pro Woche erscheinen und an Wochentagen mindestens 30 Seiten und an Wochenenden 100 Seiten umfassen‘, wie es im Gesetzestext heißt. Dies trifft auf genau eine Zeitung in Israel zu (...)Das betroffene Medium müsste laut Gesetzentwurf zukünftig aber einen Preis erheben, der nicht unter 70 Prozent des Preises der Zeitung mit dem niedrigsten Preis und der größten Verbreitung liegt. Israel Hayom müsste somit nicht das Erscheinen einstellen, wäre aber keine kostenlose Zeitung mehr und würde deshalb vermutlich einen großen Teil der Leserschaft einbüßen. Dieser Eingriff in den Pressemarkt zuungunsten einer einzigen Zeitung wäre für ein westliches Land (...) einmalig.“

[+++] Nach der  europäischen und der israelischen Medienpolitik kommen wir nun zur deutschen. Der Lieblingsschurke der FAZ auf diesem Feld ist nicht erst seit gestern - siehe diesen Artikel aus dem Frühjahr 2013 und ein Altpapier aus diesem Sommer - der nordrhein-westfälische Sozialdemokrat Marc Jan Eumann, weil er die Journalismus-Stiftung „Partizipation und Vielfalt“ ausgeheckt hat, die, wie Reiner Burger heute schreibt, „SPD und Grüne mit dem neuen Mediengesetz ins Werk gesetzt haben“. Er meint:

„Man kann in der Stiftung (...) den schlimmsten Webfehler der Medienrechtsnovelle sehen. Denn mit rot-grüner Mehrheit zwingt der Staat die staatsferne Einrichtung LfM, 1,6 Millionen Euro aus ihrem (aus dem Rundfunkbeitrag gespeisten) Etat für ein medienpolitisches Prestigeprojekt des Staatssekretärs Eumann zu geben.“

Man kann das aber auch ganz anders sehen, nämlich so wie Horst Röper in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der bei der ARD-Werbung Sales & Services GmbH angesiedelten Zeitschrift Media Perspektiven:

„Kleine Redaktionen tun sich schwer, Redakteure zur Weiterbildung freizustellen. Gerade für neuere Anforderungen des mindestens bimedialen Arbeitens für Print und Online oder für neue Formen der Berichterstattung besteht Weiterbildungsförderungsbedarf.“

Bislang sei „nur eine Landesregierung zur Förderung bereit“, beklagt Röper mit Blick auf NRW. Der Zeitungswissenschaftler sieht den „Webfehler“ (Burger) eher darin, dass das Ganze viel zu klein gedacht ist. Wenn man über Fördermaßnahmen nachdenke, müsse man mehr im Blick haben. Aber:

„Bei einem Jahresetat von 1,6 Millionen Euro sind die Grenzen eng gesteckt. Bestandsgefährdungen von Medien lassen sich mit solchen Etats nicht abwehren.“

####LINKS####[+++] Da wir bei der FAZ sind: Als Symptom der Krise bei großen Zeitungen geriet zuletzt die Entscheidung der Frankfurter in den Blick, im Feuilleton die Comics abzuschaffen. Ausführlich ist darauf u.a. Georg Seeßlen im Freitag eingegangen - wobei er sich auch mit der „Geschichte der Zeitungscomics“ befasste. Als Anschlusslektüre bietet sich ein in der Dezember-Ausgabe von konkret erschienener Text an, der eine Gesamtausgabe von Winsor McCays „Little Nemo“ würdigt. Der (derzeit online nicht verfügbare) Artikel führt uns in die Nuller Jahre des 20. Jahrhunderts, als McCay für das New York Evening Telegram und den New York Herald arbeitete: „Für sein monatliches Arbeitspensum, Lizenzverkäufe eingeschlossen, konnte McCay 4.000 Dollar monatlich einstreichen. Zum Vergleich: Das Proletariat musste damals versuchen, mit durchschnittlich neun Dollar die Woche zu überleben (...)" Das enorme Honorar sei zu jener Zeit durchaus üblich gewesen, schreibt Sven Jachmann. Denn: „Die Comiczeichner galten als die Aushängeschilder der Gazetten.“

 

Wer jetzt neugierig geworden ist, muss allerdings 150 Euro übrig haben. Vergleichsweise günstig (99,99 Euro) ist dagegen ein anderes Taschen-Verlagsprodukt: die von Willi Winkler im SZ-Medienseitenaufmacher empfohlene Coffee-Table-Ausgabe von Norman Mailers „legendärer“ Esquire-Reportage „JFK. Superman kommt in den Supermarkt.“

[+++] Nicht auf der SZ-Medienseite, sondern im Vermischten erschien am Donnerstag ein Artikel, der die Frage aufwirft, ob die Hamburger Polizei „gegen die Pressefreiheit verstoßen“ hat. Es geht um den Einsatz einer verdeckten Ermittlerin in der Redaktion eines Radiosenders, also eine allem Anschein nach nicht verfassungskonforme Aktion (siehe #floragate bzw. dieses Altpapier). Der Text steht mittlerweile online, und zwar im Politikressort.

[+++] Langsam beginnt ja die Zeit der der Rückschauen. Bei Telepolis ist in dieser Woche bereits ein „Rückblick auf ein besonderes Jahr für den Kriegs- und Krisenjournalismus“ erschienen. Es geht um die Ukraine-Berichterstattung. Ein „Warnsignal“ für den Medienrezipienten sollte grundsätzlich die „aggressive Personalisierung bei der Beschreibung gesellschaftlicher Probleme“ sein:

„Wenn Menschen, die sich professionell mit Politik beschäftigen, seien es Journalisten oder Politiker, auch nur versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass ein manifester gesellschaftlicher Missstand maßgeblich von einer einzelnen Person verantwortet wird, sollte man ihnen sofort das Misstrauen aussprechen und das Abonnement kündigen. Eine derartig defizitäre Problembeschreibung ist nicht einfach beleidigend unprofessionell, sondern dient in der Regel dazu, von anderen, verdeckten Interessens- und Konfliktlagen abzulenken. Politik ist organisiertes Gruppenhandeln. Die offensive Stigmatisierung einzelner gegnerischer Repräsentanten zielt darauf ab, einen Konflikt zu eskalieren.“

Meine Abhandlung zur Kritik an der Ukraine-Berichterstattung von ARD und ZDF in der neuen Funkkorrespondenz reicht ebenfalls weiter zurück - unter anderem zu diversen Podiumsdiskussionen und Programmbeschwerden der letzten Monate. Um die Kritik an der Kritik geht es auch.

[+++] Aus anderen Gründen einen kritischen Blick auf die öffentlich-rechtliche Krisen-Berichterstattung wirft Georg M. Hafner, der frühere Redakteur des Hessischen Rundfunks. In der Jüdischen Allgemeinen kritisiert er unter der Überschrift „Ein Herz für Attentäter“ unter anderem einen Beitrag des „heute-journals“ zum Massaker in einer Jerusalemer Synagoge in der vergangenen Woche:

„Zwei junge Palästinenser metzeln mit einer selbst für den Nahen Osten bemerkenswerten Brutalität vier ahnungslose, ins Gebet vertiefte Männer in einer Synagoge mit Äxten und Messern nieder, samt einem Wachmann, der die Betenden nicht mehr schützen konnte. Jeder mittelbegabte Polizeianwärter im ersten Ausbildungsjahr hätte die Frage, wer hier wen ermordet hat, rascher beantwortet als die Reporterin des ‚heute-journal‘ im ZDF. Sie rätselte: ‚Wer ist Täter, wer ist Opfer?‘ War sie nicht auf dem letzten Nachrichtenstand? Doch, doch, das war sie; sie war sogar vor Ort.“

[+++] Welcher Text wird in der Filter Bubble der meisten Altpapier-Stammleser an diesem Wochenende sehr oft auftauchen? Ein bei Newsroom zu findender Offenen Brief, den die 56-jährige Geo-Teilzeit-Redakteurin Gabriele Riedle aufgrund ihrer bevorstehenden Kündigung (Hintergrund: siehe Altpapier) an Gruner-+Jahr-Chefin Julia Jäkel geschrieben hat:

„Kann sich eigentlich jemand vorstellen, wie es ist, nicht etwa nach dem Abschluss der Journalistenschule, sondern Ende 50 damit anfangen zu müssen, Klinken zu putzen? Oder wie es ist, nicht mit Ende 20 oder so, sondern mit 57..63...65 von der Hand in den Mund leben zu müssen? Und wie es überhaupt ist, in meinem Alter plötzlich vor dem Nichts zu stehen? Ohne Vermögen, ohne auch nur die allergeringsten Strukturen, Sicherheiten und Perspektiven, vollkommen auf sich alleine gestellt (...)“

Wobei man vielleicht anmerken sollte: Armut ist auch für Journalisten, die Ende 20 oder so sind, nicht unscheiße. Riedle weiter:

„Arbeit ist ja nicht nur der Tausch von Dienstleistungen gegen Geld, sondern da ist immer auch etwas Familienartiges, im Guten wie im Problematischen. So viele Menschen, die mir letztlich verloren gehen werden. Nicht, weil etwas Schönes und Neues kommt, sondern durch – ich muss das so sagen: einen Akt der Gewalt.“

Eine Zusammenfassung steht in der taz.


Altpapierkorb

+++ Der Freistaat Bayern hat zwar „objektiv rechtswidrig“, aber dennoch „nachvollziehbar“ gehandelt, als er eine Auflage der historischen Wochenzeitschrift Zeitungszeugen beschlagnahmen ließ, „weil ihr Auszüge aus der NSDAP-Zeitung Völkischer Beobachter beilagen“ - die SZ über eine Entscheidung des OLG München (siehe auch Spiegel Online).

+++ Medien sollten „Flüchtlinge nicht nur als Opfer darstellen“. Das hat die Soziologin Marion Lillig gerade bei einer Veranstaltung der Grimme-Akademie gesagt (EPD).

+++ Nicht unähnliches Thema: Stereotypisierungen von Afrikanern und Muslimen insbesondere in der TV-Berichterstattung kritisiert der Journalist René Aguigah in einem Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.

+++ Nachgetragen sei noch eine Kritik an Robin Detjes Kritik an #Ulfharaldjanmatthias (siehe Altpapier):  Diese sei ein Beispiel für „Typenfeminismus“ (Sanczny).

+++ Unschön: „Twitter starts tracking which other apps are on its users' phones“ (LA Times).

+++ Wohlmeinende Rückblicke auf die Toleranzwoche der ARD finden sich in den kirchlichen Mediendiensten. Thomas Gehringer (epd medien) geht dennoch ausführlich auf die „gründlich missratene“ bzw. im unguten Sinne legendäre „Horizonte“-Sendung vom vorvergangenen Sonnabend ein (siehe Altpapier). Brigitte Knott-Wolf (Funkkorrespondenz) sah eine „Festwoche für dokumentarische Formate“.

+++ Dokumentarische Formate am Wochenende: Claudia Tieschky (SZ) findet die „Deutschland-Saga“ gut, die der - gelinde gesagt - umstrittene Historiker Christopher Clark am Sonntag im ZDF präsentiert. Jürn Kruse stellt für die Funkkorrespondenz (und für die taz) artes multimediales Großprojekt „Polar Sea 360°“ vor, dessen einführende Dokumentation am Samstag zu sehen ist. Ebenfalls in der FK: Ein Blick auf das arte-Programm 2015 (von mir).

+++ Dokumentarische Formate in der kommenden Woche: Altpapier-Althase Matthias Dell lobt im Freitag „Schauprozesse. Genossen vor Gericht“ (Dienstag, RBB). Der Film - heute im Übrigen schon in der Akademie der Künste zu sehen - „erzählt eine kleine Geschichte des Schauprozesses als inszenierter Machtdemonstration aus der Zeit des Stalinismus“.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.