Cordt Schnibben erzählt uns, wie es wirklich war mit Wolfgang Büchner - beziehungsweise präsentiert uns zumindest eine öffentlich unterrepräsentierte Version der Geschehnisse. Bei Spiegel TV senden sie demnächst Krankenkassen-Fernsehen. Ein 68-jähriger Medienanstaltsdirektor wartet schon seit Monaten darauf, dass er endlich seinen Ruhestand genießen darf. Außerdem: Verhält sich Schirrmacher zu Kaube wie Schröder zu Merkel?
Am Donnerstag ist ein neuer Spiegel erschienen. Nö, kein reguläres Heft natürlich, aber eines, das so aussieht: die „Chronik 2014“. Da an dieser Stelle immer mal wieder die Forderung anklang, Inhalte wichtiger zu nehmen als Personalien-Theaterdonner und Betriebsklimadiagnosen, steht diese Sonderausgabe heute am Anfang. Und, was soll man sagen? Ist ganz ordentlich geworden, wenn man bedenkt, dass Jahresrückblickshefte in der Regel wie Valium wirken. Unten den Artikeln mit direktem medienkolumnistischen Bezug ist einer von Beate Lakotta, die den Shitstorm beschreibt, in den sie geriet, weil sie in der Causa Mollath andere Ansichten vertrat als fast alle sonst damit befassten Kollegen.
####LINKS####Die erstaunlichste Information liefert allerdings eine ganzseitige Anzeige in mehr oder weniger eigener Sache. Beworben wird dort „Weiter gedacht“, „der neue Gesundheitskanal der Barmer GEK und Spiegel TV“, der am kommenden Montag startet. Hm, Spiegel TV macht gemeinsame Sache mit einer Krankenkasse? Im Februar stand noch bei Spiegel Online: „Etwa 3500 Stellen will die Barmer GEK streichen, die Anzahl der Geschäftsstellen soll halbiert werden. So sollen bis zu 300 Millionen Euro gespart werden.“ Jetzt weißt man ja, wofür ein Teil des eingesparten Geldes vielleicht verwendet wird, nämlich für Corporate Broadcasting im Reich des Spiegel, aber man weiß natürlich nicht, wie sie im Reich des Spiegel künftig darüber berichten, wenn die Barmer GEK mal wieder Stellen streicht.
Über einen anderen neuen Spiegel-TV-Kanal informiert nicht eine Anzeige im Heft, sondern eine Pressemitteilung.
Gesonderte Erwähnung wert ist noch ein kleiner Text des Chronik-Hefts, der der Trauerfeier für Frank Schirrmacher gewidmet ist. Darin heißt der dort anwesend gewesene Ex-Piraten-Politiker Christopher Lauer überraschenderweise Christian (S. 160). Man kann das erwähnen, weil es im Spiegel äußerst selten passiert, dass einem Politiker ein falscher Vorname zugeordnet wird. Aber als der Artikel produziert wurde, waren Schlussredaktion und Dokumentation wahrscheinlich gerade damit beschäftigt, sich über Wolli Büchner zu ärgern,
Solche Fehler werden künftig nicht mehr vorkommen, denn diese „Art Seifenoper“ (SZ), in der Büchner eine Hauptrolle spielte, ist ja nun seit gestern vorbei. Der instruktivste Beitrag steht bei der renommierten Debattenplattform Facebook, wo sich Cordt Schnibben „in eigener Sache“ äußert. Wer nicht so gern in den Gesichtsbuchladen reinschaut, für den fasst Springers Welt die „Abrechnung“ der „Reporterlegende“ zusammen. Auch bei faz.net gibt es einen kurzen Remix.
Schnibben liefert in dem langen Text unter anderem Anekdötchen aus der Titelproduktion. Man erfährt, dass Büchner ein Chefredakteur war, der sich der „Cover-Gestaltung des Heftes nur in Viertelstündchen widmete: So entstand mal eben ‚Stoppt Putin jetzt!‘ und endete als Rüge vorm Presserat.“
Der bald gehende Noch-Geschäftsführer Ove Saffe wird auch verarztet:
„Wer glaubt, nur mit administrativen und machiavellischen Mitteln den Journalismus digitalisieren zu können, ist ein Mann von gestern. Wer glaubt, solch einen Mann an die Spitze von 400 leidenschaftlichen und kritischen Print- und Onlinejournalisten setzen zu können, hat den Fehlgriff seines Lebens zu verantworten. Sorry!“
Nun soll es ja auch vor Büchner Spiegel-Chefredakteure gegeben haben, denen das Machiavellische nicht fremd war, aber im Unterschied zu ihnen hatte er wohl nicht einmal einen Plan, sondern bloß ein „Strukturpapierchen“. Folgt man Schnibben, haben nicht ein paar altsäckige Digitalphobiker die „Verzahnung“ von Print und Online verhindert, wie ungefähr jeder und sein Hund in den letzten Monaten geschrieben haben, sondern Büchner:
„Bevor (er) antrat, war das Feld der Verzahnung zwischen Print und Online bereitet: In drei Arbeitsgruppen hatten Spiegel Online und Spiegel-Redakteure Konzepte erarbeitet für die Zusammenarbeit zwischen beiden Redaktionen, für ein Paid-Content-Modell, für neue digitale Produkte. Statt auf dieser Basis zusammen mit beiden Redaktionen weiter zu arbeiten, hat Büchner eine Strategie voran getrieben, die bis heute nur ein paar Getreue verstehen. Die App ausbauen, okay, und Spiegel-Texte auf Spiegel Online kostenpflichtig machen und so fürs Heft und ein Abo werben. Das war alles. Wenn man ihn oder die anderen Überzeugten fragte, wie so – wie von ihnen versprochen – 100 000 bis 200 000 neue Abonnenten gewonnen werden sollen, zuckten sie mit den Achseln und sagten, das seien ‚strategische Zahlen‘ (...) Erkenntnisse aus der digitalen Welt, die seinem Konzept widersprachen, interessierten ihn nicht.“
Schnibben wirft Büchner also vor, dass er genau jene Fähigkeiten, die jeder und sein Hund stets besungen haben, eben nicht hatte. Man kann Schnibbens Text auch als eine Abrechnung mit einem kompletten Milieu verstehen: mit all den „Beratern“, Gauklern, Wanderpredigern und Wissenschaftlern, die außer ein paar Begriffen aus Floskelwolkenkuckucksheim („Change-Management“) nicht viel zu bieten haben und denen kein Normalverbraucher einen Gebrauchtwagen abkaufen würde, aber ungefähr jeder zweite Medienjournalist abkauft, dass sie eine große Ahnung von der Zukunft des Journalismus haben.
Letzteres erklärt zumindest zum Teil, dass in der Berichterstattung über die Vorgänge beim Spiegel die Erzählung vom Kampf zwischen dem Modernisierer Büchner und den Fortschrittsverweigerern aus der Print-Redaktion dominierte. Aufgrund dieser Literarisierung des Konflikts hätten seine Kollegen und er jeden Tag „vor Wut in die Tischkante gebissen“, schreibt Schnibben. Ende September hat er seinen Ärger über die Berichterstattung schon einmal kundgetan, auch damals auf Facebook.
Weitere Einschätzungen, etwa zum Saffe-Aspekt, stehen bei Ulrike Simon in der Berliner Zeitung:
„Saffe (hat) sich bis zuletzt an Büchner geklammert (...), und sei es, indem er ihn als eine Art ‚technischer Direktor‘ bei sich im Verlag andockt. Er wollte die in seinen Augen dann endgültig unführbare Redaktion unter keinen Umständen obsiegen lassen. Lieber riskierte er sein eigenes Amt.“
Und Jörg Seewald (Zeit Online) interpretiert:
„Manche (Redakteure) meinten, dass (Büchner) nur der verlängerte Arm der Geschäftsleitung war, für die er die Schmutzarbeit im redaktionellen Umbauprozess erledigen sollte. Vielleicht so wie in einem Profiverein die Spieler auch zu ahnen meinen, dass der Trainer nichts zu sagen hat, weil eigentlich der Präsident bestimmt, wer spielt und wer verkauft wird. Dieser Logik folgend muss nun auch der Geschäftsführer Ove Saffe den Spiegel verlassen.“
Der letzte Satz verwirrt, denn ist in diesem Bild, das von Seewalds aktuellem Hauptjob inspiriert sein könnte, nicht Saffe der „Präsident“?
Die oben schon zitierte SZ schreibt über den Top-Nachfolgekandidaten Klaus Brinkbäumer, einen „Hobbysegler“ (Berliner Zeitung), der wie sein mutmaßlich künftiger Co-Chef Florian Harms „noch nicht inthronisiert“ ist (meedia.de):
„Spekuliert wird nun, ob er sich womöglich eine Frau als Stellvertreterin in die Führung holt.“
Wobei: Ein Mann als Stellvertreterin wäre genderpolitisch interessanter.
Dass Büchner, der „mit 15 Monaten der am kürzesten agierende Chefredakteur des Spiegels“ gewesen sei, bemerkt der Tagesspiegel. Allerdings: Beim Stern gab es mal einen Chefredakteur, der nur sechs Monate geschafft hat. Dessen Ende hat wer damals auf die allersüffigste Art beschrieben? Natürlich der Spiegel.
Was haben wir noch? Eine Mail, die der Betriebsrat von Spiegel Online an alle im Haus verschickte, die es angeht - und die bei meedia.de und faz.net gelandet ist. Zu lesen ist in dem internen Schreiben Folgendes:
„Die höchst unterschiedlichen Arbeits- und Vertragsbedingungen müssen angeglichen werden. Nach wie vor besteht ein Gefälle bei Einkommen und Sozialleistungen innerhalb des Hauses.“
Die Mail findet auch gegen Ende des Print-Textes von Michael Hanfeld Verwendung. Der macht aber noch ganz andere Fässer auf:
„Die Frage ist (...), ob beim Spiegel (Umsatz 2013 rund dreihundert Millionen Euro, Auflage 890 000 Exemplare) allen klar ist, in welcher Lage sich der Verlag wirklich befindet. Er steht nämlich davor, mittelfristig rote Zahlen zu schreiben.“
Im kommenden Jahr, weiß Hanfeld, stünden „als Ultima Ratio betriebsbedingte Kündigungen an“. Und irgendwann sogar noch Schlimmeres? Jedenfalls meint Hanfeld:
„Das Zeitfenster, in dem traditionelle Medien sich für das Geschäft mit unabhängigem Journalismus im digitalen Zeitalter neu finden müssen, wird sich in nicht allzu ferner Zukunft schließen (...) Warten die Verantwortlichen beim Spiegel zu lange, könnte sich am Ende noch die Frage stellen, wer in der Lage wäre, den Verlag ganz zu übernehmen. Der Spiegel made by Bertelsmann?"
[+++] Froh sein können síe beim Spiegel erst einmal, dass das „Kandidatengequatsche“ vorbei ist - zumindest bis der erste Mediendienstonkel brainstormt, wer Saffes Nachfolger werden könnte (oder gibt es ein entsprechendes Textchen schon?). Der Begriff „Kandidatengequatsche“ stammt übrigens von FAS-Feuilletonchef Claudius Seidl, er hat ihn gerade verwendet, als ihn Alexander Cammann von der Zeit auf Jürgen Kaube angesprochen hat, den FAZ-Feuilleton-Herausgeber in spe.
„Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass der Aufsichtsrat der FAZ auf seiner Sitzung am 9. Dezember die wichtige Personalie durchwinken werde“,
schreibt der Spatzenzuhörer Cammann, der auch mit Kaube selbst gesprochen hat, unter anderem über eine Einschätzung, die der Spiegel zu Wochenbeginn über ihn, Kaube, verbreitete (siehe Altpapier):
„Wer das so so sieht, kann in den letzten Jahren nicht viel von mir gelesen haben.“
Ähnliches könnte Kaube denken, wenn er liest, was Cammann schreibt:?
„Es wird zweifellos eine Ausnüchterung, vom Charismatiker Schirrmacher zum Anticharismatiker Kaube, gleichsam von Schröder zu Merkel.“
Ob der Zeit-Autor das gleichsam ausgenüchtert verfasst hat, war bis Redaktionsschluss dieser Kolumne nicht zu ermitteln.
Der Mann, der sehr vielleicht Frankfurt‘s Next Feuilleton-Herausgeber wird, schreibt in der heutigen FAZ im Übrigen über die Stiftung Warentest, weil die ein halbes Jahrhundert wird. Und live on stage erlebt man ihn heute hier.
+++ Auf die Zeit müssen wir heute noch einmal eingehen, denn die Abonnenten haben mit der aktuellen Ausgabe auch die Beilage Weltkunst geliefert bekommen. Das „Kunstmagazin der Zeit“ (Untertitel) widmet sich dieses Mal dem Thema „Duft“, was den schönen Nebeneffekt hat, dass man im sog. redaktionellen Teil allerlei Parfümmarkennamen unterbringen kann. Welche Parfüms zu „Picassos Träumerin“ „passen“, erfährt der Leser unter anderem. Die Redaktion zählt gleich fünf Produkte auf, eines davon ist „ein süchtig machender, floraler Duft, der durch seinen verführerischen Mix aus Apfelblüten, Jasmin, Sandelholz und köstlicher Vanille überzeugt“. Was die Nachfahren Picassos dazu sagen, würde man auch gern mal wissen.
+++ Die Ex-Redakteure der FTD treffen sich mal wieder auf ner großen Party (siehe Altpapier). Für den damals mit dabei gewesenen Falk Heunemann (Opinion Club) ist das ein Anlass nachzufragen, was die Kollegen heute machen. Schönes Ding zweifellos, dass „nicht wenige der früheren FTD-Mitarbeiter inzwischen ganz gut untergekommen“ sind. 37 von ihnen „haben die Seite komplett gewechselt: Sie wurden Pressesprecher, Werber oder Mitarbeiter in Kommunikationsabteilungen. Zu ihren neuen Arbeitgebern gehören die Deutsche Bank, die EZB, Infineon oder auch Greenpeace und diverse soziale und ökologische Stiftungen.“
+++ Menschen, die sich über die Possen der an Possen nicht armen deutschen Medienpolitik beömmeln können, erfreut möglicherweise folgender FK-Artikel über Begebenheiten in der Region Berlin-Brandenburg, über die die Funkkorrespondenz berichtet: Als neuer Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) stehen zwar 22 Kandidaten bereit, doch gewählt werden muss sie oder er vom Medienrat der MABB, dessen neue Mitglieder aber erst einmal von den beiden Länderparlamenten bestellt werden müssen. Ist aber bisher nicht passiert. Überhaupt nicht erfreulich ist das Ganze für den 68-jährigen Hans Hege, der eigentlich schon seit April dieses Jahres im Ruhestand ist, sich aber immer noch nicht ausgiebig der Rosenzucht oder welcher auch immer von ihm favorisierten Rentnertätigkeit widmen kann, weil er weiterhin ausharren muss auf dem Posten des Direktors.
+++ Ebenfalls in der FK: Dietrich Leder schreibt über 3sat, anlässlich des 30. Geburtstages des Senders (Altpapier): „Gemessen an all den Wirrungen und Irrungen, denen 3sat ausgesetzt war und ist, hat sich der Sender wacker gehalten. Sicher, es gibt weiterhin die hohe Zahl an Wiederholungssendungen (etwa der Talkshows), die das Programmprofil verwässern und die angesichts der Mediatheken, in denen diese Talksendungen inzwischen abgerufen werden können, vollkommen unnötig erscheinen. Zudem waltet selbst bei diesem Kulturprogramm mitunter ein gewisser Quotenwahn, weshalb beispielsweise die Zahl der Dokumentarfilmtermine am Sonntagabend gekürzt wurde. Aber der Autorendokumentarfilm wird weiterhin gepflegt.“
+++ Mehr zum deutschen Ableger von Russia Today: „Die Nachrichtenseiten von rtdeutsch.com lesen sich nicht wie die News eines seriös recherchierenden Mediums (...) Ein typischer RT-Artikel schildert eher selten stringent das Vorgefallene, vielmehr konzentriert man sich darauf, in oft unbeholfenen Worten die vorliegenden Fakten zu werten“, schreibt Elke Wittich in der Jungle World. Sie weist auch darauf hin, dass Bruno Kramm, „der Mitte November neu gewählte Vorsitzende der Berliner Piratenpartei“ bereits zweimal in der RT-Sendung „Der fehlende Part“ zu Gast war. +++ Eine Empfehlung vom Freitag: „Wer wissen will, wie man Debatten über Genderfragen mit Humor führt, sollte sich die US-Serie ‚Transparent‘ anschauen.“ Worum geht es? „Drei erwachsenen Kindern stellt sich in Transparent (lies: trans-parent) die Frage: Wie reagiert man auf einen Vater, den man unerwartet in Frauenkleidern erwischt?“ Aufhänger von Ekkehard Knörers online nicht verfügbarem Text ist die hiesige Debatte um Professx Lann Hornscheidt (siehe dieses und dieses Altpapier).
+++ War Maybrit Illners gestriger Talk „die peinlichste Sendung der Woche“? Das meint Daland Segler (Berliner Zeitung), und wenn man liest, was Focus-Chefredakteur Ulrich Reitz dort so gesagt hat, klingt das nach einer schlüssigen Einschätzung. Andererseits: Wir reden hier von einer Woche, in der bei der Ex-Journalistin Sandra Maischberger der Ex-Politiker Ronald Schill zu Gast war.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.